Am vergangenen Wochenende haben Klimaaktivist*innen von „EndFossil:Occupy! Göttingen“ das Forum Wissen gekapert. Die „Räume des Wissens“ verwandelten sie durch eine eigens konzipierte Ausstellung in „Räume des Handelns“. Sie gingen der Frage nach, wie mit Blick auf die gegenwärtige Klimakrise Wissen in konkretes Handeln umgesetzt werden kann. Da sich schnell zeigte, dass die Aktion verantwortungsvoll ablief, ließ das Forum Wissen die Aktivist*innen gewähren und unterstützte die Aktion.
„Am Freitag um 13:58 Uhr kam eine Mail, in der das Vorhaben angekündigt wurde“, sagt die Leiterin des Wissensmuseums Sandra Potsch, die zu dem Zeitpunkt zufällig vor Ort war. Nur zwei Minuten später trafen dann auch schon 35 Aktivist*innen im Forum Wissen ein. Ein Kommunikationsteam von EndFossil informierte die Leitung des Hauses, dass die Aktion friedlich verlaufen werde und keinerlei zerstörerische Handlungen geplant seien. In Windeseile bauten die jungen Leute von der Klimaprotestbewegung die Ausstellung auf, die aus Stellwänden, Plakaten, Infotafeln und Objekten bestand. Inhaltlich ging es um konkrete Auswege aus der Klimakrise wie etwa fahrradfreundlichere Städte, aber auch um die Frage, welchen Beitrag jede*r einzelne von uns leisten kann und wie man es schafft, seine eigene Komfortzone zu verlassen und ins Handeln kommt.
„Wir fühlten uns zunächst schon überrumpelt“, so Museumsleiterin Sandra Potsch, „stellten dann aber rasch fest, dass die Aktivistinnen und Aktivisten sehr verantwortungsvoll mit unseren Objekten umgegangen sind.“ Auch die Kommunikation mit dem Museumsteam und den Besucher*innen sei sehr respektvoll verlaufen. Es wurden auch Führungen und Workshops für die Besucher*innen angeboten, in denen u. a. Demo-Schilder gebastelt wurden.
Es ist wohl das erste Mal, dass eine aktivistische Gruppe hierzulande auf eine solch friedvolle Weise ein Museum gekapert hat. In der Vergangenheit wurden z. B. Bilder durch Ketchup oder Kartoffelbrei beschädigt. Auch der wissenschaftliche Leiter des Forum Wissen Christoph Bleidorn ist beeindruckt von der Professionalität der Aktion. Im Nachgespräch mit den Aktivist*innen sagt er über die Haltung des Hauses, „ein Museum sollte dynamisch sein.“ Gleichzeitig wies er auf das geplante Biodiversitätsmuseum hin, in dessen Ausstellung die Klimakrise thematisiert werde. Allerdings wird es bis zur Eröffnung noch eine ganze Zeit dauern.
„Zeit, die wir nicht haben, die Klimakrise wartet nicht“, entgegnet die Aktivistin Judith Stier. Sie und ihr Team wollten mit der Aktion auf eines der drängendsten Themen unserer Zeit aufmerksam machen. „Da schien uns das Forum Wissen als Ort mit seiner großen Reichweite und seinem Bildungsauftrag genau der richtige Ort zu sein.“ Ihr Ziel ist es, etwas in den Köpfen der Menschen zu verändern, sie zu informieren und dann auch zum Handeln zu bringen, um die Klimakrise aufzuhalten. Aktivist*innen und Museumsteam wollen weiterhin in Kontakt bleiben, um gemeinsam zu überlegen, was das Forum Wissen tun kann, um das Thema Klimakrise stärker als bisher in die Öffentlichkeit zu tragen.
Unter dem Strich sind Judith Stier und ihr Kollege Jonathan Groß sehr zufrieden mit der Aktion: 1.500 Besucher*innen haben am Wochenende die spontane Ausstellung besucht, viele von ihnen Menschen über 40, die nicht zur Generation der Millennials gehören. Zahlreiche Besucher*innen waren überrascht, etliche zunächst auch durchaus skeptisch. Doch es gab viele Gespräche zwischen Besucher*innen, Aktivist*innen und dem Museumsteam. Die Rückmeldungen waren durchweg positiv. Zum einen, was die Inhalte, zum anderen was die friedliche Form des Protests betrifft.
Äußerst frustrierend ist aus Sicht der Aktivist*innen allerdings, dass die Medien kaum berichtet haben. Tatsächlich waren auf ihre Initiative zwei Fernsehteams vor Ort. Als diese jedoch feststellten, dass die Aktion komplett friedlich verlief, zogen sie unverrichteter Dinge ab. „Es ist frustrierend“, sagt Jonathan Groß, „dass wir mit dieser sehr aufwendig vorbereiteten Ausstellung für die Medien nicht interessant sind. Wenn wir Kartoffelbrei geworfen hätten, hätten wir die gewünschte Reichweite bekommen.“ Das ist eine bittere Erkenntnis für das Team von „EndFossil“, das sich ein halbes Jahr lang intensiv auf die Ausstellung vorbereitet hatte. Die Redaktionen müssen sich fragen, ob ihr Verhalten nicht auch zu einer Radikalisierung der Protestbewegungen beiträgt.