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Forum Wissen Sammlung Sammlungsschaufenster

Entdeckungsreise durch die Schätze der Erde

Die Geowissenschaftlichen Sammlungen der Universität Göttingen umfassen mehr als vier Millionen Objekte aus den Bereichen Paläontologie, Mineralogie, Geologie und Meteoritenkunde. Die vier Themenbereiche werden auch im Sammlungsschaufenster des Forum Wissens präsentiert. Die Objekte verdeutlichen uns, dass in der Geologie nicht einfach nur von „Steinen“ die Rede ist. Einer der Schwerpunkte der Sammlungen sind geowissenschaftliche Funde aus Niedersachsen. Eines der Ziele der Sammlungen ist es, die Geologie, Mineralogie und Erdgeschichte Niedersachsens zu dokumentieren und zu erforschen.

Ammonit der Gattung Arietites, eine ausgestorbene Art der Kopffüßer aus Eisenerzgrube Friederike (Harz). Geowissenschaftliche Sammlungen der Uni Göttingen.
Ammonit der Gattung Arietites, eine ausgestorbene Art der Kopffüßer aus der Eisenerzgrube Friederike (Harz). Foto: Martin Liebetruth

Steinerne Chroniken der Erdgeschichte

Blicken wir tiefer in die Welt der Geowissenschaftlichen Sammlungen, die durch die Objekte Arietites, Bändererz, Calcit und Meteorit repräsentiert werden: Jedes dieser Exponate erzählt eine eigene Geschichte, sei es die erdgeschichtliche Reise des Arietites oder die mineralogische Vielfalt des Calcits. Auch die bedeutende Rolle des Meteoriten in der Entstehung des Sonnensystems wird aufgegriffen.

Der Ammonit der Gattung Arietites ist ein Zeitzeuge des unterjurassischen Sinemurium. Ein Erdzeitalter, in dem das heutige Niedersachsen von einem Meer bedeckt und von marinen Sedimenten geprägt war. Der Ammonit, den wir ganz oben im Sammlungsschaufenster entdecken können, stammt aus der Eisenerzgrube Friederike im Harz, einem Ort von besonderer Bedeutung für die Paläontologie. Diese Grube, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Abbau begann und erst 1963 beendete, ist ein einzigartiges Fenster in die geologische Vergangenheit. Sie brachte eine Vielzahl von Fossilien hervor, darunter das hier gezeigte Exemplar.

Das Bändererz hingegen gewährt uns einen Blick in die Geschichte der Harzfaltung. Die Bad Grunder Erzgänge, die sich während der Harzfaltung bildeten, bieten einen Blick in die Zeit vom späten Oberkarbon bis ins untere Perm. Das Bändererz zeigt euch die mineralogische Vielfalt dieses Blei-Zink-Bergwerks. Auch die Verbindung zwischen geologischen Prozessen und den mineralischen Schätzen, die sich im Laufe der Zeit geformt haben, werden an diesem Objekt deutlich.

Bändererz aus dem ehemaligen Blei-Zink-Bergwerk Grund, Bad Grund (Harz) aus den Geowissenschaftlichen Sammlungen der Uni Göttingen.
Bändererz aus dem ehemaligen Blei-Zink-Bergwerk Grund, Bad Grund (Harz). Foto: Lena Heykes

Kosmische Relikte und Bergbaujuwelen

Der Campo del Cielo-Meteorit ist ein außergewöhnliches Objekt. Es ermöglicht uns, die ältesten verfügbaren Materialien unseres Planeten zu betrachten. Dank ihm können wir tiefer in die Entstehungsgeschichte des gesamten Sonnensystems blicken. Meteorite sind in den Geowissenschaften von unschätzbarem Wert, da sie wichtige Informationen über die Zusammensetzung und Entwicklung unseres Planeten liefern. Der Campo del Cielo-Meteorit dient nicht nur als Ausstellungsstück im Sammlungsschaufenster, sondern auch als unverzichtbares Werkzeug in der geologischen Forschung. Er bietet Einblicke in die kosmischen Prozesse, die vor Milliarden von Jahren unsere heutige Welt geprägt haben.

Das unterste geologische Objekt aus dem Sammlungsschaufenster ist ein Calcit aus dem St. Andreasberger Erzrevier. Die vielfältigen Formen dieses Minerals repräsentieren die Schönheit und Vielseitigkeit der Minerale dieser Region. Die im Bergbau gewonnenen Calcitstufen waren nicht nur im 18. Jahrhundert begehrte Sammelobjekte, sondern sind auch heute noch Zeugnisse der einstigen Bedeutung dieses Bergwerks.

