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Im Schaufenster: das Universitätsarchiv

Eigentlich ist das Universitätsarchiv keine Sammlung. Zum Beispiel sammelt es nichts, auch wenn die Akte im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen den Eindruck erwecken könnte. Das Archiv nimmt, was ihm von Gesetz wegen übergeben wird. Dass seine Arbeit von einem Gesetz bestimmt wird, ist für eine akademische Sammlung auch ungewöhnlich. Dort steht nichts von herausragenden Exponaten, „Dingen des Wissens“ und den vielen Facetten der Verantwortung, die Kustod*innen für ihre Objekte haben, aber viel von nüchternen Dingen wie Datenschutz und Archivierungspflicht öffentlicher Einrichtungen.

Aktenordner im Sammlungsschaufenster. Foto: Martin Liebetruth

Das Archiv operiert hart an der Gegenwart, übernimmt laufend Aktenordner und elektronische Unterlagen der letzten Jahrzehnte aus den Büros der Universität Göttingen. Aber das tut es – bezieht man alle seiner Vorläufer mit ein – seit 1773. So haben sich Schicht für Schicht 2,3 Regal-Kilometer an Geschichte auf Papier seit der Gründung der Universität aufgetürmt.

Nur Papierkram?

Diese „Sammlung“ ist hochspezialisiert: Sie umfasst nur Verwaltungsakten der Dienststellen der Universität. Persönliche Korrespondenz oder Manuskripte eines Gauss, Lichtenberg oder Schlözer gibt es hier nicht – weil das Archiv nicht aktiv alle Unterlagen sammelt, die für die Universitätsgeschichte von Belang sein könnten. Aber die Personalakten der drei Koryphäen wurden schon vor sehr langer Zeit dem Archiv übergeben. Auch alle Promotionsakten finden ihren Weg dorthin; die Robert Oppenheimers ist gerade wieder ins Licht der Öffentlichkeit gerückt.

Promotionsurkunde Oppenheimer

Promotionsurkunde für Robert Oppenheimer, 1927 (UniA GÖ, Math-Nat. Prom. 27)

Solche Verwaltungsakten sind das Faktengerüst der Universitätsgeschichte. Aber auch das hat es in sich: In Besoldungsakten spiegeln sich Schicksale, etwa die der 1933 vertriebenen jüdischen Professor*innen. Bauakten kondensieren Wissenschaftsgeschichte wie die Anfänge der naturwissenschaftlichen Großforschung. In langen Reihen von Protokollen des Senats und der Fakultäten gehen wissenschaftliche, administrative und menschliche Themen durcheinander, wie das Leben so ist. Die Akten des längst abgeschafften Universitätsgerichts lassen tief in die allzumenschlichen Regungen der saufenden und raufenden Studenten vor 200 Jahren blicken. Die Matrikelbücher enthalten die eigenhändigen Einschreibungen aller Göttinger Studierender von 1734 bis 1968: Lebensspuren, die Familienforscher aus der ganzen Welt anziehen.


Matrikeleintrag Humboldt

Der Göttinger Student Alexander von Humboldt im Matrikelbuch, 1789 (UniA GÖ, Matr. 3)

Bewahrung des Authentischen

Die historische Wurzel dieses dokumentarischen Reichtums ist das „Dokument Nr. 1“, das Gründungsprivileg Georgs II. August für die Universität, die seinen Namen trägt, vom 7. Dezember 1736. Heute hat es keine Rechtskraft mehr. Aber die Georgia Augusta kann sich weiterhin auf Artikel 11, die damals revolutionäre Verleihung der Wissenschaftsfreiheit, als geistiges Fundament berufen. Kein Dokument veranschaulicht besser den Wandel, den die Bestände des Universitätsarchivs erfahren, wenn sie in Jahrzehnten und Jahrhunderten von rechtserheblichen Verwaltungsdokumenten zu historischen Zeugnissen mit einer ganz besonderen Aura des Authentischen und Unbestreitbaren werden.


