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Forum Wissen Sammlung Sammlungsschaufenster

Archäologie und Naturwissenschaften

Im Sammlungsschaufenster der Ur- und Frühgeschichte findet ihr eine Vielzahl von interessanten und anschaulichen Objekten. Diese geben euch einen Einblick in das Leben und die Kultur der zurückliegenden ca. 7.500 Jahre. Besonders aufschlussreich sind dabei die Tierzähne. Sie zeigen euch, welche Haustiere bereits in einer frühen Phase der Seßhaftwerdung gehalten wurden. „Daneben stehen Tierfiguren, um gerade auch Kindern im Vorschulalter zu veranschaulichen, welche Tiere in der damaligen Zeit von Menschen gehalten wurden“, erklärt Dr. Immo Heske, der Kustos der Lehrsammlung für Ur- und Frühgeschichte.

Zähne eines Hausschweins aus dem Kreis Helmstedt, Bronzezeit und Eisenzeit. Foto: Martin Liebetruth

Zugleich könnt ihr sehen, welche Tiere auf dem urgeschichtlichen Bauernhof zu Beginn noch fehlen. Die Tierzähne sind auch ein Verweis auf die Naturwissenschaften, die eng mit der Archäologie verbunden sind. Denn ohne archäozoologische Bestimmungen können Wissenschaftler*innen die Tierarten nicht unterscheiden. Anhand der Tierzähne können sie feststellen, wie alt die Tiere zum Zeitpunkt ihres Todes waren und ob sie im laufe ihres Leben gereist sind.

Metallanalysen und Handel

Ein weiteres Highlight der Ausstellung sind Objekte aus der Bronzezeit: Ösenhalsringe und Spangenbarren, stehen für eine frühe Phase des Handels. Denn mit diesen Ringen und Barren haben die Menschen damals ihre Waren bezahlt. Auch das Metall selbst lässt weitere Auskünfte zu.  Die Zusammensetzung der Metall-Legierungen können Spezialist*innen bestimmen. Manchmal gelingt es sogar, die Herkunftsregion einzelner Bestandteile aufzuschlüsseln. Die Wissenschaftler*innen des Instituts für Ur- und Frühgeschichte haben sich in den zurückliegenden Jahren stark auf die Bronzezeit konzentriert. Diese zeigt uns, wie wichtig der überregionale Warentransfer für die Versorgung der Menschen mit Rohstoffen war. Durch Handel und Austausch von Rohstoffen kamen die Menschen in Kontakt mit anderen Kulturen und konnten von deren Kenntnissen sowie Fertigkeiten profitieren. Die Objekte in der Ausstellung zeigen uns eindrucksvoll, wie international die Kontakte der europäischen Menschen bereits zu dieser Zeit waren.

Ösenhalsringe, Bronzesichel und Spangenbarren aus der frühen und jungen Bronzezeit. Foto: Lena Heykes

Anthropologie und Bestattungen

Besonders spannend sind auch die Ausstellungsstücke zum Thema Bestattungssitten. Die Leichenbrände zeigen uns, wie die Menschen der Vergangenheit mit dem Tod umgegangen sind und welche Bestattungsformen sie gewählt haben. Hier ist die Anthropologie eine große Unterstützung, um Details über Geschlecht, Alter und vieles mehr herauszufinden – zum Beispiel über Arbeitsbelastung und gewalttätige Konflikte. Die Bestattungsmethoden änderten sich im Laufe der Zeit deutlich, besonders ab der Bronzezeit und europaweit ab dem 11. Jahrhundert v. Chr. Die Vielfalt der Bestattungsmethoden und -rituale zeigt, wie unterschiedlich die Menschen damals das irdische Leben im Jenseits weiter dachten. Heute kann jeder selbst entscheiden, ob er eine Brandbestattung in einer Urne oder eine Körperbestattung in einem Sarg bevorzugt.

Urne mit Leichenbrand aus der Eisenzeit. Foto: Uni Göttingen

„Es ist erstaunlich, dass die Bestattungen in Niedersachsen bis zur Einführung des Christentums fast ausschließlich bei Brandbestattungen blieben.“, meint Immo Heske. Die Hausurnen, die ganz oben in der Ausstellung stehen, zeigen uns auch, dass einige Gefäße ausschließlich für die Bestattung angefertigt wurden. Für normale Urnen verwendeten die Menschen damals oft einfache Gefäße aus dem Haushalt. Diese Urnen gab es häufig. Hausurnen finden Archäolog*innen hingegen seltenen. Sie lassen sich aber inselartig europaweit nachweisen. Ein Hinweis auf vielfältige Einflüsse und Kontakte zwischen dem heutigen Dänemark, Polen, Italien und dem Nordharzgebiet in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt.