Der Campo del Cielo-Meteoirt besteht fast ausschließlich aus den Elementen Eisen und Nickel. Aus den Geowissenschaftlichen Sammlungen der Uni Göttingen.
Der Campo del Cielo-Meteoirt besteht fast ausschließlich aus den Elementen Eisen und Nickel. Foto: Lena Heykes

Ein Blick in die lebendige Welt der Geowissenschaflichen Sammlungen

Die Sammlungen des Geowissenschaftlichen Museums bieten die Grundlage für eine beeindruckende Ausstellung. Sie sind aber auch eine zentrale Ressource für Forscher*innen und Student*innen – nicht nur an der Uni Göttingen.

In den Geowissenschaftlichen Sammlungen dienen die Objekte als entscheidende Schlüssel zur geowissenschaftlichen Forschung. Ein Netzwerk von lokalen, nationalen und internationalen Wissenschaftler*innen greift auf diese reichhaltigen Sammlungen zurück, um aktuelle und vielschichtige Forschungsfragen zu beantworten. Die enge Zusammenarbeit mit anderen wissenschaftlichen Institutionen und Industriepartnern ermöglicht interdisziplinäre Forschungsansätze. Aktuelle Projekte reichen von der Untersuchung der geologischen Struktur lokaler Lagerstätten bis hin zur Erforschung globaler geowissenschaftlicher Phänomene.

Student*innen haben die außergewöhnliche Möglichkeit, die Geowissenschaftlichen Sammlungen als lehrreiches Instrument zu nutzen. Bestimmungskurse, die Untersuchung einzelner Objekte und die nahtlose Integration der Sammlung in den Lehrplan schaffen einen praxisnahen Zugang zu den Geowissenschaften. Die Studierenden erhalten nicht nur theoretisches Wissen, sondern können auch direkt mit den Schätzen der Erde arbeiten. Dies ermöglicht einen ganzheitlichen und tieferen Einblick in die geowissenschaftlichen Zusammenhänge und fördert ein lebendiges Verständnis für die Materie.

Calcit aus dem St. Andreasberger Erzrevier (Harz), aus den Geowissenschaftlichen Sammlungen der Uni Göttingen.
Calcit aus dem St. Andreasberger Erzrevier (Harz). Foto: Lena Heykes

Geopark und Museum am Nordcampus

Das Geowissenschaftliche Museum und der Geopark bilden eine Einheit, die unter anderem die Geologie, Mineralogie und Erdgeschichte Niedersachsens in den Mittelpunkt stellt. Hier wird nicht nur rein Geologisches, sondern auch der ständige Austausch zwischen Mensch und Umwelt untersucht. Der Geopark dient als lebendige Plattform, die tiefe Einblicke in die geowissenschaftliche Vergangenheit der Region ermöglicht. Gleichzeitig wird die Verbindung zwischen geologischen Prozessen und menschlicher Geschichte verdeutlicht.

Das Geowissenschaftliche Museum der Universität Göttingen bietet euch einen Blick in die Vergangenheit und ist auch eine lebendige Ressource für die aktuelle Forschung. Die Vielfalt der Sammlungen, die enge Verbindung zur Lehre und Forschung sowie die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen machen das Museum zu einem unverzichtbaren Ort für alle, die die Geheimnisse der Geowissenschaften, insbesondere Niedersachsens, erkunden möchten. Besucher*innen sind herzlich eingeladen, sich auf eine faszinierende Reise durch die geologischen Schätze zu begeben und die spannenden Geschichten hinter den Objekten zu entdecken.

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Forum Wissen Hinter den Kulissen

Was macht eigentlich…? – unsere Restauratorin

Von Materialeigenschaften über historischen Techniken bis zu Maßnahmen zur Schädlingsprophylaxe – in all diesen Bereichen kennt sich unsere Restauratorin Viola Tiltsch aus und lernt immer noch dazu, wie sie selbst sagt. Ihre Aufgabe ist es, die Objekte in der Ausstellung und in den Sammlungen der Zentralen Kustodie zu bewahren und zu schützen.

