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Im Schaufenster: die Erde erforschen

Erdbeben vorhersagen, Schwingungen im Boden messen, Wellen aufzeichnen: 1898 wurde das Geophysikalische Institut in Göttingen eingerichtet. Es war das erste weltweit. Ihr Direktor: der Geophysiker Emil Wiechert. Mit ihm war die Richtung vorgegeben: die Erdbebenforschung, auch Seismik genannt.

Fuß des transportablen Seismographen

Erdbeben messen

Daher befinden sich in der Geophysikalischen Sammlung auch viele Seismographen aus dem 20. Jahrhundert. Einer davon misst die horizontalen Wellenbewegungen von Erdbeben. Mit 12 Kilogramm ist er relativ schwer, dennoch haben ihn die Wissenschaftler in den 1930er-Jahren wohl mit ins Feld genommen.

Der Seismograph wurde 1937 an der Uni Göttingen gebaut.

Die Bewegung der Welle wird über Hebel und Faden auf einen Spiegel übertragen. Mit Hilfe von Licht, das der Spiegel reflektiert, konnten die Geophysiker dann die Bewegung auf Fotopapier aufzeichnen. Aber das ist nur ein Objekt, das ihr im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen entdecken könnt.

Wind und Wetter bestimmen

Hier findet ihr auch ein Anemometer. Das ist ein Instrument, mit dem die Windgeschwindigkeit gemessen wird.

Schalenanemometer aus dem 20. Jahrhundert

Der Wind bringt die Schalen zum Rotieren. Die Geschwindigkeit kann dann gemessen werden. Solche sogenannten Schalenanemometer findet ihr an wichtigen Wetterstationen, zum Beispiel auf Flughäfen oder Schiffen.

Magnetfeld erfassen

Die heutigen Geophysik*innen an der Uni Göttingen untersuchen noch immer die Erde und fragen unter anderem, wie leitfähig ihr Inneres ist. Der Doppelkompass hier ist zwar schon älter, aber das Prinzip ist noch immer aktuell.

Doppelkompass nach Bidlingmaier von 1935/40

Der Kompass besitzt zwei magnetische Nadeln, die sowohl mit dem Erdmagnetfeld als auch untereinander kommunizieren. So sind Aussagen über die Stärke des Magnetfeldes möglich.

Objekte besuchen

Ihr merkt schon: Die Objekte der Sammlung geben einen kleinen Einblick in die Geschichte der Geophysik. Wenn euch diese interessiert, schaut am besten nicht nur im Forum Wissen vorbei, sondern besucht auch die Wiechert’sche Erdbebenwarte. Hier gibt es die originalen Seismographen, die Emil Wiechert entwickelt hat und: sie funktionieren noch.

Fotos: Martin Liebetruth

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Sammlung

100 und mehr: die Göttinger Sammlungen

Eine Ausstellung, eine Datenbank, ein Raum – für alle gemeinsam. Mittlerweile gibt es das und trotzdem treffen sie sich noch, die Kustod*innen aus den Sammlungen der Uni Göttingen. Nun schon zum einhundertsten Mal.

100. Forum in der Sammlung der Gipsabgüsse antiker Skulpturen

Angefangen hat es 2009: Damals wollte sich die wissenschaftliche Kommission Niedersachsens (sie berät die Landesregierung) ein Bild von den akademischen Sammlungen machen. Ihr Weg führte sie daher auch nach Göttingen. „Wir hatten damals kaum Kontakt untereinander. Umso überraschender war es daher für uns zu merken: Wir haben die gleichen Interessen, die gleichen Bedürfnisse, auch wenn wir aus ganz unterschiedlichen Fächern kommen“, beschreibt Daniel Graepler die Situation. Der Wissenschaftler kümmert sich um die Objekte von drei archäologischen Sammlungen. Er ist einer von rund 40 Kustod*innen an der Uni Göttingen.

Die Ausstellung

Sie setzen sich dafür ein, dass Münzen, Musikinstrumente oder mathematische Modelle artgerecht untergebracht sind und gepflegt werden. Immerhin wollen Forscher*innen und Student*innen sie nutzen, und auch Besucher*innen ihre Freude daran haben. Das war unter anderem 2012 der Fall: Zum 275-jährigen Jubiläum der Uni Göttingen luden die Kustod*innen zur Ausstellung „Dinge des Wissens“ in die Göttinger Paulinerkirche ein. Ein voller Erfolg! Über Zehntausend kamen damals. Viele von ihnen staunten über die Vielfalt der Objekte und die ungewöhnliche Welt des Sammelns, Ordnens und Erkennens.

Mathematische Modelle und Algenkulturen: die Kustodinnen Ina Kersten und Maike Lorenz

„Von der ersten Idee bis zu den Führungen oder dem Abbau der Ausstellung, wir haben damals alles gemeinsam organisiert und umgesetzt“, sagt Graepler immer noch stolz. Doch er und seine Mitstreiter merkten auch schnell, was fehlte: eine gemeinsame Plattform, in der alle Objekte beschrieben und auffindbar sind.

Das Sammlungsportal

Mit den Kolleg*innen vom Bibliotheksverbund, der Zentralen Kustodie und der Staats- und Universitätsbibliothek der Uni Göttingen haben sie daher begonnen, eine Datenbank aufzubauen – das Sammlungsportal. Aktuell verzeichnet es über 80.000 Objekte aus den Göttinger Sammlungen. Jeder kann darauf zugreifen, egal wo er oder sie sich befindet. „Das Portal war eine Antwort auf die Frage, wie wir Ressourcen besser und vor allem gemeinsam nutzen können“, erklärt der Kustos. Denn von sanierungsbedürftigen Räumen über die Restaurierung von Objekten bis hin zur Öffentlichkeitsarbeit – der Bedarf ist in den meisten Sammlungen gleich. „Er wird auch eher größer, ohne dass wir mehr Leute werden“, so Graepler. Daher war er froh, als 2012 die Zentrale Kustodie an der Uni Göttingen ins Leben gerufen wurde. Ihre Aufgabe ist es, die Kustod*innen in all diesen Anliegen zu unterstützen. Zumal die meisten von ihnen hauptberuflich in Forschung und Lehre unterwegs sind, die Pflege der Sammlungen daher überwiegend freiwillig ist.