Gründungsprivileg der Universität

Siegel und Unterschrift des Gründungsprivilegs der Universität, 1736 (UniA GÖ, Urk. 2)

Zum Auratischen trägt auch der Ort des Archivs bei. Sein Magazin nimmt auf zwei Ebenen das Untergeschoss der Paulinerkirche ein. Die Aktenregale stehen zwischen mächtigen Achteckpfeilern auf demselben Boden, auf dem am 17. September 1737 die Universität in einem Festakt feierlich eingeweiht wurde. Das Universitätsblog BLUG hat diesen „Schatz im Papendiek“ einmal besichtigt. Die Kirche gehört zum ehemaligen Dominikanerkloster, dem heutigen „Historischen Gebäude“ der Staats- und Universitätsbibliothek.


Regalreihen im Magazin

Regalreihen im Magazin des Universitätsarchivs in der Paulinerkirche. Foto: Holger Berwinkel

Zu dieser gehört seit einigen Jahren auch das Archiv, um die Synergien zu den vielfältigen historischen Beständen der Bibliothek auszuschöpfen. Im Handschriftenlesesaal des Gebäudes können Interessent*innen die Archivalien einsehen. Von den allerjüngsten Akten abgesehen, die oft dem Datenschutz unterliegen, ist alles für die Öffentlichkeit nutzbar. Auch das steht im Niedersächsischen Archivgesetz. Der größte Teil des Altbestands ist online im Arcinsys-Portal katalogisiert und wird sukzessive digitalisiert.

Eine Meta-Sammlung

Die Archive mancher Universität reichen um Jahrhunderte weiter zurück, aber das Göttinger zeichnet sich durch die besondere Vollständigkeit und Dichte seiner Aktenüberlieferung aus. Entsprechend intensiv wird es vorrangig von der Wissenschaftsgeschichte genutzt. Sie werten die Akten als historische Texte aus. Eine besondere Objektqualität kann man den Schriftstücken beim besten Willen oft nicht zugestehen. Sie sind „Flachware“. Aber inhaltlich dokumentieren sie mit der Geschichte der Universität auch die Entwicklung der Sammlungen! Wenn im 18. Jahrhundert Münzen, Kupferstiche und Materialien angekauft wurden, dann musste die Staatskasse Geld bereitstellen und forderte als Nachweis Inventarlisten an. Die Unterbringung der Sammlungen, der Bau des ersten Akademischen Museums, die Personalien der Kustoden, die Kriegsverluste von 1945 im Kalibergwerk Volpriehausen – alles ging zu den Akten.

Oft kann der Archivar der Universität im Lesesaal deshalb Kolleg*innen begrüßen, die als Kustod*innen Aspekte des Werdens ihrer Sammlung erforschen. Man kann das Archiv deshalb auch als eine Meta-Sammlung sehen. In der Basisausstellung des Forum Wissen begegnen Besucher*innen nur gelegentlich Exponaten aus dem Universtätsarchiv, aber in die Konzeption sind auch die Ergebnisse breiter sammlungsgeschichtlicher Archivrecherchen eingeflossen. So ist das Archiv in erster Linie Infrastruktur, die andere Akteur*innen bei der Vorbereitung von Ausstellungen unterstützt.

Fotos: Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen

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Forum Wissen

Fundstücke aus dem Göttinger Grass-Archiv

Als Katrin Wellnitz, Heinrich Detering und Christian Fieseler vom Günter Grass-Projekt der Uni Göttingen Ende 2018 unzählige Kisten vom Steidl Verlag erhielten, wurde das Öffnen jeder einzelnen zum Abenteuer: Die Pakete vom Steidl Verlag waren reich gefüllt mit Dokumenten zum Werk von Günter Grass, vor allem zur Zusammenarbeit des Autors mit seinem Göttinger Verleger.

Heinrich Detering mit dem Buchumschlag von »Zunge zeigen«, den Günter Grass selbst entworfen hat. Foto: Svenja Brand

Was eine Tischdecke über den Autor verrät

Unser Team entdeckte in den Kisten erwartete und erhoffte, aber auch gänzlich überraschende Fundstücke, die uns in ihrer Vielfalt mehr über Günter Grass als Autor, als Buchkünstler, aber auch als Mensch verrieten – und zwar in einer erlebbaren und anschaulichen Weise, die durch keine Biografie zu vermitteln ist. Eine unserer ersten Überraschungen fanden wir in einer Kiste mit Archivmaterial zu dem Gedicht-Bild-Band »Letzte Tänze« von 2003: Es handelt sich um eine weiße Tischdecke, die, reich beschrieben und mit Rotweinflecken bekleckst, Eindrücke von einem geselligen, ausgelassenen Abend mit Günter Grass vermittelt.

