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Im Schaufenster: das Physicalische Cabinet

Die Sammlung historischer physikalischer Instrumente der Universität Göttingen oder weniger sperrig: das “Physicalische Cabinet” lässt 250 Jahre Physikgeschichte in Göttingen lebendig werden. Es ist eng verknüpft mit Wissenschaftlern wie Lichtenberg, Gauß und Weber. Der Bestand reicht von den Anfängen der Physik im 18. Jahrhundert bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts und enthält so bedeutende Objekte wie den Gaußschen Vizeheliotrop und eine Replik des Gauß-Weber-Telegraphen zur Weltausstellung 1873 in Wien.

Blick in den Museumsraum des “Physicalischen Cabinets” im Foyer der Fakultät für Physik. Foto: Daniel Steil

Physik im 20. Jahrhundert

Das Sammlungsschaufenster im Forum Wissen greift einen Objektbestand auf, der im Museumsraum des “Physicalischen Cabinets” etwas stiefmütterlich behandelt wird: Physik- und Technikinstrumente des frühen 20. Jahrhunderts. Diesen fehlt der Glanz von Messing, edlen Hölzern und Glas, welcher die Exponate des 18. und frühen 19. Jahrhunderts bestimmt. Damals war die Manufaktur das vorherrschende Produktionsverfahren und die Herstellung war kunsthandwerklich geprägt. Mit dem Übergang zur industriellen Massenproduktion, bei der große Stückzahlen kostengünstig produziert werden sollten, trat im 20. Jahrhundert die Funktion des Objekts in den Vordergrund. Es dominierten einfache geometrische Formen. Kunststoffe und lackiertes Blech kamen zum Einsatz und die Objekte waren typischerweise in gedeckten Farben gehalten.

Nutzung von Elektrizität

Im frühen 20. Jahrhundert erfolgte die weitgehende Elektrifizierung Deutschlands. Daher haben alle im Sammlungsschaufenster gezeigten Exponate etwas mit Elektrizität zu tun – beginnend mit der hier gezeigten Influenzmaschine nach James Wimshurst.

Influenzmaschine nach Wimshurst. Foto: Marie Ahlig und Lara Siegers

Influenzmaschinen dienen dazu, elektrische Ladungen voneinander zu trennen. Das passiert in dem Fall der Wimshurst-Maschine mittels mechanischer Arbeit und unter Nutzung gegenläufig rotierender Scheiben. Diese Maschinen wurden Anfang des 20. Jahrhunderts dazu benutzt, um elektrische Hochspannung bis zu 100 kV bereitzustellen, womit beispielsweise frühe Röntgenröhren betrieben werden konnten. Das hier ausgestellte Exponat besitzt zur Ladungsspeicherung zwei Leidener Flaschen, also frühe Hochspannungskondensatoren. Es diente früher vermutlich als Demonstrationsversuch zur Erzeugung und Nutzung elektrischer Ladungen. Funkenentladungen werden in modernisierter Form noch heute in der Lehre in der Physik oder zur Freude von Groß und Klein beim Tag der offenen Tür oder der Nacht des Wissens gezeigt.

Elektrizitätslehre und Schwingungsphänomene in der Schule

Mit der breiteren Verfügbarkeit von elektrischem Strom und insbesondere Wechselstrom wurde es notwendig, dieses neue Phänomen in die technische Ausbildung zu integrieren.

Schleifenoszillograph von Siemens & Halske. Foto: Marie Ahlig und Lara Siegers

Da Menschen Spannung oder Strom nicht direkt wahrnehmen können, entwickelte in den 1930er-Jahren unter anderem die Firma Siemens & Halske (das heutige Siemens) einen einfachen und kostengünstigen Schleifenoszillographen. Auf diese Weise sollten elektrische (aber auch andere) Schwingungsvorgänge sichtbar gemacht werden. Hierbei wird Licht von einer Lichtquelle auf einen Schwingspiegel gelenkt, welcher auf einer Drahtschleife montiert ist (im Bild vorne). Der Spiegel auf der Drahtschleife befindet sich in einem Magnetfeld. Fließt ein Wechselstrom durch die Drahtschleife, so wird der Spiegel proportional zur Stromstärke ausgelenkt und erzeugt einen oszillierenden Lichtfleck entlang der Vertikalen. Um die Schwingung entlang der Vertikalen besser sichtbar zu machen, wird das Licht des Spiegels an dem Drehspiegel reflektiert, hier mit 10 Einzelspiegeln (im Bild hinten). Das führt zu einer zusätzlichen horizontalen Bewegung des Lichtflecks; die Schwingung wird auf einem Beobachtungsschirm sichtbar. Der hier gezeigte Schleifenoszillograph wurde mit großer Wahrscheinlichkeit von Robert Wichard Pohl für Demonstrationsversuche in seiner Vorlesung zur Experimentalphysik beschafft.

