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Ausstellung Forum Wissen Hinter den Kulissen

Wer sucht, der findet: vom Pitch zum Partner

Das Feinkonzept für die 13 Räume des Wissens steht! Die konzeptionelle Arbeit ist damit abgeschlossen. Nun geht das kuratorische Team daran, die Ideen für die Basisausstellung des Forum Wissen umzusetzen. Ich bin seit Juni 2018 dabei: Michael Fürst, Referent für Ausstellen an der Zentralen Kustodie, Wahlberliner und gebürtiger Göttinger! Daher fasziniert mich das Forum Wissen als neue kulturelle Attraktion der Stadt ganz besonders.

Das bin ich, in der Mitte – im Gespräch mit Britta Nagel und Tanja Zöllner vom Atelier Brückner.

Noch eine Auswahl – noch mehr Expertise

Als ich in die Arbeit an der Ausstellung im zukünftigen Forum Wissen einstieg, lief das Auswahlverfahren für die Gestaltung der Basisausstellung bereits auf Hochtouren. Dabei handelt es sich um einen wichtigen Schritt für die weitere Arbeit an der Ausstellung. Die Gestalterinnen und Gestalter setzen die Ideen des Feinkonzepts in Entwürfe für die Gestaltung der Räume um. Dies geschieht natürlich in enger Abstimmung mit dem kuratorischen Team. Der Austausch ist ausgesprochen wichtig, damit die konzeptionellen Ideen richtig verstanden und entsprechend in Raumbilder umgewandelt werden können. So sieht das Feinkonzept zum Beispiel Räume wie Labor, Feld oder Reise vor. Wer schafft an diesen Orten, unter welchen Bedingungen und zu welchem Zweck Wissen? Wie können wir die Forschung unter kontrollierten Bedingungen, auf einer Grabung oder während der Zugfahrt veranschaulichen? Welche Methoden wollen wir auf welche Weise in den einzelnen Ausstellungsräumen inszenieren? Das alles gilt es mit den Szenografinnen und Szenografen – wie die Gestalter auch genannt werden – zu besprechen.

So sieht es aus, wenn sich das kuratorische Team trifft.

Um den richtigen Partner für die „Räume des Wissens“ zu finden, haben wir die Aufgabe europaweit ausgeschrieben. Von den 16 Gestaltungsbüros, die sich bewarben, haben wir sechs zum Pitch eingeladen. Ein Pitch bedeutet, die Agenturen senden ein Team nach Göttingen, das den eingereichten Entwurf persönlich vor einem Gremium präsentiert. Solch ein Pitch hilft nicht nur, mehr über die Entwurfsidee zu erfahren und Fragen zu klären, sondern eignet sich hervorragend, um einen persönlichen Eindruck von den Menschen zu bekommen, mit denen man möglicherweise zusammenarbeiten wird. Dabei war uns wichtig, dass die Gestalter sich auf unsere Ideen einlassen, diese auf originelle Weise in die Gestaltung der „Räume des Wissens“ einbringen. Ihre Entwurfsskizzen sollten neugierig machen und natürlich auch bezahlbar sein. Wir erstellten eine Matrix, die alle Kriterien festlegt, und die wir veröffentlicht haben. Sie zeigt auch den Schlüssel, nach dem wir die Agenturen bewertet haben. Und damit alles mit rechten Dingen zugeht, gab es eine Vergabeanwältin, die die Vorgänge mit Adleraugen verfolgte.

Kaum vorstellbar: Das werden die Räume des Wissens! Unsere Szenografin Tanja Zöllner auf der Baustelle.

Auf diese Weise fiel unsere Wahl auf das Gestaltungsbüro Atelier Brückner aus Stuttgart. Die Agentur hatte einfach die originellsten Vorschläge, Inszenierungen, die das Wissen-Schaffen in den Ausstellungsräumen wirklich erfahrbar machen. Hinzu kam ihre langjährige, internationale Expertise in der Ausstellungsgestaltung. So hat das Atelier Brückner unter anderem die Dauerausstellung im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln, im Filmmuseum Frankfurt am Main und im Staatlichen Museum für Archäologie in Chemnitz gestaltet. Aktuell arbeitet es an der Realisierung des Grand Egyptian Museum in Gizeh. Wir freuen uns sehr, nun mit diesen Profis an unserer Seite das Ausstellungskonzept realisieren zu können.

Vom Suchen und Finden

Die größte Herausforderung, die jetzt vor uns liegt, ist es, bereits bis Ende des Jahres gemeinsam mit den Kustodinnen und Kustoden der Sammlungen erste Objekte festzulegen, die tatsächlich in der Ausstellung gezeigt werden sollen. Die Vielzahl der Göttinger Universitätssammlungen – immerhin über 70 – macht dieses Unterfangen zu einer spannenden Aufgabe. Damit diese gelingt, kommunizieren wir viel, sowohl mit den Sammlungen als auch mit dem Atelier Brücker. Wir organisieren Skype-Konferenzen und Workshops, um uns auf einen gemeinsamen Stand zu bringen.

Objekt, Farbe, Licht … alles soll zusammenpassen.

Gemeinsam mit dem kuratorischen Team suchen wir intensiv nach Objekten und ihren Geschichten: In den vergangenen Wochen haben wir zahlreiche Sammlungen besucht, Gespräche geführt, diskutiert und eine Liste unserer Entdeckungen angelegt. Denn Grundlage für die Gestaltung der Ausstellung sind nicht allein Raumideen, sondern auch Objekte, die dort gezeigt werden. Besucherinnen und Besucher sollen diese in einem faszinierenden Raumeindruck erfahren können. Aus diesem Grund sprechen wir uns thematisch und inhaltlich mit den Mitarbeiterinnen des Atelier Brückner ab. Das Büro plant die genaue Position der einzelnen Objekte und Texte und wird auch den Vorgang des Ausstellungsbaus begleiten. Jede Vitrine und Texttafel, jede Raumgrafik und Medienstation wird von den Gestalterinnen auf die Erfordernisse des einzelnen Raums abgestimmt. Am Ende soll jeder Raum ein Erscheinungsbild bekommen, das unsere Besucherinnen und Besucher überzeugt.

Lassen Sie sich überraschen: ab 2020 für alle, die mehr wissen wollen.