Im Austausch – mit Daniel Graepler (steht) und Karsten Heck von der Zentralen Kustodie

Der gemeinsame Raum

Und obwohl die Zusammenarbeit nicht immer einfach ist – zu unterschiedlich sind manchmal die Vorstellungen davon, was wie gemeinsam genutzt werden kann – ein Ergebnis fällt auf: das Forum Wissen. „Seit den 1980er-Jahren gab es die Idee eines gemeinsamen Raumes, eine Art Schaufenster unserer Sammlungen“, so Graepler. Im 2022 eröffneten Wissensmuseum ist die Idee nun verwirklicht: Hier sind Objekte aus den Sammlungen der Uni Göttingen öffentlich ausgestellt. Ob Reagenzglas, Schublade oder Fossil – mit ihnen lässt sich zeigen, wie Wissen entsteht.

Ryoto Akiyama (Musikinstrumentensammlung) mit seinem selbst gebackenen, diatonisch geschnittenen Kuchen

Ein besonderer Reiz dabei: Die Objekte kommen wie die Kustod*innen aus verschiedenen Fachgebieten. Dadurch wechseln die Perspektiven und Geschichten. Langweilig wird es nicht.

Lust auf mehr

Das motiviert auch zu gemeinsamen Aktionen wie dem Tag der offenen Sammlung, der Vortragsreihe „Sachverstand“ oder den Sonntagsspaziergängen. Jeden Sonntag öffnen das Geowissenschaftliche Museum, die Kunstsammlung und die Sammlung der Gipsabgüsse antiker Skulpturen ihre Türen für Besucher*innen. “Das ist möglich, weil wir gut zusammenarbeiten und uns gegenseitig unterstützen”, so Graepler, der auch Sprecher der Kustod*innen ist. Alle sechs Wochen kommen sie in einer ihrer Sammlungen zusammen, reden darüber, wo ihnen der Schuh drückt, entwickeln Visionen und – schauen sich natürlich auch Objekte an. „Egal ob die Kunsthistorikerin von ihren Bildern erzählt oder der Informatiker von seinen Rechnern, es hören trotzdem alle zu.“ Das ist für Graepler faszinierend und bestärkt offenbar nicht nur ihn, das Miteinander auch in Zukunft fortzusetzen.

Fotos vom 100. Sammlungstreffen: Martin Liebetruth

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Farbenfroh und lebendig: die Algenkulturen

Ob grün, blau oder rot – die Algen und Cyanobakterien sind vor allem mikroskopisch klein und: sie leben. In verschiedenen Gläsern, schön temperiert, mit und ohne Tageslicht in der Sammlung von Algenkulturen der Uni Göttingen (SAG). Sie ist eine der weltweit größten und ältesten Sammlungen dieser Art.

Blick in die Sammlung von Algenkulturen der Universität Göttingen. Foto: Jan Vetter

Warum es sich lohnt, Algen zu sammeln

Wer weiß schon vom Landgang der Pflanzen? Vor Millionen Jahren begannen einige Algen, das Leben auf dem Land dem im Wasser vorzuziehen. Ein einmaliger Vorgang in der Erdgeschichte, der die Vielfalt unserer heutigen Pflanzenwelt einleitete. Um erklären zu können, was damals geschah, untersuchen Forscher*innen der Universität Göttingen zum Beispiel die Nachkommen jener Algen.

Petrischalen mit verschiedenen Algenkulturen für Forschung in aller Welt. Foto: Maike Lorenz

Dazu gehört auch die Alge Mesotaenium endlicherianum, die seit 25 Jahren in der Göttinger Sammlung lebt. Hier pflegt sie Maike Lorenz mit ihrem Team. „Wir haben Anfragen aus aller Welt, von Wissenschaftlerinnen oder Lehrern, Künstlern oder Architektinnen“, erklärt die Kustodin. Sie weiß, dass ihre Algen begehrt sind sowohl in der Klimaforschung als auch beim Mikroskopieren im Studium. Selbst Unternehmen, die mit Giftstoffen experimentieren, Häuser bauen oder nach alternativen Energien suchen, fragen an. Seit 1954 gibt es die Sammlung an der Uni Göttingen. Mittlerweile beherbergt sie rund 2.900 Algenkulturen aus aller Welt.

Stars der Sammlung

Dazu gehört natürlich die älteste Algenkultur, die Grünalge Chlorella vulgaris (SAG 211-11b). Sie wurde bereits 1889 aus einer Wasserprobe isoliert, also aus der Natur gewonnen – so auch die Blutregenalge oder korrekt gesagt: eine Kultur der Blutregenalge. „Sie stammt aus einem sauren Tümpel im Harz und ist seit 1959 hier bei uns“, so Lorenz.  Die Blutregenalge gehört auch zu den Grünalgen. Sie ist jedoch in der Lage, ihre Farbe zu wechseln: Wenn es in der Umwelt ungemütlich wird, nimmt sie dieses schöne Rot an. Hervorgerufen wird das durch den Farbstoff Astaxanthin. Das ist ein Carotinoid, das für Fische zum Beispiel sehr gesund ist und ihr Fleisch häufig lachsrot färbt.

Mikroskopische Aufnahme der Blutregenalge, Stamm SAG 192.80 Haematococcus pluvialis. Foto: Maike Lorenz

Algen im Forum Wissen

Wer sich die Blutregenalge einmal anschauen möchte, der kann dazu ins Forum Wissen gehen. Im Sammlungsschaufenster ist die mikroskopische Aufnahme zu sehen. “Wir können leider keine lebenden Organismen hier ins Schaufenster stellen,” erklärt die Algenexpertin. Denn die feuchten Nährmedien, mit denen sie die Algen am Leben hält, könnten andere, oft sehr empfindliche Objekte gefährden. Gute Nachbarschaft im Schaufenster geht daher vor! Aber auch die Bilder und Informationen erzählen viel über das Leben in der Sammlung. Wer mehr möchte, der kann darüber hinaus in die Räume “Schränke” und “Labor” gehen. Was es dort zu finden gibt, verraten wir jetzt nicht. Wünschen aber viel Freude beim Entdecken.

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Kisten voller Überraschungen

Wenn sich im Althistorischen Seminar die Bananenkisten stapeln, bedeutet dies für das Altertumswissenschaftliche Filmarchiv und dessen Mitarbeiter zunächst drei Dinge: 1. Die Sammlung Stern hat wieder Zuwachs bekommen. 2. Eine Menge schwere Tragearbeit ins zweite Obergeschoss. 3. Eine spannende Zeit beim Öffnen der Kisten, die immer wieder neue Schätze und auch Kuriositäten offenbaren.

