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Waldstillleben mit Reptilien und Insekten

Alles andere als „tot“

Der französische Ausdruck für Stillleben ist „Nature morte“, wörtlich übersetzt: Tote Natur. Das Waldstillleben des niederländischen Malers Otto Marseus van Schrieck (1619-1678) ist jedoch alles andere als „tot“: Es kreucht und fleucht auf dem Waldboden, wo sich Reptilien und Insekten tummeln. Das Besondere daran: Die dargestellten Tiere und Pflanzen sind bis ins Detail naturgetreu ausgearbeitet.

Sommerliche Tierwelt

Die Verhaltensweisen der Tiere sind aber unnatürlich: Schlangen machen naturgemäß keine Jagd auf Schmetterlinge. Marseus muss das gewusst haben. Er soll sowohl hinter seinem Haus als auch außerhalb Amsterdams in umschlossenen Gehegen Schlangen und andere Tiere gehalten haben, die ihm als Modelle seiner Gemälde dienten. Auch habe er Insekten und anderen Kleintieren eifrig nachgespürt. Tatsächlich zeigt das Bild eine Tierwelt, wie man sie in dieser Zusammenstellung im Monat August begegnet.

Wenn Kunst die Natur übertrifft

„Es steckt bestimmt auch hier die Idee jeden Stilllebens drin, dass die Kunst die Natur zu übertreffen vermag“, sagt Anne-Katrin Sors, Leiterin der Kunstsammlung der Universität Göttingen, aus der das Gemälde stammt. „Weil die Kunst imstande ist – vor der Zeit der beheizten Gewächshäuser – z.B. einen alle Jahreszeiten umfassenden Blumenstrauß zu kombinieren und zu malen.“

Wie der Künstler sein Werk schuf

Interessant ist auch die Technik, die Marseus anwandte. Eine mikroskopische Untersuchung ergab, dass die Flügel der Schmetterlinge nicht gemalt, sondern im Abklatschverfahren hergestellt sind: Auf die in hellen Farben gehaltenen Schmetterlingssilhouetten sind die jeweiligen Flügelteile aufgelegt und vorsichtig angedrückt worden, so dass beim Entfernen die Schuppen in der feuchten Paste hafteten. Lediglich Fehlstellen und Adern wurden mit dem Pinsel nachgearbeitet.

Für die Struktur des Bodens stempelte der Maler einen Moosabdruck in die Farbe. Auch zumindest eines der Fliegenbeine ist nicht gemalt, sondern in die Paste eingelegt.

In diesem Schaukasten sind die Schmetterlingsarten zu sehen, die sich auch im Gemälde finden lassen.

Kein „Phantast mit realistischen Mitteln“

Marseus zielt in der Wiedergabe des Lebensraums Waldboden auf höchste Naturtreue, er kombiniert nicht Tiere nach seinem Belieben. Dies weist auf Marseus‘ wissenschaftliches Interesse an den dargestellten Wesen hin. Damit ist er nicht der „Phantast mit realistischen Mitteln“, als der er lange Zeit in der Kunstgeschichte galt.

Das Gemälde „Waldbodenstilleben“ ist nun im Raum „Feld“ in den Räumen des Wissens zu sehen.

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Forum Wissen

Das war das Jahr 2023

Schon wieder geht ein Jahr zu Ende. Für das Team des Forum Wissen war es ein aufregendes, abwechslungsreiches, kurzweiliges Jahr mit vielen schönen Momenten. Ganz besonders freuen wir uns über eine Nachricht, die uns zum Jahresende erreicht hat: Das Forum Wissen hat es ins Finale des European Museum of the Year Award 2024 geschafft! Dazu aber am Ende mehr. Jetzt lassen wir erstmal Bilder sprechen. Die sagen bekanntlich mehr als 1000 Worte. Hier unser Jahresrückblick in Fotos:

Das Göttinger Pottwalskelett hält Einzug ins Forum Wissen.
Foto: Peter Heller

Ein echter Dickschädel: Das Göttinger Pottwalskelett hält Einzug ins Forum Wissen. Nach mehrjährigem Dornröschenschlaf in der Außenstelle des Zoologischen Museums der Universität Göttingen in Holtensen zieht der Göttinger Pottwal am Montag, 23.01.2023, ins Forum Wissen ein.

Aktionstag zum Einzug des Wals - Am 19. März 2023 feiert das Forum Wissen den Einzug des ‚Göttinger‘ Pottwalskeletts.
Foto: Peter Heller

Aktionstag zum Einzug des Wals – Am 19. März 2023 feiert das Forum Wissen den Einzug des ‚Göttinger‘ Pottwalskeletts mit musikalischer Begleitung und Malwettbewerb.

"Hineingeschmeckt" - die neue Veranstaltungsreihe im Forum Wissen. Kustod*innen der Göttinger Sammlungen präsentieren spannende Objekte.

“Hineingeschmeckt” – die neue Veranstaltungsreihe im Forum Wissen. Kustod*innen der Göttinger Sammlungen präsentieren spannende Objekte. Dazu kredenzt Philipp Bremer ausgewählte Weine.

Die Sonderausstellung "Stimmen" im Forum Wissen beschäftigt sich mit Sprachforschung im Ersten Weltkrieg

Die Sonderausstellung “Stimmen” beschäftigt sich mit Sprachforschung im Ersten Weltkrieg. Es geht um Kriegsgefangene aus dem heutigen Afghanistan und Pakistan, die zum Gegenstand von Sprachforschung gemacht wurden.

Premiere des Theaterstücks Avaz im Forum Wissen
Foto: Martin Liebetruth

Premiere des Theaterstücks AVAZ, das eigens für die Sonderausstellung konzipiert wurde. Schauspieler: Haneef Baloch, Samiullah Baloch, Sultan Zeb Khawaja. Regie: Luise Rist und Franziska Aeschlimann.

Aktivist*innen von Endfossil Göttingen kapern das Forum Wissen für ein Wochenende im April und zeigen ihre eigens konzipierte "Sonderausstellung" Forum Handeln
Foto: Martin Liebetruth

Aktivist*innen von Endfossil Göttingen kapern das Forum Wissen für ein Wochenende im April und zeigen ihre eigens konzipierte “Sonderausstellung” Forum Handeln.

In einer feierlichen Zeremonie gibt die Universität Göttingen Human Remains aus den Göttinger Sammlungen an eine Delegation aus Aotearoa Neuseeland zurück.
Foto: Peter Heller

In einer bewegenden Zeremonie hat die Universität Göttingen Anfang Juni Gebeine von Vorfahren – Tūpuna – der Māori und Moriori an eine Delegation aus Vertreter*innen der beiden Communities, des Nationalmuseums von Neuseeland Te Papa Tongarewa und der neuseeländischen Botschaft zurückgegeben

Nobel-Kneipenquiz anläßlich des 75. Jubiläums der Max-Planck-Gesellschaft am 04.07.2023 im Liesels X Forum im Forum Wissen, Göttingen.
Foto: Martin Liebetruth

Nobel-Kneipenquiz anläßlich des 75. Jubiläums der Max-Planck-Gesellschaft am 04.07.2023 im Liesels X Forum im Forum Wissen, Göttingen inklusive Sonderausstellung “Pioniere des Wissens” im Forum Wissen.

Das Forum Wissen hat es unter die drei Finalisten des DASA Award 2023 geschafft!  Die Leiterin unsers Wissensmuseums, Dr. Sandra Potsch, stellte den Teilnehmenden dort das Forum Wissen vor und nahm die Urkunde entgegen.

Das Forum Wissen hat es unter die drei Finalisten des DASA Award 2023 geschafft! Der DASA-Award wird seit 2011 vergeben. Er prämiert jährlich ein Museum, das sich in innovativer Weise der Bildung und Vermittlung widmet. Auf dem Meeting der European Museum Academy in Timisoara, Rumänien, waren Juror*innen und Bewerber*innen aus 25 europäischen Ländern vertreten. Die Leiterin unsers Wissensmuseums, Dr. Sandra Potsch, stellte den Teilnehmenden dort das Forum Wissen vor und nahm die Urkunde entgegen.

"Die anderen Räume" ist der Titel einer Freiflächen-Ausstellung von Studierenden, die über verschiedene Räume des Forum Wissen verteilt ist. Darin geht es um studentische Perspektiven auf Räume des Wissens in der Universität und in der Stadt Göttingen.
Foto: Martin Liebetruth

“Die Anderen Räume” ist der Titel einer Freiflächen-Ausstellung von Studierenden, die über verschiedene Räume des Forum Wissen verteilt ist. Darin geht es um studentische Perspektiven auf Räume des Wissens in der Universität und in der Stadt Göttingen.

Die Sonderausstellung "Digitaler Wald - eine virtuelle Reise in die Klimaforschung" widmet sich dem hochaktuellen Thema des Klimawandels und dessen Auswirkungen auf unsere Wälder.
Foto: Jens Kaesemann

Die Sonderausstellung “Digitaler Wald – eine virtuelle Reise in die Klimaforschung” widmet sich dem hochaktuellen Thema des Klimawandels und dessen Auswirkungen auf unsere Wälder.

In der Salon-Debatte "Der Wald in Zeiten von Klimawandel und Artenschwund" im Forum Wissen treffen konträre Meinungen aufeinander.
Foto: Martin Liebetruth

In der Salon-Debatte “Der Wald in Zeiten von Klimawandel und Artenschwund” im Forum Wissen treffen konträre Meinungen aufeinander.

Gestaltung: Ralph Hormes

Am 15. Dezember 2023 erscheint die erste Folge von “Wissen to listen”, dem neuen Podcast des Forum Wissen. Die Podcasterin und Forum-Wissen-MItarbeiterin Eva Völker unterhält sich mit Dominik Seidel, Professor für Räumliche Strukturen und Digitalisierung der Wälder über die Frage, wie man Wälder digitalisiert und wozu das gut sein soll. Hören Sie gerne mal rein!

Foto: Peter Heller

Wir freuen uns riesig über die Nachricht, die uns kurz vor Jahresende erreicht hat: Das Forum Wissen ist für den European Museum of the Year Award 2024 nominiert. Anfang Mai wird beim großen Finale in Portimao, Portugal, unter 24 Museen aus ganz Europa der Gewinner gekürt. Wir danken allen, die das möglich gemacht haben. Und vor allem danken wir Ihnen, unseren Unterstützer*innen, den mehr als 53.000 Besucher*innen in diesem Jahr, unseren kritischen Freund*innen und wünschen Ihnen allen schöne Feiertage und einen guten Jahreswechsel!

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Ausstellung Forum Wissen

Interview mit Alexander Knohl

Der Bioklimatologe Alexander Knohl von der Universität Göttingen leitet das Forschungsprojekt „Digital Forest“. Das Projekt ist Thema der Sonderausstellung „Digitaler Wald. Eine virtuelle Reise in die Klimaforschung“. Vor dem Hintergrund des Dürresommers im Jahr 2018 erforscht er mit seinem Team, wie man den Wald der Zukunft klimaresistent machen kann. Im Interview spricht er darüber, wie das Forschungsprojekt zustande kam, welche Erkenntnisse zum Klimawandel erzielt wurden und was es für ihn als Wissenschaftler bedeutet, dass die Forschung seines Teams durch die Ausstellung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.

Der Bioklimatologe Alexander Knohl
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Forum Wissen Sammlung Sensible Objekte Video

Vorfahren von Maori und Moriori kehren nach Hause zurück

Feierliche Restitution von Gebeinen an Maori und Moriori an Aotearoa Neuseeland, Foto: Peter Heller

In einer bewegenden Zeremonie hat die Universität Göttingen Anfang Juni Gebeine von Vorfahren – Tūpuna – der Māori und Moriori an eine Delegation aus Vertreter*innen der beiden Communities, des Nationalmuseums von Neuseeland Te Papa Tongarewa und der neuseeländischen Botschaft zurückgegeben. Hier geht es zum Live-Mitschnitt.

Die human remains waren Teil der Blumenbachschen Schädelsammlung und der Anthropologischen Sammlung der Universität Göttingen. Sie stammen von 32 Individuen, wie die Recherchen der Wissenschaftler*innen des von der VolkswagenStiftung Hannover geförderten Forschungsprojekts „Sensible Provenienzen“ ergeben haben.

Dr. Te Herekiekie Herewini, Leiter des Repatriation-Programms am Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa, war als Fellow am Projekt beteiligt. Er erklärt: „Durch unsere Untersuchungen konnten wir ermitteln, dass die ancestral remains von Moriori von Rēkohu (Chathaminseln) und Māori aus Aotearoa (Neuseeland) stammen, und wir konnten herausfinden, auf welchem Weg sie in die beiden Sammlungen gelangten.“

Der Botschafter Neuseelands Craig Hawke, der ebenfalls bei der Zeremonie anwesend war, betonte: „Die Rückführungen sind Ausdruck der engen diplomatischen Beziehungen zwischen Aotearoa Neuseeland und Deutschland, die sich seit deren Aufnahme vor 70 Jahren entwickelt haben.“

„Wir unterstützen die Initiative der Bundesregierung, dass sacred ancestral remains in Sammlungen identifiziert und in ihre Heimat zurückgeführt werden müssen“, sagte Göttingens Universitätspräsident Prof. Dr. Metin Tolan.

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Forum Wissen

Ein Jahr Forum Wissen

Wer hat an der Uhr gedreht? Kaum zu glauben, dass die Eröffnung des Forum Wissen schon ein ganzes Jahr her ist. In der kurzen Zeit ist viel passiert: 6 Sonderausstellungen, 3 Veranstaltungsreihen, 2 Besetzungsaktionen, 1 eigens konzipiertes Theaterstück, 1 Waleinzug mit Zuckerwatte-Alarm und vor allem unglaubliche 58.000 Besucher*innen denen wir einfach nur herzlichst DANKE! sagen möchten. Hier ein paar Impressionen zur Erinnerung an ein ereignisreiches erstes Jahr, die wir gerne teilen.

Einweihung am 31.05.22
Eröffnung des Forum Wissen und erster regulärer Besuchertag
Performance von Rumah Budaya Sikukeluang – Kollektiv Indonesischer Kuenstler*innen zur Eröffnung unserer Sonderausstellung “saujana membumi – Nachhaltigkeit erkunden”
Sonderausstellung “Tiny Unpredictable Material Objects”
Sonderausstellung “Moving Things” © Martin Liebetruth
Sonderausstellung “Stimmen. Sprachforschung im Krieg 1917-18” © Martin Liebetruth
Premiere AVAZ – Theaterstück zur Sonderausstellung “Stimmen”, Schauspieler: Haneef Baloch, Samiullah Baloch, Sultan Zeb Khawaja. Regie: Luise Rist und Franziska Aeschlimann vom freien Theater boat people projekt © Martin Liebetruth
Das Sammlungsschaufenster
Das Göttinger Pottwalskelett hält Einzug ins Forum Wissen
Aktionstag zum Einzug des Wals
Kickoff der Veranstaltungsreihe Salon-Debatten im Forum Wissen
Chalk Talk im Forum Wissen © Martin Liebetruth
Hineingeschmeckt – Spannende Weine + einzigartige Objekte = kurzweilige Geschichten © Martin Liebetruth

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Ausstellung Forum Wissen Hinter den Kulissen

„Forum Handeln“ – konstruktiver Klimaprotest im Forum Wissen

“Forum Handeln” – eine Intervention von Endfossil:Occupy! Göttingen | © Martin Liebetruth

Am vergangenen Wochenende haben Klimaaktivist*innen von „EndFossil:Occupy! Göttingen“ das Forum Wissen gekapert. Die „Räume des Wissens“ verwandelten sie durch eine eigens konzipierte Ausstellung in „Räume des Handelns“. Sie gingen der Frage nach, wie mit Blick auf die gegenwärtige Klimakrise Wissen in konkretes Handeln umgesetzt werden kann. Da sich schnell zeigte, dass die Aktion verantwortungsvoll ablief, ließ das Forum Wissen die Aktivist*innen gewähren und unterstützte die Aktion.

Von Freitagmittag bis Sonntagabend war das Forum Wissen von den Klimaktivist*innen gekaptert | © Martin Liebetruth

„Am Freitag um 13:58 Uhr kam eine Mail, in der das Vorhaben angekündigt wurde“, sagt die Leiterin des Wissensmuseums Sandra Potsch, die zu dem Zeitpunkt zufällig vor Ort war. Nur zwei Minuten später trafen dann auch schon 35 Aktivist*innen im Forum Wissen ein. Ein Kommunikationsteam von EndFossil informierte die Leitung des Hauses, dass die Aktion friedlich verlaufen werde und keinerlei zerstörerische Handlungen geplant seien. In Windeseile bauten die jungen Leute von der Klimaprotestbewegung die Ausstellung auf, die aus Stellwänden, Plakaten, Infotafeln und Objekten bestand. Inhaltlich ging es um konkrete Auswege aus der Klimakrise wie etwa fahrradfreundlichere Städte, aber auch um die Frage, welchen Beitrag jede*r einzelne von uns leisten kann und wie man es schafft, seine eigene Komfortzone zu verlassen und ins Handeln kommt.

Intervention Forum Handeln im Salon | © Martin Liebetruth

„Wir fühlten uns zunächst schon überrumpelt“, so Museumsleiterin Sandra Potsch, „stellten dann aber rasch fest, dass die Aktivistinnen und Aktivisten sehr verantwortungsvoll mit unseren Objekten umgegangen sind.“ Auch die Kommunikation mit dem Museumsteam und den Besucher*innen sei sehr respektvoll verlaufen. Es wurden auch Führungen und Workshops für die Besucher*innen angeboten, in denen u. a. Demo-Schilder gebastelt wurden.

Intervention Forum Handeln | © Martin Liebetruth

Es ist wohl das erste Mal, dass eine aktivistische Gruppe hierzulande auf eine solch friedvolle Weise ein Museum gekapert hat. In der Vergangenheit wurden z. B. Bilder durch Ketchup oder Kartoffelbrei beschädigt. Auch der wissenschaftliche Leiter des Forum Wissen Christoph Bleidorn ist beeindruckt von der Professionalität der Aktion. Im Nachgespräch mit den Aktivist*innen sagt er über die Haltung des Hauses, „ein Museum sollte dynamisch sein.“ Gleichzeitig wies er auf das geplante Biodiversitätsmuseum hin, in dessen Ausstellung die Klimakrise thematisiert werde. Allerdings wird es bis zur Eröffnung noch eine ganze Zeit dauern.

Der Klimawandel schreitet rasant voran | © Martin Liebetruth

„Zeit, die wir nicht haben, die Klimakrise wartet nicht“, entgegnet die Aktivistin Judith Stier. Sie und ihr Team wollten mit der Aktion auf eines der drängendsten Themen unserer Zeit aufmerksam machen. „Da schien uns das Forum Wissen als Ort mit seiner großen Reichweite und seinem Bildungsauftrag genau der richtige Ort zu sein.“ Ihr Ziel ist es, etwas in den Köpfen der Menschen zu verändern, sie zu informieren und dann auch zum Handeln zu bringen, um die Klimakrise aufzuhalten. Aktivist*innen und Museumsteam wollen weiterhin in Kontakt bleiben, um gemeinsam zu überlegen, was das Forum Wissen tun kann, um das Thema Klimakrise stärker als bisher in die Öffentlichkeit zu tragen.

Auch das Treppenhaus wird zur Ausstellungsfläche | © Martin Liebetruth

Unter dem Strich sind Judith Stier und ihr Kollege Jonathan Groß sehr zufrieden mit der Aktion: 1.500 Besucher*innen haben am Wochenende die spontane Ausstellung besucht, viele von ihnen Menschen über 40, die nicht zur Generation der Millennials gehören. Zahlreiche Besucher*innen waren überrascht, etliche zunächst auch durchaus skeptisch. Doch es gab viele Gespräche zwischen Besucher*innen, Aktivist*innen und dem Museumsteam. Die Rückmeldungen waren durchweg positiv. Zum einen, was die Inhalte, zum anderen was die friedliche Form des Protests betrifft.

Der Raum Werkstatt wird zum Raum der Utopien | © Martin Liebetruth

Äußerst frustrierend ist aus Sicht der Aktivist*innen allerdings, dass die Medien kaum berichtet haben. Tatsächlich waren auf ihre Initiative zwei Fernsehteams vor Ort. Als diese jedoch feststellten, dass die Aktion komplett friedlich verlief, zogen sie unverrichteter Dinge ab. „Es ist frustrierend“, sagt Jonathan Groß, „dass wir mit dieser sehr aufwendig vorbereiteten Ausstellung für die Medien nicht interessant sind. Wenn wir Kartoffelbrei geworfen hätten, hätten wir die gewünschte Reichweite bekommen.“ Das ist eine bittere Erkenntnis für das Team von „EndFossil“, das sich ein halbes Jahr lang intensiv auf die Ausstellung vorbereitet hatte. Die Redaktionen müssen sich fragen, ob ihr Verhalten nicht auch zu einer Radikalisierung der Protestbewegungen beiträgt.

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Forum Wissen Hinter den Kulissen Sammlung

Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen

Studentinnen der Kunstgeschichte praktizieren Provenienzforschung

Annika Zinger, Jana F. Schulz und Pia Mara Denkmann sind die ersten Studentinnen, die ein Objekt aus dem neuen Sammlungsschaufenster im Forum Wissen untersuchen. Es handelt sich um ein Genregemälde aus der Kunstsammlung der Universität Göttingen. Im Rahmen eines Seminars zur Provenienzforschung bei der Kustodin Dr. Anne-Katrin Sors suchen sie nach Spuren, die etwas über die Geschichte des Objekts verraten ─ etwa wann das Gemälde in wessen Besitz war.

Karsten Heck, Referent für Sammlungsmanagement beim Forum Wissen, öffnet die Glasvitrine. Annika Zinger hebt das Bild mit ihren weiß behandschuhten Fingern vorsichtig heraus. Sie legt es behutsam auf einen Tisch im Inneren des Sammlungsschaufensters, das als Seminarraum dient.

Schwierige Recherche

Die Informationen, die die Studentinnen bislang haben, sind dünn: Die Kunstsammlung hatte das Gemälde 1966 von der Witwe des Schauspielers Eugen Dumont angekauft. Der Titel: Dorflandschaft mit zechenden Bauern. Der Künstler: Unbekannt. Die abgebildete Szene ist typisch für die niederländische Genremalerei des 16. und 17. Jahrhunderts, doch hat eine frühere Prüfung ergeben, dass es sich um eine Schöpfung des 19. Jahrhunderts handeln muss. In dieser Zeit waren solche Szenen beliebt; d. h. es gibt viele ähnliche Bilder, was es nicht gerade leichter macht, das Bild genau zu identifizieren. Es hat etwas von der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Übrigens werden solche Prüfungen in der Fachsprache auch „Autopsien“ genannt. Ein Hinweis darauf, dass die Recherchen der Studentinnen der Kunstgeschichte durchaus Ähnlichkeiten mit den von Kriminolog*innen haben.

Spurensuche am Objekt

Annika Zinger legt das Gemälde so ab, dass die Rückseite des Rahmens sichtbar ist. Auf dem dunklen Holz ist eine Bleistiftnotiz zu erkennen: „Rahmen verkleinern“. Die drei Studentinnen vermuten, dass sie von einem Restaurator stammt, der das Werk im Auftrag der Universität begutachtete. Ansonsten gibt es kaum Hinweise, die etwas über die Identität des Bildes verraten könnten.

Jetzt dreht Pia Mara Denkmann das Gemälde vorsichtig herum. Die Dorflandschaft mit den zechenden Bauern ist zu sehen, eingefasst in einen breiten goldfarbenen Holzrahmen. Die Studentinnen betrachten die Oberfläche eingehend aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln. „Man sieht nochmal viel mehr, wenn man das Bild direkt vor sich auf dem Tisch hat“, sagt Pia Mara Denkmann. „Der pastose Farbauftrag ist gut zu erkennen, wenn man sich über das Bild beugt“. An zwei Stellen ist die Schutzschicht, der über dem Ölgemälde liegende Firnis verändert. Diese sogenannten Fehlstellen könnten bei der weiteren Recherche einen Hinweis auf die Identität des Bildes liefern. Dazu werden sie in den nächsten Wochen Kataloge von Auktionshäusern und Bilddatenbanken durchforsten. Ihre Erkenntnisse finden wiederum Eingang in das Sammlungsportal der Universität Göttingen.

Recherche am Original

„Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass Studierende der Kunstgeschichte an Originalen arbeiten,“ sagt Jana F. Schulz. An vielen anderen Universitäten, die nicht über eigene Sammlungen verfügen, gebe es diese Möglichkeit nicht. Die Kunstsammlung der Universität Göttingen ist nicht nur die älteste Kunstsammlung ihrer Art in Deutschland, sie ist auch in erster Linie eine Lehrsammlung. Bei Neuankäufen wird u. a. darauf geachtet, dass sie um bestimmte Epochen und Themen erweitert wird, die bislang nicht vertreten sind.

Die Arbeit am Objekt ist für heute abgeschlossen. Die zechenden Bauern werden wieder vorsichtig in die Vitrine gestellt. „Die Atmosphäre hier im Innern des Sammlungsschaufensters ist inspirierend“, sagt Jana F. Schulz, „umgeben von so vielen verschiedenen Objekten zu sein, ist toll, wenn man so objektverliebt ist wie wir“.

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Forum Wissen Sensible Objekte

“The history of repatriation of Maori and Moriori ancestors is more than 3,000 years old” – Interview with Fellow Te Herekiekie Herewini

The current debate on cultural property from colonial contexts also affects museums and academic collections of human remains. The “Sensitive Provenances Project” at the University of Göttingen aims to open up new avenues for the repatriation of human remains to former European colonies. More specifically, it addresses the human remains of 100 individuals from New Zealand, Palau, Tanzania and Cameroon that are currently housed in the Blumenbach Skull Collection and the Anthropological Collection of the University of Göttingen.

Te Herekiekie Herewini is the Head of Repatriation at the Museum for New Zealand Te Papa Tongarewa. He is one of the fellows involved in the project. In the following interview, he talks about the research he is doing in Göttingen, his connection with the human remains from Maori und Moriori communities in New Zealand and his country’s history of repatriation.

The audio includes a chant performed by Te Herekiekie Herewini to honour his ancestors whose human remains are currently still part of the Blumenbach collection in Göttingen.

Interview with Fellow Te Herekiekie Herewini
Te Herekiekie Herewini giving a Lecture at the University in Göttingen
Credits: Sofia Leikam
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Ausstellung Baustelle Forum Wissen Hinter den Kulissen

Jahresrückblick Forum Wissen – immer in Bewegung

Prolog-Raum am Eröffnungswochenende

Nichts bleibt, wie es ist. Alles verändert sich. So lässt sich beschreiben, was sich in den vergangenen zwölf Monaten im neu eröffneten Forum Wissen abgespielt hat: Im Januar war hier noch weitgehend Baustelle.