Und wenn Sie jetzt fragen, welche Objekte wir denn nun in der Ausstellung zeigen, dann bitte ich Sie noch um etwas Geduld. Das verrate ich Ihnen gern beim nächsten Mal.

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Ausstellung Forum Wissen Sammlung

Geheimnisse der Göttinger Sammlungen

Die Ausstellung „Präparierte Natur. Was wissenschaftliche Objekte verbergen“ ist eröffnet. Studierende der Kunstgeschichte und der Kulturanthropologie haben in einem interdisziplinären Seminar die Ausstellungspraxis von Museen und Sammlungen analysiert und hinterfragt. Mit den Ergebnissen haben sie nun eine eigene Ausstellung entwickelt, die einen Ausblick auf das Forum Wissen gibt. Wir waren bei der Ausstellungseröffnung dabei und sprachen mit den Ausstellungsmacherinnen über Irritationsmomente, Detektivarbeit und Kuriositäten in den Göttinger Sammlungen.

Die Ausstellungsmacherinnen Melina Wießler, Frauke Ahrens, Sonja Nökel, Wiebken Nagel, Jennifer Pötzsch mit ihrer Seminarleiterin Magarete Vöhringer (v.l.n.r.) eröffnen die Ausstellung (Foto: Julian Schima)

Studierende stellen aus

Der Ausstellungsraum ist gut gefüllt, als Margarete Vöhringer vom Kunstgeschichtlichen Seminar gemeinsam mit den Studierenden des Seminars “Materialität des Wissens“ die Schau eröffnet. Die Präsentation ist in fünf verschiedene Abschnitte unterteilt, die jeweils ein Sammlungsobjekt unter die Lupe nehmen. Die Objekte werden in einem ganz neuen ästhetischen Kontext präsentiert – eine Auseinandersetzung mit der gängigen Ausstellungspraxis. Selbstsicher und souverän referieren die Studentinnen über ihre Projekte.

Die Studierenden sind tatkräftig am Aufbau beteiligt (Foto: Wiebken Nagel)

Das Potwalskelett und ein Menschenschädel zu neuem Leben erweckt

Wiebken Nagel begleitete mit einer Kamera den Umzug des Walskeletts aus dem Zoologischen Museum. Auf diese Weise konnte sie neue Perspektiven festhalten, die man in der bisherigen Ausstellung des Wals nicht fand. Die Kulturanthropologiestudentin zeigt ihre Aufnahmen in einer Videoinstallation. Ganz nah führt sie die Betrachtenden an die Einzelteile. Details werden sichtbar, die in der Präsentation vorher verborgen geblieben waren: Schrauben, die das Skelett sonst zusammenhalten, erscheinen auf einmal im Blickfeld. So wird bewusst, dass die ausgestellte Natur vom Menschen konstruiert ist: Ein Haufen Knochen, der mühsam zusammengefügt und fixiert in der Ausstellung als heiles Skelett präsentiert wird.

 

Auch Jennifer Pötzsch befasst sich mit Knochenmaterial: Sie näherte sich einem Schädel aus der Blumbachschen Sammlung über eigene Zeichnungen an. Ihr Interesse gilt der Kulturgeschichte von Totenschädeln. Sie sind und waren Kultgegenstände, Kunstobjekte oder Forschungsobjekte in der modernen Wissenschaft. Heute können Forschende mit ihren Instrumenten und Methoden die Lebensgeschichte des verstorbenen Menschen hinter dem Schädel zu neuem Leben erwecken.

Die Gestaltung der Schauvitrine zum Objekt aus dem Göttinger Herbarium (Foto: Wiebken Nagel)

Science meets art

In einem Schaukasten liegt der Roman „Die Vermessung der Welt“ von Daniel Kehlmann neben getrockneten Pflanzen aus dem Göttinger Herbarium. Melina Wießler, Studentin der Kunstgeschichte und Literaturwissenschaften, verbindet in ihrer Anordnung gekonnt Dürer, Tucholsky und Kehlmanns Abenteuerroman mit einem 200 Jahre alten Herbarium – und reflektiert über das Beziehungsgeflecht zwischen Kunst und Wissenschaft. Hier verbinden sich die wissenschaftliche Sammel- und Dokumentationstätigkeiten mit kulturellen Erzeugnissen. Wießler interessiert sich dafür, wie Erzählungen und bildende Kunst das Bild der Forschung in der Öffentlichkeit prägen.

Der Kustos der Zoologischen Sammlung, Gert Tröster (links), bringt eigenhändig den Handschuh aus Muschelseide in die Ausstellung (Foto: Wiebken Nagel)

Natur und Kultur

Sonja Nökel ging der Objektbiographie eines Handschuhs aus Muschelseide nach, der aus der Zoologischen Sammlung stammt. Muschelseide stellte man seit der Antike aus dem Faserbart der Rauen Schinkenmuschel her, mit dem sich diese am Meeresboden festhält.  Die Kunstgeschichtsstudentin interessiert sich vor allem für das Zusammenspiel von Natur und Kultur, das durch den fertigen Handschuh verdeckt wird: Hinter der bloßen Ansicht des Materials verbergen sich gleichsam der natürliche Stoff und dessen aufwändige Beschaffung und Verarbeitung durch den Menschen. Diese sichtbar zu machen, gelingt nur mittels Recherche und Beschreibung in der Ausstellung des Objekts.

Materialität des Wissens

Vöhringer berät bei der Gestaltung der Sektionen (Foto: Wiebken Nagel)

Die Studierenden haben die Ergebnisse für ihre Ausstellung innerhalb des Seminars zu wissenschaftlichen Präparaten erarbeitet. „Im Mittelpunkt des ersten Semesters stand die Beschäftigung mit den Objekten sowie die Vermittlung theoretischer Kenntnisse zur Ausstellungs- und Sammlungspraxis“, sagt Vöhringer, Professorin für Materialität des Wissens. Zu ihrer interdisziplinären Professur gehört es, die Göttinger Sammlungen für Forschung und Lehre zu nutzen und zu untersuchen. Die Seminarteilnehmerinnen besuchten unter anderem die Zoologische Sammlung, die Blumenbachsche Schädelsammlung und das Herbarium. Sie begannen zu hinterfragen: Welche Objekte werden ausgestellt und warum? Wie werden sie präsentiert? Das führte zu Irritationsmomenten.