Einblick in die Werkstatt der Restauratorin.
Kleiner Einblick in die Restaurierungswerkstatt. Foto: Lena Heykes

Ein vielseitiger Beruf

Die Arbeit von Viola Tiltsch ist so vielseitig wie die Objekte, die im Forum Wissen zu sehen sind – von der Zentrifuge bis zur lebenden Alge. Aber was macht eine Restauratorin eigentlich genau? Die Antwort auf diese Frage ist komplex. Zu den drei grundlegenden Aufgaben gehören die präventive Konservierung, die Konservierung und die Restaurierung.

Präventive Konservierung

„Die präventive Konservierung umfasst vorbeugende Maßnahmen, um Schäden an Objekten durch äußere Einflüsse zu verhindern“, sagt Viola Tiltsch. „Die präventive Konservierung spielt eine große Rolle und ist unerlässlich für Sammlungen, die zum Teil auch  in der Lehre verwendet werden.“

Hierzu zählen Sauberkeit und Hygiene im Sammlungs- und Ausstellungsbereich. Außerdem der konservatorisch korrekte Umgang mit Objekten, die Verwendung von geeigneten Verpackungs- und Lagerungsmaterialien in Vitrinen, Depots und beim Transport, um Wechselwirkungen zu vermeiden. Hinzukommt die Überwachung von Klima, Licht, Staubbelastung und Museumsschädlingen.

Dazu zählt der Aufbau von Monitoringsystemen für das Klima, also Raumlufttemperatur und relativer Luftfeuchtigkeit. Außerdem werden regelmäßig Insektenfallen im Gebäude aufgestellt und überprüft. Alle drei Monate macht sich unsere Restauratorin mit Unterstützung einer studentischen Hilfskraft auf den Weg in die Dauerausstellung, um die Insektenfallen zu überprüfen.

Im Forum Wissen sind ganz unterschiedliche Insektenfallen im Einsatz – meist gut versteckt, damit sie den Besucher*innen gar nicht auffallen. Es gibt einfache Klebefallen, die mit Rosinenduft als Lockstoff ausgestattet sind, und Photolumineszenz-Fallen, die tagsüber Sonnenlicht sammeln und in der Dunkelheit leuchten, um Insekten anzulocken.

Insekt unter dem Mikroskop der Restauratorin.
Larve eines Wollkrautblütenkäfer unter dem Mikroskop. Foto: Viola Tiltsch

Der Anblick der festgeklebten Tiere ist manchmal unangenehm, doch unter dem Mikroskop faszinierend. Neben den üblichen Verdächtigen , wie Spinnen und Fliegen, liegt das Hauptaugenmerk auf möglichen Museumsschädlingen. Die winzigen Wesen sind in der Lage, Objekte aus der Ausstellung ernsthaft zu beschädigen, indem sie sich z. B. von den Materialien ernähren. Zu erkennen ist dies z. B. durch Fraßspuren und Ausflugslöcher.

Natürlich versucht unsere Restauratorin alles, damit Museumsschädlinge gar nicht erst ins Gebäude kommen. Daher wurde und wird jedes Objekt, das in das Museum kommt, zuvor bis zu sechs Wochen in einer Stickstoffkammer behandelt. Darin sterben jegliche Schädlinge, die zuvor am Objekt oder im Verpackungsmaterial des Objektes versteckt waren.

Konservierung und Restaurierung

Eine weitere wichtige Aufgabe von Viola Tiltsch ist die Konservierung. Hier geht es vor allem um die Erhaltung von Objekten und darum, Schäden zu verhindern oder zu minimieren. Dazu zählt auch die Reinigung von Exponaten – ein wichtiger Schritt, um die Objekte in einem gepflegten Zustand zu präsentieren. Die Reinigung ist auch deshalb so wichtig, da Staub zusammen mit Feuchtigkeit schnell Schimmel bilden und dieser die Ausstellungsstücke dann angreifen kann.

Die Planung und Umsetzung von Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen und die damit verbundene praktische Arbeit mit den Objekten machen unserer Restauratorin am meisten Freude. „Der Umgang mit den verschiedenen Objekten erfordert viel Fingerspitzengefühl und Erfahrung. Jedes Objekt ist anders, und nicht jede Oberfläche reagiert gleich auf Behandlungen. Besonders spannend sind Kompositobjekte, bei denen verschiedene Materialien aufeinandertreffen“, sagt sie.