Ausschnitt der beschrifteten Tischdecke. Foto: Svenja Brand © Steidl Verlag

Anlässlich der Buchpremiere von »Letzte Tänze« waren bei der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2003 Grass-Freund*innen zusammengekommen, um mit dem Autor einen kulinarischen, literarischen und auch tänzerischen Abend zu verbringen, und die Tischdecke zeugt von dem heiteren Beisammensein. Verlagsmitarbeiter*innen und Übersetzer*innen verewigten sich ebenso auf der Tischdecke wie der Autor selbst: Er unterschrieb mit »Euer aller Eintänzer« und nahm damit nicht nur auf seinen neuen tänzerischen Text-Bild-Band Bezug, sondern auch auf den »schmissigen Tango«, mit dem er seine »Tanzparty« eröffnete.

Grass’ Signatur auf der Decke. Foto: Svenja Brand © Steidl Verlag

Die Geschichte der Tischdecke und des Tanzabends zeichnet Svenja Brand auf unserer Projektseite nach. Dabei wird deutlich, wie Grass Literatur und Geselligkeit miteinander zu verbinden wusste.

Svenja mit einem Werbeplakat zu Grass’ barocker Erzählung »Das Treffen in Telgte«. Foto: Katrin Wellnitz

Die Geschichte eines Abends

Diese rekonstruiert Max Rauser, und zwar am Beispiel einer samtenen Nobelpreistasche, in der wir einen längst vergessenen Goldschatz fanden: Schokoladentaler, die wie Nobelmedaillen geprägt sind. Sie lagen auf den Banketttischen aus, an denen 1999 die Vergabe des Nobelpreises gefeiert wurde – unter anderem von Günter Grass, seiner Familie und seinen Freund*innen.

Nobelpreistasche und “Goldschatz”. Foto: Max Rauser

Grass hatte den Nobelpreis bekommen, »[w]eil er in munterschwarzen Fabeln das vergessene Gesicht der Geschichte gezeichnet hat«. Das betrifft nicht nur seinen kleinen Blechtrommler und selbsternannten Däumling Oskar Matzerath, der manchmal wütend, manchmal kunstvoll trommelnd die Geschichte des Nationalsozialismus und seiner Verarbeitung in der Nachkriegszeit lebendig hält, sondern auch all die anderen Figuren aus Grass’ Werk, die nicht müde werden, Geschichte wiederzuerzählen.

Max Rauser bei der Arbeit im Grass-Archiv. Foto: Max Rauser

Grass zeichnete dabei viele Gesichter nach, die alle auf ihre Weise ein Stück Geschichte bewahren und dynamisch weitertragen. Ein so greifbarer Fund wie die in die Jahre gekommene, wahrscheinlich von allen längst vergessene Nobelpreistasche erinnert uns an den Menschen Grass, der mit seinen Figuren auf Weltentdeckung ging und der in seinen Schreibpausen gerne ausgelassene Feste feierte – nicht ohne die Kunst mitspeisen und mittanzen zu lassen. Max Rausers Beitrag »Blauer Samt und alte Schokolade« gibt weitere Einblicke in diesen besonderen Abend.

Das Team und sein Projekt

Seit 2018 hat sich einiges verändert. Die meisten Bestände sind katalogisiert und archiviert, sodass Wissenschaftler*innen in Zukunft damit arbeiten können. Das Archiv-Team hat sich zu einer Grass-Arbeitsstelle weiterentwickelt, die Grass’ Werk aus ganz verschiedenen Perspektiven erforscht. Wir haben gemeinsam ein Buch geschrieben, das Grass als Buchgestalter vorstellt und spannendes Archivmaterial erstmals zugänglich macht. Es soll voraussichtlich im Herbst 2022 erscheinen. Gleichzeitig entstehen Abschluss- und Qualifizierungsarbeiten zum Werk von Grass, die teilweise das Göttinger Archivmaterial mit in die Forschung einbeziehen. Auch haben wir das Archivmaterial im Rahmen von Seminaren in die Lehre integriert und Studierenden die Arbeit im Literaturarchiv vorgestellt. Dabei haben wir den Büchermacher Grass und sein Werk aus ganz neuer Perspektive kennengelernt.