Nomen est omen?

Das Korallenskelett (Foto: Frauke Ahrens)

Frauke Ahrens, Studierende der Kulturanthropologie, richtete ihr Augenmerk auf die wissenschaftliche Namensbezeichnung ausgestellter Objekte. Sie fragte sich, warum es aus naturwissenschaftlicher Perspektive kein Interesse an der historischen Namensentstehung gibt. „Im Bewusstsein der Forschung ist nur der aktuelle Name des Objekts von Interesse“, sagt Ahrens. Die Studentin stellt ein Korallenskelett aus der Zoologischen Sammlung aus, für das in der Fachwelt gegenwärtig drei verschiedene Namen kursieren. „Die Beschriftung von Gegenständen in Museen suggeriert, dass ihre Namen feststehen“ erklärt die Kulturanthropologin. „Das verschweigt den Prozess und die Widersprüche in der Namensgebung.“ Mit ihren Recherchen zeigt die Studentin exemplarisch an der Namensgeschichte ihrer Koralle die Wandelbarkeit von Forschungsergebnissen auf.

Museale Perspektiven

Die Projektleiterin ist sichtlich stolz auf ihre Studentinnen: „Alle haben sich sehr intensiv im Seminar eingebracht.“ Die Erkenntnis darüber, dass die Präsentation von Wissen auch immer die Perspektive der Ausstellungsmacher widerspiegelt, ist eines der didaktischen Lehrziele, auf das Vöhringers Seminar ausgerichtet war. „In dem Seminar habe ich gelernt, Ausstellungen mit anderen Augen zu sehen“, sagt Wießler. „Mir wurde bewusst, dass ein Museum uns immer die eigene kulturell geprägte Perspektive aufdrückt.“

Wießler referiert über ihr Ausstellungsprojekt (Foto: Julian Schima)

Auf dem Weg zum Forum Wissen

Die erfolgreiche Ausstellung „Präparierte Natur“ gibt einen Ausblick auf Teile der Ausstellungspraxis des künftigen Forum Wissen: Studierende forschen an Objekten der Göttinger Sammlungen, können sich in der Ausstellungspraxis erproben und vermitteln die Entstehung des Wissens vom Beginn über Irrwege bis ans Forschungsziel – und auch das, so wissen die Studentinnen nun, ist nicht in Stein gemeißelt. Wer also wissen möchte, wie Ausstellungskonzepte im Forum Wissen aussehen können, sollte diese Ausstellung im Alten Auditorium, Raum 0.111, an der Weender Landstraße 2 nicht verpassen. Die Schau ist bis zum 30. März 2019 jeden 1. und 3. Sonntag des Monats von 11 bis 13 Uhr geöffnet.

 

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Ausstellung Sammlung

So sieht’s aus: Face the Fact

In der Kunstsammlung der Universität Göttingen versammelt sich Wissenschaftlichkeit aus über 275 Jahren: Die Ausstellung “Face the Fact. Wissenschaftlichkeit im Portrait” zeigt, wie sich Persönlichkeiten des Universitätsbetriebes durch die Zeiten inszeniert haben. Sie führt von prätentiösen Ölgemälden über einfache Silhouettenschnitte und Totenmasken bis hin zu Gelegenheitsfotografien. Studierende der Kunstgeschichte haben die Schau unter Leitung der Zentralen Kustodie und der Kunstsammlung konzipiert und praktisch umgesetzt. Sie wird am 26. September 2018 eröffnet. Unser Autor Julian Schima war bei den Aufbauarbeiten der Ausstellung dabei.

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Ausstellung Sammlung

Theater in der Gipsabgusssammlung

In der Schauspielperformance „Komm und sieh die Stadt der Freiheit!“ führt die historische Persönlichkeit Johann Joachim Winckelmann (1717–1768) durch die Sammlung der Gipsabgüsse antiker Skulpturen im Archäologischen Institut der Universität Göttingen. Nach der Premiere am 16. Juni wird das Stück am 24. Juni, 1. und 8. Juli 2018 jeweils um 16 Uhr zu sehen sein. Julian Schima war bei den Proben dabei und sprach mit dem Schauspielteam und dem Ausstellungsleiter darüber, warum man das Stück auf keinen Fall verpassen sollte.

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Ausstellung Sensible Objekte

Göttingen – eine Kolonialmetropole?

Was ist koloniales Wissen? Wie wurde es Anfang des 20. Jahrhunderts vermittelt? Welche Rolle spielte dabei die Uni Göttingen? Um das herauszubekommen, durchstöberten Studierende der Geschichtswissenschaft das Universitätsarchiv. Ihre aktuellen Forschungsergebnisse präsentieren sie nun in der Ausstellung „Göttingen – eine Kolonialmetropole?“ im Kulturwissenschaftlichen Zentrum am Heinrich-Düker-Weg 14. Wer sich für den Einfluss Göttingens in der Kolonialzeit interessiert, sollte sich also beeilen: Die Plakatpräsentation ist nur noch bis Sonnabend, 7. April 2018, zu sehen. Julian Schima war beim Aufbau dabei und hat mit Lehrenden und Studierenden gesprochen.

Seminarleiterinnen und Studierende beim Aufbau der Ausstellung

Einblicke in das Universitätsarchiv

Um einen Einblick in die Rolle und Position der Universität Göttingen zur Kolonialzeit zu erhalten, sichteten die Studierenden am Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte unter anderem Schriften aus dem Universitätsarchiv. Das Archiv ist eine nahezu vollständige Sammlung mit Verwaltungsschriften der Universität seit 1737. Die Archivalien sind von unschätzbarem Wert. Hier sind auch die Bestände des Kuratoriums, Rektorats und der verschiedenen Fakultäten archiviert. Jeder Interessierte hat Zugang zu den Materialien. Die Sammlung dient der Universitäts- und Wissenschaftsforschung als wichtige Quellengrundlage.

Die Studierenden werteten Dokumente aus dem Archiv aus, die vorher noch nicht untersucht wurden. Sie sahen zum Beispiel die Vorlesungsverzeichnisse der Universität von 1899 bis 1932 durch. Hierbei entdeckten sie, selbst zum Erstaunen der Seminarleiterinnen, dass nach 1900 quer durch alle Fakultäten Wissen vermittelt wurde, das auf kolonialen Zusammenhängen beruhte. Theologische, philosophische und sogar medizinische Lehrveranstaltungen gaben somit Wissen weiter, das die deutsche Kolonialherrschaft unterstützte. Der Einfluss der Universität – das belegen die Vorlesungsverzeichnisse der Archivsammlung – war also ungeahnt groß.