Bücher, Filmtechnik, Dias und Memorabilia aus den Neuzugängen

Die Sammlung Stern im Althistorischen Seminar

Unser Archiv ist zum größten Teil eine Sammlung von Filmen zu archäologischen, althistorischen und anderen altertumswissenschaftlichen Themen. Der Kern geht zurück auf eine Stiftung aus dem Nachlass des Archäologen, Filmforschers und Museumspädagogen Tom Stern (1958–2016). Er hatte sich mit diesen Filmen eine umfangreiche und vielfältige Privatsammlung aufgebaut. Die Filme bieten ein großes Spektrum an Formaten: von Spielfilmen über Kinderprogramme, Werbung und Propaganda hin zu Dokumentarfilmen und -serien, die den Großteil des Bestandes ausmachen.

DVDs, VHS-Kassette und eine Filmrolle aus den Neuzugängen

Der Alltag in der Sammlung

Eine unserer Hauptaufgaben als studentische Hilfskräfte in der Sammlung ist die Digitalisierung des Bestandes. Besonders Filme, die aufgrund ihrer alten Datenträger bald nicht mehr abspielbar sein werden, gilt es zu sichern. Auch gibt es Filme, die sonst kaum noch anderweitig erhalten oder sogar noch ganz unpubliziert sind. Das Ziel unserer Arbeit ist, jenseits der Bewahrung, das Material für Lehre und Forschung nutzbar und zugänglich zu machen. Neben dieser alltäglichen Arbeit gibt es immer abwechslungsreiche Aufgaben, zum Beispiel rund um Vorträge, Workshops, Nutzeranfragen oder Filmvorführungen. Vor allem aber gehören dazu das Sichten und Ordnen von Neuzugängen, die in den Bestand der Sammlung mit eingegliedert werden müssen. Und eine große Lieferung solcher Neuzugänge hat uns nun aus Essen erreicht.

Das sind wir beim Sichten des neuen Materials.

Kisten voller Überraschungen

Die Kisten mit ihren Inhalten stammen aus dem Nachlass von Tom Stern. Nachdem wir sie in die Räume der Sammlung gebracht haben, machen wir uns daran, das Material zu sichten. Auch wenn einige der Kisten beschriftet sind: Was genau sich darin befindet, sehen wir immer erst, wenn wir sie zum ersten Mal öffnen. Und dabei haben wir schon einige überraschende Entdeckungen gemacht. Unter anderem haben wir zwischen den Objekten und Unterlagen schon private Andenken wie Urlaubsfotos und Gebasteltes der Kinder gefunden. Das sammeln wir zunächst separat, um es dann wieder an die Familie zurückzugeben.

Bücher und Spiele aus der Sammlung

Unter den rund 500 neu eingetroffenen Büchern spielt Film die Hauptrolle. Aber dazu kommt eine Menge an geschichtlichen, archäologischen und museumspädagogischen Themen. Dabei handelt es sich nicht nur um Sach- und Fachbücher, sondern auch um eine Vielzahl an Kinderbüchern und Comicheften. Einige Ordner mit Arbeitsmaterialien beinhalten Tom Sterns Nachforschungen zu Filmthemen, für Vorträge, Ausstellungen oder Publikationen. Dazu kommt Material verschiedener Filmfestivals. Außerdem können wir unsere Sammlung um einige weitere Filme ergänzen, aber auch um Technik zum Abspielen und Reparieren von Filmen. So können wir teilweise Lücken schließen. Daneben sind auch neue Medien, etwa CDs und Dias, aufgetaucht.

Am meisten überrascht hat uns jedoch die Vielzahl an Memorabilia, die sich in den Kisten verstecken. Dies sind verschiedenste Objekte, die mit den Themen zu tun haben, zu denen Tom Stern geforscht hat. Sie reichen von Plakaten, über Spiele und Puppen bis hin zu haarigen Lampen. Diese sollen nun als die neuen „Bewohner“ der Sammlung aufgenommen werden.

Puppen und eine Lampe im „Steinzeit-Stil”

Der Weg in den Bestand

Wenn alle Bananenkisten gesichtet sind, ist der nächste Schritt, die Neuzugänge in den bisherigen Bestand der Sammlung einzupflegen. Alle Objekte bekommen Signaturen und werden entweder zu ihren bestehenden Kategorien, wie Medien und Technik, hinzugefügt oder es werden neue Kategorien, wie für die Memorabilia, erstellt. Wichtig ist zudem, dass wir die Objekte fotografieren und anschließend in die Objektdatenbanken der Universität einspeisen. So werden wir auch diesen Teil der Sammlung zugänglicher machen, damit er etwa für Ausstellungsprojekte oder Forschungsvorhaben recherchiert werden kann.

Den Buchnachlass von Tom Stern haben wir mit unserem Sammlungsleiter Martin Lindner thematisch nach Schwerpunkten sortiert. Diese Themengebiete machen die vielfältigen Arbeitsschwerpunkte des Forschers Tom Stern deutlich: Archäologie und ihre Theorie, Museumspädagogik, Ur- und Frühgeschichte, Germanien, Orient- und Afrikaforschung, historische Reiseberichte und Antikenrezeption in verschiedenen Medien. In einem neu dafür eingerichteten Nutzerraum bereichern diese Facetten die Bestände der Sammlung.  Alle Neuzugänge, wie auch der Rest der Sammlung, werden somit nutzbar für Forschung und Lehre, damit die Arbeit von Tom Stern erhalten und fortgeführt wird.

Autor*innen: Carolin Franziska Pilz und Konstantin Schwenke

Fotos: Xikai Chen

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Im Schaufenster: das Physicalische Cabinet

Die Sammlung historischer physikalischer Instrumente der Universität Göttingen oder weniger sperrig: das “Physicalische Cabinet” lässt 250 Jahre Physikgeschichte in Göttingen lebendig werden. Es ist eng verknüpft mit Wissenschaftlern wie Lichtenberg, Gauß und Weber. Der Bestand reicht von den Anfängen der Physik im 18. Jahrhundert bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts und enthält so bedeutende Objekte wie den Gaußschen Vizeheliotrop und eine Replik des Gauß-Weber-Telegraphen zur Weltausstellung 1873 in Wien.

