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Ausstellung

Auf den Spuren der “Dame am Klavier”

Unter einer fingerdicken Schicht Staub verbirgt sich das Gesicht einer jungen Frau, deren Blick sehnsüchtig in die Ferne gerichtet ist. Während einer Haushaltsauflösung findet die Familie Winterberg ein Ölgemälde: Ein unerwarteter Schatz inmitten alter Möbel, Bücher und Teppiche. 

Ein rätselhafter Blick in die Ferne: Das Schicksal der jungen Frau lag lange Zeit im Dunklen.

Ein unerwarteter Schatz

Das Bild zieht alle in den Bann. Nach der Reinigung kommen mehr Details ans Tageslicht. Gekleidet ist die Frau in ein einfaches, wenn auch elegantes dunkelrotes Kleid. Die fast schwarzen Haare trägt sie seitlich über die Ohren hochgesteckt, dazu schlichte Ohrringe. Auf dem Klavier neben ihr ist ein Notenblatt von Chopins 24 Préludes, Op. 28 spielfertig aufgeschlagen. So gefühlsbetont wie Chopins Musik ist auch der Grundton des Gemäldes, welches abgerundet wird durch den Blick auf das Meer. Auf den Wellen segelt ein Schiff in die Ferne. 

Julia Winterberg in der Fernsehsendung „Kunst + Krempel“ (5. März 2016). 

Wer ist die Unbekannte?

Die Münchnerin Julia Winterberg hat lange in der Bankenszene gearbeitet. Jetzt, im Ruhestand, bietet sich ihr endlich die Zeit, dem lang gehegten Familienrätsel auf die Spur zu kommen. Jahre nach der Haushaltsauflösung schaute die Unbekannte tagein tagaus ins Wohnzimmer von Winterbergs Eltern. Bereits ihre Mutter versuchte in den 70er-Jahren erfolglos herauszufinden, wen das Bild zeigt. Es kursierten lediglich Theorien, etwa dass es eine Pianistin sein könnte. Vielleicht sogar ein bekannter Name, wie Clara Schumann?

Auch Julia Winterberg lässt die Geschichte des Bildes einfach keine Ruhe. Im Zeitalter von Fernsehen, Internet und Handy stehen allerlei Wege offen – sich in diesem medialen Labyrinth zurechtzufinden braucht jedoch Zeit. 2016 führt es sie in die Fernsehsendung „Kunst + Krempel“, die zwar die Identität der „Dame am Klavier“ auch nicht aufschlüsseln kann, aber im Gemälde Stilmittel des 19. Jahrhunderts entdeckt. Eine Zeitgenossin Queen Victorias, die sich an den aristokratischen Idealen der Epoche orientiert. Der Moderator wagt die Vermutung, es könne sich sogar um die Königin handeln – die Ähnlichkeit von Kinnpartie und Augen ist nicht von der Hand zu weisen.

Das Gemälde hat heute ein neues Zuhause im Auditorium gefunden und kann dort jeden Sonntag besichtigt werden. Foto: Katharina Anna Haase.

Dass es sich am Ende weder um Queen Victoria noch um Clara Schumann handelt, macht die Geschichte hinter dem Gemälde nicht weniger spannend. Seit kurzem können Neugierige das Bildnis der Dame in der Kunstsammlung der Universität Göttingen bewundern. Auf der zugehörigen Tafel erfahren wir auch ihren Namen: Zina Mansurova, eine russische Fürstin, porträtiert von Carl Oesterley. 

Auf Spurensuche

Kunsthistoriker und Hofmaler Carl Oesterley senior, gezeichnet von Adolf Zimmermann. 