Die Ausstellung der Ur- und Frühgeschichte im Sammlungsschaufenster endet mit den Hausurnen. Diese werden an das Ende der Bronzezeit und den Übergang der Eisenzeit datiert. Die Eisenzeit in Niedersachsen ist ansonsten überwiegend mit wenig aussagekräftigen Urnen belegt.

Hausurne der frühen vorrömische Eisenzeit 8./7. Jh. v. Chr. Foto: Lena Heykes

Noch mehr zu entdecken

Insgesamt liefert das Sammlungsschaufenster der Ur- und Frühgeschichte einen faszinierenden Einblick in das Leben und in die Kultur der frühen Menschheit. Die Objekte zeigen uns, wie sich die menschlichen Gesellschaften und Glaubensvorstellungen im Laufe der Zeit entwickelt und verändert haben – aber auch, wie der Mensch überregional oder lokal lebte. Archäolog*innen erforschen die Regionen und Landschaften, in denen wir heute leben auf ihre Geschichte.

Das Mittelalter spielt im Sammlungsschaufenster zwar keine Rolle, dafür ist es in der Dauerausstellung „Räume des Wissens“ präsent, mit Objekten des Weltkulturerbes Haithabu.

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Forum Wissen Sammlung

Ein Füllhorn von Geschichten

Die Lehrsammlung für Ur- und Frühgeschichte enthält Exponate, sowohl Originale als auch Kopien, von der Urgeschichte bis hin zur Neuzeit. Sie spielt noch heute eine wichtige Rolle für Forschung und Lehre. Vielleicht ist die Sammlung gerade deswegen mit gleich zwei Vitrinenreihen im neuen Sammlungsschaufenster des Forum Wissen vertreten. So haben neben Student*innen nun auch Besucher*innen die Möglichkeit, einige Objekte aus der Nähe zu sehen. „Die ausgewählten Objekte, die im Moment ausgestellt sind, können dabei unterschiedlich betrachtet werden, einzeln für sich oder in einem zusammenhängenden Kontext“, so Dr. Immo Heske, Kustos der Lehrsammlung für Ur- und Frühgeschichte.

Steinzeitliche Feuersteinklingen im Sammlungsschaufenster im Forum Wissen. Foto: Martin Liebetruth.

Von der Sesshaftwerdung des Menschen

Die erste Geschichte, die erzählt wird, ist die Veränderung der Lebensweise durch die Sesshaftwerdung des Menschen im Jungneolithikum, eine der grundlegenden Erkenntnisse der ur- und frühgeschichtlichen Archäologie. Dies wird anhand der ersten der beiden Schaufenster nähergebracht, in denen die landwirtschaftliche Vielfalt gezeigt wird: der erste Ackerbau und die Viehzucht in Deutschland zuerst auf den Lößböden und die spätere Weiterentwicklung zu den Großsteingräber-Kulturen wie der Trichterbecherkultur. Diese Kulturen legten ihre Toten in monumentalen Grabanlagen zur Ruhe und begannen auch auf kargen Sandböden mit dem Ackerbau.

Die Ausstellung im Sammlungsschaufenster verdeutlicht diese Veränderungen durch zahlreiche Fundstücke aus dieser Epoche der Menschheitsgeschichte. Hierzu zählen unter anderem Steinwerkzeuge und Waffen sowie Gefäße aus Keramik.

Trichterbecher aus Keramik im Sammlungsschaufenster im Forum Wissen. Foto: Martin Liebetruth.

Hebt man den Blick etwas, geht die Geschichte weiter und erzählt vom Übergang zur Bronzezeit, in der die Metallverarbeitung eine zunehmend wichtige Rolle spielt. Die Waffen, Werkzeuge und der Schmuck aus Bronze werden in Gräbern gefunden und lassen Rekonstruktionen sowie die Unterscheidung von männlicher und weiblicher Tracht zu. So werden Frauen eher Schmuckgegenstände zugesprochen und Männern Waffen wie die Bronzeklingen.

Vom Übergang zur Bronzezeit

Reskonstruktionvorschlag einer bronzezeitlichen Frau im Sammlungsschaufenster im Forum Wissen. Foto: Lena Heykes.

Neben den großen gesellschaftlichen Veränderungen werden auch kleinere Details des alltäglichen Lebens durch Fundstücke veranschaulicht. Sie sind im Sammlungsschaufenster über das Scannen des QR-Codes zugänglich. Doch nicht nur Sesshaftwerdung und Bestattungssitten im Jungneolithikum und der Bronzezeit werden als Geschichten erzählt, sondern auch die Entwicklung von Gesellschaften und Kulturen, die sich in den Epochen bilden und weiterentwickeln.