Physikalische Forschung und Medizintechnik

Wurden frühe Röntgenapparate noch mit komplizierten und eher unzuverlässigen Hochspannungsquellen wie der weiter oben diskutierten Influenzmaschine betrieben, so stellt unser nächstes Exponat etwas dar, was heute gerne als Quantensprung oder bahnbrechende Innovation bezeichnet wird. Es handelt sich um die sogenannte Röntgenkugel der Siemens-Reiniger-Werke: 1934 auf den Markt gebracht, stellt sie eines der ersten transportablen Röntgengeräte dar.

Siemens-Röntgenkugel. Foto: Vanessa Scheller und Daniel Steil

Das Besondere an der Röntgenkugel ist, dass sie die Röntgenröhre und den notwendigen Hochspannungstransformator in einem kompakten, strahlensicheren Gehäuse unterbringt und das Gerät zum Betrieb nur noch an das 220V-Stromnetz angeschlossen werden muss. Mithilfe eines Stativs konnte die Röntgenkugel dann in recht beliebiger Lage für Röntgenaufnahmen an einem Patienten eingesetzt werden. Diese Eigenschaften führten dazu, dass die Röntgenkugel bis in die 1970er-Jahre weltweit einige Zehntausend Mal verkauft wurde. Das machte die Röntgenkugel – insbesondere in der Zahnmedizin – zu einem beliebten Röntgengerät. So erinnert sich auch der Verfasser vage daran, dass er in seiner Jugend mit Hilfe einer Röntgenkugel von seinem Zahnarzt geröntgt wurde. Auch in der Physik wurde die Röntgenkugel zur Bildgebung eingesetzt. Aktuell sind stolze drei Stück im Besitz der Sammlung: vom chromfarbenen Modell – wie hier gezeigt – bis zu einem schlicht cremefarben lackierten Gerät. Interessierte an historischer Röntgentechnik finden eine Vitrine mit Exponaten in unseren Sammlungsräumen.

… zu guter Letzt

Das “Physicalische Cabinet” öffnet aktuell regulär während der Vorlesungszeit montags um 16 Uhr vor den großen Physikkolloquien. Führungen für Gruppen sind außerhalb dieser Zeiten auf Anfrage möglich. Weitere Informationen sind auch auf unserer Webseite zu finden.

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Aus den Göttinger Sammlungen: Kunstvolle Schmuckstücke neu im Museumsshop

Jetzt neu im Forum Wissen Shop, handgefertigte Schmuckstücke inspiriert von Exponaten aus den Göttinger Sammlungen. Hergestellt von der Restauratorin Jorun Ruppel und ihrem Team!

Kunstvolle Reproduktionen historischer Schätze

Die Herstellung der Reproduktionen erfordert handwerkliches Können und Liebe zum Detail. Diplom-Restauratorin Jorun Ruppel und ihr Team produzieren von historischen Objekten inspirierte Ohrringe und Magneten, die ab sofort im Forum Wissen Shop erhältlich sind. Jorun Ruppel erinnert sich an die Anfänge im Jahr 2007: “Damals habe ich Daktyliotheken restauriert und wollte die alten Herstellungstechniken praktisch nachvollziehen.” Daktyliotheken sind Sammlungen von Abdrücken antiker oder neuzeitlicher Gemmen, erläutert die Restauratorin. Bei Gemmen handelt es sich um in Edelstein oder Glas geschnittene Motive. Sie wurden in der Antike als Glücksbringer und Ehrengeschenke zum Beispiel für Amulette oder Siegelringe angefertigt. Der Erfolg der reproduzierten Abdrücke war so groß, dass das Team um Jorun Ruppel daraus Magnete, Ketten, Broschen und Ohrringe fertigte.

Von den Sammlungen inspiriert

Auf den Ohrringen und Magneten sind vermutlich die Dichterin Sappho und Apollon sowie weitere Frauen dargestellt. Die Vorlagen für diese Kunstwerke stammen aus der Daktyliothek von James Tassie. Sie enthalt künstlerische Nachempfindungen antiker Motive aus dem 18. Jahrhundert. Einige dieser Exponate sind ausgestellt im Raum Schränke in der Basisausstellung im Forum Wissen. Ihr Reiz liegt in den Details: “Die Ohranhänger sind Abdrücke und Abgüsse in Originalgröße, während wir für die Magnet-Formen ein Verfahren angewendet haben, mit dem die Größe fast verdoppelt wird”, erklärt Jorun Ruppel. „Es ist erstaunlich, wie filigran der Gemmenschnitt trotz der Vergrößerung noch wirkt.“

Wie das funktioniert?

