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Das Verborgene sichtbar machen

Wie sieht eigentlich das Herz eines menschlichen Embryos aus? In unserem Sammlungsschaufenster könnt ihr es sehen. Denn hier ist ein zerlegbares Modell eines sechs Wochen alten Embryos ausgestellt. Der ist zu diesem Zeitpunkt ungefähr sechs Millimeter groß. Mit bloßem Auge also kaum zu sehen, zumal im Mutterleib. Jörg Männer versteht sich daher als jemand, der das normalerweise Verborgene sichtbar macht – mit den Objekten aus seiner, der Humanembryologischen Sammlung Blechschmidt.

PD Dr. Jörg Männer mit dem zerlegbaren Modell eines menschlichen, embryonalen Herzens.

Wie das Blut fließt

„Bereits in der vierten Woche nach der Befruchtung beginnt das menschliche Herz Blut zu pumpen,“ erklärt der Kustos. Zu diesem Zeitpunkt ist es lediglich ein schlauchförmiges Gebilde, dessen Pumpaktion an die des Darmes erinnert. Während der folgenden drei Entwicklungswochen aber wird der embryonale Herzschlauch in ein vierkammeriges Herz umgebaut. Nun ähnelt es dem eines Erwachsenen. Welchen Weg das Blut innerhalb des Herzens nimmt, zeigen die farbigen Ausgüsse. Sie stehen für verschiedene Hohlräume im Herzen – eines Erwachsenen und eines Fetus (so wird der Embryo nach der achten Entwicklungswoche genannt). Grün heißt: Hier fließt sauerstoffarmes Blut. Gelb zeigt die Bahn für das Blut an, das reich an Sauerstoff ist.

Ausgüsse der Hohlräume im Herzen von Fetus (links) und Erwachsenem (rechts).

Auf den ersten Blick scheint das Herz eines Fetus genauso zu funktionieren wie das nach der Geburt. Schaut man aber genauer hin, sind die Unterschiede zu erkennen: Die linke und die rechte Hauptkammer des fetalen Herzens arbeiten parallel. Das heißt, beide pumpen ihr Blut in den Körperkreislauf. Nur ein sehr kleiner Anteil fließt durch den Lungenkreislauf. Das hängt mit der vorgeburtlichen Atmung zusammen, die jetzt noch über die Plazenta läuft. Nach der Geburt hingegen arbeiten die beiden Hauptkammern seriell: Die rechte pumpt das sauerstoffarme Blut in den Lungenkreislauf und die linke pumpt es von dort – nachdem es sich wieder mit Sauerstoff angereichert hat – zurück in den Körperkreislauf.

Blick in den Sammlungsraum. Foto: Michael Markert

Repliken sind öffentlich ausgestellt

So kann es der Kustos auch im Seminar erklären. „Die Objekte erleichtern es den Studierenden, die vorgeburtliche Entwicklung des Menschen zu verstehen“, so Männer. Denn gerade das Herz-Kreislauf-System erfährt mit der Geburt und dem Verlust der Plazenta einen grundlegenden Umbau. Das nachzuvollziehen, ist nun im Forum Wissen möglich. Wer darüber hinaus mehr über die Sammlung und ihre Geschichte erfahren möchte, liest am besten hier weiter. Und wer sich für 3D-Repliken von Embryos interessiert, der kann die einzigartigen, überlebensgroßen Objekte im Institut für Anatomie und Embryologie besichtigen.

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Erich Blechschmidt. Abbilder

“Ein menschlicher Embryo hat so viel Anmut, dass der Unvoreingenommene ihn staunend bewundern muss.” Erich Blechschmidt im Vorwort zu „Vom Ei zum Embryo“, 1968

His-Ziegler-Modelle, Embryo A aus der Modellserie “Anatomie menschlicher Embryonen”, Anatomisches Institut, Göttingen, 1880/85. Foto: Hans-Georg Sydow.

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Restaurierung im Embryonalstadium

Restaurierungsprofis bringt man gemeinhin mit der akribischen Arbeit an beschädigten Kulturgütern wie Gemälden in Verbindung. Aber auch in einem anatomischen Institut können sich Objekte verstecken, die für Restauratorinnen und Restauratoren von großem Interesse sind. Einige befinden sich mit der „Humanembryologische Dokumentationssammlung Blechschmidt“ in der Göttinger Anatomie. Es handelt sich um weltweit einmalige, großformatige Kunststoffmodelle der Anatomie ganzer Embryonen und damit aus den ersten beiden Entwicklungsmonaten.