Seminare, die an der Universität Göttingen zwischen 1899 und 1832 angeboten wurden, gefunden in archivierten Vorlesungsverzeichnissen

„Ich hätte nicht gedacht, dass die Universität Göttingen zu Beginn des 20. Jahrhunderts so sehr zur Legitimation des Kolonialismus beigetragen hat“, ist Masterstudent Andreas Weis von den Ergebnissen der Recherchen überrascht. „Andererseits finde ich es spannend, dass damalige Studierende vereinzelt auch antikoloniale Kritik äußerten.“

Studentische Forschung – in der Öffentlichkeit

Die Ergebnisse des Projektseminars sind nun auf großen Plakaten ausgestellt. Der Aufbau und die Ausstellungseröffnung bilden den Abschluss der Lehrveranstaltung. „In dem Projektseminar wurde den Studierenden Forschungsarbeit praktisch zugänglich gemacht“, sagt Karolin Wetjen, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Neuere Geschichte. „Auch in die Konzeption der Ausstellung waren die Studierenden einbezogen.”

Aufbau der Ausstellung im Kulturwissenschaftlichen Zentrum
Aufbau der Ausstellung im Kulturwissenschaftlichen Zentrum

Mit solchen Lehrveranstaltungen wird neben dem Forschergeist auch die Fähigkeit und Lust gefördert, Ausstellungen zu konzipieren, wie sie auch zukünftig im Forum Wissen zu sehen sein werden. Andreas Weis freut sich darüber, dass seine und die Forschungsergebnisse seiner Kommilitoninnen und Kommilitonen über die Ausstellung den Weg an die Öffentlichkeit finden. „Üblicherweise ist die öffentliche Aufmerksamkeit für die wissenschaftliche Arbeit, die man als Student im Studium unternimmt, wie etwa in Hausarbeiten, nicht so groß. Hier beschäftigt sich die Öffentlichkeit aber damit.“

Die koloniale Geschichte der Universitätssammlungen

Prof. Dr. Rebekka Habermas, die gemeinsam mit Karolin Weitjen das Seminar leitete, plant bereits weitere Lehr- und Projektveranstaltungen zu der Frage, wie kolonial das Wissen ist, das mithilfe der Göttinger Sammlungen produziert wurde. Geplant ist unter anderem, die koloniale Geschichte der Universitätssammlungen und deren Objekte genauer zu untersuchen. Studierende und Forschende werden dann auch über den Umgang mit Sammlungsobjekten aus den Kolonien, die künftig im Forum Wissen in Göttingen ausgestellt werden, diskutieren.

Materielle Kulturgüter, die aus den Kolonien in Sammlungen und Museen gebracht wurden, gelten als sensible Objekte, da ihre Inbesitznahme möglicherweise mit unrechten Mitteln erfolgte. Die Provenienzforschung beschäftigt sich mit der Herkunft dieser Dinge und wie sie in den Besitz der Sammlungen gelangten. Aktuelles Wissen, das sich auf Objekte aus den Kolonien und den Forschungsreisen in diese stützt, bezeichnet man als postkolonial.

„Unsere Ergebnisse werden sicherlich auf das Forum Wissen in der Frage ausstrahlen, welches Wissen auf kolonialen Verflechtungen beruht und wie man in Ausstellungen – gerade im Forum Wissen – mit sensiblen Objekten aus den Kolonien umgeht“, sagt Habermas.

 

 

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Ausstellung Forum Wissen

Räume des Wissens: die Planung der Ausstellung für das Forum Wissen beginnt

Endlich geht es los. Die Auswahl ist getroffen. Ab Anfang Oktober beginnt die Arbeit an der Planung der Basis-Ausstellung im Forum Wissen!

Mit einer europaweiten Ausschreibung suchte die Universität Göttingen in den letzten Monaten ein Ausstellungsbüro, das die Konzeption der Basis-Ausstellung des Forum Wissen übernehmen soll. Im Juli fiel die Wahl auf den Historiker und Kulturwissenschaftler Joachim Baur und sein Berliner Ausstellungsbüro „Die Exponauten. Ausstellungen et cetera“.

Die Exponauten sind in Göttingen keine Unbekannten. In Kooperation mit der Zentralen Kustodie haben sie die Ausstellung „on/off. Vom Nobelpreis und den Grenzen der Wissenschaft“ kuratiert, die bis März 2017 in der Alten Mensa zu sehen war. Für die Auswahl von Baur waren neben seiner kulturwissenschaftlichen und wissenshistorischen Arbeitsweise sowie seiner Erfahrung in der Aktivierung von Sammlungsbeständen vor allem seine grundlegenden Herangehensweisen entscheidend: auf die Vielfalt der Perspektiven und die gesellschaftliche Relevanz achten sowie unterschiedliche Akteure einbinden.

Charlene Lynch, Judith Blume, Marie Luisa Allemeyer und Joachim Baur
Das kuratorische Team stimmt sich ein. Von links nach rechts: Charlene Lynch, Judith Blume, Marie Luisa Allemeyer und Joachim Baur, Fotograf: Jan Vetter

Nachdem nun die Verträge unterschrieben und alle Formalitäten erledigt sind, kann es losgehen – das kuratorische Team geht an die Arbeit! Es setzt sich aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Exponauten – neben Baur sind das die Historikerin und Kulturwissenschaftlerin Charlene Lynch sowie die Kulturwissenschaftlerin Mira Frye – und dem Team der Zentralen Kustodie zusammen, insbesondere der Direktorin Marie Luisa Allemeyer, dem Referenten für digitales Sammlungsmanagement Karsten Heck und mir, der Referentin für Ausstellen.

Welche Objekte sollen in welchen Raum? Welche Geschichten sollen sie erzählen? Welche Fragen wollen wir stellen, welche Antworten wird es geben? Welche digitalen Angebote wollen wir machen? Diese und weitere Fragen werden uns in den nächsten Monaten begleiten.