Bedeutung der Exponate im Studium

Damit beschäftigen sich die Student*innen der Ur- und Frühgeschichte tiefergehend. Anhand der Exponate lernen sie die unterschiedlichen Merkmale der verschiedenen Kulturen näher kennen. Und natürlich arbeiten sie dafür auch eng mit den Exponaten aus der Lehrsammlung.

Schwerter der Älteren Bronzezeit aus Männergräbern. Foto: Martin Liebetruth.

Dort gibt es auch einige Objekte, die noch nicht wirklich aufgearbeitet sind, die sie dann in Seminaren behandeln und bearbeiten. Andere Objekte werden für Ausstellungsprojekte wie dem Sammlungsschaufenster genutzt, um den Student*innen das Planen der Ausstellungskonzepte näherzubringen. Ebenso spielen das Zeichnen und die Recherche zur kulturhistorischen Einordnung der Artefakte eine wichtige Rolle. Mit diesen Techniken können sich die Student*innen nämlich auf ihre Abschlussarbeiten vorbereiten.

Zeichnung der Schwerter aus dem Sammlungsschaufenster. Foto: Lena Heykes.

Insgesamt ist die Sammlung für Ur- und Frühgeschichte wichtig für die wissenschaftliche Arbeit und die Vermittlung der menschlichen Geschichte. Diese möchten Immo Heske und die Student*innen den Besucher*innen durch das Sammlungsschaufenster näherbringen. So können sie sich schlaglichtartig ein Bild von der Entwicklung der Menschheit machen.

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Hinter den Kulissen Sammlung

Eine bunte Göttin – Farbrekonstruktion der Artemis aus Pompeji

Seit langem ist bekannt, dass die Antike nicht marmorweiß war, sondern dass Griechen und Römer ihre Statuen, Büsten und Reliefs bunt bemalten. Das gilt auch für die Göttin der Jagd, Artemis – oder Diana, wie die Römer sie nannten.

Die originale Artemis-Statue im Depot des Nationalmuseums in Neapel, Foto: Vinzenz Brinkmann.

Frischer Gipsabguss in der Werkstatt, Foto: Jorun Ruppel.

Ende 2017 erhielten wir am Archäologischen Institut die Anfrage, ob wir einen Gipsabguss der Artemis aus Pompeji für das Winckelmann-Museum in Stendal anfertigen könnten.  Für die anschließende Farbrekonstruktion waren die Frankfurter Archäologen Ulrike Koch-Brinkmann und ihr Mann Vinzenz Brinkmann verantwortlich, die auch hinter der berühmten Ausstellung Bunte Götter stecken. Für die Ausstellung hatten wir bereits eine Artemis aus Gips produziert, die eigens dafür angefertigte Form aus Silikon und Glasfaserlaminat lag noch vor. Wir sagten daher zu und entschlossen uns, gleich zwei neue Abgüsse herzustellen: einen für Stendal und den anderen für uns, die Göttinger Sammlung der Gipsabgüsse antiker Skulpturen.

Das Original

Wenn es darum geht, die Farben einer Skulptur zu rekonstruieren, kann man nicht einfach so drauflos malen, sondern benötigt Hinweise auf das ursprüngliche Aussehen. Als die Artemis-Statue vor 260 Jahren, am 19. Juli 1760, bei Ausgrabungen in Pompeji zum Vorschein kam, waren deutliche Spuren ihrer Bemalung sichtbar. Im Grabungstagebuch werden unter anderem hautfarbene Arme erwähnt – ein wichtiger Hinweis, denn bis heute ist die Fachwelt in der Frage “Hautfarbe ja oder nein” gespalten. Auch Johann Joachim Winckelmann, der die Statue eineinhalb Jahre später sah, äußerte sich in seinen Notizen zur Bemalung: “Die Haare der Hetrurischen Diana waren gelb gefärbet, auch die Augäpfel waren gemahlet. Der Riem des Köchers ist roth. Der äußere kleine Rand des Gewandes ist gelb und schmal, auf dem breiten rothen Streifen sind weiße Blumen gemahlet. An ihrem Diadema, welches rund um den Kopf gehet, sind 10 Rosen erhaben, roth gemahlet.” (Wiedergegeben von Oliver Primavesi in: Die Artemis von Pompeji und die Entdeckung der Farbigkeit griechischer Plastik, Stendal 2011).

Nicht nur die Bemalung der Artemis-Statue interessierte Winckelmann, sondern auch ihre stilistische Einordnung. Zunächst hielt er sie für ein etruskisches (= ‚hetrurisches‘) Werk, kam Jahre später aber zu dem Schluss, dass sie einen frühen griechischen Stil zeigte. Heutige Archäolog*innen sehen zwar ebenso frühgriechische Stilelemente der archaischen Kunst des 6. Jahrhunderts vor Christus, wissen jedoch, dass die Römer diesen Stil imitierten. So bezeichnen sie die Artemis als eine archaistische Skulptur und datieren sie in die Zeit von Kaiser Augustus. Typische Stilmerkmale sind die Zickzackfalten des Mantels oder die etwas steife Körperhaltung.

Die Suche nach den Farben

Mehr als 70 Jahre nach ihrer Auffindung erschien erstmals eine farbige Abbildung der Artemis aus Pompeji und zwar in einem Werk des französischen Archäologen Désiré Raoul Rochette, in dem er sich mit Farbe an griechischen und römischen Sakral- und Profanbauten befasste. Seinem Göttinger Kollegen Karl Otfried Müller, mit dem er regelmäßig korrespondierte, schickte er vorab einen kolorierten Probedruck des Stiches. Er zeigt Artemis mit goldgelbem Haar und einem weißen Gewand, dessen rosa und gelb bemalter Zickzacksaum mit einem floralen Ornament verziert ist. Auch Beschläge auf dem Köcherband sind zu erkennen.

Probedruck aus dem 1836 erschienenen Buch von Désiré Raoul Rochette (Nachlass K. O. Müller, Archäologisches Institut Göttingen, Foto: Stephan Eckardt). Bis zum 17. Januar 2021 wird der Stich in der Bunte Götter-Ausstellung im Liebieghaus in Frankfurt gezeigt.

Die letzte ausführliche Beschreibung der Bemalung stammt von 1888, verfasst vom Archäologen Franz Studniczka. Er hielt gezielt nach Farbresten Ausschau, die seine Vorgänger beschrieben und abgebildet hatten, und konnte auch noch Reste des Saum-Ornaments erkennen, die inzwischen vollständig verloren sind. Lediglich das Rosa und das Gelb des Saums sind heute noch auszumachen.

Der Zickzacksaum und das Diadem mit Resten der Bemalung, Fotos: Vinzenz Brinkmann.

Danach dauerte es 122 Jahre, bis Artemis zum ersten Mal mit naturwissenschaftlichen Methoden untersucht wurde: Es waren die Brinkmanns und der Restaurator Heinrich Piening, die mit Hilfe der UV-VIS-Absorptionsspektroskopie und verschiedenen fotografischen Techniken weitere Details über das Aussehen der römischen Statue herausfanden. Unter Infrarotlicht beispielsweise fluoreszieren auch kleinste Reste von Ägyptischblau, die mit bloßem Auge nicht wahrzunehmen sind. Zu finden war das Blau am Diadem, an den Armstützen und, wie jüngst entdeckt, auch an den Ärmeln. Zudem konnten widersprüchliche Angaben zur Farbe der Rosetten geklärt werden: Sie waren nicht nur rot, wie Winckelmann schrieb, oder gelb, wie auf Raoul Rochettes Stich, sondern beide Farben kamen vor und obendrein noch rosa.

Wie bunt soll unsere Artemis werden?

Egal, wie gut die Faktenlage ist – letztlich gibt es bei Farbrekonstruktionen immer einen gewissen Spielraum. Bedeutet ein kleiner Farbrest an einer einzelnen Stelle, dass die gesamte Fläche in ebendieser Farbe bemalt war? Wie sahen die obersten Farbschichten aus, die immer als erste verloren gehen? Hier ist Raum für Interpretationen, das heißt unsere Göttinger Artemis musste nicht wie eine Drillingsschwester der vorherigen Brinkmannschen Rekonstruktionen aussehen, die sich untereinander ebenfalls unterschieden.

Das 2018 bemalte Exemplar für das Winckelmann-Museum in Stendal, Foto: Vinzenz Brinkmann.

Die Brinkmannsche Farbrekonstruktion in der Bunte Götter-Ausstellung in Berlin im Sommer 2010, Foto: Jorun Ruppel.

 

Unser Ziel war es, mit unserer Farbrekonstruktion näher an die erste farbige Abbildung von 1836 mit ihrem Göttingen-Bezug heranzurücken, ohne jedoch eindeutige Analyseergebnisse zu ignorieren. Wie konnten wir das umsetzen? Wir machten drei Bereiche aus, die Spielraum für eigene Interpretationen boten.

