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Sammlung Sammlungsschaufenster

Auf Spurensuche: die Anthropologische Sammlung

Den Knochenfunden ein Stück Identität zurückgeben

Anthropolog*innen sind angewiesen auf Originale, sie arbeiten mit echten menschlichen Überresten. Doch woher stammen diese? Und was untersuchen Anthropolog*innen?

Exponate der anthropologischen Sammlung der Universität Göttingen sind Teil des Sammlungsschaufensters. Fotos: Martin Liebetruth

“Wir haben keine museale Sammlung wie beispielsweise die Kunstsammlung der Universität Göttingen. Unsere Sammlung ist sehr flexibel, wir bekommen immer wieder neue Knochen und Skelette, welche Studierende überwiegend im Rahmen von Abschlussarbeiten untersuchen”, erklärt Dr. Birgit Großkopf. Sie betreut die anthropologische Sammlung der Universität Göttingen und ist unter anderem Expertin, wenn es um Skelettfunde geht. Frau Großkopf ist Mitarbeiterin der Abteilung Prähistorische Anthropologie und Humanökologie am Johann Friedrich Blumenbach-Institut für Zoologie und Anthropologie der Universität Göttingen.

Die Bestände der Sammlung kommen größtenteils aus archäologischen Grabungen aus ganz Deutschland. Teilweise werden die Knochen nach ihrer wissenschaftlichen Untersuchung wieder bestattet oder sie werden ein Teil der Lehrsammlung und für die Ausbildung und Forschung genutzt. An welchen Krankheiten hat die Person gelitten, wie alt ist sie geworden? Unter welchen Umständen hat sie gelebt? Das erforschen Anthropolog*innen in enger Zusammenarbeit Archäolog*innen. So können sie den menschlichen Überresten ein Stück Identität zurückgeben. Diese verschwinden nicht einfach mit den Baggerschaufeln …das ist Birgit Großkopf wichtig.

Wie forschen Anthropolog*innen?

Die menschlichen Überreste, die im Sammlungsschaufenster im Forum Wissen gezeigt werden, kommen nicht aus kolonialen Kontexten und haben nach den Erkenntnissen der Göttinger Forscher*innen keine ethisch bedenkliche Herkunft. Sie stehen exemplarisch für die Sammlung und die Arbeit der Göttinger Anthropolog*innen und denen, die es werden wollen. Zwei menschliche Oberschenkel-Knochen aus der Sammlung der Göttinger Anthropologie sind im Sammlungsschaufenster ausgestellt. Auf den ersten Blick vielleicht für manche etwas gruselig… Auf den zweiten Blick und mit Frau Großkopfs Erläuterungen, geben die Exponate interessante Einblicke in die Forschung der Anthropolog*innen.

Was Knochen für Geschichten über das Leben erzählen…

Der Oberschenkel-Knochen zum Beispiel stammt ursprünglich aus der pathologischen Sammlung der Universität Göttingen. Hier wurden Knochen für die medizinische Ausbildung gesammelt. Diese Sammlung wurde Anfang des 20.Jahrhunderts angelegt und von der Göttinger Anthropologie vor über 30 Jahren von der Medizin übernommen. Woher genau dieser große Knochen stammt, ist nicht mehr nachvollziehbar, denn die Unterlagen wurden im Krieg vernichtet. Der Knochen selbst aber ermöglicht es, pathologische Veränderungen am Original zu erforschen. Er weist Veränderungen auf, die Birgit Bgroßkopf auf den chronischen Verlauf einer Osteomyelitis zurückführt. Solche bakteriellen Entzündungen des Knochenmarks sind wieder auf dem Vormarsch, ausgelöst beispielsweise durch Antibiotika resistente Bakterien, die auch zu einer Sepsis führen können.

Der andere Oberschenkelknochen – in der unteren Vitrine des Schauregals – stammt aus einer Wolfenbütteler Gruft. Er zeigt deutliche Spuren der Zersetzung. Ein niedriger pH-Wert und Feuchtigkeit beschleunigen den Prozess. Der Knochen zersetzt sich immer weiter und über die Jahre könnte man hier auch mit den bloßen Augen minimale Veränderungen beobachten – für die Anthropologin ist das etwas ganz Normales.