Vielfalt: Geschichte hängt vom Blickwinkel ab

Joachim Baur, der gemeinsam mit Katrin Pieper 2010 in Berlin das Ausstellungsbüro „Die Exponauten. Ausstellungen et cetera“ gründete, arbeitet bereits seit vielen Jahren als freier Ausstellungsmacher. Sein thematischer Rahmen ist dementsprechend weit: „Von der Revolution 1848/49 bis zum Alltag in der Nachkriegszeit, von der Spaßgesellschaft bis zur Geschichte der RAF, von der Globalisierung im 19. Jahrhundert bis zu den Migrationen der Gegenwart“, so umreißt er selbst seine vergangenen Projekte. Ein besonderer Schwerpunkt seiner Arbeit liegt neben Museumstheorie und Geschichtspolitik auf den Themen Migration und kulturelle Vielfalt. Eng damit verknüpft war auch sein letztes großes Projekt, das Museum Friedland am historischen Ort des Grenzdurchgangslagers – ganz in der Nähe von Göttingen. Die Ausstellung führt vom Zweiten Weltkrieg bis in die unmittelbare Gegenwart. Der historische Ort, der seit 1945 die erste Anlaufstelle für über vier Millionen deutsche Vertriebene, Kriegsheimkehrer, Aussiedler und internationale Flüchtlinge war, ist deshalb nicht nur Ausstellungsraum, sondern auch Exponat. In den sieben chronologisch gereihten Räumen wird dabei Vieles aus mehreren Perspektiven beleuchtet, denn – das ist eine Grundüberzeugung von Baur – „Geschichte hängt immer vom Blickwinkel ab, aus dem sie erzählt wird.“

Museum Friedland, Ausblick aus dem Anbau, Fotograf: Swen Pförtner

In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Einbindung der Besucherinnen und Besucher

Doch Baurs Projekte beschränken sich keineswegs auf das Themenfeld der Migration. Vor nur einem Monat eröffnete er im Museum der Arbeit in Hamburg eine Ausstellung mit dem schlichten Titel „Das Kapital“  – anlässlich des 150-jährigen Jubiläums der Erstveröffentlichung des ersten Bandes des Kapitals von Karl Marx im Hamburger Verlag von Otto Meissner. Wieder spannt Baur einen großen Bogen: von der Zeit der Entstehung des Werks im 19. Jahrhundert über die widersprüchliche Rezeption im 20. Jahrhundert bis zu heutigen Fragen der Produktion und Verteilung von Reichtum und Armut. Und wieder geht es ihm um Partizipation, Teilhabe und unterschiedliche Perspektiven. Dabei wirft die Ausstellung große gesellschaftspolitische Fragen auf: „In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Führt Kapitalismus zu Freiheit und Wohlstand oder zu Unterdrückung, Ausbeutung und Krise? Wieso werden die Mechanismen des aktuellen Wirtschaftssystems so unterschiedlich bewertet? Welche Alternativen sind wünschenswert und möglich?“ Die gesammelten Meinungen und Positionen der Besucherinnen und Besucher zu diesen Fragen werden direkt in die Ausstellung eingebunden.

Ausstellung “Das Kapital” – Ansicht aus dem Raum “diskutieren”, Copyright: Stiftung Historische Museen Hamburg

Kein Heldenkult

In Göttingen sind Joachim Baur und Charlene Lynch aber wohl vor allem mit ihrer Ausstellung „on/off. Vom Nobelpreis und den Grenzen der Wissenschaft“ bekannt – eine der letzten Teaser-Ausstellungen zum Forum Wissen. Ausgangspunkt war die Verleihung des Nobelpreises für Chemie 2014 an den Göttinger Physiker Stefan Hell für die Entwicklung superauflösender Fluoreszenzmikroskopie. Doch die Ausstellung beschränkte sich nicht auf dieses Ereignis oder die wissenschaftliche Arbeit Hells, sondern warf von hier ausgehend grundlegende Fragen auf: Welche Wege und Irrwege müssen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen, um erfolgreich zu forschen? Wie steht es um Konkurrenz und Anerkennung im System Wissenschaft? „Uns war es wichtig“, so Baur, „nicht das Bild und den Kult des einsamen Genies zu reproduzieren, sondern die Praxis des Wissen-Schaffens in den Mittelpunkt zu stellen. Der einzelne Fall wird so zum Ausgangspunkt für Fragen von übergreifender Bedeutung.“

Ausstellung “on/off – Vom Nobelpreis und den Grenzen der Wissenschaft”, Raumansicht der Einheit “System Wissenschaft”, Fotograf: Jan Vetter

Wie entsteht Wissen? 

Genau diese Perspektive wird auch die Basis-Ausstellung im Forum Wissen prägen – so viel wird schon in dem grundlegenden Konzept deutlich, das Joachim Baur gemeinsam mit der Zentralen Kustodie im Jahr 2015 erarbeitet hat. Der Fokus der Ausstellung, die sich über 1.300 qm und 2 Stockwerke erstreckt, liegt auf dem Wissen-Schaffen. Wie und wo entsteht wissenschaftliches Wissen? Wer ist daran beteiligt? Welche Dinge, Menschen, welche Konstellationen? Wie haben sich die Praktiken der Wissenserzeugung verändert? Welche historischen Kontexte spielten eine Rolle? Und welche gesellschaftliche Bedeutung kommt Wissenschaft früher und heute zu?

Räume des Wissens, Entwurf erstes Obergeschoss Forum Wissen

Räume des Wissens

Als ein Parcours durch 13 Räume des Wissens wird die Basis-Ausstellung diese und andere Fragen immer wieder neu beantworten. Schon jetzt steht fest, dass sie uns durch typische und altbekannte Räume des Wissens führen wird, wie etwa den Schreibtisch, den Hörsaal, die Bibliothek oder das Labor, aber auch durch eher ungewöhnliche oder gar metaphorische, wie beispielsweise die Reise, den Markt, den Holzweg, den Rand und die Badewanne. Und immer werden dabei zwei Grundhaltungen eine Rolle spielen: die Vielfalt der Perspektiven und die Vernetzung von Lokalität und Globalität sowie von Einzelbeispiel und übergeordneten Fragen. Als eine Art Visitenkarte wird diesen beiden Grundhaltungen am Anfang der Ausstellung jeweils ein Raum gewidmet sein.