Beschläge auf dem Köcherband

Auf dem Stich von 1836 sind sie zu sehen, doch niemand zuvor erwähnte sie, und Studniczka, der gezielt danach Ausschau hielt, konnte von ihnen keine Spuren finden. Hat Raoul Rochette Fehlstellen im Rot des Köcherbands, die sich in mehr als sieben Jahrzehnten durch Abblättern der Farbe gebildet hatten, für weiße Beschläge gehalten? Oder existierten sie tatsächlich, wurden jedoch von Winckelmann & Co. nicht erwähnt, weil sie Beschlagknöpfe einfach zu gewöhnlich fanden? In der griechischen Vasenmalerei sind sie dies jedenfalls. Wir entschieden uns schließlich dafür, weiße Beschläge aufzumalen – wegen des Göttingen-Bezugs des kolorierten Stiches und um einen neuen Vorschlag zu machen.

Unsere Rekonstruktion mit Beschlagknöpfen auf dem Köcherband, Foto: Jorun Ruppel.

Ausschnitt aus dem kolorierten Stich. Die Knöpfe auf dem Stich waren ursprünglich silbrig-weiß, doch hat sich die Farbe verändert, Foto: Stephan Eckardt.

Die Farbe der Ärmel

Der linke Ärmel mit roten Farbresten, Foto: Vinzenz Brinkmann.

Auf Detailfotos vom linken Ärmel des Untergewandes sind Reste roter Farbe zu erkennen, doch beschreibt keiner der frühen Beobachter die Ärmel als rot und auch auf dem Stich sind sie weiß. In unserer Rekonstruktion haben wir uns entschieden, die roten Farbreste (vorerst) zu ignorieren und die Ärmel, genau wie das übrige Untergewand und den Mantel, weiß zu bemalen. Richtig: Die Römer haben das Gewand nicht marmorsichtig belassen, sondern haben weiße Farbe aufgetragen. Auch das neu nachgewiesene Ägyptischblau haben wir erst einmal weggelassen, hier bedarf es noch weiterer Versuche.

Das Ornament

Es ist unstrittig, dass auf dem pinken Saum ein weißes Ornament aufgemalt war, doch wie soll man die Beschreibungen von Blumen, Schnirkeln, Palmetten oder Ranken mit palmettenartigen Gliedern und Studniczkas Zusatz, das Ornament habe sich wahrscheinlich in Längsrichtung entwickelt, interpretieren? Schließlich suchten wir in der zeitgenössischen römischen Wandmalerei nach einer Vorlage und fanden sie in der Villa Farnesina in Rom. Da uns das Ornament jedoch zu detailreich erschien, glichen wir es durch Weglassen einiger Elemente an das bei Raoul Rochette abgebildete Muster an.

Ornament im Cubiculum B der Villa Farnesina, Rom. Ausschnitt aus dem kolorierten Stich von Raoul Rochette und unser Vorschlag, Fotos: Stephan Eckardt, Jorun Ruppel. Das ursprünglich mit Weiß aufgemalte Ornament auf dem Stich hat sich über die Jahre dunkel verfärbt.

Nach insgesamt zwei Jahren Arbeit ist die Bemalung nun (weitgehend) abgeschlossen. Die bunte Artemis aus Pompeji kann im Rahmen der Sonntagsspaziergänge der Uni Göttingen immer sonntags von 11 bis 16 Uhr in der Sammlung der Gipsabgüsse antiker Skulpturen im Nikolausberger Weg 15 besucht werden.

Die Göttinger Farbrekonstruktion von 2018-20, Foto: Jorun Ruppel.

 

Gipsabguss: Nadja Kehe, Gesine Philipp, Julius Rammler, Jorun Ruppel

Bemalung: Jorun Ruppel, Nadja Kehe, Grundierung: tier. Leim, Calciumcarbonat

Farben: Naturpigmente

Bindemittel: Ei-Casein-Tempera

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Jorun Ruppel ist seit 2002 Restauratorin am Archäologischen Institut und in der Sammlung der Gipsabgüsse antiker Skulpturen.

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Rede, Buch, Ausstellung und Bühne

Wie Wissenschaftler*innen sich selbst darstellen, beschreibt der neue Band „Gesichter der Wissenschaft. Repräsentanz und Performanz von Gelehrten im Porträt“. Daniela Döring hat – noch vor Corona – die Präsentation des Buches in der Sammlung der Gipsabgüsse antiker Skulpturen besucht.

Katharina Müller in der Sammlung der Gipsabgüsse antiker Skulpturen.

Die Inszenierung

Der Wissenschaftler durchquert in lockerem Schritt den Raum, tritt an das Pult, stützt die Hände auf und wird größer, gewichtiger. Er räuspert sich. Sein Blick schweift über das zahlreich erschienene Publikum, das zu ihm aufsieht. Mit sicherer Stimme hebt er an zu sprechen, er begrüßt seine Zuhörenden und nach einer kleinen, bedeutungsschwangeren Pause, beginnt er seinen Vortrag mit einem Zitat eines allseits bekannten Wissenschaftlers.