Das Team der Göttinger Grass-Arbeitsstelle, Sommer 2020: Jacqueline Gwiasdowski, Corinna Beermann, Max Rauser (oben), Lisa Kunze, Katrin Wellnitz, Svenja Brand, Christian Fieseler (unten). Foto: Heinrich Detering

Und schließlich haben wir damit begonnen, spannende, uns ganz persönlich berührende, heitere Archiv-Fundstücke in Wort und Bild auf unserer Internetseite zu präsentieren. In regelmäßigen Abständen werden wir neue Fundstücke aus den Kisten nehmen und dort erstmals vorstellen. Neben all den Entdeckungen in ganz unterschiedlichen Formaten lassen sich auch textuelle Überraschungen ausmachen.

Mit Schreibmaschine und Blickwechsel

Von Grass korrigierte Druckfahnen oder Typoskripte erlauben uns textkritische Einblicke in den Entstehungsprozess seiner Werke: etwa gestrichene Wörter in einem Typoskript zu »Mein Jahrhundert« von 1999.

Von Grass korrigierte Seite aus einem nicht datierten Typoskript zu »Mein Jahrhundert«, Kopie des Originals aus der Sammlung des Lübecker Günter Grass-Hauses. © Günter und Ute Grass Stiftung

Passend zur Jahrhundertwende hat Grass für jedes Jahr von 1900 bis 1999 je einen Kurztext verfasst, der aus unterschiedlichen Perspektiven das 20. Jahrhundert würdigt. Ein dieses Jahrhundert durcheilendes Ich weist immer wieder auf den Autor selbst zurück, auf seine Erfahrungen und historischen, oft auch politischen Reflexionen.

Lisa Kunze bei der Analyse des Archivmaterials. Foto: Heinrich Detering

Projektmitarbeiterin Lisa Kunze hat im Archiv die Kopie einer korrigierten Typoskriptseite entdeckt und eine für das Buchkonzept wesentliche Streichung analysiert: So beobachtet sie, wie dem ersten Satz des Jahrhundertbuches im Entwurf das so bezeichnende, weil auf den in jeder Geschichte, in jeder Stimme anwesenden Autor verweisende »Ich« vorangestellt wird. Hier ist ihr Beitrag über die erste Typoskriptseite von »Mein Jahrhundert« zu lesen »Das vielzählige Ich«.

Düster, grotesk, verspielt – »Hundejahre«

Umschlag zur »Hundejahre«-Ausgabe von 1963, erschienen im Verlag Luchterhand. © Günter und Ute Grass Stiftung

Mitunter kann das Archivmaterial auch dabei helfen, bereits bekannte Werke noch einmal aus ganz neuem Blickwinkel zu beleuchten. Motiviert durch Einbandentwürfe zu Grass’ illustrierter Jubiläumsausgabe der »Hundejahre« von 2013 habe ich mich zum Beispiel mit der Konzeption dieses zuerst 1963 veröffentlichten Romans auseinandergesetzt. Schon der Romantext weist neben den düsteren, menetekelnden Grundtönen eine inhaltliche und formale Verspieltheit auf, die charakteristisch ist für Grass’ Werk –  nur dass sie in ihrem experimentellen Charakter besonders stark aus diesem monumentalen Roman hervorscheint.

Motivauswahl für das »Zweite Buch« der »Hundejahre«-Ausgabe von 2013. © Günter und Ute Grass Stiftung

Die Illustrationen, die Grass nach gut 50 Jahren für seine Jubiläumsausgabe anfertigte, sind dann ebenfalls mal düster und unheilvoll, mal grotesk und verspielt geraten. So lässt sich die weite, vielseitige und spannungsreiche Welt der »Hundejahre« auch in Bildern wiederlesen. Doch keine Illustration vermag dies wiederum so anschaulich und selbstreflexiv bildhaft zu machen wie die schon 1963 auf den Umschlag gesetzte Zeichnung von der schattenspielenden, einen Hundekopf mimenden Hand. So ›bühnenbegabt‹ ist diese Hand, dass die Betrachtenden eher einen Hund als eine Hand auf dem Umschlag zu sehen meinen. Dieses Motiv hat Grass für die Jubiläumsausgabe vielfach variiert und damit den inszenatorischen Charakter des Werks noch einmal auf ganz neue Weise unterstrichen.