Das grobe Gerüst also steht; nun gilt es, dieses zu füllen – mit Objekten, Geschichten, Inszenierungen, Filmen und Fotos, Text und Bild. Schritt für Schritt werden die „Räume des Wissens“ von einer Idee zu einer fertigen Ausstellung werden. Bleiben Sie dabei und erfahren Sie auf dem Blog nicht nur vom Wissen-Schaffen, sondern auch vom Ausstellungs-Schaffen!

Judith Blume ist Referentin für Ausstellen in der Zentralen Kustodie an der Universität Göttingen.

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Ausstellung Sammlung

Ausstellung “Aus der Erde” – Der Göttinger Wal bekommt Gesellschaft

Gert Tröster nimmt routiniert Maß. Eine etwa drei mal zwei Meter breite Fläche muss geräumt werden. Wenig Platz für einen Wal.

Der Göttinger Pottwal.

Dr. Gert Tröster ist Kustos, Wächter ganz im lateinischen Wortsinn. Worüber er wacht sind 120.000 präparierte Tiere. Unter seiner Ägide schlummern winzige Flusskrebse, eingelegt in Alkohol, ebenso wie pelzige Orang-Utans – drapiert, als würden sie gerade über Äste klettern.

Auch das tonnenschwere Skelett eines Pottwals gehört zur Sammlung. Eine ganze Wand musste damals aufgestemmt werden, um den Riesensäuger in das dritte Stockwerk des Zoologischen Museums zu zwängen. Dieser Wal soll nun Gesellschaft durch einen Artgenossen bekommen. Nicht aus Knochen, sondern aus Acrylfarbe und Leinwand.

Dr. Gert Tröster in der Werkstatt der zoologischen Sammlung.
Dr. Gert Tröster in der Werkstatt der zoologischen Sammlung.

Die Geburt eines Wales

Ammar Hatem arbeitet tief verborgen in den Kellergewölben des Kultur- und Aktionszentrums Göttingen. Bannt durch seinen Pinsel in Mixed Media Technik konzentriert Insekten wie Fledermäuse auf die Leinwand. „Bereits als Kind hat mich das Tierreich fasziniert. Stundenlang habe ich durch Tieratlanten geblättert“, erklärt der 25-jährige syrische Künstler die Triebfeder seines Schaffens. „Sie mit der Malerei einzufangen ist sozusagen mein Lebenstraum.“

Schon seine Abschlussarbeit an der Universität von Damaskus hatte die Evolution zum Thema. Ammar zeigt sie auf seinem Handy, denn die Bilder selbst lagern noch immer im Bürgerkriegsland.

Es ist diese Faszination, die den jungen, sportlich wirkenden Syrer mit dem Kustoden Tröster verbindet. Der einzigartige evolutionäre Weg des Wals hat es ihm besonders angetan. Aus dem Meer ans Land und danach zurück ins Meer – der Wal ist wie fast kein anderes Säugetier auf das Leben im Wasser ausgerichtet. Er kann, wie sonst nur noch die Seekuh, sogar seine Jungen im Wasser gebären.

Ammar Hatem in seinem improvisierten Atelier.
Ammar Hatem in seinem improvisierten Atelier.

Wo Kunst und Kustodie sich treffen

Die Wassergeburt der Waljungen. Auch ein Thema über das Tröster den ganzen Tag schwärmen könnte. Die Begeisterung des altgedienten Kustos hat schon etwas physisch Ansteckendes.

Warum er sich immer wieder dazu entschließt seine kostbare Sammlung auch für die Kunst zu öffnen? „Was Ammar macht und was wir hier machen, ist eigentlich gar nicht so verschieden“, erklärt Tröster. „Wir stellen beide Tiere dar. Ein Präparat ist ja auch nur ein Abbild des lebendigen Tieres.“

Dann verweist Tröster mit lockerer Geste auf eine Reihe von Affenpräparaten, die gerade in der vollgestellten Werkstatt für das Publikum aufgearbeitet werden. Als die ersten Affenfelle nach Göttingen kamen, vor über hundert Jahren, hätten viele der Präparatoren nie einen lebendigen Affen gesehen. Damit war das Präparieren, nur ausgehend von einer Außenhaut auch immer ein kreativer Prozess des Vermutens und Ableitens.

„Ist ein gemaltes Bild da etwas so Grundverschiedenes?“

Die Werkstatt der zoologischen Sammlung.
Die Werkstatt der zoologischen Sammlung.

Alle Bilder: Max Leonard Remke

 

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Aus der Erde. Eine künstlerische Intervention zur Evolution der Wale

Eröffnungsmatinée: 15. Oktober 2017, 11 Uhr
Kustos Dr. Gerd Tröster und Künstler Ammar Hatem im Gespräch

Ort: Zoologisches Museum, Berliner Str. 28
Laufzeit der Ausstellung: 15. Oktober 2017 bis 14. Januar 2018

Öffnungszeiten: sonntags, 10 bis 16 Uhr

Weitere Informationen

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Ausstellung Sammlung

Da steckt der Wurm drin…

Unser Wurm steckte tatsächlich in einem Präperateglas und war in Alkohol eingelegt. Aber das ist bei Würmern nicht der Normalfall. Für gewöhnlich leben sie – wie jeder weiß – im Boden. Und um den Boden, oder vielmehr um die Bodenkunde, ging es in der vergangen Woche bei der Verleihung des CULTURA-Preises, die wir mit einer Mini-Ausstellung begleitet haben.

Unterschiedliche Perspektiven auf den Boden

Der CULTURA-Preis der Alfred-Töpfer-Stiftung wird jedes Jahr an der Georg-August-Universität Göttingen für besondere wissenschaftliche Leistungen in den Gebieten Naturschutz, Land- und Forstwirtschaft verliehen. Und jedes Jahr steuern wir eine kleine Ausstellung bei, die das Forschungsthema des Preisträgers aufgreift. Da in diesem Jahr der „Boden-Brücken-Bauer“ Prof. Dr. Georg Guggenberger den Preis bekam, haben wir in uns in den Universitätssammlungen umgeschaut und einige interessante Objekte zum Thema “Boden” gefunden. Der ein oder andere Wurm war auch dabei.

Die Ausstellung wird aufgebaut.
Die Ausstellung wird aufgebaut. Drei präperierte Würmer haben ihren Weg in die Vitrine schon gefunden.