Dieses Szenarium ist im Wissenschaftsbetrieb nur allzu bekannt. Wenngleich es in ganz unterschiedlichen Formen auftritt – etwa in Abhängigkeit von Herkunft oder Geschlecht –, gilt es für alle Statusgruppen, diesen traditionell männlich und bildungsbürgerlich konnotierten Habitus einzuüben, um die eigene wissenschaftliche Expertise, Autorität und Souveränität – im wahrsten Sinne des Wortes – zu verkörpern. Unzählige Male konnten wir diesem Schauspiel im universitären Alltag bereits beiwohnen, freilich ohne es genau zu sehen. Denn erst durch die Unsichtbarmachung entfaltet es seine volle Wirksamkeit.

Christian Vogel eröffnet die Veranstaltung.

Die Präsentation

Mit genau dieser Szene beginnt die Präsentation des Buches. Schon während sich Christian Vogel, der gemeinsam mit Sonja Nökel den Band herausgegeben hat, auf den Weg zum Pult macht, um den Eröffnungsvortrag zu halten, beschreibt die Schauspielerin Katharina Müller vom Deutschen Theater Göttingen jede seiner Gesten. Ihr Metakommentar macht aufs unterhaltsamste deutlich, wovon das Buch handelt: der performativen Herstellung von Wissenschaftler*innen im Porträt in seinen historischen wie gegenwärtigen Formen.

Von Gelehrten im Talar, arrangiert als Ahnengalerie, über Kupferstiche, Gemälde, Scherenschnitte, Cartes des Visites und Karikaturen bis hin zu aktuellen Plakaten und Social Media-Kanälen reicht das Spektrum, das in der Ausstellung „Face the Fact. Wissenschaftlichkeit im Porträt“ aufgefächert wurde. Die Ausstellung, die vom 27. September 2018 bis 3. März 2019 in der Kunstsammlung der Universität Göttingen zu sehen war (zur Rezension der Autorin), stellt die Vorarbeit zu diesem Band dar. Sie wurde von einer Vortragsreihe flankiert, die zusammen mit zahlreichen weiteren Essays, Eingang in die Publikation fand.

Wissenschaft und Theater

Weil der wissenschaftliche Auftritt eine enge Nähe zur Bühne aufweist, wurde das Veranstaltungsformat in Kooperation mit dem Deutschen Theater entwickelt und umgesetzt. Für die szenische Einrichtung zeichnete Johanna Schwung verantwortlich, die dafür verschiedene Elemente auf inspirierenden Weise zusammenbrachte. Bereits beim Betreten der Veranstaltungsräume ist die Schauspielerin Katharina Müller auf einem Sockel inmitten der Sammlung zu sehen. Wie eine lebende Gipsfigur setzt sie die weißen Körper der Gipsfiguren und einzelne Gesten in Szene, begleitet von einer Audio-Collage aus Zitaten des Buches und der Projektion von Porträts.

Inszenierte Gelehrsamkeit.

Müller verrät typisch akademische Verhaltens- und Sprechweisen und sensibilisiert das Publikum für die nun folgenden Lesungen. Mit schauspielerischer Qualität und souveräner Betonung werden sie zu einem besonderen Vergnügen. Zwischen jeder Präsentation werden vom Theater produzierte kurze Videoclips gezeigt, in denen Wissenschaftscoach Susanne Maier-Hofer dem Publikum nicht ganz ernst gemeinte Tipps zur Selbstvermarktung gibt. Angesichts der Tatsache, dass diese Formen der Selbstdarstellung für eine erfolgreiche Karriere unabdingbar und für so manche(n) harte und aufwendige Arbeit sind, kommt der Aufruf erfrischend daher. Zumal sich der Appell der Schauspielerin selbst nicht an die Regeln der Kunst hält, sondern vielmehr die – normalerweise entfernten – Versprecher, Ausrutscher und deplatzierten Gesten exponiert. Das Lachen darüber macht gewissermaßen den Weg frei.

Der Kustos der Sammlung, Dr. Daniel Graepler.

Die Reden

Zu hören ist Spannendes, beispielsweise von Ruth Finckh über das 1780 entstandene Porträt der gelehrten Dichterin Philippine Gatterer, in dem die zur damaligen Zeit geltenden Grenzen für das weibliche Geschlecht im Gemälde zunächst überschritten, um im darauffolgenden Stich – welcher aufgrund seiner medialen Eigenschaften weitaus größere Verbreitung erlangte – sorgsam wieder zurückgeholt zu werden. Oder von Daniel Graepler über das Porträt von Karl Otfried Müller, das 1830 entstand und Müller mit den entsprechenden Anleihen und Requisiten kunstvoll als Archäologen inszeniert.

Karsten Heck über den Mathematiker Carl Friedrich Gauß.

Wir erfahren vom Witz in einer Karikatur auf Carl Friedrich Gauß, der sich erst durch die ungemein schlaue wissenschaftliche Rekonstruktion und wortgewandte Lesung seines Autors Karsten Heck erschließt. Und schließlich liest Sonja Nökel – stellvertretend für Mario Schulze – seinen Essay über die Inszenierung des Windkanalingenieurs Carl Wieselsberger, der im Selbstversuch und Kampf gegen den Wind seine Professionalität und Männlichkeit unter Beweis stellt.

Resumee

Die Beiträge machen große Lust auf mehr und der im Wallstein Verlag erschienene Band ist aufs Wärmste zu empfehlen. Besonders aber hat der Abend dazu angeregt, das gängige Vortrags- und Präsentationsformat im akademischen Betrieb zu hinterfragen und vielleicht sogar zu verändern. Denn solch mutige Versuche mit offenem Ende müssen letztlich auch ein Stück Kontrolle sowohl über die Formen der Darstellung als auch über die Inhalte an andere Akteure abgegeben. Das in diesem Fall Inhalt und Form zusammenfielen, war nicht nur eine glückliche Fügung, sondern auch eine überaus gelungene Inszenierung.

Das Buch

Vogel, Christian / Nökel, Sonja (Hg.): Gesichter der Wissenschaft. Repräsentanz und Performanz von Gelehrten, 284 S., 111 z. T. farb. Abb., brosch., 18,5 x 27,0, ISBN 978-3-8353-3553-0, 24,90 €, Göttingen: Wallstein Verlag 2019.

Die Publikation wurde gefördert durch die Stiftung Niedersachsen.

Zur virtuellen Ausstellung „Face the Fact“ in 360°-Ansichten: facethefact.gbv.de

Fotos: Martin Liebetruth

Zur Autorin: Dr. Daniela Döring ist wissenschaftliche Koordinatorin und Postdoktorandin am Forschungskolleg „Wissen | Ausstellenбанки сделать рефинансирование“.

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Schaufenster in die Antike

Wie sieht für uns die Welt der antiken Griechen und Römer aus? Als Althistoriker kommen mir sofort die Ausgrabungen von Athen und Pompeji in den Sinn. Sobald ich mich außerhalb meiner eigenen Disziplin bewege, erhalte ich auf eine solche Frage aber ganz andere Antworten: Für viele sieht die antike Welt aus wie im Film Gladiator oder wie in der Doku-Reihe Terra X.

Antike im Film – und in der Sammlung Stern.

Je weiter die Antike im Schulunterricht zurückgedrängt wird, desto populärer scheint sie vor allem im Fernsehen zu werden. Und wenn ich ganz ehrlich bin, müsste auch ich in meiner Antwort ein paar Filmbeispiele ergänzen. Über die Jahrtausende hinweg haben sich Menschen an der Darstellung der Antike abgearbeitet, haben immer neue Deutungen und zeitgebundene Bilder entworfen.

Warum ein Filmarchiv?

Wer auch immer sich heute mit der Epoche beschäftigt, wird von dieser Tradition beeinflusst, ob er sich dessen bewusst ist oder nicht. Aus meiner Sicht ist es daher nur folgerichtig, dass wir am Althistorischen Seminar Göttingen das weltweit erste altertumswissenschaftliche Filmarchiv eröffnen.

Sammeln, ordnen, bewahren und – öffentlich machen.

In der neuen Sammlung Stern finden sich Schul- und Dokumentarfilme zur antiken Geschichte, Filmdokumente von archäologischen Grabungen, Dokudramen in Settings von der Steinzeit bis in die Spätantike und vieles mehr. Die Bestände waren ursprünglich die Privatsammlung des Archäologen, Filmforschers und Museumspädagogen Tom Stern (1958 bis 2016). Wir waren uns in den vergangenen zehn Jahren immer wieder begegnet – die Schnittmenge von Leuten, die professionell Altertumswissenschaft und Filmstudien betreiben, ist relativ klein. Sein größtes Anliegen war, den Film als Medium der Wissensvermittlung zu diskutieren, innerhalb wie außerhalb von wissenschaftlichen Kreisen.

Juliette Harrisson von der Newman University Birmingham und Martin Lindner, Kustos der Sammlung.