Ich selbst auf der Suche nach Archivschätzen. Foto: Svenja Brand

Die Arbeit mit dem Archivmaterial ist vielseitig und inspiriert das Göttinger Grass-Team immer wieder zu neuen Forschungsideen. Die facettenreichen Interessen des Autors färben dabei auch auf unsere Forschung ab: Seine Liebe zur Literatur wird auf erfrischende Weise mit seiner Liebe zum Buch verbunden, sein Interesse an der Schrift mit seinem Interesse am Bild zusammengedacht. Das Archivmaterial motiviert dazu, über den Tellerrand zu schauen, neue Forschungsgebiete zu erschließen und die Göttinger Grass-Forschung neugierig und engagiert voranzutreiben.займ онлайн круглосуточно без отказа безработным

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Durch Aula und Karzer am Wilhelmsplatz

Sonntagmorgen: Normalerweise schwinge ich mich jetzt auf mein Rad und fahre von Weende in Richtung Innenstadt, um eine Führung durch das Aulagebäude und den Karzer am Wilhelmsplatz zu geben. Da dies momentan nicht möglich ist, lade ich Sie herzlich zu diesem kurzen Online-Rundgang ein, damit Sie nicht ganz auf den Besuch verzichten müssen.

Wilhelmsplatz mit Aulagebäude und Denkmal für Wilhelm IV. Foto: Marc Oliver Schulz

Hallo und herzlich willkommen zur heutigen Führung …

Unsere Führung beginnt am „Willi“, einem der Lieblingstreffpunkte der Studierenden – neben dem Gänseliesel oder dem Nabel in Göttingen. Hier wurde die Aula am Wilhelmsplatz anlässlich des 100. Jubiläums der Universität Göttingen 1837 feierlich eröffnet. Das Gebäude sollte nicht nur ein repräsentativer Ort für Feierlichkeiten sein, sondern gleichsam als Versammlungsort, Arbeitsplatz und Studentengefängnis dienen. Die Universität war am Ende des 18. Jahrhunderts stark expandiert; es mangelte an Räumen für Lehre, Forschung und Verwaltung und eben auch an Orten zum Feiern.

Das Aulagebäude wurde auf dem „Neue Markt“ errichtet, der erst wenige Jahrzehnte vorher städtebaulich entwickelt worden war. Damit setzte sich die Universität ins urbane Leben und war sogleich in allen Ecken der Stadt durch repräsentative Bauten vertreten. König Wilhelm IV. von Großbritannien und Hannover stiftete die Aula. Als Dank errichteten ihm die Bürger der Stadt ein Standbild, das Sie noch heute auf dem Wilhelmsplatz sehen können. Erst mit der Aufstellung der Statue erfolgte dann die Umbenennung in „Wilhelmsplatz“. Heute kennt man ihn auch unterm liebevollen Kosenamen „Willi“.

Der Giebel mit den Fakultäten Medizin, Theologie, Jura, Philosophie. Foto: Gisa Kirschmann-Schröder

Bevor wir jetzt ins Innere des Gebäudes gehen, lohnt sich ein Blick auf den Giebel. Er zeigt die vier Gründerfakultäten, die den geflügelten Genius der Wissenschaft umgeben. In der im Zeichen der Aufklärung gegründeten Georgia Augusta waren alle Fakultäten gleichberechtigt, was bedeutet, dass die Theologische Fakultät kein Aufsichtsrecht gegenüber den anderen Fakultäten hatte – wie es andernorts üblich war; ganz nach dem Motto „In publica commoda – zum Wohle aller“!