Blick in den Museumsraum des “Physicalischen Cabinets” im Foyer der Fakultät für Physik. Foto: Daniel Steil

Physik im 20. Jahrhundert

Das Sammlungsschaufenster im Forum Wissen greift einen Objektbestand auf, der im Museumsraum des “Physicalischen Cabinets” etwas stiefmütterlich behandelt wird: Physik- und Technikinstrumente des frühen 20. Jahrhunderts. Diesen fehlt der Glanz von Messing, edlen Hölzern und Glas, welcher die Exponate des 18. und frühen 19. Jahrhunderts bestimmt. Damals war die Manufaktur das vorherrschende Produktionsverfahren und die Herstellung war kunsthandwerklich geprägt. Mit dem Übergang zur industriellen Massenproduktion, bei der große Stückzahlen kostengünstig produziert werden sollten, trat im 20. Jahrhundert die Funktion des Objekts in den Vordergrund. Es dominierten einfache geometrische Formen. Kunststoffe und lackiertes Blech kamen zum Einsatz und die Objekte waren typischerweise in gedeckten Farben gehalten.

Nutzung von Elektrizität

Im frühen 20. Jahrhundert erfolgte die weitgehende Elektrifizierung Deutschlands. Daher haben alle im Sammlungsschaufenster gezeigten Exponate etwas mit Elektrizität zu tun – beginnend mit der hier gezeigten Influenzmaschine nach James Wimshurst.

Influenzmaschine nach Wimshurst. Foto: Marie Ahlig und Lara Siegers

Influenzmaschinen dienen dazu, elektrische Ladungen voneinander zu trennen. Das passiert in dem Fall der Wimshurst-Maschine mittels mechanischer Arbeit und unter Nutzung gegenläufig rotierender Scheiben. Diese Maschinen wurden Anfang des 20. Jahrhunderts dazu benutzt, um elektrische Hochspannung bis zu 100 kV bereitzustellen, womit beispielsweise frühe Röntgenröhren betrieben werden konnten. Das hier ausgestellte Exponat besitzt zur Ladungsspeicherung zwei Leidener Flaschen, also frühe Hochspannungskondensatoren. Es diente früher vermutlich als Demonstrationsversuch zur Erzeugung und Nutzung elektrischer Ladungen. Funkenentladungen werden in modernisierter Form noch heute in der Lehre in der Physik oder zur Freude von Groß und Klein beim Tag der offenen Tür oder der Nacht des Wissens gezeigt.

Elektrizitätslehre und Schwingungsphänomene in der Schule

Mit der breiteren Verfügbarkeit von elektrischem Strom und insbesondere Wechselstrom wurde es notwendig, dieses neue Phänomen in die technische Ausbildung zu integrieren.

Schleifenoszillograph von Siemens & Halske. Foto: Marie Ahlig und Lara Siegers

Da Menschen Spannung oder Strom nicht direkt wahrnehmen können, entwickelte in den 1930er-Jahren unter anderem die Firma Siemens & Halske (das heutige Siemens) einen einfachen und kostengünstigen Schleifenoszillographen. Auf diese Weise sollten elektrische (aber auch andere) Schwingungsvorgänge sichtbar gemacht werden. Hierbei wird Licht von einer Lichtquelle auf einen Schwingspiegel gelenkt, welcher auf einer Drahtschleife montiert ist (im Bild vorne). Der Spiegel auf der Drahtschleife befindet sich in einem Magnetfeld. Fließt ein Wechselstrom durch die Drahtschleife, so wird der Spiegel proportional zur Stromstärke ausgelenkt und erzeugt einen oszillierenden Lichtfleck entlang der Vertikalen. Um die Schwingung entlang der Vertikalen besser sichtbar zu machen, wird das Licht des Spiegels an dem Drehspiegel reflektiert, hier mit 10 Einzelspiegeln (im Bild hinten). Das führt zu einer zusätzlichen horizontalen Bewegung des Lichtflecks; die Schwingung wird auf einem Beobachtungsschirm sichtbar. Der hier gezeigte Schleifenoszillograph wurde mit großer Wahrscheinlichkeit von Robert Wichard Pohl für Demonstrationsversuche in seiner Vorlesung zur Experimentalphysik beschafft.

Physikalische Forschung und Medizintechnik

Wurden frühe Röntgenapparate noch mit komplizierten und eher unzuverlässigen Hochspannungsquellen wie der weiter oben diskutierten Influenzmaschine betrieben, so stellt unser nächstes Exponat etwas dar, was heute gerne als Quantensprung oder bahnbrechende Innovation bezeichnet wird. Es handelt sich um die sogenannte Röntgenkugel der Siemens-Reiniger-Werke: 1934 auf den Markt gebracht, stellt sie eines der ersten transportablen Röntgengeräte dar.

Siemens-Röntgenkugel. Foto: Vanessa Scheller und Daniel Steil

Das Besondere an der Röntgenkugel ist, dass sie die Röntgenröhre und den notwendigen Hochspannungstransformator in einem kompakten, strahlensicheren Gehäuse unterbringt und das Gerät zum Betrieb nur noch an das 220V-Stromnetz angeschlossen werden muss. Mithilfe eines Stativs konnte die Röntgenkugel dann in recht beliebiger Lage für Röntgenaufnahmen an einem Patienten eingesetzt werden. Diese Eigenschaften führten dazu, dass die Röntgenkugel bis in die 1970er-Jahre weltweit einige Zehntausend Mal verkauft wurde. Das machte die Röntgenkugel – insbesondere in der Zahnmedizin – zu einem beliebten Röntgengerät. So erinnert sich auch der Verfasser vage daran, dass er in seiner Jugend mit Hilfe einer Röntgenkugel von seinem Zahnarzt geröntgt wurde. Auch in der Physik wurde die Röntgenkugel zur Bildgebung eingesetzt. Aktuell sind stolze drei Stück im Besitz der Sammlung: vom chromfarbenen Modell – wie hier gezeigt – bis zu einem schlicht cremefarben lackierten Gerät. Interessierte an historischer Röntgentechnik finden eine Vitrine mit Exponaten in unseren Sammlungsräumen.

… zu guter Letzt

Das “Physicalische Cabinet” öffnet aktuell regulär während der Vorlesungszeit montags um 16 Uhr vor den großen Physikkolloquien. Führungen für Gruppen sind außerhalb dieser Zeiten auf Anfrage möglich. Weitere Informationen sind auch auf unserer Webseite zu finden.

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Alles eine Frage der Geschichte

Das Münzkabinett der Universität Göttingen ist auf jeden Fall einen Blick wert und mit ein paar repräsentativen Objekten nun auch im Sammlungsschaufenster zu sehen. Das Münzkabinett gilt als die drittgrößte universitäre Sammlung von Münzen in Deutschland, hinter Leipzig und Tübingen. Über 40.000 Objekte verschiedener Herkunft sind vertreten. Dabei handelt es sich jedoch nicht nur um originale Münzen, wie es der Name vielleicht annehmen lässt, sondern auch um Abgüsse von Münzen, um Medaillen oder um frühe Formen von Papiergeld.