„Um die Reproduktionen herstellen zu können, benötigt man Formen aus Silikon. Bestehen die Gemmen aus einem unempfindlichen Material, kann das Silikon direkt darauf gegossen werden. Ansonsten nehmen wir einen Plastilinabdruck vom Original und formen diesen mit Silikon ab“, erklärt Jorun Ruppel. Die Verfahren haben auch Einfluss darauf, ob das Motiv später eingeschnitten oder erhaben erscheint.

Altes Kunsthandwerk neu entdeckt

Die unterschiedlichen Produkte erfordern spezielle Materialien: “Bei den weißen Magneten verwenden wir eine keramikähnliche Masse, die an Biskuitporzellan erinnert, während wir für die farbigen Magneten und Ohrringe Acrylharz verwenden, das sich gut einfärben lässt.” Eine neue Serie von Magneten und Ohrringen ist jetzt im Forum Wissen Shop erhältlich. Trotz des Erfolgs gab es auch Herausforderungen. Jorun Ruppel erzählt: “Obwohl wir schon jahrelange Erfahrung mit dem Gießen haben, kann immer etwas schiefgehen – auch, wenn wir noch so sorgfältig arbeiten. Jetzt haben wir genügend Abgüsse und Abdrücke zusammen, um die finalen Arbeiten durchzuführen – vom Schleifen der rückseitigen Kanten über das Wachsen und Polieren bis hin zum Anbringen der Haken”
Erfahren Sie mehr über die Geschichte der Gemmen und ihren Weg in die Göttinger Universitätssammlungen auf unserem Blog.

Das Bild zeigt Besucherinnen im Shop des Forum Wissen in Göttingen

Wissen to Go – Der Museums-Shop im Forum Wissen

ÖFFNUNGSZEITEN
Dienstag – Sonntag, 11 – 17 Uh

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Im Schaufenster: das Universitätsarchiv

Eigentlich ist das Universitätsarchiv keine Sammlung. Zum Beispiel sammelt es nichts, auch wenn die Akte im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen den Eindruck erwecken könnte. Das Archiv nimmt, was ihm von Gesetz wegen übergeben wird. Dass seine Arbeit von einem Gesetz bestimmt wird, ist für eine akademische Sammlung auch ungewöhnlich. Dort steht nichts von herausragenden Exponaten, „Dingen des Wissens“ und den vielen Facetten der Verantwortung, die Kustod*innen für ihre Objekte haben, aber viel von nüchternen Dingen wie Datenschutz und Archivierungspflicht öffentlicher Einrichtungen.

Aktenordner im Sammlungsschaufenster. Foto: Martin Liebetruth

Das Archiv operiert hart an der Gegenwart, übernimmt laufend Aktenordner und elektronische Unterlagen der letzten Jahrzehnte aus den Büros der Universität Göttingen. Aber das tut es – bezieht man alle seiner Vorläufer mit ein – seit 1773. So haben sich Schicht für Schicht 2,3 Regal-Kilometer an Geschichte auf Papier seit der Gründung der Universität aufgetürmt.

Nur Papierkram?

Diese „Sammlung“ ist hochspezialisiert: Sie umfasst nur Verwaltungsakten der Dienststellen der Universität. Persönliche Korrespondenz oder Manuskripte eines Gauss, Lichtenberg oder Schlözer gibt es hier nicht – weil das Archiv nicht aktiv alle Unterlagen sammelt, die für die Universitätsgeschichte von Belang sein könnten. Aber die Personalakten der drei Koryphäen wurden schon vor sehr langer Zeit dem Archiv übergeben. Auch alle Promotionsakten finden ihren Weg dorthin; die Robert Oppenheimers ist gerade wieder ins Licht der Öffentlichkeit gerückt.

Promotionsurkunde Oppenheimer

Promotionsurkunde für Robert Oppenheimer, 1927 (UniA GÖ, Math-Nat. Prom. 27)

Solche Verwaltungsakten sind das Faktengerüst der Universitätsgeschichte. Aber auch das hat es in sich: In Besoldungsakten spiegeln sich Schicksale, etwa die der 1933 vertriebenen jüdischen Professor*innen. Bauakten kondensieren Wissenschaftsgeschichte wie die Anfänge der naturwissenschaftlichen Großforschung. In langen Reihen von Protokollen des Senats und der Fakultäten gehen wissenschaftliche, administrative und menschliche Themen durcheinander, wie das Leben so ist. Die Akten des längst abgeschafften Universitätsgerichts lassen tief in die allzumenschlichen Regungen der saufenden und raufenden Studenten vor 200 Jahren blicken. Die Matrikelbücher enthalten die eigenhändigen Einschreibungen aller Göttinger Studierender von 1734 bis 1968: Lebensspuren, die Familienforscher aus der ganzen Welt anziehen.