Kleine Aula mit Büste Albrecht von Hallers. Foto: Ingo Bulla

Das Aulagebäude

Das Herzstück des Gebäudes sind die beiden Aularäume im ersten Obergeschoss. Die Kleine Aula wurde damals als Sitzungszimmer genutzt und dient bis heute als Expansionsmöglichkeit für die Große Aula. Durch die Büsten verschiedener Göttinger Wissenschaftler*innen sowie die Tafeln zum Gedenken an die Göttinger Sieben und die vertriebenen Göttinger Forscher*innen während das Nationalsozialismus ist sie zudem ein wichtiger Ort der Erinnerung.

Große Aula mit Königswand. Foto: Frank Stefan Kimmel

Die Große Aula samt Galerie bietet Platz für etwa 550 Personen. Die Königswand ist hier der Blickfang: Auf den Gemälden sehen Sie zum Beispiel den Gründer und Namensgeber unserer Universität, Georg II., den Stifter des Aulagebäudes, Wilhelm IV., und den ersten Deutschen Kaiser und König von Preußen, Wilhelm I. Er war der erste, der sich als Landesherr nicht mehr zugleich „Rector magnificentissimus“ nannte, also Rektor der Georgia Augusta. In Göttingen ließ sich dieser ohnehin von einem Stellvertreter vertreten, dem Prorektor, der aus den Reihen der ordentlichen Professoren gewählt wurde.

„Hotel zur akademischen Freiheit“

Wenn wir jetzt einer verwinkelten Treppe folgen, gelangen wir zum einstigen Universitätsgefängnis. Seine Geschichte beginnt im Prinzip mit der Gründung der Universität 1737. Denn die Georgia Augusta erhielt mit Ihrer Gründung gleichsam ihre eigene akademische Gerichtsbarkeit, also die alleinige Ausübung der Rechtsprechung in Zivil- und Strafrechtssachen. Dies bedeutet, dass jeder Universitätsangehörige und Studierende bei einem Vergehen vor das Universitätsgericht gestellt wurde. Der Richter war einer der ordentlichen Professoren der Juristischen Fakultät. Je nach Ausmaß der Tat kam die Isolationshaft im Karzer in Frage.

Ab 1837 befand sich dieser im neuen Aulagebäude. Mit Karzerhaft wurden zum Beispiel sexuelle Übergriffe, Schulden (Kolleggelder), ständiger Unfleiß, das Austreten von Laternen oder zu schnelles Reiten in der Stadt bestraft. Auch unerlaubtes Schwimmen in der Leine (außerhalb der gekennzeichneten Badeareale), die Haltung von sehr großen Hunden und deren Mitnahme zu Vorlesungen, Duelle, Glücksspiel, Trunkenheit und nächtliche Ruhestörung brachten die Studenten oft ins Gefängnis. Selbst das Trinken von auswärtigem (also nicht Göttinger) Bier war verboten!

Blick in einen Karzerraum. Foto: Frank Stefan Kimmel.

Stadtansichten, Wappen studentischer Verbindungen, Schmähgedichte, Silhouetten (die damalige Variante des Selfies) – die beschrifteten und bemalten Wände, Türen und Decken des Karzers, die Einritzungen in Boden und Fensterscheiben deuten darauf hin, dass die Karzerstrafe vor allem am Ende des 19. Jahrhunderts seine abschreckende Wirkung verloren hatte. Auch Isolationshaft gab es nicht mehr. Sie aber können in den acht erhaltenen Karzerräumen zukünftig noch viel entdecken.

Ausblick

Ich hoffe, mein kurzer Rundgang hat Ihnen gefallen und ich kann Sie bald wieder persönlich in der Aula am Wilhelmsplatz begrüßen. Dann werfen wir auf jeden Fall auch noch einen Blick in den Akademiesaal. Bis dahin wünsche ich Ihnen alles Gute und bleiben Sie gesund!

Während der Führung stelle ich auch den Akademiesaal vor. Foto: Anna Rusteberg

Autorin
Friederike Röpke, Studentin der Kunstgeschichte und Komparatistik an der Universität Göttingen und studentische Hilfskraft in der Zentralen Kustodie der Universität Göttingen
Kontakt: roepke@kustodie.uni-goettingen.deмикрозайм на карту онлайн срочно