Kunststoffmodell aus der Sammlung Blechschmidt, ca. 90 cm hoch (Foto: Michael Markert).
Kunststoffmodell aus der Sammlung Blechschmidt, ca. 90 cm hoch (Foto: Michael Markert).

Aus Plastik, aber kein Wegwerf-Artikel

Die über 60 beeindruckenden Modelle wurden in monatelanger Handarbeit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Instituts während der 1950er und 1960er Jahre gebaut. Dabei kam ein nur in Göttingen angewandtes Modellierungsverfahren auf Basis der ersten kommerziell erhältlichen Kunststoffe zum Einsatz. Die Modelle sollen noch lange Zeit für Lehre und Vermittlung zur Verfügung stehen, aber es gibt bisher kaum Erfahrungen mit Kunststoffobjekten so hohen Alters. Daher erschien mir, der ich die Geschichte der Sammlung untersuche, ein kleines Forschungsprojekt innerhalb der Restaurierungswissenschaften dazu sinnvoll.

Glücklicherweise ergibt die Kombination aus altem Kunststoff, einer Armierung aus Metalldrähten und der aufwändigen Bemalung einen ganz besonderen Materialmix. Der ist nicht nur für Medizinstudierende, sondern auch angehende Restauratorinnen und Restauratoren ausgesprochen spannend. Die Werkstattleiterin Mag. Ute Lorenz von der Fachrichtung Konservierung und Restaurierung der FH Erfurt war deshalb sofort interessiert, als ich von den Modellen erzählte. Ich habe zuvor schon mit ihr und der Fachrichtung zusammengearbeitet und dies immer als sehr befruchtend empfunden.

Was ist so toll am Modell?

Nun wird sich voraussichtlich ab Juli 2018 Till Krieg im Rahmen seiner Masterarbeit an der FH Erfurt für einige Monate intensiv damit beschäftigen. Er besuchte wie auch die Studiengangsleiterin Prof. Dr. Britta Schmutzler, verantwortlich für archäologisches Kulturgut und kunsthandwerkliche Objekte, und Ute Lorenz vor einigen Monaten für einen ersten Einblick die Sammlung. Neben einer Materialanalyse wird bei dem Projekt Kriegs die Frage der Bestandssicherung im Vordergrund stehen. Britta Schmutzler erklärte mir, dass für die Erfurter Studierenden die Beschäftigung mit universitären Sammlungen eine hervorragende Vorbereitung auf die spätere berufliche Tätigkeit ist. Bezogen auf das Material sei der Unterschied zwischen wissenschaftlichen Objekten wie diesen Modellen und modernen Kunstwerken nicht so groß wie man denkt. Für Ute Lorenz bieten Universitäten und ihre Sammlungen Objekte, die immer eine besondere Herausforderung für die Studierenden darstellen. Schon bei unserer kurzen Begehung hat die Gruppe aus Erfurt noch ein Thema für eine Bachelorarbeit in Nebenraum der anatomischen Lehrsammlung entdeckt.

Der angehende Restaurator Till Krieg bei der Begutachtung der Modelle (Foto: Michael Markert).

Till Krieg ist von seinem zukünftigen Projekt begeistert. Für ihn ist die Arbeit an diesen komplexen Materialgefügen der Modelle eine tolle Herausforderung. Er freut sich darauf neue spannende Erkenntnisse zu sammeln, um eine Erhaltung und Nutzung der einzigartigen Stücke weiterhin gewährleisten zu können.

Die Zukunft der Wissensobjekte

Aus meiner Perspektive als Sammlungsforscher ist das Projekt ein gutes Beispiel für den interdisziplinären Austausch über Sammlungen und ihre Objekte, wie er die Arbeit im Forum Wissen prägen wird. Vermutlich werden die embryologischen Modelle aufgrund ihrer Dimensionen nicht in die dortige Dauerausstellung passen. Aber alle öffentlichen und teilöffentlichen Sammlungen der Universität Göttingen profitieren von der Aufmerksamkeit, die das Forum Wissen auf sie lenken wird. Die Begutachtung und Bestandssicherung einer Sammlung wie dieser im Untergeschoss der Anatomie ist eine zentrale Voraussetzung dafür, die einmaligen Objekte auch in Zukunft der Öffentlichkeit zugänglich machen zu können.

Sammlungsselfie: Michael Markert im Ausstellungsraum (Foto: Michael Markert).
Sammlungsselfie: Michael Markert im Ausstellungsraum (Foto: Michael Markert).