Wie in den vergangen Jahren haben wir auch diesmal versucht, ein wenig um die Ecke zu denken und die Exponate aus den unterschiedlichen Sammlungen so auszuwählen, dass sie eine andere Perspektive auf das Thema ermöglichen. Und was könnte passender sein, bei einem Preiträger der insbesondere deshalb ausgewählt wurde, weil er “Fachdisziplinen, Nationen und Bevölkerungsgruppen überwindet” (Zitat aus des Cultura-Kuratoriums) und so Brücken baut.

Zur diesjährigen Preisverleihung wählten wir Objekte aus der Agrarpedologie (Bodenkunde), dem Zoologischen Museum und der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen aus. Mit einem ca. zwei Meter hohen Lackprofil vom Hohen Hagen bei Dransfeld war ein klassisches Objekt der Bodenkunde im Foyer des Zentralen Hörsaalgebäudes der Universität zu sehen und holte die Umgebung Göttingens an den Tagungsort. Ein Lackprofil zeigt naturgetreu den Aufbau der unterschiedlichen Schichten im Boden.

Ein Teil des Hohen Hagens zu Besuch in Göttingen. Lackprofil aus der Agrarpedeologischen Sammlung

 Boden und Würmer

Ein grundlegendes Buch von Charles Darwin lenkte unseren Blick auf die alltäglichen, kleinen Bodenbewohner: die Regenwürmer. In seinem Buch Die Bildung der Ackererde durch die Tätigkeit der Würmer, das 1882 erschien, hatte Darwin die Bedeutung der Regenwürmer betont und sie so vom Ruf der Schädlinge befreit. Zwei Nasspräparate von Würmern, eine Wurmnachbildung sowie zwei anatomische Lehrtafeln veranschaulichten Anatomie und Lebensweise der Würmer.

Die Preisverleihung fand im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen Bodenkundlichen Gesellschaft Deutschland im Zentralen Hörsaalgebäude der Universität Göttingen statt. Zu sehen sind Objekte aus der Zoologischen Sammlung, der Agrarpedeologie (Bodenkunde) und der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen

Chemie und Boden

Viel Aufmerksamkeit erregte auch die ausgestellte Erstausgabe eines richtungsweisenden Buches von Justus von Liebig aus dem Jahr 1840. In seinem Werk mit dem Titel Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie – kurz Agriculturchemie genannt – hob Liebig die Bedeutung der Mineraldüngung für Qualität und Ertrag der Pflanzen hervor. Das Buch erschien in  mehreren Auflagen und wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. In unserer Vitrine lag es neben einem Modell zur Feinbodenstruktur, das eine 70-fache Vergrößerung darstellt.

Feinbodenstruktur in 70-facher Vergrößerung: Von allen Seiten einzigartig

Beim Boden, so scheint es, muss man genau hingucken!

 

Die Autorin Amelie May ist Praktikantin im Rahmen des Programms “Wissensdinge online”. Gemeinsam mit anderen Studierenden aus unterschiedlichen Disziplinen unterstützt sie die Digitalisierung der Göttinger Sammlungen. Außerdem ist sie während ihres Praktikums als “rasende Reportin” in den Sammlungen unterwegs.

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Ausstellung Forum Wissen

DingeDenkenLichtenberg: Ein Gespräch mit Kurator Steffen Hölscher

Noch bis zum 3. Oktober 2017 ist die Ausstellung „DingeDenkenLichtenberg“ in der Paulinerkirche zu sehen. Steffen Hölscher ist Historiker und Kurator der Ausstellung. Ihn haben wir getroffen und gefragt, was Besucherinnen und Besucher in der Ausstellung der SUB Göttingen erwartet.

Ausstellungskurator Steffen Hölscher (rechts) neben seinem Kollegen Dr. Christian Fieseler bei den Aufbauarbeiten der Ausstellung. Foto: Martin Liebetruth

Herr Hölscher, worum geht es in „DingeDenkenLichtenberg“?

Die Ausstellung hat zwei thematische Schwerpunkte: Zum einen natürlich Georg Christoph Lichtenberg selbst, der in diesem Jahr seinen 275. Geburtstag gefeiert hätte. Wenn sein Name fällt, denken viele Menschen an den Schriftsteller und Aphoristiker Lichtenberg oder an Lichtenberg als Physikprofessor. Im Rahmen der Ausstellung versuchen wir den Blick zu erweitern und Lichtenberg als einen typischen Vertreter des 18. Jahrhunderts vorzustellen, der die individuellen Möglichkeiten seiner Zeit auf ganz eigene Art und Weise genutzt hat. Seine Epoche, die schon er und seine Zeitgenossen als Zeitalter der „Aufklärung“ bezeichneten, ist also der zweite Themenschwerpunkt der Ausstellung.

Blick in den Ausstellungsraum in der Paulinerkirche. Foto: Martin Liebetruth

Was gibt es in der Ausstellung zu entdecken?

Jede Menge! Erstmals bei einer Göttinger Ausstellung haben wir uns fast ausschließlich auf Exponate zweier Göttinger universitärer Sammlungen konzentriert: einerseits auf Lichtenbergs physikalische Instrumente, die zum Teil im Physicalischen Cabinet überliefert sind, und andererseits auf seinen schriftlichen Nachlass, der in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen verwahrt wird, also zum Beispiel Briefe, Vorlesungsmanuskripte, Notizbücher und -zettel. Aus der Kombination beider Objektgruppen ergeben sich spannende Einblicke in Lichtenbergs Denken und Arbeiten, in seine Pflichten und Aufgaben als Universitätslehrer oder seinen privaten Alltag. Eine Luftpumpe kann so beispielsweise eine Geschichte über Entwicklungen in der Physik der Frühen Neuzeit erzählen. Sie wirft aber auch ein Licht auf Lichtenbergs finanzielle Anstrengungen beim Instrumentenkauf oder sein Verhältnis zu Instrumentenbauern und Mechanikern in seinem Umfeld.

Schwungmaschine, Naire & Blunt, London, etwa 1782. Foto: Martin Liebetruth

Welchen Aspekt an Lichtenbergs Leben und seiner Arbeit finden Sie persönlich spannend?

