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Un | entdeckt: Göttingens botanische Lehrtafeln

Über 2.000 botanische Wandtafeln schlummerten hinter Vorhängen und in Schränken verborgen im Albrecht-von-Haller-Institut für Pflanzenwissenschaften der Universität Göttingen. Unbewegt und über viele Jahre kaum genutzt, waren sie im Vorraum zum Hörsaal gelagert worden – bis die Zentrale Kustodie die Sammlung übernahm, sie bewahrte und ihr neues Leben einhauchte. 2018 wurden die Tafeln in einem zweiwöchigen Sprint digitalisiert und umgesiedelt, doch bis heute ist der Bearbeitungsprozess nicht ganz abgeschlossen. Dies ist die Geschichte des un | entdeckten Schatzes der Göttinger botanischen Lehrtafeln.

Lagerung der Tafeln im Albrecht-von-Haller Institut. Foto: Friederike Röpke.

Eingerollt, eingestaubt und wiederentdeckt

Ich hob die etwa einen Meter lange Papierrolle hoch und eine Staubwolke kam mir entgegen. Nach einem kurzen Hustenanfall war ich mir sicher, dass ich beim nächsten Mal einen Mundschutz tragen werde. Mit Handschuhen und einer Leiter ausgestattet stand ich im Albrecht-von-Haller-Institut und zählte die teils eingerollten, teils aufgehangenen, teils in Schränken verstauten Lehrtafeln. Es war im Februar 2018 und meine Aufgabe als studentische Hilfskraft der Zentralen Kustodie bestand darin, die Menge und den Zustand der pflanzenwissenschaftlichen Tafeln zu sichten. Dass unter diesen verstaubten Tafeln ein regelrechter Schatz an verschiedenen Wandtafeln aus dem 19. und beginnenden 20. Jahrhundert lagerte, habe ich zu dem Zeitpunkt schon geahnt, den Umfang aber bei weitem nicht einschätzen können.

Geputzt und fotografiert: der Digitalisierungssprint 2018

Der Digitalisierungssprint begann im März 2018. Eine Gruppe von sechs Student*innen, die zwei Wochen lang von morgens bis abends die Tafeln entstaubten, entrollten, ab- und wieder aufhängten, fotografierten, inventarisierten, alles in allem: digitalisierten. Dafür bauten wir eine Digitalisierungsstation im Hörsaal des Albrecht-von-Haller-Instituts auf.

Unsere Digitalisierungsstation. Foto: Karsten Heck.

Wir waren in Gruppen eingeteilt: Zwei von uns waren für das Säubern und Eintragen der Metadaten in die Datenbank naniweb zuständig. Zwei andere arbeiteten an der Fotostation – eine Person hinter der Kamera, die andere drehte die Tafel, sodass sowohl Vorder- als auch Rückseite abgelichtet werden konnten. Zwei weitere kümmerten sich um die Logistik: Eine transportierte die Lehrtafeln vom Vorraum des Hörsaals zu den jeweiligen Stationen und die andere holte die Tafeln von der Stange bzw. brachte sie entstaubt und fotografiert – also fertig digitalisiert – wieder zurück an ihren Platz. In diesem Video von Michael Markert wurde der Sprint eingefangen.

Umzug der Tafeln aus dem Albrecht-von-Haller-Institut in die Zentrale Kustodie. Foto: Detlef Schnier.

Übrig blieben die kleineren, liegenden, in der Regel älteren Tafeln aus den Schränken. Diese brachten wir in die Zentrale Kustodie im Auditorium. Wir digitalisierten sukzessive die restlichen Tafeln, unter anderem vor Publikum am Tag der offenen Sammlung im Mai. Somit konnten die Besucher*innen live einen Einblick in die Digitalisierungsarbeit der universitären Sammlungen erhalten. Im Juli 2018 waren dann alle Wandtafeln fotografiert, in der Datenbank erfasst und konnten in den neuen Depotraum umziehen.

Geordnet und veröffentlicht: die Datenbankarbeit 2018–2020

Bei der Eingabe der Tafeln in die Datenbank waren häufig zunächst vorläufige Inventarnummern vergeben worden. Nun arbeitete ich mich durch das System zur Ordnung der Lehrtafeln hindurch. Denn die insgesamt 2.095 Tafeln stammten entweder aus verschiedenen publizierten Reihen oder waren am Institut selbst hergestellt worden: etwa 1.400 handgezeichnet und koloriert! Ein kleiner Teil davon, der älteste, enthielt einige originale Vorlagen für Publikationen von Albert Peter, Professor für Botanik in Göttingen von 1888 bis 1923. Er hatte selbst Reihen von Lehrtafeln veröffentlicht. Neben Titeln und Metadaten erfasste ich auch Angaben zu den Hersteller*innen, beteiligten Personen und/oder  Institutionen.

Ich während der Digitalisierung beim Tag der offenen Sammlungen Mai 2018. Foto: Peter Heller.