Nachbildungen griechischer Silbermünzen aus Blei. Foto: Uni Göttingen.

Dr. Daniel Graepler, der Kustos der Sammlung, zeigt im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen dieses breite Spektrum. Ihr könnt Entwurfsmodelle zur Münchhausen-Medaille entdecken. Diese wurde zum 250. Jubiläum der Universität Göttingen zu Ehren ihres Begründers Gerlach Adolph von Münchhausen (1688–1770) angefertigt. Auch eine kleines Münzkästchen, in dem die Familie Schlözer ihre Münzsammlung aufbewahrte, ist zu sehen. In den unteren beiden Regalen findet ihr einige nachgebildete griechische Münzen aus Blei und Plattengeld aus Schweden. Das sind rechteckige Kupferplatten, die als Zahlungsmittel dienten. Doch die Sammlung hat noch viel mehr Aspekte zum Kennenlernen.

Die Geschichte der Sammlung

Daniel Graepler selbst fasziniert vor allem die große Vielfalt der diversen numismatischen, also auf das Geldwesen bezogenen Objekte, die von Anfang an das Münzkabinett prägten. Sie gingen als Ankäufe oder Schenkungen an die Universität und decken viele verschiedene Regionen und Zeiträume ab. Daher ist auch die Provenienzgeschichte besonders spannend, die hinter den unterschiedlichen Objekten steckt.

Nur wenige von ihnen stammen tatsächlich aus archäologischen Fundstellen. Daher ist die Frage berechtigt, warum das Münzkabinett zum Archäologischen Institut gehört. Dies erklärt sich aus der lange zurückreichenden Geschichte der Universität. Bereits als das Königlich Akademische Museum 1773 gegründet wurde, befanden sich Münzen in der Sammlung. Christian Gottlob Heyne war an dieser Museumsgründung federführend beteiligt. Der Altphilologe, der vor allem Griechisch und Latein lehrte, hielt auch die ersten Vorlesungen über Archäologie, erstmals 1767. Heyne war sehr interessiert an den Münzen. Daher sorgte er dafür, dass diese in seiner Obhut blieben, während die anderen Sammlungen vor allem von Johann Friedrich Blumenbach betreut wurden.

Christian Gottlob Heyne. Gemälde von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1772)

Nach dem Tod von Heyne 1812 wurde verfügt, dass die Vorlesungen zur Archäologie weitergeführt werden sollten. Karl Ottfried Müller trat in Heynes Fußstapfen und schrieb auch das erste Handbuch für Archäologie. Er war ebenso wie Heyne an der Münzsammlung interessiert. Daher inventarisierte und katalogisierte er den Bestand. Als Müller 1840 im jungen Alter starb, folgte ihm Friedrich Wieseler. Dieser übernahm die Verantwortung für die Münzen und weitere archäologische Objekte wie Gipsabgüsse. Nach der Auflösung des Akademischen Museums setzte sich Wieseler für die Gründung eines eigenen Archäologisch-Numismatischen Institutes ein. Dabei wurden die archäologischen Objekte und das Münzkabinett aus den Sammlungen der Universitätsbibliothek ausgegliedert. Nun waren die Münzen nicht mehr von der Archäologie zu trennen. Der Begriff „Numismatisch“ entfiel mit der Zeit aus der Institutsbezeichnung, das Münzkabinett blieb aber an seinem Ursprungsort verankert.

Alte Sammlungen in der Gegenwart

Das Münzkabinett ist ein Zusammenschluss unterschiedlicher Sammlungen von Münzen, Medaillen und anderen numismatischen Objekten. Die verschiedenen privaten Konvolute wurden zum Teil im Laufe der Geschichte des Instituts durch die Universität Göttingen aufgekauft oder gelangten durch Schenkungen an das Archäologische Institut.

So hinterließ Baron von Asch bereits im 18. Jahrhundert dem Institut eine große Originalsammlung mit russischen Münzen und Medaillen. Da diese schon so früh an das Archäologische Institut übergeben wurden, gilt ihre Echtheit als gesichert. Ein interessantes Beispiel dafür ist die sogenannte Bartkopeke, die selbst keinen Zahlungszweck hatte, sondern lediglich beweisen sollte, dass man die Steuern bezahlt hat, die Bartträger im 18. Jahrhundert in Russland zahlen mussten.

Sog. Bartkopeke, von Zar Peter dem Großen (1682-1725) in Russland 1705 eingeführt. Foto: Lena Heykes

Auch eine große Schenkung von arabischen Münzen durch den Arabisten Peter Bachmann aus den 1990er-Jahren ist mittlerweile bearbeitet und digitalisiert. Im Zweiten Weltkrieg hingegen wurden sogar Gelder aufgebracht, um eine Sammlung mittelalterlicher Münzen zu kaufen. Diese konnte bisher leider aus finanziellen und fachlichen Gründen noch nicht bearbeitet werden. Die Sammlung von Wilhelm Crönert war ebenfalls ein wichtiger Ankauf, da er griechische Münzen umfasste, die bis dahin eher weniger im Münzkabinett vertreten waren. Sie werden aktuell im Archäologischen Institut erforscht. Die über 9.000 römischen Münzen sind hingegen schon vor einiger Zeit aufgearbeitet und online publiziert worden.

Aber nicht nur Wissenschaftler*innen arbeiten mit den Münzen aus dem Münzkabinett. Auch Studierenden werden mit Seminaren oder Hilfskraftstellen immer wieder Möglichkeiten geboten, sich mit der Materie auseinanderzusetzen und an Objekten zu lernen.

Schublade mit mittelalterlichen Münzen aus dem Münzkabinett. Foto: Lena Heykes

Abgeschlossen zum Schutz von Kulturgütern

Aktuell werden von der Universität Göttingen Münzen oder Privatsammlungen nicht mehr angekauft. Vor allem damit der Handel mit antiken Münzen keinen Aufschwung erlebt. Das Befeuern des Antikenhandels versuchen viele Institute und andere Einrichtungen wie Museen zu verhindern. Zu hoch ist die Gefahr, dass es dadurch vermehrt zu Raubgrabungen kommt und so archäologische Stätten gefährdet werden.

Das Münzkabinett ist daher als überwiegend abgeschlossen zu bewerten. Nur gelegentlich kommen neue Medaillen hinzu, die die Universität Göttingen unter anderem für Studierende oder Dozierende als Auszeichnung besonderer Leistungen anfertigt. Ebenso selten sind Schenkungen einzelner Münzen. Sie nimmt Daniel Graepler gerne auf, wenn sie in die Sammlung passen.