Matrikeleintrag Humboldt

Der Göttinger Student Alexander von Humboldt im Matrikelbuch, 1789 (UniA GÖ, Matr. 3)

Bewahrung des Authentischen

Die historische Wurzel dieses dokumentarischen Reichtums ist das „Dokument Nr. 1“, das Gründungsprivileg Georgs II. August für die Universität, die seinen Namen trägt, vom 7. Dezember 1736. Heute hat es keine Rechtskraft mehr. Aber die Georgia Augusta kann sich weiterhin auf Artikel 11, die damals revolutionäre Verleihung der Wissenschaftsfreiheit, als geistiges Fundament berufen. Kein Dokument veranschaulicht besser den Wandel, den die Bestände des Universitätsarchivs erfahren, wenn sie in Jahrzehnten und Jahrhunderten von rechtserheblichen Verwaltungsdokumenten zu historischen Zeugnissen mit einer ganz besonderen Aura des Authentischen und Unbestreitbaren werden.


Gründungsprivileg der Universität

Siegel und Unterschrift des Gründungsprivilegs der Universität, 1736 (UniA GÖ, Urk. 2)

Zum Auratischen trägt auch der Ort des Archivs bei. Sein Magazin nimmt auf zwei Ebenen das Untergeschoss der Paulinerkirche ein. Die Aktenregale stehen zwischen mächtigen Achteckpfeilern auf demselben Boden, auf dem am 17. September 1737 die Universität in einem Festakt feierlich eingeweiht wurde. Das Universitätsblog BLUG hat diesen „Schatz im Papendiek“ einmal besichtigt. Die Kirche gehört zum ehemaligen Dominikanerkloster, dem heutigen „Historischen Gebäude“ der Staats- und Universitätsbibliothek.


Regalreihen im Magazin

Regalreihen im Magazin des Universitätsarchivs in der Paulinerkirche. Foto: Holger Berwinkel

Zu dieser gehört seit einigen Jahren auch das Archiv, um die Synergien zu den vielfältigen historischen Beständen der Bibliothek auszuschöpfen. Im Handschriftenlesesaal des Gebäudes können Interessent*innen die Archivalien einsehen. Von den allerjüngsten Akten abgesehen, die oft dem Datenschutz unterliegen, ist alles für die Öffentlichkeit nutzbar. Auch das steht im Niedersächsischen Archivgesetz. Der größte Teil des Altbestands ist online im Arcinsys-Portal katalogisiert und wird sukzessive digitalisiert.

Eine Meta-Sammlung

Die Archive mancher Universität reichen um Jahrhunderte weiter zurück, aber das Göttinger zeichnet sich durch die besondere Vollständigkeit und Dichte seiner Aktenüberlieferung aus. Entsprechend intensiv wird es vorrangig von der Wissenschaftsgeschichte genutzt. Sie werten die Akten als historische Texte aus. Eine besondere Objektqualität kann man den Schriftstücken beim besten Willen oft nicht zugestehen. Sie sind „Flachware“. Aber inhaltlich dokumentieren sie mit der Geschichte der Universität auch die Entwicklung der Sammlungen! Wenn im 18. Jahrhundert Münzen, Kupferstiche und Materialien angekauft wurden, dann musste die Staatskasse Geld bereitstellen und forderte als Nachweis Inventarlisten an. Die Unterbringung der Sammlungen, der Bau des ersten Akademischen Museums, die Personalien der Kustoden, die Kriegsverluste von 1945 im Kalibergwerk Volpriehausen – alles ging zu den Akten.

Oft kann der Archivar der Universität im Lesesaal deshalb Kolleg*innen begrüßen, die als Kustod*innen Aspekte des Werdens ihrer Sammlung erforschen. Man kann das Archiv deshalb auch als eine Meta-Sammlung sehen. In der Basisausstellung des Forum Wissen begegnen Besucher*innen nur gelegentlich Exponaten aus dem Universtätsarchiv, aber in die Konzeption sind auch die Ergebnisse breiter sammlungsgeschichtlicher Archivrecherchen eingeflossen. So ist das Archiv in erster Linie Infrastruktur, die andere Akteur*innen bei der Vorbereitung von Ausstellungen unterstützt.

Fotos: Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen