Categories
Forum Wissen Sammlung Sammlungsschaufenster

Alles eine Frage der Geschichte

Das Münzkabinett der Universität Göttingen ist auf jeden Fall einen Blick wert und mit ein paar repräsentativen Objekten nun auch im Sammlungsschaufenster zu sehen. Das Münzkabinett gilt als die drittgrößte universitäre Sammlung von Münzen in Deutschland, hinter Leipzig und Tübingen. Über 40.000 Objekte verschiedener Herkunft sind vertreten. Dabei handelt es sich jedoch nicht nur um originale Münzen, wie es der Name vielleicht annehmen lässt, sondern auch um Abgüsse von Münzen, um Medaillen oder um frühe Formen von Papiergeld.

Nachbildungen griechischer Silbermünzen aus Blei. Foto: Uni Göttingen.

Dr. Daniel Graepler, der Kustos der Sammlung, zeigt im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen dieses breite Spektrum. Ihr könnt Entwurfsmodelle zur Münchhausen-Medaille entdecken. Diese wurde zum 250. Jubiläum der Universität Göttingen zu Ehren ihres Begründers Gerlach Adolph von Münchhausen (1688–1770) angefertigt. Auch eine kleines Münzkästchen, in dem die Familie Schlözer ihre Münzsammlung aufbewahrte, ist zu sehen. In den unteren beiden Regalen findet ihr einige nachgebildete griechische Münzen aus Blei und Plattengeld aus Schweden. Das sind rechteckige Kupferplatten, die als Zahlungsmittel dienten. Doch die Sammlung hat noch viel mehr Aspekte zum Kennenlernen.

Die Geschichte der Sammlung

Daniel Graepler selbst fasziniert vor allem die große Vielfalt der diversen numismatischen, also auf das Geldwesen bezogenen Objekte, die von Anfang an das Münzkabinett prägten. Sie gingen als Ankäufe oder Schenkungen an die Universität und decken viele verschiedene Regionen und Zeiträume ab. Daher ist auch die Provenienzgeschichte besonders spannend, die hinter den unterschiedlichen Objekten steckt.

Nur wenige von ihnen stammen tatsächlich aus archäologischen Fundstellen. Daher ist die Frage berechtigt, warum das Münzkabinett zum Archäologischen Institut gehört. Dies erklärt sich aus der lange zurückreichenden Geschichte der Universität. Bereits als das Königlich Akademische Museum 1773 gegründet wurde, befanden sich Münzen in der Sammlung. Christian Gottlob Heyne war an dieser Museumsgründung federführend beteiligt. Der Altphilologe, der vor allem Griechisch und Latein lehrte, hielt auch die ersten Vorlesungen über Archäologie, erstmals 1767. Heyne war sehr interessiert an den Münzen. Daher sorgte er dafür, dass diese in seiner Obhut blieben, während die anderen Sammlungen vor allem von Johann Friedrich Blumenbach betreut wurden.

Christian Gottlob Heyne. Gemälde von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1772)

Nach dem Tod von Heyne 1812 wurde verfügt, dass die Vorlesungen zur Archäologie weitergeführt werden sollten. Karl Ottfried Müller trat in Heynes Fußstapfen und schrieb auch das erste Handbuch für Archäologie. Er war ebenso wie Heyne an der Münzsammlung interessiert. Daher inventarisierte und katalogisierte er den Bestand. Als Müller 1840 im jungen Alter starb, folgte ihm Friedrich Wieseler. Dieser übernahm die Verantwortung für die Münzen und weitere archäologische Objekte wie Gipsabgüsse. Nach der Auflösung des Akademischen Museums setzte sich Wieseler für die Gründung eines eigenen Archäologisch-Numismatischen Institutes ein. Dabei wurden die archäologischen Objekte und das Münzkabinett aus den Sammlungen der Universitätsbibliothek ausgegliedert. Nun waren die Münzen nicht mehr von der Archäologie zu trennen. Der Begriff „Numismatisch“ entfiel mit der Zeit aus der Institutsbezeichnung, das Münzkabinett blieb aber an seinem Ursprungsort verankert.

Alte Sammlungen in der Gegenwart

Das Münzkabinett ist ein Zusammenschluss unterschiedlicher Sammlungen von Münzen, Medaillen und anderen numismatischen Objekten. Die verschiedenen privaten Konvolute wurden zum Teil im Laufe der Geschichte des Instituts durch die Universität Göttingen aufgekauft oder gelangten durch Schenkungen an das Archäologische Institut.

So hinterließ Baron von Asch bereits im 18. Jahrhundert dem Institut eine große Originalsammlung mit russischen Münzen und Medaillen. Da diese schon so früh an das Archäologische Institut übergeben wurden, gilt ihre Echtheit als gesichert. Ein interessantes Beispiel dafür ist die sogenannte Bartkopeke, die selbst keinen Zahlungszweck hatte, sondern lediglich beweisen sollte, dass man die Steuern bezahlt hat, die Bartträger im 18. Jahrhundert in Russland zahlen mussten.

Sog. Bartkopeke, von Zar Peter dem Großen (1682-1725) in Russland 1705 eingeführt. Foto: Lena Heykes

Auch eine große Schenkung von arabischen Münzen durch den Arabisten Peter Bachmann aus den 1990er-Jahren ist mittlerweile bearbeitet und digitalisiert. Im Zweiten Weltkrieg hingegen wurden sogar Gelder aufgebracht, um eine Sammlung mittelalterlicher Münzen zu kaufen. Diese konnte bisher leider aus finanziellen und fachlichen Gründen noch nicht bearbeitet werden. Die Sammlung von Wilhelm Crönert war ebenfalls ein wichtiger Ankauf, da er griechische Münzen umfasste, die bis dahin eher weniger im Münzkabinett vertreten waren. Sie werden aktuell im Archäologischen Institut erforscht. Die über 9.000 römischen Münzen sind hingegen schon vor einiger Zeit aufgearbeitet und online publiziert worden.

Aber nicht nur Wissenschaftler*innen arbeiten mit den Münzen aus dem Münzkabinett. Auch Studierenden werden mit Seminaren oder Hilfskraftstellen immer wieder Möglichkeiten geboten, sich mit der Materie auseinanderzusetzen und an Objekten zu lernen.

Schublade mit mittelalterlichen Münzen aus dem Münzkabinett. Foto: Lena Heykes

Abgeschlossen zum Schutz von Kulturgütern

Aktuell werden von der Universität Göttingen Münzen oder Privatsammlungen nicht mehr angekauft. Vor allem damit der Handel mit antiken Münzen keinen Aufschwung erlebt. Das Befeuern des Antikenhandels versuchen viele Institute und andere Einrichtungen wie Museen zu verhindern. Zu hoch ist die Gefahr, dass es dadurch vermehrt zu Raubgrabungen kommt und so archäologische Stätten gefährdet werden.