Ein menschlicher Oberschenkelknochen ist im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen ausgestellt.

Fragen nach dem Alter

Der Unterkiefer eines Kindes, der im Forum Wissen im Sammlungsschaufenster zu betrachten ist, steht beispielhaft für Forschungsfragen zur Bestimmung des Sterbealters. Bei Kindern werden während des Wachstums die Milchzähne durch die Dauerzähne ersetzt. Zahnausfall im Alter führt hingegen zur Rückbildung des Kiefers. Der Knochen baut sich ab, wenn die Zähne fehlen und beim Kauen kein größerer Druck mehr auf den Kieferknochen wirkt. So haben die Anthopolog*innen herausgefunden, dass es in der Steinzeit vereinzelt Menschen gab, die trotz vieler Gefahren über 70 Jahre alt wurden.

Kein Skelett gleich dem anderen!

Wie lange ein Skelett schon im Boden gelegen hat, ist schwer zu bestimmen. Normalerweise vergehen Knochen im Boden recht schnell. Doch bei kalkhaltigen Böden können sich Knochen auch über tausende Jahre erhalten. Hier gibt es keinen Standard, an dem man schnell und einfach das Alter der Knochen festmachen kann. Viele Fragestellungen sind vergleichbar mit der Arbeit von Kriminologen. Da kann es schon einmal vorkommen, dass Frau Großkopf bei Skelettfunden von der Polizei um Hilfe gefragt wird. Hier sind Anthropolog*innen Profis.

Und: Kein Mensch sieht gleich aus! Auch kein Skelett gleicht dem anderen – diese Vielfalt möchte Frau Großkopf an die Studierenden vermitteln.

Die anthropologische Sammlung der Universität Göttingen

Mehr über die Sammlung könnt ihr direkt auf der Institutsseite erfahren. Ansprechpartnerin für alle Fragen, welche die Sammlung betreffen, ist Dr. Birgit Grosskopf.
PS: Aktuell könnt ihr die Ausstellung „Unter uns. Archäologie in Göttingen“ im Städtischen Museum Göttingen besuchen. Die Ausstellung ist eine Kooperation zwischen der Stadtarchäologie und der Abteilung Historische Anthropologie und Humanökologie des Johann-Friedrich-Blumenbach-Instituts für Zoologie und Anthropologie der Universität Göttingen. Ein Besuch lohnt sich!

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Ausstellung Forum Wissen Hinter den Kulissen

„Forum Handeln“ – konstruktiver Klimaprotest im Forum Wissen

“Forum Handeln” – eine Intervention von Endfossil:Occupy! Göttingen | © Martin Liebetruth

Am vergangenen Wochenende haben Klimaaktivist*innen von „EndFossil:Occupy! Göttingen“ das Forum Wissen gekapert. Die „Räume des Wissens“ verwandelten sie durch eine eigens konzipierte Ausstellung in „Räume des Handelns“. Sie gingen der Frage nach, wie mit Blick auf die gegenwärtige Klimakrise Wissen in konkretes Handeln umgesetzt werden kann. Da sich schnell zeigte, dass die Aktion verantwortungsvoll ablief, ließ das Forum Wissen die Aktivist*innen gewähren und unterstützte die Aktion.

Von Freitagmittag bis Sonntagabend war das Forum Wissen von den Klimaktivist*innen gekaptert | © Martin Liebetruth

„Am Freitag um 13:58 Uhr kam eine Mail, in der das Vorhaben angekündigt wurde“, sagt die Leiterin des Wissensmuseums Sandra Potsch, die zu dem Zeitpunkt zufällig vor Ort war. Nur zwei Minuten später trafen dann auch schon 35 Aktivist*innen im Forum Wissen ein. Ein Kommunikationsteam von EndFossil informierte die Leitung des Hauses, dass die Aktion friedlich verlaufen werde und keinerlei zerstörerische Handlungen geplant seien. In Windeseile bauten die jungen Leute von der Klimaprotestbewegung die Ausstellung auf, die aus Stellwänden, Plakaten, Infotafeln und Objekten bestand. Inhaltlich ging es um konkrete Auswege aus der Klimakrise wie etwa fahrradfreundlichere Städte, aber auch um die Frage, welchen Beitrag jede*r einzelne von uns leisten kann und wie man es schafft, seine eigene Komfortzone zu verlassen und ins Handeln kommt.

