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Vorfahren von Maori und Moriori kehren nach Hause zurück

Feierliche Restitution von Gebeinen an Maori und Moriori an Aotearoa Neuseeland, Foto: Peter Heller

In einer bewegenden Zeremonie hat die Universität Göttingen Anfang Juni Gebeine von Vorfahren – Tūpuna – der Māori und Moriori an eine Delegation aus Vertreter*innen der beiden Communities, des Nationalmuseums von Neuseeland Te Papa Tongarewa und der neuseeländischen Botschaft zurückgegeben. Hier geht es zum Live-Mitschnitt.

Die human remains waren Teil der Blumenbachschen Schädelsammlung und der Anthropologischen Sammlung der Universität Göttingen. Sie stammen von 32 Individuen, wie die Recherchen der Wissenschaftler*innen des von der VolkswagenStiftung Hannover geförderten Forschungsprojekts „Sensible Provenienzen“ ergeben haben.

Dr. Te Herekiekie Herewini, Leiter des Repatriation-Programms am Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa, war als Fellow am Projekt beteiligt. Er erklärt: „Durch unsere Untersuchungen konnten wir ermitteln, dass die ancestral remains von Moriori von Rēkohu (Chathaminseln) und Māori aus Aotearoa (Neuseeland) stammen, und wir konnten herausfinden, auf welchem Weg sie in die beiden Sammlungen gelangten.“

Der Botschafter Neuseelands Craig Hawke, der ebenfalls bei der Zeremonie anwesend war, betonte: „Die Rückführungen sind Ausdruck der engen diplomatischen Beziehungen zwischen Aotearoa Neuseeland und Deutschland, die sich seit deren Aufnahme vor 70 Jahren entwickelt haben.“

„Wir unterstützen die Initiative der Bundesregierung, dass sacred ancestral remains in Sammlungen identifiziert und in ihre Heimat zurückgeführt werden müssen“, sagte Göttingens Universitätspräsident Prof. Dr. Metin Tolan.

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Sensible Objekte

Embryonen und Feten unbekannten Ursprungs. Provenienzforschung in der Sammlung Blechschmidt

Mit der „Humanembryologischen Dokumentationssammlung Blechschmidt“ verfügt das Zentrum Anatomie der Göttinger Universität über eine außergewöhnliche Sammlung. Zum einen sind Sammlungen von Schnittserien menschlicher Embryonen heute sehr selten und weltweit existiert weniger als ein Dutzend. Zum zweiten sind beeindruckende, fast einen Meter hohe Kunststoffmodelle zur menschlichen Entwicklung auf Grundlage der Präparate ein wesentlicher Teil der Sammlung. Diese waren lange Zeit eine Forschungsgrundlage der Göttinger Anatomie und werden bis heute in der Ausbildung von Mediziner*innen eingesetzt.

Embryo 3,4 mm aus einem Buch Blechschmidts von 1973
Zeichnung eines Modells des Embryo 3,4 mm (09.04.1954) aus der Sammlung in einem Buch Blechschmidts von 1973. Mehrere Modelle zu diesem Präparat stehen bis heute im Zentrum Anatomie.

Eine fragwürdige Vergangenheit

Leider ist die Sammlung aber nicht nur besonders, sondern auch besonders umstritten. Der frühere Institutsleiter und Sammler Erich Blechschmidt (1904-1992) schuf die Sammlung in seiner Göttinger Zeit von 1942 bis in die 1970er Jahre. Ihm wird seit mindestens 30 Jahren vorgeworfen, er hätte zumindest einige der Präparate aus nationalsozialistischen Verbrechen gewonnen und diese Herkunft nach Ende des Krieges gezielt verschleiert.

Die nun untersucht wird

Zum 1. August 2017 startete ein Forschungsprojekt zur Provenienz, also Herkunft, der Sammlung , das diesen Vorwürfen nachgeht und das ich durchführe. Vor diesem Projekt hatte ich mich als Wissenschaftshistoriker vor allem die Geschichte von Lehrmitteln der Biologie an Schule und Hochschule, ihrer Entwicklung und Nutzung erforscht. Als ich die Stelle antrat, interessierten mich an der Sammlung vor allem die großen Modelle.