Es stellte sich heraus, dass sich unser publizierter Bestand von fast 700 Tafeln aus etwa 20 verschiedenen Reihen von botanischen Lehrtafeln zusammensetzte. Die inhaltliche Vielfalt erstreckte sich von heimischen Giftpflanzen über Zellwachstum und morphologischen Darstellungen bis hin zur Verbreitung von Pflanzenarten. Die großformatigen Blätter waren oftmals Lithographien, die Pflanzen in Ansichten, Details und Schnitten zeigten, aber auch Landschaftsdarstellungen.  Selbst wenn das in den Tafeln dargestellte Fachwissen heute teilweise obsolet sein mag, ist doch die historische Bedeutung im Hinblick auf eine spezifische Lehrpraxis und einen wissenschaftlichen Kanon durch sie in anschaulicher Weise festgehalten. Zudem beeindrucken die botanischen Lehrtafeln durch ihren visuellen Reichtum.

Eine meiner Favoriten: Taxus baccata. Aus dem Dodel-Port Atlas. Carolina Dodel-Port sec. Dr. W. Kellermann & ad nat: del., J.F. SCHREIBER.ESSLINGEN. Foto: Zentrale Kustodie.

Ausgemalt und ausgestellt: Die Zukunft der Tafeln

Die Tafeln, die nun an ihrem neuen Platz schlummern, sind zumindest digital noch lebhaft in Bewegung. Sie sind im Sammlungsportal der Universität veröffentlicht und wurden zudem kürzlich im Rahmen des Coding da Vinci Niedersachsen (ein Hackathon für offene Kulturdaten) von einem Team ausgewählt. Dieses möchte aus dem Bildmaterial einen Mandala-Generator namens „Plantala“ generieren: Die entstandenen Mandalas kann man dann herunterladen, ausdrucken und beliebig ausmalen. Ein zweites Team interessiert sich dafür, ob die hochauflösenden Bilder, in denen viel Text versteckt ist, mittels Methoden des machine learnings analysiert werden können. Vielleicht entwickeln sich noch weitere Möglichkeiten zur digitalen Nutzung der Tafeln – sei es, um diese weiter zu erschließen und zum Beispiel die heutige, aktuelle Taxonomie zu ergänzen oder gar die Schrift zu transkribieren. Im Digitalen ist der Arbeit mit den Tafeln eigentlich kein Ende gesetzt. Während die Sammlung heute im Depot schlummert, holen wir die Tafeln digital ins 21. Jahrhundert.

Die Tafeln in ihrem neuen Depot im Auditorium. Foto: Detlef Schnier.

Zudem werden einige botanische Lehrtafeln im künftigen Forum Wissenкредитная карта без отказа онлайн с доставкой sichtbar sein. Welche das sind und wo sie hängen, wollen wir an dieser Stelle nicht verraten. Sie sollen ja die Möglichkeit haben, sie selbst zu entdecken!

Die Autorin ist studentische Hilfskraft in der Zentralen Kustodie der Universität Göttingen.

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Durch Aula und Karzer am Wilhelmsplatz

Sonntagmorgen: Normalerweise schwinge ich mich jetzt auf mein Rad und fahre von Weende in Richtung Innenstadt, um eine Führung durch das Aulagebäude und den Karzer am Wilhelmsplatz zu geben. Da dies momentan nicht möglich ist, lade ich Sie herzlich zu diesem kurzen Online-Rundgang ein, damit Sie nicht ganz auf den Besuch verzichten müssen.

Wilhelmsplatz mit Aulagebäude und Denkmal für Wilhelm IV. Foto: Marc Oliver Schulz

Hallo und herzlich willkommen zur heutigen Führung …

Unsere Führung beginnt am „Willi“, einem der Lieblingstreffpunkte der Studierenden – neben dem Gänseliesel oder dem Nabel in Göttingen. Hier wurde die Aula am Wilhelmsplatz anlässlich des 100. Jubiläums der Universität Göttingen 1837 feierlich eröffnet. Das Gebäude sollte nicht nur ein repräsentativer Ort für Feierlichkeiten sein, sondern gleichsam als Versammlungsort, Arbeitsplatz und Studentengefängnis dienen. Die Universität war am Ende des 18. Jahrhunderts stark expandiert; es mangelte an Räumen für Lehre, Forschung und Verwaltung und eben auch an Orten zum Feiern.

Das Aulagebäude wurde auf dem „Neue Markt“ errichtet, der erst wenige Jahrzehnte vorher städtebaulich entwickelt worden war. Damit setzte sich die Universität ins urbane Leben und war sogleich in allen Ecken der Stadt durch repräsentative Bauten vertreten. König Wilhelm IV. von Großbritannien und Hannover stiftete die Aula. Als Dank errichteten ihm die Bürger der Stadt ein Standbild, das Sie noch heute auf dem Wilhelmsplatz sehen können. Erst mit der Aufstellung der Statue erfolgte dann die Umbenennung in „Wilhelmsplatz“. Heute kennt man ihn auch unterm liebevollen Kosenamen „Willi“.

