Categories
Ausstellung Baustelle Forum Wissen Hinter den Kulissen

Jahresrückblick Forum Wissen – immer in Bewegung

Prolog-Raum am Eröffnungswochenende

Nichts bleibt, wie es ist. Alles verändert sich. So lässt sich beschreiben, was sich in den vergangenen zwölf Monaten im neu eröffneten Forum Wissen abgespielt hat: Im Januar war hier noch weitgehend Baustelle.

Eingangsportal im Januar 2022

Dennoch begann das Team schon in dieser Zeit mit dem Aufbau der Basisausstellung „Räume des Wissens“. Ab März zogen die ersten Exponate in die Vitrinen ein. Pünktlich zur feierlichen Einweihung am 31. Mai waren dann auch die Ausstellungsgrafiken fertiggestellt und die rund 1.300 Objekte eingeleuchtet. An diesem Tag erkundeten 500 geladene Gäste aus Politik, Wissenschaft und Kultur die „Räume des Wissens“, unter ihnen Ministerpräsident Stephan Weil. Am langen Pfingstwochenende standen die Türen erstmals für die Allgemeinheit offen – 3.200 Menschen füllten das Forum Wissen an diesen drei Tagen endlich mit Leben.

Offizielle Einweihung mit geladenen Gästen

Die Resonanz der Besucher*innen ist auch weiterhin groß. Seit der Eröffnung haben fast 33.000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene ihren Weg ins Forum Wissen gefunden. Die allermeisten von ihnen sind auf eigene Faust gekommen, nicht im Rahmen organisierter Führungen. Doch auch das Team der Kommunikator*innen, das sich aus knapp 20 Studierenden unterschiedlicher Fachrichtungen und Nationalitäten zusammensetzt, hat gut zu tun: Insgesamt führten sie bislang 377 Gruppen durch das Forum Wissen, die meisten von ihnen Erwachsene, darunter viele auf Betriebsausflug, aber auch zahlreiche Studierende und Schulklassen.

Blick in den Raum “Schreibtisch”

Die Rückmeldungen der Schüler*innen sind positiv: Zum Beispiel kommentiert Lisa von der Montessori-Schule im Besucherbuch „Ich freue mich, dass man hier Schönes und Nützliches verbinden kann: Wissen und Spaß“. Tatsächlich lädt der Raum Schreibtisch mit dem überdimensionalen Laptop Menschen jeden Alters zum Herumhüpfen auf der Tastatur ein. Die digitalen Angebote wie die Forum Wissen App und die Medientische werden gut angenommen, gerade von älteren Besucher*innen. Auch das Mini-Mathematikum erfreut sich großer Beliebtheit. Hier sind Kinder zwischen 3 und 9 Jahren eingeladen, Zahlen, Formen und Muster spielerisch zu entdecken.

Die Stationen im Mini Mathematikum werden regelmäßig durch neue Knobeleien ausgetauscht.

Das Forum Wissen steht allen offen. Das Team Bildung und Vermittlung arbeitet ständig daran, Angebote für die unterschiedlichsten Zielgruppen zu schaffen, um möglichst viele Menschen zu erreichen: So sind die Ausstellungstexte in deutscher und englischer Sprache sowie in weiten Teilen in Gebärdensprache und Leichter Sprache verfügbar. Das Forum Wissen bietet auch Führungen auf Deutsch, Englisch, Französisch und in weiteren Sprachen an. Demnächst ist auch der Katalog zur Basisausstellung “Räume des Wissens” in englischer Sprache erhältlich – sowohl in unserem Shop, als auch beim Wallstein Verlag.

Hands on-Station im Raum “Werkstatt”

Wir arbeiten auch daran, unser barrierefreies Angebot stetig auszubauen. Alle Gebäudeteile sind schwellenfrei und über Fahrstühle zugänglich. In den Ausstellungen laden verschiedene Hands-on-Stationen zum Tasten, Sehen, Hören und Riechen ein. Einige Stationen sind auch mit Rollstühlen unterfahrbar. Für Menschen mit Demenz wurde gerade ein spezielles Angebot entwickelt.

Schon im April 2022 hatte das Forum Wissen das Museumsgütesiegel 2022 bis 2028 des Museumsverbandes für Niedersachsen und Bremen erhalten. Das Konzept sei „beispielhaft vorbereitet“, heißt es in der Begründung der Jury. Besonders beeindruckend seien der wissenschaftskritische Ansatz und die Räume zur Selbstreflexion.

Unerwartete Nachbarschaften – Objekte im neu eröffneten Sammlungsschaufenster

Allein von Juni bis Dezember konnten Besucher*innen fünf Sonderausstellungen zu verschiedenen gesellschaftsrelevanten Themen besuchen. Und vor ein paar Tagen erst wurde das Sammlungsschaufenster im Atrium des Forum Wissen eröffnet. Es handelt sich um einen gläsernen Kubus mit 164 einzelnen Vitrinen, die mit Objekten aus den verschiedenen Sammlungen der Universität bestückt sind. Auf diese Weise werden hier die an den Fakultäten und Instituten angesiedelten Sammlungen exemplarisch an einem Ort zusammengeführt. Dabei trifft Gewöhnliches auf Seltenes, unerwartete Querverbindungen ermöglichen überraschende Assoziationen.