Intervention Forum Handeln im Salon | © Martin Liebetruth

„Wir fühlten uns zunächst schon überrumpelt“, so Museumsleiterin Sandra Potsch, „stellten dann aber rasch fest, dass die Aktivistinnen und Aktivisten sehr verantwortungsvoll mit unseren Objekten umgegangen sind.“ Auch die Kommunikation mit dem Museumsteam und den Besucher*innen sei sehr respektvoll verlaufen. Es wurden auch Führungen und Workshops für die Besucher*innen angeboten, in denen u. a. Demo-Schilder gebastelt wurden.

Intervention Forum Handeln | © Martin Liebetruth

Es ist wohl das erste Mal, dass eine aktivistische Gruppe hierzulande auf eine solch friedvolle Weise ein Museum gekapert hat. In der Vergangenheit wurden z. B. Bilder durch Ketchup oder Kartoffelbrei beschädigt. Auch der wissenschaftliche Leiter des Forum Wissen Christoph Bleidorn ist beeindruckt von der Professionalität der Aktion. Im Nachgespräch mit den Aktivist*innen sagt er über die Haltung des Hauses, „ein Museum sollte dynamisch sein.“ Gleichzeitig wies er auf das geplante Biodiversitätsmuseum hin, in dessen Ausstellung die Klimakrise thematisiert werde. Allerdings wird es bis zur Eröffnung noch eine ganze Zeit dauern.

Der Klimawandel schreitet rasant voran | © Martin Liebetruth

„Zeit, die wir nicht haben, die Klimakrise wartet nicht“, entgegnet die Aktivistin Judith Stier. Sie und ihr Team wollten mit der Aktion auf eines der drängendsten Themen unserer Zeit aufmerksam machen. „Da schien uns das Forum Wissen als Ort mit seiner großen Reichweite und seinem Bildungsauftrag genau der richtige Ort zu sein.“ Ihr Ziel ist es, etwas in den Köpfen der Menschen zu verändern, sie zu informieren und dann auch zum Handeln zu bringen, um die Klimakrise aufzuhalten. Aktivist*innen und Museumsteam wollen weiterhin in Kontakt bleiben, um gemeinsam zu überlegen, was das Forum Wissen tun kann, um das Thema Klimakrise stärker als bisher in die Öffentlichkeit zu tragen.

Auch das Treppenhaus wird zur Ausstellungsfläche | © Martin Liebetruth

Unter dem Strich sind Judith Stier und ihr Kollege Jonathan Groß sehr zufrieden mit der Aktion: 1.500 Besucher*innen haben am Wochenende die spontane Ausstellung besucht, viele von ihnen Menschen über 40, die nicht zur Generation der Millennials gehören. Zahlreiche Besucher*innen waren überrascht, etliche zunächst auch durchaus skeptisch. Doch es gab viele Gespräche zwischen Besucher*innen, Aktivist*innen und dem Museumsteam. Die Rückmeldungen waren durchweg positiv. Zum einen, was die Inhalte, zum anderen was die friedliche Form des Protests betrifft.