Objekte die von der Restauratorin bearbeitet werden.
Kompositobjekte: Blumenmodelle bestehend aus Holz, Pflanzenfaser, Gips, z.T. Textil, Metall und Farbe.
Foto: Lena Heykes

Zur Konservierung und Restaurierung zählt allerdings auch ein ordentlicher Batzen Papierkram. Die Objekte müssen in ihrem Zustand schriftlich und fotografisch dokumentiert werden, Beschädigungen vermerkt, und durchgeführte Maßnahmen sowie die verwendeten Materialien in einem Protokoll festgehalten werden.

Gegenwärtige Aufgaben in der Restaurierungswerkstatt

Aktuell wird in der Werkstatt der Restauratorin neben den beschädigten Objekten aus der Ausstellung vor allem an den botanischen Nasspräparaten gearbeitet, die nun nach und nach in das Depot im Forum Wissen einziehen. Hierbei handelt es sich um Pflanzen, die in Glasgefäßen mit Ethanol oder Formaldehyd konserviert wurden. Letzteres ist sogar krebserregend.

Um sich vor den Gefahren des Formaldehyds zu schützen, sind strenge Sicherheitsvorkehrungen notwendig. Bei der Reinigung der Glasgefäße muss unsere Restauratorin Handschuhe, Masken und Kittel tragen. Die Arbeit erfolgt unter einem Abzug, der die giftigen Dämpfe direkt absaugt und somit die Atemwege der Restauratorin schützt. Die Arbeit mit gefährlichen Stoffen gehört nicht unbedingt zu den Aufgaben, die unsere Restauratorin am liebsten macht: „Besonders anspruchsvoll wird es, wenn an stark schadstoffbelasteten Objekten gearbeitet werden muss. Der Eigenschutz ist dabei von größter Bedeutung, und das Tragen von Schutzanzügen kann sehr unangenehm sein, da es sehr warm werden kann.“

Botanisches Nasspräperat das in der Werkstatt der Restauratorin gereinigt wird.
Reinigung eines botanischen Nasspräparats. Foto: Lena Heykes

Eine Welt voller Vielfalt und Herausforderungen

Trotz der Herausforderungen, die der Beruf der Restauratorin mit sich bringt, bleibt ihre Motivation unerschütterlich.

Viola Tiltsch ist „fasziniert von authentischen Oberflächen mit Spuren der Vergangenheit sowie der vergangenen Handwerkskunst“. Nicht nur den Objekten mit hohen monetären Werten sollte Beachtung geschenkt werden, findet die Restauratorin. Auch die Objekte der Alltagskultur sind von Bedeutung und ziehen eine Brücke in die Vergangenheit. Restaurator *innen schaffen es, dass durch ihr Fachwissen und der Arbeit mit ihren Händen, Objekten eine größere Bedeutung eingeräumt wird.

Die Leidenschaft von Viola Tiltsch und in ihrem Engagement trägt dazu bei, dass unser kulturelles Erbe in sicheren Händen ist.

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Forum Wissen

Fundstücke aus dem Göttinger Grass-Archiv

Als Katrin Wellnitz, Heinrich Detering und Christian Fieseler vom Günter Grass-Projekt der Uni Göttingen Ende 2018 unzählige Kisten vom Steidl Verlag erhielten, wurde das Öffnen jeder einzelnen zum Abenteuer: Die Pakete vom Steidl Verlag waren reich gefüllt mit Dokumenten zum Werk von Günter Grass, vor allem zur Zusammenarbeit des Autors mit seinem Göttinger Verleger.

Heinrich Detering mit dem Buchumschlag von »Zunge zeigen«, den Günter Grass selbst entworfen hat. Foto: Svenja Brand

Was eine Tischdecke über den Autor verrät

Unser Team entdeckte in den Kisten erwartete und erhoffte, aber auch gänzlich überraschende Fundstücke, die uns in ihrer Vielfalt mehr über Günter Grass als Autor, als Buchkünstler, aber auch als Mensch verrieten – und zwar in einer erlebbaren und anschaulichen Weise, die durch keine Biografie zu vermitteln ist. Eine unserer ersten Überraschungen fanden wir in einer Kiste mit Archivmaterial zu dem Gedicht-Bild-Band »Letzte Tänze« von 2003: Es handelt sich um eine weiße Tischdecke, die, reich beschrieben und mit Rotweinflecken bekleckst, Eindrücke von einem geselligen, ausgelassenen Abend mit Günter Grass vermittelt.