Café und Shop im Atrium haben sich dank des lichten Ambientes zu einem Raum entwickelt, in dem sich unsere Besucher*innen gerne aufhalten. Dort wird ab dem Frühjahr 2023 sogar „Whale Watching“ möglich sein, wenn das 15 Meter lange Pottwalskelett über den Köpfen der Besucher*innen schwebt.

Visualisierung des Pottwalskeletts im Atrium

Im nächsten Jahr freuen wir uns nicht nur auf den Einzug des Wals, sondern auch auf neue Sonderausstellungen, darunter „Voices“ über Sprachforschung an Kriegsgefangenen während des Ersten Weltkriegs mit einem Theaterstück, das das BoatPeopleProjekt eigens zum Thema konzipiert hat, und auf die Zusammenarbeit mit unseren Projektpartner*innen. Vor allem aber freuen wir uns auf die Begegnungen mit unseren Besucher*innen, mit denen, die zum ersten Mal hier sind und mit denen, die ein zweites oder drittes Mal kommen. Schließlich gibt es immer wieder Neues zu entdecken. Denn: Nichts bleibt, wie es ist.

Categories
Forum Wissen

„Viel mehr als nur Texte und Gedichte“ – Workshop mit dem Sprachkünstler Bas Böttcher

Collage, die im Rahmen des Workshops entstanden ist

„Wir hatten gedacht, wir würden nur mit Texten und Gedichten arbeiten, dabei haben wir viel mehr gemacht!“, sagt Sarah, die zusammen vor kurzem mit ihrer Freundin Juna an „ Vom Tagtraum zum Traumtag“ teilgenommen hat. Der Workshop mit dem Schriftsteller und Slam Poeten Bas Böttcher wurde gemeinsam vom Forum Wissen in Kooperation mit dem Literarischem Zentrum Göttingen organisiert.

Die Formen, die die beiden Sechstklässlerinnen zusammen mit Samreen, Nuri, Zarak und den anderen Jugendlichen ausprobiert haben, waren vielfältig. Workshop-Leiter Bas Böttcher fasst den Begriff Sprache sehr weit: Beim Beatboxen haben die Teilnehmer*innen ihre Stimme als Percussion-Instrument eingesetzt, Songtexte verfasst und mit Unterstützung der Theaterpädagogin Karo Löwenstein Schauspieltechniken ausprobiert, um Gefühle ohne Worte auszudrücken. Außerdem haben Sarah und Juna lustige Memes zu Objekten aus dem Forum Wissen produziert.

„Mir hat sehr gefallen, dass wir im Vergleich zu dem, was man in der Schule macht, weit über den Tellerrand hinausschauen konnten“, sagt Sarah. Zuerst habe sie sich nicht getraut, das Beatboxen auszuprobieren. Gereizt habe es sie aber schon. Sie wartete also, bis alle weg waren und hat es dann einfach ausprobiert – an den folgenden Tagen dann sogar vor den anderen.

Bas Böttcher freut sich jedes Mal, wenn die Jugendlichen im Lauf des Workshops ein wenig aus sich rauskommen und sich auch mal was trauen. Er selbst lernt auch immer wieder von ihnen, sagt er – zum Beispiel den „Cup Song“, bei dem man mit Bechern einen Beat erzeugt.

Zum Abschluss fand auf Wunsch der Jugendlichen ein Comic-Workshop statt. Die Comic-Sprache ist wie die Comics selbst reduziert, aber ausdrucksstark. „Boom!“ „Krach!“ „Wumms!“ Die Jugendlichen hatten auch dabei viel Spaß.

Am letzten Tag waren Sarah und Juna fast schon traurig, dass der Workshop vorbei war. „Wir haben wirklich Neues gelernt, es war nicht einfach nur reine Beschäftigung“, sagt Sarah. „An manchen Tagen sind wir sogar länger geblieben und haben freiwillig Überstunden gemacht“, ergänzt Juna.

Bestimmt wird es im nächsten Jahr wieder Gelegenheit im Forum Wissen geben, mit Bas Böttcher Sprachkunst in vielfältiger Form zu produzieren. Unterstützt wurde die Kooperation im Rahmen des BMBF-geförderten Programms “Kultur macht stark” des Forum Wissen mit dem Literarischen Zentrum durch den Friedich-Bödecker-Kreis und durch den Evangelischen Verein für Dialog und Bildung e.V.

Categories
Ausstellung Forum Wissen

Moving Things – bewegte und bewegende Dinge rund um Flucht und Migration

Von Louisa Marie Hartmann und Eva Völker –

Foto: Martin Liebetruth

Welche Geschichten erzählt ein Smartphone? Welche Hoffnungen sind mit einem Paar abgelaufener Schuhe verbunden? Was bedeuten solche und andere Dinge für Menschen auf der Flucht? Wie kommt es, dass alltägliche Dinge so eine besondere Bedeutung bekommen? Unsere Sonderausstellung MOVING THINGS nähert sich den Themen Flucht und Migration, in dem sie einfache Dinge in den Fokus rückt.