Blick in den Sammlungsraum der Anatomie ca. 1964.
Blick in die Modellsammlung in der ursprünglichen, von Blechschmidt vorgenommenen Aufstellung im Zentrum Anatomie, ca. 1964. Die Fotografie war in einem Ordner abgeheftet.

Weshalb der Blick in die Vergangenheit wichtig ist

Mit Provenienzforschung zu Sammlungsobjekten, zumal mikroskopisch kleinen, hatte ich mich bis dahin nur am Rand beschäftigt. Klar war mir aber, welchen Zielen eine solche Forschung dient. Über die Aufklärung von Sammlungsgeschichte, Erwerb und Verwendung der Sammlungsobjekte entsteht eine Grundlage für die ethische Beurteilung der Sammlung und deren Einsatz in Forschung und Lehre, sofern eine Benutzung nach der Herkunftsklärung überhaupt noch ethisch vertretbar ist. (vgl. dazu auch den einführenden Beitrag von Christian Vogel).

Die Sammlung wächst durch die historische Forschung

Für meine Forschung steht mir eine große Vielfalt von Quellen zur Verfügung, die ich teilweise erst im Laufe meiner Nachforschungen im Zentrum Anatomie in entlegenen Schränken fand. Es ist wirklich erstaunlich, wie viel zwischenzeitlich bedeutungslos gewordenes Material sich in manchen Institutionen erhalten hat und ‚wiederentdeckt‘ werden kann. So existiert ein umfangreicher Briefwechsel zur Einlieferung von Embryonen, woran in den 1940er bis 1960er Jahren mehr als 200 Personen beteiligt waren. Weitere Quellen sind eine Sammlungskartei mit Präparationsdaten und Abbildungen der Präparate, ein Schuber mit handschriftlichen Protokollen zu mehreren Hundert Präparationen und eine riesige Sammlung fotografischer Platten, die Präparate und Modelle zeigen.

Dankesbrief Blechschmidts zum Embryopräparat 3,4 mm (09.04.1954).
Dankesbrief Blechschmidts an den Einlieferer des oben gezeigten Präparates eines Embryo von 3,4 mm (09.04.1954), gewonnen bei einer Operation wegen Gebärmutterhalskrebs.

Mit der Sammlung wachsen die Aufgaben

Derzeit bin ich dabei, dieses Material auszuwerten sowie es miteinander und mit anderen Quellen und Aussagen von Zeitzeugen abzugleichen. Für einige der gefundenen Materialien habe ich sogar eigene kleine Projekte beantragt; sie werden in den nächsten Monaten von Hilfskräften digital erfasst. Ich hoffe, am Ende die Geschichte vieler der über 400 Präparate detailliert nachvollziehen zu können.

Karteikarte mit Foto zum Präparat 3,4 mm.
Karteikarte zum Embryo 3,4 mm (09.04.1954) aus der Sammlungskartei. Die Fotografie zeigt das Präparat vor der Aufarbeitung als Schnittserie, was auf der Karte detailliert dokumentiert ist.

Unprofessionelle Dokumentation

Erste Ergebnisse meiner Forschung habe ich am 16.03.2018 im Rahmen eines öffentlichen Symposiums zur Sammlung im Zentrum Anatomie vorgestellt (Bericht im Göttinger Tageblatt und NDR-Hörfunk).Schon jetzt ist deutlich, dass Blechschmidt nur wenige Informationen zu den Präparaten in seiner Sammlung notierte oder überhaupt bei den liefernden Medizinern anfragte. Mit den zahlreich vorhandenen Archivalien werde ich für viele Präparate eine Herkunft aus Menschenrechtsverletzungen ausschließen können. Es wird aber ein Teil mit unklarem Ursprung übrig bleiben, der möglicherweise aus einem Unrechtskontext wie etwa Zwangsabtreibungen im Nationalsozialismus stammt. Meine Aufgabe  für die übrige Projektlaufzeit ist es daher, die Dokumentation der Sammlung zu verbessern und damit die Zahl fragwürdiger Präparate zu reduzieren.