Eingangsportal im Januar 2022

Dennoch begann das Team schon in dieser Zeit mit dem Aufbau der Basisausstellung „Räume des Wissens“. Ab März zogen die ersten Exponate in die Vitrinen ein. Pünktlich zur feierlichen Einweihung am 31. Mai waren dann auch die Ausstellungsgrafiken fertiggestellt und die rund 1.300 Objekte eingeleuchtet. An diesem Tag erkundeten 500 geladene Gäste aus Politik, Wissenschaft und Kultur die „Räume des Wissens“, unter ihnen Ministerpräsident Stephan Weil. Am langen Pfingstwochenende standen die Türen erstmals für die Allgemeinheit offen – 3.200 Menschen füllten das Forum Wissen an diesen drei Tagen endlich mit Leben.

Offizielle Einweihung mit geladenen Gästen

Die Resonanz der Besucher*innen ist auch weiterhin groß. Seit der Eröffnung haben fast 33.000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene ihren Weg ins Forum Wissen gefunden. Die allermeisten von ihnen sind auf eigene Faust gekommen, nicht im Rahmen organisierter Führungen. Doch auch das Team der Kommunikator*innen, das sich aus knapp 20 Studierenden unterschiedlicher Fachrichtungen und Nationalitäten zusammensetzt, hat gut zu tun: Insgesamt führten sie bislang 377 Gruppen durch das Forum Wissen, die meisten von ihnen Erwachsene, darunter viele auf Betriebsausflug, aber auch zahlreiche Studierende und Schulklassen.

Blick in den Raum “Schreibtisch”

Die Rückmeldungen der Schüler*innen sind positiv: Zum Beispiel kommentiert Lisa von der Montessori-Schule im Besucherbuch „Ich freue mich, dass man hier Schönes und Nützliches verbinden kann: Wissen und Spaß“. Tatsächlich lädt der Raum Schreibtisch mit dem überdimensionalen Laptop Menschen jeden Alters zum Herumhüpfen auf der Tastatur ein. Die digitalen Angebote wie die Forum Wissen App und die Medientische werden gut angenommen, gerade von älteren Besucher*innen. Auch das Mini-Mathematikum erfreut sich großer Beliebtheit. Hier sind Kinder zwischen 3 und 9 Jahren eingeladen, Zahlen, Formen und Muster spielerisch zu entdecken.

Die Stationen im Mini Mathematikum werden regelmäßig durch neue Knobeleien ausgetauscht.

Das Forum Wissen steht allen offen. Das Team Bildung und Vermittlung arbeitet ständig daran, Angebote für die unterschiedlichsten Zielgruppen zu schaffen, um möglichst viele Menschen zu erreichen: So sind die Ausstellungstexte in deutscher und englischer Sprache sowie in weiten Teilen in Gebärdensprache und Leichter Sprache verfügbar. Das Forum Wissen bietet auch Führungen auf Deutsch, Englisch, Französisch und in weiteren Sprachen an. Demnächst ist auch der Katalog zur Basisausstellung “Räume des Wissens” in englischer Sprache erhältlich – sowohl in unserem Shop, als auch beim Wallstein Verlag.

Hands on-Station im Raum “Werkstatt”

Wir arbeiten auch daran, unser barrierefreies Angebot stetig auszubauen. Alle Gebäudeteile sind schwellenfrei und über Fahrstühle zugänglich. In den Ausstellungen laden verschiedene Hands-on-Stationen zum Tasten, Sehen, Hören und Riechen ein. Einige Stationen sind auch mit Rollstühlen unterfahrbar. Für Menschen mit Demenz wurde gerade ein spezielles Angebot entwickelt.

Schon im April 2022 hatte das Forum Wissen das Museumsgütesiegel 2022 bis 2028 des Museumsverbandes für Niedersachsen und Bremen erhalten. Das Konzept sei „beispielhaft vorbereitet“, heißt es in der Begründung der Jury. Besonders beeindruckend seien der wissenschaftskritische Ansatz und die Räume zur Selbstreflexion.

Unerwartete Nachbarschaften – Objekte im neu eröffneten Sammlungsschaufenster

Allein von Juni bis Dezember konnten Besucher*innen fünf Sonderausstellungen zu verschiedenen gesellschaftsrelevanten Themen besuchen. Und vor ein paar Tagen erst wurde das Sammlungsschaufenster im Atrium des Forum Wissen eröffnet. Es handelt sich um einen gläsernen Kubus mit 164 einzelnen Vitrinen, die mit Objekten aus den verschiedenen Sammlungen der Universität bestückt sind. Auf diese Weise werden hier die an den Fakultäten und Instituten angesiedelten Sammlungen exemplarisch an einem Ort zusammengeführt. Dabei trifft Gewöhnliches auf Seltenes, unerwartete Querverbindungen ermöglichen überraschende Assoziationen.