Foto: Martin Liebetruth

Ein zentrales Objekt, das die Sonderausstellung untersucht, sind Schuhe. Diese unscheinbaren Alltagsgegenstände sind intime Zeugnisse von Flucht und Migration. Sind sie doch eng mit den Menschen verknüpft, die sie zum Schutz ihrer Füße trugen, während sie über Grenzen hinweg ihren Weg gegangen sind – oft trugen sie auch nicht nur die Menschen selbst, sondern auch ihre Hoffnung auf ein neues Leben, auf eine bessere Zukunft. Drei Fotografen haben ihren Blick auf die Schuhe von Geflüchteten und die ihnen eingeschriebenen Geschichten gelenkt.

Foto: Martin Liebetruth

Die Ausstellung widmet sich auch dem sinnlichen Thema Essen. Essen kann Verbindung schaffen zwischen Menschen, zum Beispiel wenn man zusammen kocht oder gemeinsam isst. Es kann aber auch zum Spannungsfeld werden, etwa wenn man sich an ungewohnte Kost und an festgelegte Essenszeiten gewöhnen muss. In Geflüchtetenunterkünften bewegen sich Migrant*innen zwischen Schutz und Fremdbestimmung – in kaum einem anderen Bereich wird das deutlicher als beim Thema Essen. Essen kann Menschen ausgrenzen, aber auch eine Brücke in die Heimat darstellen.

Foto: Martin Liebetruth

So etwas wie eine Brücke in die Heimat ist für viele Migrant*innen auch das Smartphone. Es ist häufig viel mehr als ein Kommunikationsmittel, verbindet es die Menschen, die unterwegs sind, doch mit allen und allem, was sie zurückgelassen haben – mit Familie und Freunden, mit der oft gehörten Lieblingsmusik. Das Smartphone wird so gewissermaßen zu einem Zuhause in der Hosentasche. MOVING THINGS wirft einen ganz neuen Blick auf diesen täglichen Begleiter.

Foto: Martin Liebetruth

Berührend ist auch das raumfüllende Schlauchboot, das so gezeigt wird, wie es 2017 von der Hilfsorganisation Sea Eye auf dem offenen Meer aufgefunden wurde – als graue, schlaffe Hülle, ohne Luft, ohne Leben, trieb es auf dem Mittelmeer. Wie viele Menschen an Bord waren, was aus ihnen geworden ist, darüber ist nichts bekannt. Das Boot ist Teil einer Kampagne der Seenotrettungsorganisation Seebrücke, die für sichere Fluchtwege, die Entkriminalisierung der Seenotrettung und eine humanitäre Aufnahme für Geflüchtete wirbt. In diesem Zusammenhang ist das Boot zum Ausstellungsobjekt geworden.

Foto: Martin Liebetruth

Einen sehr passenden Epilog zu MOVING THINGS bildet die künstlerische Arbeit HELPERS CHANGING HOMES von Yuka Oyama aus Berlin. Sie geht der Frage nach, wie man die Leere ausfüllt, die dadurch entsteht, dass man sein Zuhause verlassen hat. Dazu hat Yuka Oyama Menschen befragt, die wie sie selbst ein nomadisches Leben führen. Die Künstlerin kommt zu dem Ergebnis, dass es in erster Linie materielle Dinge sind, viel mehr als Kultur, ethnische Communities, Geschlechterrollen oder Traditionen, die den Menschen, die unterwegs sind, Stabilität und Identität schenken.

Die Ausstellung ist das Ergebnis des Forschungsprojektes „Zur Materialität von Flucht und Migration“, das von drei Verbundpartnern getragen wurde: dem Institut für Ethnologie der Georg-August-Universität Göttingen, dem Museum Friedland und dem Berliner Ausstellungsbüro Die Exponauten. Ausstellungen et cetera. Ausgangspunkt für das Projekt waren ethnografische Forschungen im Grenzdurchgangslager Friedland bei Göttingen. Die Wege der Recherche, die Gespräche und Begegnungen führten nach Moria und in die Türkei, nach Syrien und zu afghanischen Communities im Iran. In Göttingen laufen nun die Fäden zusammen. MOVING THINGS läuft noch bis zum 15.01.2023.

Foto: Martin Liebetruth

Unter dem Titel MOVING THINGS ist auch eine Publikation erschienen, die die Themen der Ausstellung zum Teil vertieft, zum Teil ergänzt. Das Buch ist online beim Wallstein Verlag erhältlich und in unserem Shop, direkt im Forum Wissen. Die Autor*innen schreiben über bewegte und bewegende Dinge im Kontext von Flucht und Migration und liefern Hintergrundinformationen zu den Ausstellungsthemen.