Der Raum Werkstatt wird zum Raum der Utopien | © Martin Liebetruth

Äußerst frustrierend ist aus Sicht der Aktivist*innen allerdings, dass die Medien kaum berichtet haben. Tatsächlich waren auf ihre Initiative zwei Fernsehteams vor Ort. Als diese jedoch feststellten, dass die Aktion komplett friedlich verlief, zogen sie unverrichteter Dinge ab. „Es ist frustrierend“, sagt Jonathan Groß, „dass wir mit dieser sehr aufwendig vorbereiteten Ausstellung für die Medien nicht interessant sind. Wenn wir Kartoffelbrei geworfen hätten, hätten wir die gewünschte Reichweite bekommen.“ Das ist eine bittere Erkenntnis für das Team von „EndFossil“, das sich ein halbes Jahr lang intensiv auf die Ausstellung vorbereitet hatte. Die Redaktionen müssen sich fragen, ob ihr Verhalten nicht auch zu einer Radikalisierung der Protestbewegungen beiträgt.

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Forum Wissen Sammlung

Das Verborgene sichtbar machen

Wie sieht eigentlich das Herz eines menschlichen Embryos aus? In unserem Sammlungsschaufenster könnt ihr es sehen. Denn hier ist ein zerlegbares Modell eines sechs Wochen alten Embryos ausgestellt. Der ist zu diesem Zeitpunkt ungefähr sechs Millimeter groß. Mit bloßem Auge also kaum zu sehen, zumal im Mutterleib. Jörg Männer versteht sich daher als jemand, der das normalerweise Verborgene sichtbar macht – mit den Objekten aus seiner, der Humanembryologischen Sammlung Blechschmidt.

PD Dr. Jörg Männer mit dem zerlegbaren Modell eines menschlichen, embryonalen Herzens.

Wie das Blut fließt

„Bereits in der vierten Woche nach der Befruchtung beginnt das menschliche Herz Blut zu pumpen,“ erklärt der Kustos. Zu diesem Zeitpunkt ist es lediglich ein schlauchförmiges Gebilde, dessen Pumpaktion an die des Darmes erinnert. Während der folgenden drei Entwicklungswochen aber wird der embryonale Herzschlauch in ein vierkammeriges Herz umgebaut. Nun ähnelt es dem eines Erwachsenen. Welchen Weg das Blut innerhalb des Herzens nimmt, zeigen die farbigen Ausgüsse. Sie stehen für verschiedene Hohlräume im Herzen – eines Erwachsenen und eines Fetus (so wird der Embryo nach der achten Entwicklungswoche genannt). Grün heißt: Hier fließt sauerstoffarmes Blut. Gelb zeigt die Bahn für das Blut an, das reich an Sauerstoff ist.

Ausgüsse der Hohlräume im Herzen von Fetus (links) und Erwachsenem (rechts).

Auf den ersten Blick scheint das Herz eines Fetus genauso zu funktionieren wie das nach der Geburt. Schaut man aber genauer hin, sind die Unterschiede zu erkennen: Die linke und die rechte Hauptkammer des fetalen Herzens arbeiten parallel. Das heißt, beide pumpen ihr Blut in den Körperkreislauf. Nur ein sehr kleiner Anteil fließt durch den Lungenkreislauf. Das hängt mit der vorgeburtlichen Atmung zusammen, die jetzt noch über die Plazenta läuft. Nach der Geburt hingegen arbeiten die beiden Hauptkammern seriell: Die rechte pumpt das sauerstoffarme Blut in den Lungenkreislauf und die linke pumpt es von dort – nachdem es sich wieder mit Sauerstoff angereichert hat – zurück in den Körperkreislauf.

Blick in den Sammlungsraum. Foto: Michael Markert

Repliken sind öffentlich ausgestellt

So kann es der Kustos auch im Seminar erklären. „Die Objekte erleichtern es den Studierenden, die vorgeburtliche Entwicklung des Menschen zu verstehen“, so Männer. Denn gerade das Herz-Kreislauf-System erfährt mit der Geburt und dem Verlust der Plazenta einen grundlegenden Umbau. Das nachzuvollziehen, ist nun im Forum Wissen möglich. Wer darüber hinaus mehr über die Sammlung und ihre Geschichte erfahren möchte, liest am besten hier weiter. Und wer sich für 3D-Repliken von Embryos interessiert, der kann die einzigartigen, überlebensgroßen Objekte im Institut für Anatomie und Embryologie besichtigen.