Der Giebel mit den Fakultäten Medizin, Theologie, Jura, Philosophie. Foto: Gisa Kirschmann-Schröder

Bevor wir jetzt ins Innere des Gebäudes gehen, lohnt sich ein Blick auf den Giebel. Er zeigt die vier Gründerfakultäten, die den geflügelten Genius der Wissenschaft umgeben. In der im Zeichen der Aufklärung gegründeten Georgia Augusta waren alle Fakultäten gleichberechtigt, was bedeutet, dass die Theologische Fakultät kein Aufsichtsrecht gegenüber den anderen Fakultäten hatte – wie es andernorts üblich war; ganz nach dem Motto „In publica commoda – zum Wohle aller“!

Kleine Aula mit Büste Albrecht von Hallers. Foto: Ingo Bulla

Das Aulagebäude

Das Herzstück des Gebäudes sind die beiden Aularäume im ersten Obergeschoss. Die Kleine Aula wurde damals als Sitzungszimmer genutzt und dient bis heute als Expansionsmöglichkeit für die Große Aula. Durch die Büsten verschiedener Göttinger Wissenschaftler*innen sowie die Tafeln zum Gedenken an die Göttinger Sieben und die vertriebenen Göttinger Forscher*innen während das Nationalsozialismus ist sie zudem ein wichtiger Ort der Erinnerung.

Große Aula mit Königswand. Foto: Frank Stefan Kimmel

Die Große Aula samt Galerie bietet Platz für etwa 550 Personen. Die Königswand ist hier der Blickfang: Auf den Gemälden sehen Sie zum Beispiel den Gründer und Namensgeber unserer Universität, Georg II., den Stifter des Aulagebäudes, Wilhelm IV., und den ersten Deutschen Kaiser und König von Preußen, Wilhelm I. Er war der erste, der sich als Landesherr nicht mehr zugleich „Rector magnificentissimus“ nannte, also Rektor der Georgia Augusta. In Göttingen ließ sich dieser ohnehin von einem Stellvertreter vertreten, dem Prorektor, der aus den Reihen der ordentlichen Professoren gewählt wurde.

„Hotel zur akademischen Freiheit“

Wenn wir jetzt einer verwinkelten Treppe folgen, gelangen wir zum einstigen Universitätsgefängnis. Seine Geschichte beginnt im Prinzip mit der Gründung der Universität 1737. Denn die Georgia Augusta erhielt mit Ihrer Gründung gleichsam ihre eigene akademische Gerichtsbarkeit, also die alleinige Ausübung der Rechtsprechung in Zivil- und Strafrechtssachen. Dies bedeutet, dass jeder Universitätsangehörige und Studierende bei einem Vergehen vor das Universitätsgericht gestellt wurde. Der Richter war einer der ordentlichen Professoren der Juristischen Fakultät. Je nach Ausmaß der Tat kam die Isolationshaft im Karzer in Frage.

Ab 1837 befand sich dieser im neuen Aulagebäude. Mit Karzerhaft wurden zum Beispiel sexuelle Übergriffe, Schulden (Kolleggelder), ständiger Unfleiß, das Austreten von Laternen oder zu schnelles Reiten in der Stadt bestraft. Auch unerlaubtes Schwimmen in der Leine (außerhalb der gekennzeichneten Badeareale), die Haltung von sehr großen Hunden und deren Mitnahme zu Vorlesungen, Duelle, Glücksspiel, Trunkenheit und nächtliche Ruhestörung brachten die Studenten oft ins Gefängnis. Selbst das Trinken von auswärtigem (also nicht Göttinger) Bier war verboten!

Blick in einen Karzerraum. Foto: Frank Stefan Kimmel.

Stadtansichten, Wappen studentischer Verbindungen, Schmähgedichte, Silhouetten (die damalige Variante des Selfies) – die beschrifteten und bemalten Wände, Türen und Decken des Karzers, die Einritzungen in Boden und Fensterscheiben deuten darauf hin, dass die Karzerstrafe vor allem am Ende des 19. Jahrhunderts seine abschreckende Wirkung verloren hatte. Auch Isolationshaft gab es nicht mehr. Sie aber können in den acht erhaltenen Karzerräumen zukünftig noch viel entdecken.

Ausblick

Ich hoffe, mein kurzer Rundgang hat Ihnen gefallen und ich kann Sie bald wieder persönlich in der Aula am Wilhelmsplatz begrüßen. Dann werfen wir auf jeden Fall auch noch einen Blick in den Akademiesaal. Bis dahin wünsche ich Ihnen alles Gute und bleiben Sie gesund!

Während der Führung stelle ich auch den Akademiesaal vor. Foto: Anna Rusteberg

Autorin
Friederike Röpke, Studentin der Kunstgeschichte und Komparatistik an der Universität Göttingen und studentische Hilfskraft in der Zentralen Kustodie der Universität Göttingen
Kontakt: roepke@kustodie.uni-goettingen.deмикрозайм на карту онлайн срочно