Das Münzkabinett ist daher als überwiegend abgeschlossen zu bewerten. Nur gelegentlich kommen neue Medaillen hinzu, die die Universität Göttingen unter anderem für Studierende oder Dozierende als Auszeichnung besonderer Leistungen anfertigt. Ebenso selten sind Schenkungen einzelner Münzen. Sie nimmt Daniel Graepler gerne auf, wenn sie in die Sammlung passen.

Categories
Forum Wissen Sammlung Sammlungsschaufenster

Im Schaufenster: Sammlung mit Vogelorgel

Was stellen Sie sich unter dem Begriff „Musikinstrument“ vor? Ein Klavier, eine Geige, eine Klarinette? Die Musikinstrumentensammlung der Universität Göttingen beschäftigt sich genau mit dieser Frage: Was ist ein Musikinstrument? Das heißt: Was ist Musik? Und was ist ein Instrument?

Im Accouchierhaus. Foto: Alciro Theodoro da Silva.

Die Musikinstrumentensammlung der Uni Göttingen

Aufgrund ihres Bestandes zählt sie zu den größten Musikinstrumentensammlungen in Deutschland. Bedeutend ist dabei nicht nur die Vielfalt ihrer kulturellen Artefakte, die Erkenntnisse über verschiedenste Klangwelten bietet, sondern auch ihr Standort: Göttingen, eine Stadt, die Wissen schafft. Hier befindet sich die Sammlung im historischen Accouchierhaus. Diese Gegebenheit birgt einen zusätzlichen Denkanstoß: Denn im Accouchierhaus hat die akademische Geburtshilfe im deutschsprachigen Raum ihren Ursprung; sie entstand zur Zeit der Aufklärung. Hier war auch eine Station für die Experimente von Gauß und Weber zum elektromagnetischen Telegraphen (1833). Die Frage „Was ist ein Musikinstrument?“ wird in diesem Kontext noch vielschichtiger. Die Wissenschaft, die musikwissenschaftliche Instrumente erforscht, heißt übrigens Organologie. Sie ist ein Fachbereich der Wissensforschung und Wissenschaftsgeschichte, die sich auf das Auditive konzentriert.

Vogelorgel (Inv.-Nr. 0578) aus der Musikinstrumentensammlung. Foto: Martin Liebetruth.

Wie die Vogelorgel nach Göttingen kam

Unsere Sammlung wurde 1964 von Prof. Dr. Heinrich Husmann (1908–1983) ins Leben gerufen. Zur Gründung der Universitätssammlung für musikwissenschaftliche Forschung und Lehre erwarb er die Musikinstrumentensammlung von Hermann Johannes Moeck (1896–1982), einem Musikinstrumentenfabrikanten und Musikverleger in Celle. Dieser Bestand bildet das Kernstück der Sammlung. Aus ihr stammt auch die hier gezeigte Vogelorgel, die auch Serinette (frz.) genannt wird. Sie ist im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen zu sehen. Ihr Hersteller ist unbekannt. Vermutlich wurde sie aber im 18. oder 19. Jahrhundert in Frankreich gebaut. Die Vogelorgel ist eine einfache Form der Drehorgel. Sie war in Frankreich weit verbreitet. Ihre Mechanik und Bauweise wurden wahrscheinlich im frühen 18. Jahrhundert entwickelt. Das vorliegende Exemplar spiegelt diese Zeit wider.

Walze in der Vogelorgel. Foto: Martin Liebetruth.

Von der Serinette und anderen Orgeln

Die Vogelorgel besteht aus einer Holzwalze und neun kleinen Holzpfeifen. Die Mechanik wird mit einer Handkurbel auf der Vorderseite betätigt. Wie der Name schon sagt, erzeugt dieses Instrument einen Klang, als ob ein Vogel im Käfig singen würde. Der Name „Serinette“ leitet sich von „serin“ ab, dem französischen Wort für Zeisig. Die Holzwalze dient als Träger der Toninformationen. In diesem Zusammenhang öffnet dieses Objekt Fragen zur Mediengeschichte des auditiven Wissens (denken Sie an die Ausstellung “Räume des Wissens”).

Die Technik dieser Drehorgel wird in Bedos de Celles, L’art du facteur d’orgues (Paris, 1766–1778) beschrieben. Eine Anmerkung dazu: Diese Schrift wurde von Christhard Mahrenholz (1890–1980) herausgegeben und nachgedruckt (1936). Er war ein evangelisch-lutherischer Pastor und Musikwissenschaftler in Göttingen und hatte großen Einfluss auf die Kirchenmusik im 20. Jahrhundert. Während seiner Zeit als Hilfsgeistlicher an der St. Marien-Kirche (am Groner Tor, nur einen Steinwurf vom Forum Wissen entfernt), wurde auf seine Initiative hin die sogenannte Mahrenholz-Furtwängler-Orgel eingerichtet (1925/26). Das Konzept zielte darauf ab, den Klang und die Bauweise der norddeutschen “Barock”-Orgel wiederzubeleben. Diese Orgel bildete den Ausgangspunkt der Orgelbewegung und hat bis heute großen Einfluss auf die Praxis der Kantorei.

Die Serinette diente vor allem dem Abrichten von Singvögeln. Foto: Martin Liebetruth.

Die Wiederbelebung älterer Musikpraktiken war genau das Betätigungsfeld von Moeck, dem Vorbesitzer der Vogelorgel. Sie ist also nicht nur Träger von Toninformationen, sondern auch ein Träger von Wissen über Technik und Wissenschaften. In ähnlicher Weise ist die Musikinstrumentensammlung ein Wissensträger für die Musikwissenschaften der vergangenen Jahrhunderte, die in den Verflechtungen von Menschen und Dingen entstanden sind.

Aktuelles

Die Musikinstrumentensammlung steht derzeit für Forschungs- und Lehrzwecke zur Verfügung. Für Besuche und Untersuchungen der Objekte ist eine Terminvereinbarung erforderlich. Aufgrund von Umbauarbeiten an der Ausstellung ist bis auf Weiteres kein öffentlicher Zugang möglich. Dafür bitten wir um Ihr Verständnis.

Categories
Sammlung Sammlungsschaufenster Uncategorized

Eine der lebendigsten Sammlungen der Universität Göttingen – der Alte Botanische Garten

Wie lässt sich ein Garten ausstellen?