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Was uns alte Kinderbücher über das politische Klima ihrer Entstehungszeit verraten

Die Objektspalte der Sammlung historischer Kinder- und Jugendliteratur Sammlungsschaufenster, Foto: Martin Liebetruth

Die Objekte der Göttinger Sammlung historischer Kinder- und Jugendliteratur haben eine steile Karriere hingelegt. Was vor hundert Jahren noch Kindern als Zeitvertreib diente und nur aus ein paar dünnen, bestenfalls bunt bedruckten Seiten besteht, ist heute ein Forschungsobjekt von großem Wert. Bücher sind für Kinder oft der erste Zugang zur Welt außerhalb des eigenen Lebens – entsprechend hat man sie schon immer genutzt, um jungen Menschen Werte, Ideen und Weltbilder zu vermitteln.

Hartmut Hombrecher, Kustos der Sammlung historischer Kinder- und Jugendliteratur, Foto: Eva Völker

„Kinder- und Jugendbücher zeigen uns bis heute nicht nur viel über historisch und regional verschiedene Vorstellungen davon, was Kindheit eigentlich ausmacht“, sagt Dr. Hartmut Hombrecher, Kustos der Sammlung, „in ihnen wird auch besonders deutlich, welche Diskurse eine Gesellschaft für wichtig hält und welche Ideen an nachfolgende Generationen weitergegeben werden sollen“. Öffentliche Bibliotheken haben dieses kulturhistorische Potenzial lange unterschätzt. Darum stammen auch die meisten Bände der Göttinger Sammlung historischer Kinder- und Jugendliteratur aus privaten Sammlungen, die ab den 1960er Jahren aufgekauft oder als Schenkungen angenommen wurden. Die Göttinger Sammlung wächst noch immer. Heute wird sie nicht nur der Forschung zur Verfügung gestellt, sondern auch regelmäßig in der universitären Lehre genutzt.

Zwei Jugendbücher aus dem Jahr 1938 mit sehr unterschiedlichen Mädchenbildern, Foto: Martin Liebetruth

Mädchenfiguren 1938: Dort Freiheitsdrang…

In der Spalte des Sammlungsschaufensters im Forum Wissen kann man die unterschiedlichen Prägungen der Kinderliteratur besonders deutlich sehen, wenn man die Bücher miteinander vergleicht.

Im Mittelpunkt des ausgestellten Romans Bibi lernt Landwirtschaft (Zürich 1938) steht das Mädchen Bibi. Die Figur wurde 1928 von Karin Michaëlis (1872–1950), einer dänischen Autorin, Journalistin und Feministin, erfunden und tobte sich in den nächsten 10 Jahren in insgesamt sechs Jugendbüchern aus. Seit dem Tod ihrer Mutter, einer Grafentochter, lebt die abenteuerlustige und offenherzige Bibi einträchtig mit ihrem „Paps“ zusammen. Gegen ihn setzt sie aber auch immer wieder ihren eigenwilligen Kopf durch.

Bibi ist Mitglied einer Mädchenbande, die sich „die Verschworenen“ nennt. Gemeinsam schwärmen die fünf Mädchen in Bibi lernt Landwirtschaft für den neuen, jungen Pastor. Eine so offene und ausführliche Thematisierung erster Verliebtheit – zumal zu einem Pastor – war damals die Ausnahme. Die heile Welt währt aber nicht lange: Als eine große Bank pleite geht, verlieren Bibis Großeltern ihren Hof und ihr Betriebskapital, das sie teilweise für die Enkelin in Aktien angelegt hatten. Für Bibi ist das keine Tragödie: Dass sie nun eben einen Beruf erlernen und ausüben wird, wirkt selbstverständlich. Der Roman entwickelt hier deutlich eine republikanische und sozialdemokratisch geprägte Vorstellung von Gesellschaft. 

Frisch konfirmiert kommt Bibi auf einen Bauernhof und macht dabei schöne wie schwierige Erfahrungen. Die Strapazen werden recht realistisch dargestellt; unter anderem muss Bibi mit einem Ausbruch der Maul- und Klauenseuche zurechtkommen. Inspirierend wirkt auf Bibi die Bekanntschaft mit einer Witwe, die sich mit ihren fünf Söhnen weitestgehend selbst versorgt. Die wirtschaftliche und soziale Eigenständigkeit von Frauen wird ebenso präsentiert wie Arbeit zum Wohle der Gemeinschaft. Im Zentrum stehen das Individuum und seine Wünsche, immer eingebettet in die Gesellschaft.

Foto: Eva Völker

… hier Aufopferung für das Vaterland

Deutlich andere Prioritäten setzt die Protagonistin Gundula in Ein Mädel in der Front (Berlin 1938) der Schriftstellerin und Zeichnerin Suse von Hoerner-Heintze (1890–1978). Gundula entspricht einem Frauenideal, das besonders die Fürsorglichkeit und Aufopferungsbereitschaft in den Vordergrund stellt. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, ziehen ihr Vater und ihr Bruder in den Krieg. Gundula selbst scheut keine Mühen, um sich als Krankenschwester ausbilden zu lassen und den Verwundeten zu helfen. Außerdem pflegt sie ihren verletzten Vater mit größter Hingabe.

Was Gundula und Bibi gemeinsam haben, ist die Bereitschaft zum Arbeiten außerhalb des häuslichen Umfelds. Gundula beginnt ihre Ausbildung zwar wegen des Krieges, betont aber immer wieder, dass sie schon immer Krankenschwester werden wollte. Das ist kein Zufall, sondern passt gut in Geschlechterrollen, die für Frauen an erster Stelle Care-Tätigkeiten vorsehen.

Auch Gundula setzt ihren Willen manchmal durch, aber bleibt insgesamt Vater und Mutter hörig. Ein Jahr vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges präsentiert Hoerner-Heintze in ihrem Mädchenbuch das idealisierte Vorbild einer zurückhaltenden jungen Frau, die sich den vorgegebenen Werten nicht nur unterordnet, sondern sie geradezu verkörpert. Entsprechend wenig individuell ist die Figur angelegt. Damit wird den jungen Leserinnen vorgeführt, wie sie sich im Sinne der nationalsozialistischen Idee einer ‚Volksgemeinschaft‘ zu verhalten haben.