Lichtenberg selbst verstand sich als natural philosopher, der Naturlehre (Physik) und Philosophie stets als Einheit sah. Diese Einstellung ließ ihn sein Leben lang bestimmten Prinzipien folgen: alles präzise beobachten, alles genauestens aufschreiben, und dabei keinen Unterschied machen zwischen einem physikalischen Phänomen, einer Beobachtung unter Professorenkollegen oder einem Theaterbesuch. Seine Notiz- und Arbeitsbücher – vielen als die sogenannten Sudelbücher bekannt – zeigen Lichtenbergs Umgang mit solchen Beobachtungen: Notizen über wissenschaftliche Texte oder Alltagsbeobachtungen regen ihn zur konkreten Weiterverarbeitung und Gedankenexperimenten an. Vieles denkt er dabei nur an, seine Phantasie hinsichtlich der menschlichen und wissenschaftlichen Möglichkeiten ist jedoch nahezu grenzenlos. Einen Eindruck davon bekommen die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung, wenn sie in Lichtenbergs digital aufbereiteten Notizheften blättern oder an den Hörstationen seinen Texten lauschen.

Gregory-Teleskop, Göttingen, vor Sommer 1788. Foto: Martin Liebetruth

An wen richtet sich die Ausstellung und was macht einen Besuch in ihren Augen besonders lohnenswert?

„DingeDenkenLichtenberg“ richtet sich an die breite interessierte Öffentlichkeit, in besonderem Maße natürlich an wissenschaftlich oder wissenshistorisch interessierte Menschen, in jedem Fall auch an ein internationales Publikum, denn die Ausstellung ist durchgehend zweisprachig (deutsch und englisch). Auf verschiedenen Ebenen und durch die besondere Kombination von Lichtenbergs physikalischen Instrumenten und seinem schriftlichen Nachlass öffnen sich Einblicke in das Leben eines Gelehrten in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, in seine Gedankenwelt, seine Verbindungen zur Universität und zu anderen wissenschaftlich Interessierten. Besucherinnen und Besucher können so den Facettenreichtum Lichtenbergs – der auch in seinem Verständnis viel mehr als „nur“ Physiker oder Schriftsteller war – kennen lernen und erhalten zudem einen Eindruck davon, was „Aufklärung“ für einen Menschen vor mehr als 200 Jahren konkret bedeutete.

Parallel zur Ausstellungseröffnung ist auch ein gleichnamiger Katalog erschienen. Was können Sie uns darüber verraten?

Der Katalog versammelt eine Auswahl der gezeigten Exponate und die dazugehörigen Erläuterungen. Zudem bietet er die Möglichkeit, den Gang durch die Ausstellung noch einmal am heimischen Schreibtisch oder im Lesesessel nachzubereiten – diese Möglichkeit bietet in anderer Form auch die virtuelle Ausstellung, die unter lichtenberg.gbv.de besucht werden kann. Diese ermöglicht eigene Recherchen zu Lichtenberg und seiner Zeit. Auch der Katalog ist übrigens zweisprachig und kann über die Seite des Universitätsverlags auch als pdf abgerufen werden.

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Ausstellung “DingeDenkenLichtenberg” eröffnet

Am 30. Juni ist  die Ausstellung “DingeDenkenLichtenberg” in der Paulinerkirche der SUB Göttingen eröffnet worden. Sie ist nach “on/off. Vom Nobelpreis und den Grenzen der Wissenschaft” die nächste Teaser-Ausstellung auf dem Weg zum Forum Wissen. Bis zum 3. Oktober wird die Ausstellung dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr in der Paulinerkirche zu sehen sein. Bereits am Eröffnungswochenende zog die Lichtenberg-Schau rund 500 Besucherinnen und Besucher an. Die Eröffnung am Freitag war so gut besucht, dass zwischenzeitlich sogar ein Einlassstopp ausgesprochen werden musste. Wir haben ein paar bildliche Impressionen von der Ausstellungseröffnung gesammelt – viel Spaß damit!

Los ging die Veranstaltung um 18 Uhr im Alfred-Hessel-Saal…
… und der Saal war bis zum letzten Platz und darüber hinaus mit Besucherinnen und Besuchern gefüllt.
Zwischen den Grußworten sorgte ein Trio der Akademischen Orchestervereinigung Göttingen für musikalische Zerstreuung.
Dr. Marie-Lusia Allemeyer zeigt es an: Es geht um Georg Christoph Lichtenberg! Die Lichtenberg-Büste, die Allemeyer in der Hand hält, sollte später beim Überraschungsexperiment noch einen zweiten Auftritt bekommen.
Nach den Grußworten und einer Stärkung beim Sektempfang strömten die Besucherinnen und Besucher langsam in den Ausstellungsraum.
Vor allem die physikalischen Instrumente aus dem „Physicalischen Cabinet“ der Fakultät für Physik beeindruckten die Gäste.
Begleitend zur Ausstellung ist auch ein Katalog erschienen, der direkt in der Paulinerkirche oder im Univerlag erworben werden kann.
In der Ausstellung findet sich auch die historische Luftpumpe wieder, die die Werbeplakate für die Ausstellung ziert.
Während die einen noch durch die Ausstellung schlenderten, machten sich andere schon daran, an dem Gewinnspiel beim Luftballon-Experiment mitzumachen.
Durchgeführt wurde das Experiment vom Göttinger Physiker Dr. Daniel Steil, der allerlei Interessantes über Lichtenberg und seine Gedanken über das Fliegen zu berichten wusste.
Um zu gewinnen, musste auf die kleinste Ballonkugel gesetzt werden, die die am Ballon befestigte Lichtenberg-Büste zum Fliegen bringt.
Während die Lichtenbergbüste am zweitgrößten Ballon nur kurz vom Tisch abhob, um auf dem Boden zu landen…
… schnellte der Lichtenberg am größten Ballon rasant in die Höhe.
Am Ende durften sich diejenigen, die mit ihrem Tipp richtig lagen, über verschiedene Gewinne freuen.

DingeDenkenLichtenberg ist Teil einer ganzen Reihe von Ausstellungen und Veranstaltungen in Göttingen. Denn 2017 ist Lichtenberg-Jahr: Der Geburtstag des Physikers, Aphoristikers und Lokalhelds jährt sich zum 275. Mal.

Alle Bilder: Peter Heller