Café und Shop im Atrium haben sich dank des lichten Ambientes zu einem Raum entwickelt, in dem sich unsere Besucher*innen gerne aufhalten. Dort wird ab dem Frühjahr 2023 sogar „Whale Watching“ möglich sein, wenn das 15 Meter lange Pottwalskelett über den Köpfen der Besucher*innen schwebt.

Visualisierung des Pottwalskeletts im Atrium

Im nächsten Jahr freuen wir uns nicht nur auf den Einzug des Wals, sondern auch auf neue Sonderausstellungen, darunter „Voices“ über Sprachforschung an Kriegsgefangenen während des Ersten Weltkriegs mit einem Theaterstück, das das BoatPeopleProjekt eigens zum Thema konzipiert hat, und auf die Zusammenarbeit mit unseren Projektpartner*innen. Vor allem aber freuen wir uns auf die Begegnungen mit unseren Besucher*innen, mit denen, die zum ersten Mal hier sind und mit denen, die ein zweites oder drittes Mal kommen. Schließlich gibt es immer wieder Neues zu entdecken. Denn: Nichts bleibt, wie es ist.

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Forum Wissen

„Viel mehr als nur Texte und Gedichte“ – Workshop mit dem Sprachkünstler Bas Böttcher

Collage, die im Rahmen des Workshops entstanden ist

„Wir hatten gedacht, wir würden nur mit Texten und Gedichten arbeiten, dabei haben wir viel mehr gemacht!“, sagt Sarah, die zusammen vor kurzem mit ihrer Freundin Juna an „ Vom Tagtraum zum Traumtag“ teilgenommen hat. Der Workshop mit dem Schriftsteller und Slam Poeten Bas Böttcher wurde gemeinsam vom Forum Wissen in Kooperation mit dem Literarischem Zentrum Göttingen organisiert.

Die Formen, die die beiden Sechstklässlerinnen zusammen mit Samreen, Nuri, Zarak und den anderen Jugendlichen ausprobiert haben, waren vielfältig. Workshop-Leiter Bas Böttcher fasst den Begriff Sprache sehr weit: Beim Beatboxen haben die Teilnehmer*innen ihre Stimme als Percussion-Instrument eingesetzt, Songtexte verfasst und mit Unterstützung der Theaterpädagogin Karo Löwenstein Schauspieltechniken ausprobiert, um Gefühle ohne Worte auszudrücken. Außerdem haben Sarah und Juna lustige Memes zu Objekten aus dem Forum Wissen produziert.

„Mir hat sehr gefallen, dass wir im Vergleich zu dem, was man in der Schule macht, weit über den Tellerrand hinausschauen konnten“, sagt Sarah. Zuerst habe sie sich nicht getraut, das Beatboxen auszuprobieren. Gereizt habe es sie aber schon. Sie wartete also, bis alle weg waren und hat es dann einfach ausprobiert – an den folgenden Tagen dann sogar vor den anderen.

Bas Böttcher freut sich jedes Mal, wenn die Jugendlichen im Lauf des Workshops ein wenig aus sich rauskommen und sich auch mal was trauen. Er selbst lernt auch immer wieder von ihnen, sagt er – zum Beispiel den „Cup Song“, bei dem man mit Bechern einen Beat erzeugt.

Zum Abschluss fand auf Wunsch der Jugendlichen ein Comic-Workshop statt. Die Comic-Sprache ist wie die Comics selbst reduziert, aber ausdrucksstark. „Boom!“ „Krach!“ „Wumms!“ Die Jugendlichen hatten auch dabei viel Spaß.

Am letzten Tag waren Sarah und Juna fast schon traurig, dass der Workshop vorbei war. „Wir haben wirklich Neues gelernt, es war nicht einfach nur reine Beschäftigung“, sagt Sarah. „An manchen Tagen sind wir sogar länger geblieben und haben freiwillig Überstunden gemacht“, ergänzt Juna.

Bestimmt wird es im nächsten Jahr wieder Gelegenheit im Forum Wissen geben, mit Bas Böttcher Sprachkunst in vielfältiger Form zu produzieren. Unterstützt wurde die Kooperation im Rahmen des BMBF-geförderten Programms “Kultur macht stark” des Forum Wissen mit dem Literarischen Zentrum durch den Friedich-Bödecker-Kreis und durch den Evangelischen Verein für Dialog und Bildung e.V.