Entsprechende Ideen wurden in der Kinder- und Jugendliteratur auch nach 1945 weiter vermittelt. Während Ein Mädel in der Front keine Neuauflage in der Bundesrepublik erhielt, sind zahlreiche andere Texte in leicht bereinigter Fassung teils bis in die Gegenwart auf dem deutschen Buchmarkt geblieben.

Progressive Kinderbücher aus unterschiedlichen Jahrzehnten, Foto: Martin Liebetruth

Hier gibt es mehr zu entdecken…

Die Sammlung historischer Kinder- und Jugendliteratur Göttingen gehört mit etwa 35.000 Objekten zu den größten im deutschsprachigen Raum. Die Bücher, Papierspiele und weiteren Medien stammen aus dem Zeitraum vom frühen 18. bis zum späten 20. Jahrhundert. Schwerpunkte der Sammlung sind die Kinder- und Jugendliteratur der Weimarer Republik, der NS-Zeit, Bilderbücher und Märchenbücher. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen, die Bestände während der Öffnungszeiten vor Ort zu nutzen.

Ein Beitrag von Antonia Roedszus, Jaqueline Stephan und Hartmut Hombrecher

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Ein Füllhorn von Geschichten

Die Lehrsammlung für Ur- und Frühgeschichte enthält Exponate, sowohl Originale als auch Kopien, von der Urgeschichte bis hin zur Neuzeit. Sie spielt noch heute eine wichtige Rolle für Forschung und Lehre. Vielleicht ist die Sammlung gerade deswegen mit gleich zwei Vitrinenreihen im neuen Sammlungsschaufenster des Forum Wissen vertreten. So haben neben Student*innen nun auch Besucher*innen die Möglichkeit, einige Objekte aus der Nähe zu sehen. „Die ausgewählten Objekte, die im Moment ausgestellt sind, können dabei unterschiedlich betrachtet werden, einzeln für sich oder in einem zusammenhängenden Kontext“, so Dr. Immo Heske, Kustos der Lehrsammlung für Ur- und Frühgeschichte.

Steinzeitliche Feuersteinklingen im Sammlungsschaufenster im Forum Wissen. Foto: Martin Liebetruth.

Von der Sesshaftwerdung des Menschen

Die erste Geschichte, die erzählt wird, ist die Veränderung der Lebensweise durch die Sesshaftwerdung des Menschen im Jungneolithikum, eine der grundlegenden Erkenntnisse der ur- und frühgeschichtlichen Archäologie. Dies wird anhand der ersten der beiden Schaufenster nähergebracht, in denen die landwirtschaftliche Vielfalt gezeigt wird: der erste Ackerbau und die Viehzucht in Deutschland zuerst auf den Lößböden und die spätere Weiterentwicklung zu den Großsteingräber-Kulturen wie der Trichterbecherkultur. Diese Kulturen legten ihre Toten in monumentalen Grabanlagen zur Ruhe und begannen auch auf kargen Sandböden mit dem Ackerbau.

Die Ausstellung im Sammlungsschaufenster verdeutlicht diese Veränderungen durch zahlreiche Fundstücke aus dieser Epoche der Menschheitsgeschichte. Hierzu zählen unter anderem Steinwerkzeuge und Waffen sowie Gefäße aus Keramik.

Trichterbecher aus Keramik im Sammlungsschaufenster im Forum Wissen. Foto: Martin Liebetruth.

Hebt man den Blick etwas, geht die Geschichte weiter und erzählt vom Übergang zur Bronzezeit, in der die Metallverarbeitung eine zunehmend wichtige Rolle spielt. Die Waffen, Werkzeuge und der Schmuck aus Bronze werden in Gräbern gefunden und lassen Rekonstruktionen sowie die Unterscheidung von männlicher und weiblicher Tracht zu. So werden Frauen eher Schmuckgegenstände zugesprochen und Männern Waffen wie die Bronzeklingen.

Vom Übergang zur Bronzezeit

Reskonstruktionvorschlag einer bronzezeitlichen Frau im Sammlungsschaufenster im Forum Wissen. Foto: Lena Heykes.

Neben den großen gesellschaftlichen Veränderungen werden auch kleinere Details des alltäglichen Lebens durch Fundstücke veranschaulicht. Sie sind im Sammlungsschaufenster über das Scannen des QR-Codes zugänglich. Doch nicht nur Sesshaftwerdung und Bestattungssitten im Jungneolithikum und der Bronzezeit werden als Geschichten erzählt, sondern auch die Entwicklung von Gesellschaften und Kulturen, die sich in den Epochen bilden und weiterentwickeln.

Bedeutung der Exponate im Studium

Damit beschäftigen sich die Student*innen der Ur- und Frühgeschichte tiefergehend. Anhand der Exponate lernen sie die unterschiedlichen Merkmale der verschiedenen Kulturen näher kennen. Und natürlich arbeiten sie dafür auch eng mit den Exponaten aus der Lehrsammlung.

Schwerter der Älteren Bronzezeit aus Männergräbern. Foto: Martin Liebetruth.

Dort gibt es auch einige Objekte, die noch nicht wirklich aufgearbeitet sind, die sie dann in Seminaren behandeln und bearbeiten. Andere Objekte werden für Ausstellungsprojekte wie dem Sammlungsschaufenster genutzt, um den Student*innen das Planen der Ausstellungskonzepte näherzubringen. Ebenso spielen das Zeichnen und die Recherche zur kulturhistorischen Einordnung der Artefakte eine wichtige Rolle. Mit diesen Techniken können sich die Student*innen nämlich auf ihre Abschlussarbeiten vorbereiten.

Zeichnung der Schwerter aus dem Sammlungsschaufenster. Foto: Lena Heykes.

Insgesamt ist die Sammlung für Ur- und Frühgeschichte wichtig für die wissenschaftliche Arbeit und die Vermittlung der menschlichen Geschichte. Diese möchten Immo Heske und die Student*innen den Besucher*innen durch das Sammlungsschaufenster näherbringen. So können sie sich schlaglichtartig ein Bild von der Entwicklung der Menschheit machen.

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Hinter den Kulissen Sammlung

Vom Projektor zu Indiana Jones: die Sammlung Stern

Aus dem Sammlungsschaufenster im Forum Wissen stellen wir euch heute das Altertumswissenschaftliche Filmarchiv vor. Es ist eine unserer jüngsten Sammlungen, die es erst seit rund sechs Jahren gibt.

Bell & Howell-Projektor für 16-mm-Filme. Die Audiospur liegt als sogenannter Lichtton mit auf der Rolle.