Wir alle haben Vorwissen, Klischees und sonstige „Filter“ im Kopf, wenn wir uns mit der Antike befassen. Wäre es da nicht gut, wenn wir uns bewusstmachen, wie diese Filter aussehen und wie sie entstehen? Filme können die Antike auf begeisternde Weise anschaulich machen und sollten als eigenständige Kunstform ernst genommen werden. Umgekehrt sollten wir nicht kritiklos konsumieren, sondern die Sprache des Films mit all ihren Möglichkeiten und Grenzen verstehen lernen.

Die Anfänge

Nach Tom Sterns Tod wollte seine Familie sicherstellen, dass die Sammlung in diesem Sinn lebendig bleibt. Ich hatte das Glück, dass meine Ideen eines Lehr- und Lernarchivs von der Familie ebenso positiv aufgenommen wurden wie an der Universität Göttingen. Innerhalb von gut einem halben Jahr hatten wir die Basis für eine Übernahme und die Einrichtung einer neuen universitären Sammlung geschaffen.

Vor Ort in einem Keller in Essen wurde mir erst klar, worauf wir uns eingelassen hatten: Hunderte von Magnetbändern und Filmrollen lagen unsortiert in Kisten. Die bisherigen Bestandslisten stimmten nur näherungsweise mit den Etiketten auf den Medien überein, sofern es überhaupt eine Beschriftung gab. Am Abend türmten sich diese Kisten in meinem Göttinger Büro zu einer Ausgrabungsstätte der besonderen Art, und die zweite Karriere der Sammlung Stern begann.

Neu sortiert und eingeordnet: Hunderte von Filmrollen.

Wie macht man ein Archiv?

Wir hatten natürlich Kontakt zu anderen Filmarchiven gesucht und uns Anregungen geholt. Wir hatten Gelder eingeworben, um technische Ausstattung, Möbel und studentische Hilfskräfte bezahlen zu können. Wir hatten Arbeits- und Zeitpläne erstellt – mussten aber bald feststellen, wie schnell die Realität alle Konzepte über den Haufen werfen kann. Unsere Medien enthielten viel mehr Filme als gedacht. Andere waren in so schlechtem Zustand, dass wir unsere Prioritäten bei der Erfassung ändern mussten.

Derzeit digitalisieren wir 15 bis 20 Stunden Film pro Monat und sichern die Resultate auf den Medienservern der GWDG. Der Prozess ist langsam, aber wir müssen in Echtzeit vorgehen: um die Qualität zu prüfen und den Inhalt soweit zu sichten, dass wir die Filme hinterher mit Suchbegriffen in den Göttinger Universitätskatalog eintragen können.

16-Millimeter-Filmprojektor der amerikanischen Firma Bell & Howell, Modell Filmosound 1680.

Unsere Sammlung ist nicht nur ein Archiv, sondern auch ein Sonderstandort der Bibliothek. Können wir also aus dem Katalog einen direkten Zugriff auf unsere Medien ermöglichen? Leider nein. Aber wir können die Filme mit Schlagwörtern im Katalog sichtbar machen und sie als Archivalien in unseren Räumen für wissenschaftliche Zwecke nutzen. Die Sammlung Stern hat daher mehrere Filmterminals, die bereits gern und häufig aufgesucht werden – unter anderem von Studierenden, die in ihrem Forschungsprojekt den Einsatz von Dokumentarfilmen in Universität und Schule vergleichen.

Einst Seminarraum, jetzt Bibliothek.

Da uns kürzlich der Kieler Filmemacher und -forscher Kurt Denzer seine Buchbestände überlassen hat, brauchten wir einen Bibliotheksraum für 1.500 Bücher und Zeitschriftenbände. Auch den weihen wir zur Eröffnung der Sammlung am 11. Januar 2019 ein. Dabei wird ein Film laufen, den Tom Stern vor seinem Tod nicht mehr zu Gesicht bekam: Tom auf den Spuren von Agatha Christie. Ich werde mir still dazu denken: Und wir ab sofort auf den deinen.

Fotos: Jan Vetter

 

 

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Theater in der Gipsabgusssammlung

In der Schauspielperformance „Komm und sieh die Stadt der Freiheit!“ führt die historische Persönlichkeit Johann Joachim Winckelmann (1717–1768) durch die Sammlung der Gipsabgüsse antiker Skulpturen im Archäologischen Institut der Universität Göttingen. Nach der Premiere am 16. Juni wird das Stück am 24. Juni, 1. und 8. Juli 2018 jeweils um 16 Uhr zu sehen sein. Julian Schima war bei den Proben dabei und sprach mit dem Schauspielteam und dem Ausstellungsleiter darüber, warum man das Stück auf keinen Fall verpassen sollte.