Endlich geht es los. Die Auswahl ist getroffen. Ab Anfang Oktober beginnt die Arbeit an der Planung der Basis-Ausstellung im Forum Wissen!
Mit einer europaweiten Ausschreibung suchte die Universität Göttingen in den letzten Monaten ein Ausstellungsbüro, das die Konzeption der Basis-Ausstellung des Forum Wissen übernehmen soll. Im Juli fiel die Wahl auf den Historiker und Kulturwissenschaftler Joachim Baur und sein Berliner Ausstellungsbüro „Die Exponauten. Ausstellungen et cetera“.
Die Exponauten sind in Göttingen keine Unbekannten. In Kooperation mit der Zentralen Kustodie haben sie die Ausstellung „on/off. Vom Nobelpreis und den Grenzen der Wissenschaft“ kuratiert, die bis März 2017 in der Alten Mensa zu sehen war. Für die Auswahl von Baur waren neben seiner kulturwissenschaftlichen und wissenshistorischen Arbeitsweise sowie seiner Erfahrung in der Aktivierung von Sammlungsbeständen vor allem seine grundlegenden Herangehensweisen entscheidend: auf die Vielfalt der Perspektiven und die gesellschaftliche Relevanz achten sowie unterschiedliche Akteure einbinden.
Nachdem nun die Verträge unterschrieben und alle Formalitäten erledigt sind, kann es losgehen – das kuratorische Team geht an die Arbeit! Es setzt sich aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Exponauten – neben Baur sind das die Historikerin und Kulturwissenschaftlerin Charlene Lynch sowie die Kulturwissenschaftlerin Mira Frye – und dem Team der Zentralen Kustodie zusammen, insbesondere der Direktorin Marie Luisa Allemeyer, dem Referenten für digitales Sammlungsmanagement Karsten Heck und mir, der Referentin für Ausstellen.
Welche Objekte sollen in welchen Raum? Welche Geschichten sollen sie erzählen? Welche Fragen wollen wir stellen, welche Antworten wird es geben? Welche digitalen Angebote wollen wir machen? Diese und weitere Fragen werden uns in den nächsten Monaten begleiten.
Vielfalt: Geschichte hängt vom Blickwinkel ab
Joachim Baur, der gemeinsam mit Katrin Pieper 2010 in Berlin das Ausstellungsbüro „Die Exponauten. Ausstellungen et cetera“ gründete, arbeitet bereits seit vielen Jahren als freier Ausstellungsmacher. Sein thematischer Rahmen ist dementsprechend weit: „Von der Revolution 1848/49 bis zum Alltag in der Nachkriegszeit, von der Spaßgesellschaft bis zur Geschichte der RAF, von der Globalisierung im 19. Jahrhundert bis zu den Migrationen der Gegenwart“, so umreißt er selbst seine vergangenen Projekte. Ein besonderer Schwerpunkt seiner Arbeit liegt neben Museumstheorie und Geschichtspolitik auf den Themen Migration und kulturelle Vielfalt. Eng damit verknüpft war auch sein letztes großes Projekt, das Museum Friedland am historischen Ort des Grenzdurchgangslagers – ganz in der Nähe von Göttingen. Die Ausstellung führt vom Zweiten Weltkrieg bis in die unmittelbare Gegenwart. Der historische Ort, der seit 1945 die erste Anlaufstelle für über vier Millionen deutsche Vertriebene, Kriegsheimkehrer, Aussiedler und internationale Flüchtlinge war, ist deshalb nicht nur Ausstellungsraum, sondern auch Exponat. In den sieben chronologisch gereihten Räumen wird dabei Vieles aus mehreren Perspektiven beleuchtet, denn – das ist eine Grundüberzeugung von Baur – „Geschichte hängt immer vom Blickwinkel ab, aus dem sie erzählt wird.“
In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Einbindung der Besucherinnen und Besucher
Doch Baurs Projekte beschränken sich keineswegs auf das Themenfeld der Migration. Vor nur einem Monat eröffnete er im Museum der Arbeit in Hamburg eine Ausstellung mit dem schlichten Titel „Das Kapital“ – anlässlich des 150-jährigen Jubiläums der Erstveröffentlichung des ersten Bandes des Kapitals von Karl Marx im Hamburger Verlag von Otto Meissner. Wieder spannt Baur einen großen Bogen: von der Zeit der Entstehung des Werks im 19. Jahrhundert über die widersprüchliche Rezeption im 20. Jahrhundert bis zu heutigen Fragen der Produktion und Verteilung von Reichtum und Armut. Und wieder geht es ihm um Partizipation, Teilhabe und unterschiedliche Perspektiven. Dabei wirft die Ausstellung große gesellschaftspolitische Fragen auf: „In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Führt Kapitalismus zu Freiheit und Wohlstand oder zu Unterdrückung, Ausbeutung und Krise? Wieso werden die Mechanismen des aktuellen Wirtschaftssystems so unterschiedlich bewertet? Welche Alternativen sind wünschenswert und möglich?“ Die gesammelten Meinungen und Positionen der Besucherinnen und Besucher zu diesen Fragen werden direkt in die Ausstellung eingebunden.