Gartenkustos Dr. Michael Schwerdtfeger erklärt uns vor Ort im Forum Wissen, dass er am liebsten etwas Lebendiges im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen ausgestellt hätte, vielleicht ein Terrarium mit exotischen Pflanzen aus dem botanischen Garten und Tieren … Die Spalten im Sammlungsschaufenster bei uns im Forum Wissen, die den Alten Botanischen Garten repräsentieren, sind nur ein kleiner Ausschnitt aus einer lebendigen Sammeltätigkeit.

Ein Blick zurück

Der Alte Botanische Garten gehört zur Biologischen Fakultät, er wurde schon zur Gründung der Universität Göttingen im Jahr 1736 von Albrecht von Haller gegründet. Damit gehört der Alte Botanische Garten zu den ältesten und lebendigsten Einrichtungen der Universität Göttingen. Seit fast 300 Jahren strahlt der Garten bei gleicher Funktion am gleichen Ort eine besondere Faszination aus. Der Alte Botanische Garten beherbergt eine große Vielfalt winterharter und tropischer Pflanzen, die für Lehre und Forschung der verschiedensten Bereiche des Studiums der Biologie und Biodiversität genutzt werden.

Hier ist viel los!

Nun sind in den Spalten im Sammlungsschaufenster Samentüten zu betrachten, ein Saatgutverzeichnis aus dem Jahr 1834 und bunt leuchtende Abbildungen ästhetisch und auch ökologisch wertvoller Pflanzen aus dem Alten Botanischen Garten der Universität Göttingen. Eine weitere Besonderheit der Sammlung des Alten Botanischen Gartens wird damit sichtbar: die Objekte lassen sich vermehren und verbreiten! Und das ist gut so. Zwischen den botanischen Gärten zahlreicher Universitäten gibt es ein großes Netzwerk, zum Erhalt von Artenvielfalt.

Ein Blick ins Sammlungsschaufenster mit Exponaten aus der Sammlung des Alten Botanischen Gartens, Foto: Muaz Toguslu

Dr. Michael Schwerdtfeger ist ein Vollblutbiologe und leidenschaftlicher Tattoo Künstler, eine Spalte im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen hat er mit seinen botanischen Tattoo Künsten gefüllt. Gern lassen sich die Studierenden von ihm Motive im Stil botanischer oder zoologischer Zeichnungen stechen, aber er versteht sich auch auf temporäre Tattoos mit der Pflanzenfarbe Jagua und hat darüber sogar ein Buch geschrieben. Bei Instagram gibt’s den Alten Botanischen Garten daher gleich zweimal: Über Aktuell Blühendes informiert alterbotanischergarten, und die persönlichere, künstlerische Seite des Gartenkustos lernen wir unter vollblutbiologe kennen. Doch zurück zum Alten Botanischen Garten.

Pflanzenbasierte Tattoo Kunst vom Gartenkustos Dr. Michael Schwerdtfeger, Foto: Muaz Toguslu

Von Albrecht von Hallers Universitätsgarten zum Insektenzoo….

Der Garten nimmt eine Sonderrolle in der Reihe der Sammlungen der Universität Göttingen ein, das wird auch im Sammlungsschaufenster bei uns im Forum Wissen deutlich. Er wurde gegründet, um Pflanzen zu kultivieren und systematisch zu erforschen. Über die Jahrhunderte ist der Garten aber auch ein wunderbarer Ort für Insekten und andere Tiere geworden. Eine Funktion, die sich der Gründer Albrecht von Haller, einer der bedeutendsten Gelehrten des 18. Jahrhunderts, damals sicher nicht hätte träumen lassen … In Zeiten schwindender Artenvielfalt ist der Garten zu einem wichtigen Rückzugsort für zahlreiche Insekten und andere Tiere geworden, beispielsweise für seltene Wildbienen – das erzählt uns Gartenkustos Michael Schwerdtfeger. Der Garten ist eine Insel ökologischer Vielfalt mitten in Göttingen.

Blühende Vielfalt im Alter Botanischer Garten der Universität Göttingen, Foto: Jan Vetter

Über ein Viertel der Bäume und Sträucher sind mittlerweile älter als 50 Jahre, in den Bäumen sind viele Tiere heimisch geworden. Teile des Gartens sind heute ein kleiner ‚Insektenzoo‘, wie Herr Schwerdtfeger die Flächen liebevoll nennt. In Deutschland gibt es circa 570 Arten an Wildbienen, 140 davon wurden schon im Alten Botanischen Garten in Göttingen gesichtet. Gerade läuft eine groß angelegte Kartierung der Wildbienen. Herr Schwerdtfeger ist als Experte auf dem Gebiet der Blütenökologie besonders engagiert, damit sich die Bienen wohlfühlen.

Sein Wissen vermittelt er an seine Studierenden und an alle Besucher*innen des Gartens, Führungen durch den Garten werden regelmäßig angeboten. Ein Besuch lohnt sich!

Ein verwunschener Tunnel führt zum Alten Botanischen Garten, Foto: Klein und Neumann

Alle wichtigen Informationen und die Öffnungszeiten des Gartens gibt es direkt auf der Seite des Alten Botanischen Gartens. Einen Vorgeschmack bietet euch das Sammlungsschaufenster im Forum Wissen.

Categories
Sammlungsschaufenster

Holz, Pollen und das Klima der Eiszeit

Sie sieht aus wie eine normale Holzscheibe, ist es aber nicht: Denn dieses Stück gehörte einst zu einer Wasserleitung in Stralsund. Das war im 18. Jahrhundert, genauer gesagt 1747. Aus dieser Zeit stammt das Objekt, das jetzt im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen ausgestellt ist.

Durch das Loch in der Mitte der Holzscheibe lief einst das Wasser. Foto: Uni Göttingen

Geschichte im Holz

Archäolog*innen haben den dazugehörigen Baumstamm gefunden. Sie brachten ihn zu uns, um anhand der Ringe das Alter bestimmen zu lassen. Ausschlaggebend sind Breite und Abfolge der Ringe, die an der Baumscheibe gut zu erkennen sind. Diese Methode nennt sich Dendrochronologie (altgriechisch: Dendron = Baum, Chronos = Zeit). Mittlerweile haben wir ein Archiv mit über 20.000 Hölzern, alle aufs Jahr genau datiert. Sie ermöglichen es uns, andere Funde historisch einzuordnen.

Dr. Jörg Christiansen am Sammlungsschaufenster im Forum Wissen. Foto: Uni Göttingen

Fluch und Segen

Doch es gibt noch weitere Sammlungen in der Abteilung für Palynologie und Klimadynamik: Unter anderem eine mit Pollen und Sporen sowie eine mit Makroresten, wie Samen und Früchte. Das ist für uns wichtiges Vergleichsmaterial, durch das wir Aussagen über die Geschichte von Vegetation und Klima treffen können. Der unscheinbare Stein im Sammlungsschaufenster ist ein Beispiel dafür (siehe erstes Bild ganz oben). Er stammt vom Ufer einer Talsperre in den Vogesen. Auf ihm könnt ihr sehen, was sonst unsichtbar bleibt: Millionen von Pollenkörnern angeschwemmt durch Regen und dann auf dem Stein eingetrocknet.

Was für Allergiker*innen ein Fluch, ist für Palynolog*innen ein Segen: Jedes Jahr fliegen unzählige Pollenkörner durch die Luft. Geraten sie unter Luftabschluss – zum Beispiel am Boden eines Sees – können sie über Jahrtausende erhalten bleiben. Ähnlich wie die Ringe bei den Bäumen bildet sich jedes Jahr eine neue Schicht am Grunde des Sees. Ändert sich nun die Vegetation, ändert sich auch das Pollenspektrum. Nehmen wir dann einen Bohrkern aus dem See, dann verraten die Pollen, welche Pflanzen die Menschen einst anbauten oder was sie aßen. Daher wissen wir auch, dass sich nach der letzten Eiszeit in der Region um Göttingen die Vegetation stetig verändert hat. Auf Birken- und  Kiefernwälder folgten Eichenmischwälder und letztendlich Buchenwälder. Diese wurden aber zum größten Teil vom Menschen gerodet, um Ackerbau zu betreiben.

Das Mikroskop (1965) ermöglicht einen dreidimensionalen Blick. Foto: Martin Liebetruth

Sehen und verstehen

Mit dem bloßen Auge sind die Pollen nicht zu erkennen. Daher gehört das Mikroskop zum wichtigsten Equipment der Palynolog*innen. Wir präparieren die Pollen, bestimmen sie und haben auf diese Weise eine umfangreiche Datenbank angelegt. Einige der Präparate könnt ihr neben dem Mikroskop sehen – darunter auch “Astrantia minor”. Die kleine Sterndolde ist in den Wäldern Europas und Asiens zu Hause, blüht aber auch auf Alpenwiesen.

Präparate im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen. Foto: Martin Liebetruth

Wenn ihr noch ein wenig weitersucht, findet ihr auch „Aegopodium podagraria“. Das kennt ihr sicher: Es ist ein lästiges Unkraut, bekannt als Gemeiner Giersch. Den lasse ich gern die Studierenden untersuchen. Danach können sie sich nämlich das Original im benachbarten Alten Botanischen Garten ansehen. Hier am Eingang zur Wilhelm-Weber-Straße forschen und lehren wir. Falls ihr einen Einblick davon bekommen wollt, dann kommt am besten zum Sammlungsschaufenster im Forum Wissen.

Categories
Forum Wissen Sammlungsschaufenster

Was uns alte Kinderbücher über das politische Klima ihrer Entstehungszeit verraten

Die Objektspalte der Sammlung historischer Kinder- und Jugendliteratur Sammlungsschaufenster, Foto: Martin Liebetruth

Die Objekte der Göttinger Sammlung historischer Kinder- und Jugendliteratur haben eine steile Karriere hingelegt. Was vor hundert Jahren noch Kindern als Zeitvertreib diente und nur aus ein paar dünnen, bestenfalls bunt bedruckten Seiten besteht, ist heute ein Forschungsobjekt von großem Wert. Bücher sind für Kinder oft der erste Zugang zur Welt außerhalb des eigenen Lebens – entsprechend hat man sie schon immer genutzt, um jungen Menschen Werte, Ideen und Weltbilder zu vermitteln.

Hartmut Hombrecher, Kustos der Sammlung historischer Kinder- und Jugendliteratur, Foto: Eva Völker

„Kinder- und Jugendbücher zeigen uns bis heute nicht nur viel über historisch und regional verschiedene Vorstellungen davon, was Kindheit eigentlich ausmacht“, sagt Dr. Hartmut Hombrecher, Kustos der Sammlung, „in ihnen wird auch besonders deutlich, welche Diskurse eine Gesellschaft für wichtig hält und welche Ideen an nachfolgende Generationen weitergegeben werden sollen“. Öffentliche Bibliotheken haben dieses kulturhistorische Potenzial lange unterschätzt. Darum stammen auch die meisten Bände der Göttinger Sammlung historischer Kinder- und Jugendliteratur aus privaten Sammlungen, die ab den 1960er Jahren aufgekauft oder als Schenkungen angenommen wurden. Die Göttinger Sammlung wächst noch immer. Heute wird sie nicht nur der Forschung zur Verfügung gestellt, sondern auch regelmäßig in der universitären Lehre genutzt.

Zwei Jugendbücher aus dem Jahr 1938 mit sehr unterschiedlichen Mädchenbildern, Foto: Martin Liebetruth

Mädchenfiguren 1938: Dort Freiheitsdrang…

In der Spalte des Sammlungsschaufensters im Forum Wissen kann man die unterschiedlichen Prägungen der Kinderliteratur besonders deutlich sehen, wenn man die Bücher miteinander vergleicht.

Im Mittelpunkt des ausgestellten Romans Bibi lernt Landwirtschaft (Zürich 1938) steht das Mädchen Bibi. Die Figur wurde 1928 von Karin Michaëlis (1872–1950), einer dänischen Autorin, Journalistin und Feministin, erfunden und tobte sich in den nächsten 10 Jahren in insgesamt sechs Jugendbüchern aus. Seit dem Tod ihrer Mutter, einer Grafentochter, lebt die abenteuerlustige und offenherzige Bibi einträchtig mit ihrem „Paps“ zusammen. Gegen ihn setzt sie aber auch immer wieder ihren eigenwilligen Kopf durch.

Bibi ist Mitglied einer Mädchenbande, die sich „die Verschworenen“ nennt. Gemeinsam schwärmen die fünf Mädchen in Bibi lernt Landwirtschaft für den neuen, jungen Pastor. Eine so offene und ausführliche Thematisierung erster Verliebtheit – zumal zu einem Pastor – war damals die Ausnahme. Die heile Welt währt aber nicht lange: Als eine große Bank pleite geht, verlieren Bibis Großeltern ihren Hof und ihr Betriebskapital, das sie teilweise für die Enkelin in Aktien angelegt hatten. Für Bibi ist das keine Tragödie: Dass sie nun eben einen Beruf erlernen und ausüben wird, wirkt selbstverständlich. Der Roman entwickelt hier deutlich eine republikanische und sozialdemokratisch geprägte Vorstellung von Gesellschaft. 

Frisch konfirmiert kommt Bibi auf einen Bauernhof und macht dabei schöne wie schwierige Erfahrungen. Die Strapazen werden recht realistisch dargestellt; unter anderem muss Bibi mit einem Ausbruch der Maul- und Klauenseuche zurechtkommen. Inspirierend wirkt auf Bibi die Bekanntschaft mit einer Witwe, die sich mit ihren fünf Söhnen weitestgehend selbst versorgt. Die wirtschaftliche und soziale Eigenständigkeit von Frauen wird ebenso präsentiert wie Arbeit zum Wohle der Gemeinschaft. Im Zentrum stehen das Individuum und seine Wünsche, immer eingebettet in die Gesellschaft.

Foto: Eva Völker

… hier Aufopferung für das Vaterland

Deutlich andere Prioritäten setzt die Protagonistin Gundula in Ein Mädel in der Front (Berlin 1938) der Schriftstellerin und Zeichnerin Suse von Hoerner-Heintze (1890–1978). Gundula entspricht einem Frauenideal, das besonders die Fürsorglichkeit und Aufopferungsbereitschaft in den Vordergrund stellt. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, ziehen ihr Vater und ihr Bruder in den Krieg. Gundula selbst scheut keine Mühen, um sich als Krankenschwester ausbilden zu lassen und den Verwundeten zu helfen. Außerdem pflegt sie ihren verletzten Vater mit größter Hingabe.

Was Gundula und Bibi gemeinsam haben, ist die Bereitschaft zum Arbeiten außerhalb des häuslichen Umfelds. Gundula beginnt ihre Ausbildung zwar wegen des Krieges, betont aber immer wieder, dass sie schon immer Krankenschwester werden wollte. Das ist kein Zufall, sondern passt gut in Geschlechterrollen, die für Frauen an erster Stelle Care-Tätigkeiten vorsehen.

Auch Gundula setzt ihren Willen manchmal durch, aber bleibt insgesamt Vater und Mutter hörig. Ein Jahr vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges präsentiert Hoerner-Heintze in ihrem Mädchenbuch das idealisierte Vorbild einer zurückhaltenden jungen Frau, die sich den vorgegebenen Werten nicht nur unterordnet, sondern sie geradezu verkörpert. Entsprechend wenig individuell ist die Figur angelegt. Damit wird den jungen Leserinnen vorgeführt, wie sie sich im Sinne der nationalsozialistischen Idee einer ‚Volksgemeinschaft‘ zu verhalten haben.

Entsprechende Ideen wurden in der Kinder- und Jugendliteratur auch nach 1945 weiter vermittelt. Während Ein Mädel in der Front keine Neuauflage in der Bundesrepublik erhielt, sind zahlreiche andere Texte in leicht bereinigter Fassung teils bis in die Gegenwart auf dem deutschen Buchmarkt geblieben.

Progressive Kinderbücher aus unterschiedlichen Jahrzehnten, Foto: Martin Liebetruth

Hier gibt es mehr zu entdecken…

Die Sammlung historischer Kinder- und Jugendliteratur Göttingen gehört mit etwa 35.000 Objekten zu den größten im deutschsprachigen Raum. Die Bücher, Papierspiele und weiteren Medien stammen aus dem Zeitraum vom frühen 18. bis zum späten 20. Jahrhundert. Schwerpunkte der Sammlung sind die Kinder- und Jugendliteratur der Weimarer Republik, der NS-Zeit, Bilderbücher und Märchenbücher. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen, die Bestände während der Öffnungszeiten vor Ort zu nutzen.

Ein Beitrag von Antonia Roedszus, Jaqueline Stephan und Hartmut Hombrecher

Categories
Forum Wissen Sammlung Sammlungsschaufenster

Archäologie und Naturwissenschaften

Im Sammlungsschaufenster der Ur- und Frühgeschichte findet ihr eine Vielzahl von interessanten und anschaulichen Objekten. Diese geben euch einen Einblick in das Leben und die Kultur der zurückliegenden ca. 7.500 Jahre. Besonders aufschlussreich sind dabei die Tierzähne. Sie zeigen euch, welche Haustiere bereits in einer frühen Phase der Seßhaftwerdung gehalten wurden. „Daneben stehen Tierfiguren, um gerade auch Kindern im Vorschulalter zu veranschaulichen, welche Tiere in der damaligen Zeit von Menschen gehalten wurden“, erklärt Dr. Immo Heske, der Kustos der Lehrsammlung für Ur- und Frühgeschichte.

Zähne eines Hausschweins aus dem Kreis Helmstedt, Bronzezeit und Eisenzeit. Foto: Martin Liebetruth

Zugleich könnt ihr sehen, welche Tiere auf dem urgeschichtlichen Bauernhof zu Beginn noch fehlen. Die Tierzähne sind auch ein Verweis auf die Naturwissenschaften, die eng mit der Archäologie verbunden sind. Denn ohne archäozoologische Bestimmungen können Wissenschaftler*innen die Tierarten nicht unterscheiden. Anhand der Tierzähne können sie feststellen, wie alt die Tiere zum Zeitpunkt ihres Todes waren und ob sie im laufe ihres Leben gereist sind.

Metallanalysen und Handel

Ein weiteres Highlight der Ausstellung sind Objekte aus der Bronzezeit: Ösenhalsringe und Spangenbarren, stehen für eine frühe Phase des Handels. Denn mit diesen Ringen und Barren haben die Menschen damals ihre Waren bezahlt. Auch das Metall selbst lässt weitere Auskünfte zu.  Die Zusammensetzung der Metall-Legierungen können Spezialist*innen bestimmen. Manchmal gelingt es sogar, die Herkunftsregion einzelner Bestandteile aufzuschlüsseln. Die Wissenschaftler*innen des Instituts für Ur- und Frühgeschichte haben sich in den zurückliegenden Jahren stark auf die Bronzezeit konzentriert. Diese zeigt uns, wie wichtig der überregionale Warentransfer für die Versorgung der Menschen mit Rohstoffen war. Durch Handel und Austausch von Rohstoffen kamen die Menschen in Kontakt mit anderen Kulturen und konnten von deren Kenntnissen sowie Fertigkeiten profitieren. Die Objekte in der Ausstellung zeigen uns eindrucksvoll, wie international die Kontakte der europäischen Menschen bereits zu dieser Zeit waren.

Ösenhalsringe, Bronzesichel und Spangenbarren aus der frühen und jungen Bronzezeit. Foto: Lena Heykes

Anthropologie und Bestattungen

Besonders spannend sind auch die Ausstellungsstücke zum Thema Bestattungssitten. Die Leichenbrände zeigen uns, wie die Menschen der Vergangenheit mit dem Tod umgegangen sind und welche Bestattungsformen sie gewählt haben. Hier ist die Anthropologie eine große Unterstützung, um Details über Geschlecht, Alter und vieles mehr herauszufinden – zum Beispiel über Arbeitsbelastung und gewalttätige Konflikte. Die Bestattungsmethoden änderten sich im Laufe der Zeit deutlich, besonders ab der Bronzezeit und europaweit ab dem 11. Jahrhundert v. Chr. Die Vielfalt der Bestattungsmethoden und -rituale zeigt, wie unterschiedlich die Menschen damals das irdische Leben im Jenseits weiter dachten. Heute kann jeder selbst entscheiden, ob er eine Brandbestattung in einer Urne oder eine Körperbestattung in einem Sarg bevorzugt.

Urne mit Leichenbrand aus der Eisenzeit. Foto: Uni Göttingen

„Es ist erstaunlich, dass die Bestattungen in Niedersachsen bis zur Einführung des Christentums fast ausschließlich bei Brandbestattungen blieben.“, meint Immo Heske. Die Hausurnen, die ganz oben in der Ausstellung stehen, zeigen uns auch, dass einige Gefäße ausschließlich für die Bestattung angefertigt wurden. Für normale Urnen verwendeten die Menschen damals oft einfache Gefäße aus dem Haushalt. Diese Urnen gab es häufig. Hausurnen finden Archäolog*innen hingegen seltenen. Sie lassen sich aber inselartig europaweit nachweisen. Ein Hinweis auf vielfältige Einflüsse und Kontakte zwischen dem heutigen Dänemark, Polen, Italien und dem Nordharzgebiet in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt.

Die Ausstellung der Ur- und Frühgeschichte im Sammlungsschaufenster endet mit den Hausurnen. Diese werden an das Ende der Bronzezeit und den Übergang der Eisenzeit datiert. Die Eisenzeit in Niedersachsen ist ansonsten überwiegend mit wenig aussagekräftigen Urnen belegt.

Hausurne der frühen vorrömische Eisenzeit 8./7. Jh. v. Chr. Foto: Lena Heykes

Noch mehr zu entdecken

Insgesamt liefert das Sammlungsschaufenster der Ur- und Frühgeschichte einen faszinierenden Einblick in das Leben und in die Kultur der frühen Menschheit. Die Objekte zeigen uns, wie sich die menschlichen Gesellschaften und Glaubensvorstellungen im Laufe der Zeit entwickelt und verändert haben – aber auch, wie der Mensch überregional oder lokal lebte. Archäolog*innen erforschen die Regionen und Landschaften, in denen wir heute leben auf ihre Geschichte.

Das Mittelalter spielt im Sammlungsschaufenster zwar keine Rolle, dafür ist es in der Dauerausstellung „Räume des Wissens“ präsent, mit Objekten des Weltkulturerbes Haithabu.

Categories
Forum Wissen Sammlungsschaufenster

Gemmen, Gipsabgüsse und Göttingen

Im Archäologischen Institut Göttingen befindet sich die 1765 gegründete Sammlung der Gipsabgüsse. Diese Sammlung gibt einen Überblick über die mehr als 1000-jährige Geschichte der griechisch-römischen Bildhauerkunst. Sie enthält nicht nur Abgüsse großformatiger Statuen, sondern auch winziger Gemmen.

Was sind Gemmen?

Gemmen sind geschnittene Schmucksteine, die aus verhältnismäßig weichen Steinen geschnitten wurden. Die verwendeten Steinsorten waren dabei Tigerauge, Bergkristall, Rosenquarz, Amethyst, Granat, Roter und Gelber Japsis, Karneol, Sarder, Achate, Chalzedon und Chrysopras. Mit viel Erfindungsgeist entwickelten die Gemmenschneider ab dem 5. bis 6. Jahrtausend vor Christi Techniken, um die relativ weichen Steine mit freier Hand zu bearbeiten. Dabei wurde das Bildmotiv von den Steinschneidern als Vertiefung eingeschnitten.

Mit den Abgüssen, die in der Antike angefertigt wurden, konnten damals Briefe und Dokumente wie Urkunden als Siegel beglaubigt werden. Aber auch Waren, Kästchen, Gefäße und Türen wurden so verschlossen. Ob aus Ton oder Wachs – das Öffnen hätte die Siegel beschädigt und verraten, dass sich jemand Zugriff verschaffen wollte!

Die Abbildung zeigt Abdrücke von Gemmen im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen
Die Abgüsse der Gemmen aus dem Archäologischen Institut Göttingen im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen. Foto: Eva Völker

Wofür wurden Gemmen angefertigt?

Neben Münzen waren Gemmen in der Antike die kleinsten Kunstwerke, die hergestellt wurden. Bis auf Gemmen aus Glas konnten sie nicht vervielfältigt werden und waren deshalb immer ein Unikat. Gemmen wurden zum Beispiel als Schmuckstücke, Ehrengeschenke, Glücksbringer oder Amulette angefertigt. Dabei wurden ihnen magische Kräfte zugeschrieben und Verstorbenen mit ins Grab gegeben oder auch vererbt. Es gab nicht nur einfach geschnittene Gemmen, sondern auch richtige Meisterwerke!

Die Abgüsse der Gemmen

Im 18. Jahrhundert wurden umfangreiche Sammlungen von Gemmen erstellt. Sie galten als zentrale Quelle für die Kenntnis der antiken Kunst. Die Abgüsse solcher antiker Siegelsteine in Gips, Schwefel, Siegelwachs oder Siegellack sowie Sammlungen von ihnen wurden hauptsächlich im 18. Jahrhundert angelegt. Der größte Teil der Vorlagen für die Abgüsse stammt aus der Zeit etwa vom 6. Jahrhundert vor bis zum 6. Jahrhundert nach Christus. Die detaillierten Miniaturbilder der Abgüsse sind für uns ein spannendes Zeugnis der Antike!

Die Abbildung zeigt Gipsabgüsse von Gemmen im Detail aus dem Sammlungsschaufenster im Forum Wissen.
In Nahaufnahme: Antike Bildmotive. Foto: Eva Völker

Bei vertieft in die Gemmen eingeschnittenen Bildern hatten Abgüsse den Vorteil, dass dank des positiven Reliefs Details oft noch besser als im Original herausgelesen werden konnten. Sammlungen solcher Abgüsse nennt man Daktyliotheken. Viele davon sind uns gut erhalten, da sie üblicherweise in geschlossenen Kästen aufbewahrt wurden und somit meist unversehrt geblieben sind. Für diese Art der Sammlungen wurden die Abgüsse mithilfe von vergoldeten Papierrähmchen systematisch auf einer Trägerplatte angeordnet beziehungsweise in eine Schublade fest montiert.