Mit diesem Gerät fing alles an: Deshalb stellt Carolin Pilz den 16-mm-Projektor auch gut sichtbar ins Sammlungsschaufenster des Forum Wissen. „Der Projektor ist das Gründungsobjekt des Göttinger Filmarchivs“, erklärt die Studentin stolz. Damit hat der Archäologe Tom Stern Filme gezeigt – nicht nur zu Forschungszwecken, sondern auch in vielen Schulen oder Museen. Kaum vorstellbar, dass dieses 20 Kilo schwere Gerät jahrzehntelang als mobiles Kino beliebt war. Gerade weil es so gut zu handhaben, leicht beweglich und robust war. „Für mich ist das ein doppelter Blick in die Vergangenheit“, erzählt Carolin weiter: Denn sie erfährt durch solche Objekte nicht nur, wie die Vorführpraxis vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war. Auch die Filme selbst sieht sie gern.

Antike im Film

Denn das wollte der Archäologe und Filmforscher Tom Stern (1958–2016) wissen: Welches Bild vom Altertum erzeugt ein Film? Wie und warum werden die Geschichten erzählt? Auch Ausgrabungen hielt der Forscher im Bewegtbild fest und schuf so besondere Einblicke in wissenschaftliches Arbeiten. Carolin studiert selbst Geschichte und Klassische Archäologie und findet diese andere Art des Zugangs zu ihren Fächern enorm erfrischend.

Filmrollen, VHS-Kassette und der letzte Film von Tom Stern, den Regisseur Enzio Edschmid fertiggestellt hat.

Auch Martin Lindner, der Kurator der Sammlung Stern, freut sich über diesen Türöffner: „Noch sind nicht alle Objekte unseres Archivs digitalisiert. Mit so einem Projektor können wir Filme, die 50 oder 60 Jahre alt sind, sogar unter Originalbedingungen zeigen.“ Und damit ein wenig in die Kinoatmosphäre dieser Zeit eintauchen.

Leidenschaft: Sammeln

Das scheint umso wichtiger, je mehr die Antike aus den Lehrplänen des Unterrichts verschwindet. Doch das war wohl nur ein Grund, warum Tom Stern begann, Filme zu sammeln – vor allem jene, die er analysierte oder an denen er mitwirkte. Sein Nachlass ist heute der Grundstock des Altertumswissenschaftlichen Filmarchivs. Zu ihm gehören auch Sterns Bücher, Zeitschriften und Arbeitsmappen wie die zu Leo Frobenius – Ethnologe, Archäologe und Hauptfigur eines Stummfilms über die Ruinenstätte Groß-Simbabwe von 1929.

Zeugnisse der Filmgeschichte von Tom Stern sowie dem Kieler Regisseur und Archäologen Kurt Denzer (1939–2021).

Aber auch Klassiker wie „Indiana Jones“ oder moderne Terra X-Sendungen schlummern in der Sammlung, die längst über Sterns Aktivitäten hinausgewachsen ist.

Herzlich willkommen

Wer sich davon ein Bild machen möchte, besucht am besten das Sammlungsschaufenster im Wissensmuseum. Es ist aber auch möglich, den einen oder anderen Film zu schauen und sich auf die Suche nach den alten Zeiten zu begeben. In dem Fall bittet am besten Martin Lindner um einen Termin im Althistorischen Seminar der Uni Göttingen.

Fotos: Uni Göttingen

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Forum Wissen

„Viel mehr als nur Texte und Gedichte“ – Workshop mit dem Sprachkünstler Bas Böttcher

Collage, die im Rahmen des Workshops entstanden ist

„Wir hatten gedacht, wir würden nur mit Texten und Gedichten arbeiten, dabei haben wir viel mehr gemacht!“, sagt Sarah, die zusammen vor kurzem mit ihrer Freundin Juna an „ Vom Tagtraum zum Traumtag“ teilgenommen hat. Der Workshop mit dem Schriftsteller und Slam Poeten Bas Böttcher wurde gemeinsam vom Forum Wissen in Kooperation mit dem Literarischem Zentrum Göttingen organisiert.

Die Formen, die die beiden Sechstklässlerinnen zusammen mit Samreen, Nuri, Zarak und den anderen Jugendlichen ausprobiert haben, waren vielfältig. Workshop-Leiter Bas Böttcher fasst den Begriff Sprache sehr weit: Beim Beatboxen haben die Teilnehmer*innen ihre Stimme als Percussion-Instrument eingesetzt, Songtexte verfasst und mit Unterstützung der Theaterpädagogin Karo Löwenstein Schauspieltechniken ausprobiert, um Gefühle ohne Worte auszudrücken. Außerdem haben Sarah und Juna lustige Memes zu Objekten aus dem Forum Wissen produziert.

„Mir hat sehr gefallen, dass wir im Vergleich zu dem, was man in der Schule macht, weit über den Tellerrand hinausschauen konnten“, sagt Sarah. Zuerst habe sie sich nicht getraut, das Beatboxen auszuprobieren. Gereizt habe es sie aber schon. Sie wartete also, bis alle weg waren und hat es dann einfach ausprobiert – an den folgenden Tagen dann sogar vor den anderen.

Bas Böttcher freut sich jedes Mal, wenn die Jugendlichen im Lauf des Workshops ein wenig aus sich rauskommen und sich auch mal was trauen. Er selbst lernt auch immer wieder von ihnen, sagt er – zum Beispiel den „Cup Song“, bei dem man mit Bechern einen Beat erzeugt.

Zum Abschluss fand auf Wunsch der Jugendlichen ein Comic-Workshop statt. Die Comic-Sprache ist wie die Comics selbst reduziert, aber ausdrucksstark. „Boom!“ „Krach!“ „Wumms!“ Die Jugendlichen hatten auch dabei viel Spaß.

Am letzten Tag waren Sarah und Juna fast schon traurig, dass der Workshop vorbei war. „Wir haben wirklich Neues gelernt, es war nicht einfach nur reine Beschäftigung“, sagt Sarah. „An manchen Tagen sind wir sogar länger geblieben und haben freiwillig Überstunden gemacht“, ergänzt Juna.

Bestimmt wird es im nächsten Jahr wieder Gelegenheit im Forum Wissen geben, mit Bas Böttcher Sprachkunst in vielfältiger Form zu produzieren. Unterstützt wurde die Kooperation im Rahmen des BMBF-geförderten Programms “Kultur macht stark” des Forum Wissen mit dem Literarischen Zentrum durch den Friedich-Bödecker-Kreis und durch den Evangelischen Verein für Dialog und Bildung e.V.