Kein Heldenkult
In Göttingen sind Joachim Baur und Charlene Lynch aber wohl vor allem mit ihrer Ausstellung „on/off. Vom Nobelpreis und den Grenzen der Wissenschaft“ bekannt – eine der letzten Teaser-Ausstellungen zum Forum Wissen. Ausgangspunkt war die Verleihung des Nobelpreises für Chemie 2014 an den Göttinger Physiker Stefan Hell für die Entwicklung superauflösender Fluoreszenzmikroskopie. Doch die Ausstellung beschränkte sich nicht auf dieses Ereignis oder die wissenschaftliche Arbeit Hells, sondern warf von hier ausgehend grundlegende Fragen auf: Welche Wege und Irrwege müssen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen, um erfolgreich zu forschen? Wie steht es um Konkurrenz und Anerkennung im System Wissenschaft? „Uns war es wichtig“, so Baur, „nicht das Bild und den Kult des einsamen Genies zu reproduzieren, sondern die Praxis des Wissen-Schaffens in den Mittelpunkt zu stellen. Der einzelne Fall wird so zum Ausgangspunkt für Fragen von übergreifender Bedeutung.“
Wie entsteht Wissen?
Genau diese Perspektive wird auch die Basis-Ausstellung im Forum Wissen prägen – so viel wird schon in dem grundlegenden Konzept deutlich, das Joachim Baur gemeinsam mit der Zentralen Kustodie im Jahr 2015 erarbeitet hat. Der Fokus der Ausstellung, die sich über 1.300 qm und 2 Stockwerke erstreckt, liegt auf dem Wissen-Schaffen. Wie und wo entsteht wissenschaftliches Wissen? Wer ist daran beteiligt? Welche Dinge, Menschen, welche Konstellationen? Wie haben sich die Praktiken der Wissenserzeugung verändert? Welche historischen Kontexte spielten eine Rolle? Und welche gesellschaftliche Bedeutung kommt Wissenschaft früher und heute zu?
Räume des Wissens
Als ein Parcours durch 13 Räume des Wissens wird die Basis-Ausstellung diese und andere Fragen immer wieder neu beantworten. Schon jetzt steht fest, dass sie uns durch typische und altbekannte Räume des Wissens führen wird, wie etwa den Schreibtisch, den Hörsaal, die Bibliothek oder das Labor, aber auch durch eher ungewöhnliche oder gar metaphorische, wie beispielsweise die Reise, den Markt, den Holzweg, den Rand und die Badewanne. Und immer werden dabei zwei Grundhaltungen eine Rolle spielen: die Vielfalt der Perspektiven und die Vernetzung von Lokalität und Globalität sowie von Einzelbeispiel und übergeordneten Fragen. Als eine Art Visitenkarte wird diesen beiden Grundhaltungen am Anfang der Ausstellung jeweils ein Raum gewidmet sein.
Das grobe Gerüst also steht; nun gilt es, dieses zu füllen – mit Objekten, Geschichten, Inszenierungen, Filmen und Fotos, Text und Bild. Schritt für Schritt werden die „Räume des Wissens“ von einer Idee zu einer fertigen Ausstellung werden. Bleiben Sie dabei und erfahren Sie auf dem Blog nicht nur vom Wissen-Schaffen, sondern auch vom Ausstellungs-Schaffen!
Judith Blume ist Referentin für Ausstellen in der Zentralen Kustodie an der Universität Göttingen.