Ausschnitt der beschrifteten Tischdecke. Foto: Svenja Brand © Steidl Verlag

Anlässlich der Buchpremiere von »Letzte Tänze« waren bei der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2003 Grass-Freund*innen zusammengekommen, um mit dem Autor einen kulinarischen, literarischen und auch tänzerischen Abend zu verbringen, und die Tischdecke zeugt von dem heiteren Beisammensein. Verlagsmitarbeiter*innen und Übersetzer*innen verewigten sich ebenso auf der Tischdecke wie der Autor selbst: Er unterschrieb mit »Euer aller Eintänzer« und nahm damit nicht nur auf seinen neuen tänzerischen Text-Bild-Band Bezug, sondern auch auf den »schmissigen Tango«, mit dem er seine »Tanzparty« eröffnete.

Grass’ Signatur auf der Decke. Foto: Svenja Brand © Steidl Verlag

Die Geschichte der Tischdecke und des Tanzabends zeichnet Svenja Brand auf unserer Projektseite nach. Dabei wird deutlich, wie Grass Literatur und Geselligkeit miteinander zu verbinden wusste.

Svenja mit einem Werbeplakat zu Grass’ barocker Erzählung »Das Treffen in Telgte«. Foto: Katrin Wellnitz

Die Geschichte eines Abends

Diese rekonstruiert Max Rauser, und zwar am Beispiel einer samtenen Nobelpreistasche, in der wir einen längst vergessenen Goldschatz fanden: Schokoladentaler, die wie Nobelmedaillen geprägt sind. Sie lagen auf den Banketttischen aus, an denen 1999 die Vergabe des Nobelpreises gefeiert wurde – unter anderem von Günter Grass, seiner Familie und seinen Freund*innen.

Nobelpreistasche und “Goldschatz”. Foto: Max Rauser

Grass hatte den Nobelpreis bekommen, »[w]eil er in munterschwarzen Fabeln das vergessene Gesicht der Geschichte gezeichnet hat«. Das betrifft nicht nur seinen kleinen Blechtrommler und selbsternannten Däumling Oskar Matzerath, der manchmal wütend, manchmal kunstvoll trommelnd die Geschichte des Nationalsozialismus und seiner Verarbeitung in der Nachkriegszeit lebendig hält, sondern auch all die anderen Figuren aus Grass’ Werk, die nicht müde werden, Geschichte wiederzuerzählen.

Max Rauser bei der Arbeit im Grass-Archiv. Foto: Max Rauser

Grass zeichnete dabei viele Gesichter nach, die alle auf ihre Weise ein Stück Geschichte bewahren und dynamisch weitertragen. Ein so greifbarer Fund wie die in die Jahre gekommene, wahrscheinlich von allen längst vergessene Nobelpreistasche erinnert uns an den Menschen Grass, der mit seinen Figuren auf Weltentdeckung ging und der in seinen Schreibpausen gerne ausgelassene Feste feierte – nicht ohne die Kunst mitspeisen und mittanzen zu lassen. Max Rausers Beitrag »Blauer Samt und alte Schokolade« gibt weitere Einblicke in diesen besonderen Abend.

Das Team und sein Projekt

Seit 2018 hat sich einiges verändert. Die meisten Bestände sind katalogisiert und archiviert, sodass Wissenschaftler*innen in Zukunft damit arbeiten können. Das Archiv-Team hat sich zu einer Grass-Arbeitsstelle weiterentwickelt, die Grass’ Werk aus ganz verschiedenen Perspektiven erforscht. Wir haben gemeinsam ein Buch geschrieben, das Grass als Buchgestalter vorstellt und spannendes Archivmaterial erstmals zugänglich macht. Es soll voraussichtlich im Herbst 2022 erscheinen. Gleichzeitig entstehen Abschluss- und Qualifizierungsarbeiten zum Werk von Grass, die teilweise das Göttinger Archivmaterial mit in die Forschung einbeziehen. Auch haben wir das Archivmaterial im Rahmen von Seminaren in die Lehre integriert und Studierenden die Arbeit im Literaturarchiv vorgestellt. Dabei haben wir den Büchermacher Grass und sein Werk aus ganz neuer Perspektive kennengelernt.