Abgüsse von Gemmen aus der Archäologischen Originalsammlung

Das Göttinger Archäologische Institut verfügt nicht nur über eine große Zahl von Daktyliotheken sowie einzelnen Gemmenabgüssen, sondern auch über mehr als 600 originale Gemmen aus hauptsächlich römischer Zeit. Johann Friedrich Crome (1906-1962) fertigte 1931 das erste systematische wissenschaftliche Inventar dieser originalen Gemmen im Besitz des Göttinger Archäologischen Instituts an und publizierte einen Teil davon in einem Aufsatz. Crome, der damals noch keine 25 Jahre alt war, hatte allerdings wenig Erfahrung mit antiken Gemmen. Er zog daher Paul Arndt als Experten zu Hilfe, den zu der Zeit besten Kenner antiker Steinschneidekunst in München. Arndt erhielt das gesamte Originalmaterial, formte innerhalb einiger Monate alle 106 Stück ab und montierte sie auf vier Tafeln aus festem Karton. Diese Abgüsse wurden in mindestens zwei Sätzen hergestellt und: Sie sind noch heute am Göttinger Institut erhalten.

Die Abbildung zeigt Gipsabdrücke von Gemmen aus dem Sammlungsschaufenster im Forum Wissen.
Die Abgüsse der Gemmen aus dem Archäologischen Institut Göttingen auf Karton montiert. Foto: Eva Völker

Die Gipsabgüsse von Gemmen

Die Nummerierungen auf dem Karton verraten uns vermutlich, dass es sich hierbei um ein Arbeitsexemplar handelt, welches dann als Fotografievorlage für die Publikation diente. Dafür wurden die endgültigen Tafeln wahrscheinlich in höchster Präzision als Ganzes fotografiert und der freie Raum zwischen den Abgüssen dann einschließlich der Goldrähmchen wegretuschiert. Da die Abgüsse auf den endgültigen Tafeln nicht nummeriert sind, können sie nur in Verbindung mit den Abbildungen in Cromes Publikation benutzt werden.

Der Kasten als solcher präsentiert uns ähnlich wie traditionelle Daktyliotheken damals die Gemmenabgüsse ein Stück der europäischen Kunstgeschichte. Im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen werden die Gemmenabgüsse in den Glasvitrinen gezeigt und die spannenden Details sind mit bloßem Auge zu betrachten!

Categories
Forum Wissen Sammlung Sammlungsschaufenster

Das ganze Leben ist Chemie!

Die Sammlung der Göttinger Chemie präsentiert ein besonders modernes Exponat bei uns im Sammlungsschaufenster: einen sogenannten Bioreaktor. Für ein Objekt im Museum der Göttinger Chemie ist dieses Exponat ziemlich jung; das Göttinger Unternehmen Sartorius hat es 2019 hergestellt und viele Labore nutzen es derzeit weltweit. “Der Bioreaktor ist eine Spende von Sartorius und er ist fabrikneu”, erklärt Dr. Ulrich Schmitt, der Kustos des Museums an der Fakultät für Chemie.

Ulrich Schmitt stellt den Bioreaktor ins Sammlungsschaufenster des Forum Wissen. Foto: Martin Liebetruth

Seine Sammlung ist facettenreich und enthält neben überwiegend historischen Exponaten nur wenige aktuelle Objekte aus der chemischen Forschung. Konventionell werden für viele chemische Arbeiten im Laboratorium vor allem Geräte und Apparaturen aus Glas verwendet. Deshalb präsentiert der Kustos auch in der oberen Vitrine des Sammlungsschaufensters eine Auswahl typischer Glasgeräte für chemische Laborpraktika (zahlreiche weitere Gerätschaften könnt ihr in der Basisausstellung des Forum Wissen im Raum Labor sehen).

Typische Glasgeräte für Laborpraktika im Sammlungsschaufenster. Foto: Leonie Bathow

Besonders im Bereich der Biochemie verwenden die Wissenschaftler*innen in neuerer Zeit vermehrt auch Laborgeräte aus modernen Kunststoffen, wenn dies von Vorteil ist. Hierzu gehört der schon genannte Bioreaktor, der aus Polycarbonat besteht. Er ist als Bestandteil einer größeren Apparatur ein wichtiges Hilfsmittel in der biochemischen Spitzenforschung. “Ein Reaktor ist einfach eine besondere Art von Gefäß, in dem bestimmte wissenschaftlich untersuchbare chemische Prozesse ablaufen”, erläutert der Kustos. An den Reaktor können verschiedene Schläuche, Filter und Adapter angeschlossen werden. Über diese können die Chemiker*innen dann beispielsweise Gase wie Sauerstoff, Stickstoff oder Kohlendioxid hinzufügen oder fernhalten. Auch ein Rührwerk für die Durchmischung von Flüssigkeiten ist Teil des Reaktors.

Der Bioreaktor, hergestellt 2019 vom Göttinger Unternehmen Sartorius. Foto: Martin Liebetruth

In der biopharmazeutischen Forschung werden in solchen Reaktoren spezifische Zellen unter geeigneten kontrollierten Bedingungen (Nährmedium, Temperatur, pH-Wert) kultiviert und erforscht – beispielsweise zur Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen gegen Viren und (eher noch Zukunftsvision) gegen Krebs. Die Zellen sind im Grunde kleine ‚chemische Fabriken‘, die genetisch so ‚programmiert‘ werden können, dass sie die gewünschten Moleküle produzieren.

Ein Stück Zeitgeschichte

Durch die COVID-19-Pandemie kam die biopharmazeutische Forschung mit der schnellen, erfolgreichen Impfstoffentwicklung in die Medien. Die lebenswichtige Bedeutung von biochemischer Forschung wurde gesellschaftlich heiß diskutiert. Aufgrund dieser Aktualität hat sich Ulrich Schmitt für die Präsentation des Bioreaktors entschieden. Mit einem baugleichen Exemplar wurde nämlich die erste Charge eines auf neuartiger mRNA-Technologie basierenden Corona-Impfstoffes hergestellt.

Der Kustos ist stolz, dieses Objekt in seiner Sammlung zu haben. Es bildet ein Stück aktueller Zeitgeschichte ab und passt perfekt in das Konzept seiner vergleichsweise jungen Sammlung – die es erst seit 1979 gibt. Für die Präsentation im Sammlungsschaufenster hat sich Ulrich Schmitt noch auf die Suche nach leeren Ampullen des Corona-Impfstoffes gemacht. Diese könnt ihr ebenfalls in der Vitrine betrachten. Ob sie bald von historischem Wert sein werden?