In den Göttinger Sammlungen zeugen bis heute Handschriften, Skizzen und Gemälde vom Schaffen des Kunsthistorikers, der im 19. Jahrhundert an der Universität lehrte. Nebenbei gab er als Hannoveraner Hofmaler dem Adel ein Gesicht. Auf dem Gemälde Zina Mansurovas setzt Oesterley 1851 sein Monogramm in schwarzer Farbe auf den Fuß des Klaviers: Ein C umrundet durch ein O, auf dem dunklen Hintergrund nahezu unsichtbar. Als Julia Winterberg die Signatur über hundert Jahre später entdeckt, führt sie ihre Suche zu den Kunsthistoriker*innen der Universität Göttingen. Sie sind Oesterley-Expert*innen und können das Porträt der russischen Adligen Zina Mansurova zuordnen.

Die Mansurovs

Im Zarenreich ist die Familie der Mansurovs eine feste Größe in der russischen Aristokratie und unterhält enge Beziehungen zur orthodoxen Kirche. Zina Mansurova verbringt ihr Leben fernab ihrer Heimat in europäischen Metropolen, was auch Briefe der in Russland verbliebenen Mansurovs bezeugen. Ursache des familiären Exils ist die Heirat der Eltern – Cousin und Cousine – die der Moskauer Bischof Filaret Drozdov nach orthodoxem Recht ablehnte. Zina war demzufolge ein uneheliches Kind, eine Rückkehr nach Russland blieb ihr verwehrt. Ihr Vater trat in den diplomatischen Dienst für den russischen Zaren, der ihn mitsamt Familie nach Hannover (1847-1852) führte. Dort porträtierte Carl Oesterley zunächst ihn und später seine 21-jährige Tochter. Entsprechende Einträge entdeckt die Kunsthistorikerin Dr. Katja Mikolajczak im Inventarbuch Oesterleys. 

Oesterleys Liebe zum Detail: Das Notenblatt zeigt Frédéric Chopins 24 Préludes, Op. 28.

Anders als die Mansurovs im Zarenreich, deren Schaffen durch politische und religiöse Ämter gut nachvollziehbar ist, findet sich Zina nur gelegentlich im Licht der Geschichte wieder. Ihre Position in der höfischen Gesellschaft ermöglichte ihr den Kontakt zu prominenten Zeitgenoss*innen, wie Nietzsche, den sie in späteren Lebensjahren über eine gemeinsame Freundin kennenlernte. Das Gemälde Oesterleys verewigt weitere Bruchstücke ihres Alltags zwischen Verpflichtungen und Vergnügungen der höheren Gesellschaft. Ihre Herzensangelegenheit mag das Klavierspiel gewesen sein. Oesterley präsentiert sie an einen Flügel gelehnt. Gefühl in die Préludes zu legen, lernte sie von Chopin höchstselbst, wie Nachforschungen an der Universität Göttingen nahelegen. 

Ein Gemälde – viele Geschichten

Julia Winterberg hat sich entschieden, das Gemälde der Göttinger Kunstsammlung zu schenken. Nachdem es die Mansurovs bei Oesterley in Auftrag gaben, hat es einen langen Weg hinter sich, der aus heutiger Sicht nur in Bruchstücken rekonstruiert werden kann: In den Besitz der Familie Winterberg gelangte es vermutlich durch einen Vorfahren, der Kammerdiener eines englischen Diplomaten war und so potenziell Kontakt zum Hannoveraner Hof hatte. Von da an verloren sich die Spuren des Gemäldes, bis es die Winterbergs bei der Haushaltsauflösung vom Staub befreiten.

Mit der Schenkung sind Julia Winterbergs Nachforschungen zum Gemälde und zum Schicksal der jungen Adeligen nicht beendet. Sie möchte weiter auf der Fährte der Mansurovs wandeln und plant bereits Reisen nach Den Haag und nach Paris, wo sie auf dem sagenumwobenen Friedhof Père Lachaise die Gräber der Familienangehörigen suchen möchte. Was sie erwartet ist ungewiss. Sicher ist jedoch, dass am Horizont noch viele Geschichten darauf warten, entdeckt zu werden. 

Julia Winterberg und Dr. Michael Thimann vor dem Gemälde. Göttinger Kunsthistoriker*innen waren maßgeblich an den Recherchen zur Geschichte des Gemäldes beteiligt. 
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