Leere Ampullen des Corona-Impfstoffes. Foto: Leonie Bathow
Categories
Sammlung Sammlungsschaufenster

Auf Spurensuche: die Anthropologische Sammlung

Den Knochenfunden ein Stück Identität zurückgeben

Anthropolog*innen sind angewiesen auf Originale, sie arbeiten mit echten menschlichen Überresten. Doch woher stammen diese? Und was untersuchen Anthropolog*innen?

Exponate der anthropologischen Sammlung der Universität Göttingen sind Teil des Sammlungsschaufensters. Fotos: Martin Liebetruth

“Wir haben keine museale Sammlung wie beispielsweise die Kunstsammlung der Universität Göttingen. Unsere Sammlung ist sehr flexibel, wir bekommen immer wieder neue Knochen und Skelette, welche Studierende überwiegend im Rahmen von Abschlussarbeiten untersuchen”, erklärt Dr. Birgit Großkopf. Sie betreut die anthropologische Sammlung der Universität Göttingen und ist unter anderem Expertin, wenn es um Skelettfunde geht. Frau Großkopf ist Mitarbeiterin der Abteilung Prähistorische Anthropologie und Humanökologie am Johann Friedrich Blumenbach-Institut für Zoologie und Anthropologie der Universität Göttingen.

Die Bestände der Sammlung kommen größtenteils aus archäologischen Grabungen aus ganz Deutschland. Teilweise werden die Knochen nach ihrer wissenschaftlichen Untersuchung wieder bestattet oder sie werden ein Teil der Lehrsammlung und für die Ausbildung und Forschung genutzt. An welchen Krankheiten hat die Person gelitten, wie alt ist sie geworden? Unter welchen Umständen hat sie gelebt? Das erforschen Anthropolog*innen in enger Zusammenarbeit Archäolog*innen. So können sie den menschlichen Überresten ein Stück Identität zurückgeben. Diese verschwinden nicht einfach mit den Baggerschaufeln …das ist Birgit Großkopf wichtig.

Wie forschen Anthropolog*innen?

Die menschlichen Überreste, die im Sammlungsschaufenster im Forum Wissen gezeigt werden, kommen nicht aus kolonialen Kontexten und haben nach den Erkenntnissen der Göttinger Forscher*innen keine ethisch bedenkliche Herkunft. Sie stehen exemplarisch für die Sammlung und die Arbeit der Göttinger Anthropolog*innen und denen, die es werden wollen. Zwei menschliche Oberschenkel-Knochen aus der Sammlung der Göttinger Anthropologie sind im Sammlungsschaufenster ausgestellt. Auf den ersten Blick vielleicht für manche etwas gruselig… Auf den zweiten Blick und mit Frau Großkopfs Erläuterungen, geben die Exponate interessante Einblicke in die Forschung der Anthropolog*innen.

Was Knochen für Geschichten über das Leben erzählen…

Der Oberschenkel-Knochen zum Beispiel stammt ursprünglich aus der pathologischen Sammlung der Universität Göttingen. Hier wurden Knochen für die medizinische Ausbildung gesammelt. Diese Sammlung wurde Anfang des 20.Jahrhunderts angelegt und von der Göttinger Anthropologie vor über 30 Jahren von der Medizin übernommen. Woher genau dieser große Knochen stammt, ist nicht mehr nachvollziehbar, denn die Unterlagen wurden im Krieg vernichtet. Der Knochen selbst aber ermöglicht es, pathologische Veränderungen am Original zu erforschen. Er weist Veränderungen auf, die Birgit Bgroßkopf auf den chronischen Verlauf einer Osteomyelitis zurückführt. Solche bakteriellen Entzündungen des Knochenmarks sind wieder auf dem Vormarsch, ausgelöst beispielsweise durch Antibiotika resistente Bakterien, die auch zu einer Sepsis führen können.

Der andere Oberschenkelknochen – in der unteren Vitrine des Schauregals – stammt aus einer Wolfenbütteler Gruft. Er zeigt deutliche Spuren der Zersetzung. Ein niedriger pH-Wert und Feuchtigkeit beschleunigen den Prozess. Der Knochen zersetzt sich immer weiter und über die Jahre könnte man hier auch mit den bloßen Augen minimale Veränderungen beobachten – für die Anthropologin ist das etwas ganz Normales.

Ein menschlicher Oberschenkelknochen ist im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen ausgestellt.

Fragen nach dem Alter

Der Unterkiefer eines Kindes, der im Forum Wissen im Sammlungsschaufenster zu betrachten ist, steht beispielhaft für Forschungsfragen zur Bestimmung des Sterbealters. Bei Kindern werden während des Wachstums die Milchzähne durch die Dauerzähne ersetzt. Zahnausfall im Alter führt hingegen zur Rückbildung des Kiefers. Der Knochen baut sich ab, wenn die Zähne fehlen und beim Kauen kein größerer Druck mehr auf den Kieferknochen wirkt. So haben die Anthopolog*innen herausgefunden, dass es in der Steinzeit vereinzelt Menschen gab, die trotz vieler Gefahren über 70 Jahre alt wurden.

Kein Skelett gleich dem anderen!

Wie lange ein Skelett schon im Boden gelegen hat, ist schwer zu bestimmen. Normalerweise vergehen Knochen im Boden recht schnell. Doch bei kalkhaltigen Böden können sich Knochen auch über tausende Jahre erhalten. Hier gibt es keinen Standard, an dem man schnell und einfach das Alter der Knochen festmachen kann. Viele Fragestellungen sind vergleichbar mit der Arbeit von Kriminologen. Da kann es schon einmal vorkommen, dass Frau Großkopf bei Skelettfunden von der Polizei um Hilfe gefragt wird. Hier sind Anthropolog*innen Profis.

Und: Kein Mensch sieht gleich aus! Auch kein Skelett gleicht dem anderen – diese Vielfalt möchte Frau Großkopf an die Studierenden vermitteln.

Die anthropologische Sammlung der Universität Göttingen

Mehr über die Sammlung könnt ihr direkt auf der Institutsseite erfahren. Ansprechpartnerin für alle Fragen, welche die Sammlung betreffen, ist Dr. Birgit Grosskopf.
PS: Aktuell könnt ihr die Ausstellung „Unter uns. Archäologie in Göttingen“ im Städtischen Museum Göttingen besuchen. Die Ausstellung ist eine Kooperation zwischen der Stadtarchäologie und der Abteilung Historische Anthropologie und Humanökologie des Johann-Friedrich-Blumenbach-Instituts für Zoologie und Anthropologie der Universität Göttingen. Ein Besuch lohnt sich!