Das Team der Göttinger Grass-Arbeitsstelle, Sommer 2020: Jacqueline Gwiasdowski, Corinna Beermann, Max Rauser (oben), Lisa Kunze, Katrin Wellnitz, Svenja Brand, Christian Fieseler (unten). Foto: Heinrich Detering

Und schließlich haben wir damit begonnen, spannende, uns ganz persönlich berührende, heitere Archiv-Fundstücke in Wort und Bild auf unserer Internetseite zu präsentieren. In regelmäßigen Abständen werden wir neue Fundstücke aus den Kisten nehmen und dort erstmals vorstellen. Neben all den Entdeckungen in ganz unterschiedlichen Formaten lassen sich auch textuelle Überraschungen ausmachen.

Mit Schreibmaschine und Blickwechsel

Von Grass korrigierte Druckfahnen oder Typoskripte erlauben uns textkritische Einblicke in den Entstehungsprozess seiner Werke: etwa gestrichene Wörter in einem Typoskript zu »Mein Jahrhundert« von 1999.

Von Grass korrigierte Seite aus einem nicht datierten Typoskript zu »Mein Jahrhundert«, Kopie des Originals aus der Sammlung des Lübecker Günter Grass-Hauses. © Günter und Ute Grass Stiftung

Passend zur Jahrhundertwende hat Grass für jedes Jahr von 1900 bis 1999 je einen Kurztext verfasst, der aus unterschiedlichen Perspektiven das 20. Jahrhundert würdigt. Ein dieses Jahrhundert durcheilendes Ich weist immer wieder auf den Autor selbst zurück, auf seine Erfahrungen und historischen, oft auch politischen Reflexionen.

Lisa Kunze bei der Analyse des Archivmaterials. Foto: Heinrich Detering

Projektmitarbeiterin Lisa Kunze hat im Archiv die Kopie einer korrigierten Typoskriptseite entdeckt und eine für das Buchkonzept wesentliche Streichung analysiert: So beobachtet sie, wie dem ersten Satz des Jahrhundertbuches im Entwurf das so bezeichnende, weil auf den in jeder Geschichte, in jeder Stimme anwesenden Autor verweisende »Ich« vorangestellt wird. Hier ist ihr Beitrag über die erste Typoskriptseite von »Mein Jahrhundert« zu lesen »Das vielzählige Ich«.

Düster, grotesk, verspielt – »Hundejahre«

Umschlag zur »Hundejahre«-Ausgabe von 1963, erschienen im Verlag Luchterhand. © Günter und Ute Grass Stiftung

Mitunter kann das Archivmaterial auch dabei helfen, bereits bekannte Werke noch einmal aus ganz neuem Blickwinkel zu beleuchten. Motiviert durch Einbandentwürfe zu Grass’ illustrierter Jubiläumsausgabe der »Hundejahre« von 2013 habe ich mich zum Beispiel mit der Konzeption dieses zuerst 1963 veröffentlichten Romans auseinandergesetzt. Schon der Romantext weist neben den düsteren, menetekelnden Grundtönen eine inhaltliche und formale Verspieltheit auf, die charakteristisch ist für Grass’ Werk –  nur dass sie in ihrem experimentellen Charakter besonders stark aus diesem monumentalen Roman hervorscheint.

Motivauswahl für das »Zweite Buch« der »Hundejahre«-Ausgabe von 2013. © Günter und Ute Grass Stiftung

Die Illustrationen, die Grass nach gut 50 Jahren für seine Jubiläumsausgabe anfertigte, sind dann ebenfalls mal düster und unheilvoll, mal grotesk und verspielt geraten. So lässt sich die weite, vielseitige und spannungsreiche Welt der »Hundejahre« auch in Bildern wiederlesen. Doch keine Illustration vermag dies wiederum so anschaulich und selbstreflexiv bildhaft zu machen wie die schon 1963 auf den Umschlag gesetzte Zeichnung von der schattenspielenden, einen Hundekopf mimenden Hand. So ›bühnenbegabt‹ ist diese Hand, dass die Betrachtenden eher einen Hund als eine Hand auf dem Umschlag zu sehen meinen. Dieses Motiv hat Grass für die Jubiläumsausgabe vielfach variiert und damit den inszenatorischen Charakter des Werks noch einmal auf ganz neue Weise unterstrichen.

Ich selbst auf der Suche nach Archivschätzen. Foto: Svenja Brand

Die Arbeit mit dem Archivmaterial ist vielseitig und inspiriert das Göttinger Grass-Team immer wieder zu neuen Forschungsideen. Die facettenreichen Interessen des Autors färben dabei auch auf unsere Forschung ab: Seine Liebe zur Literatur wird auf erfrischende Weise mit seiner Liebe zum Buch verbunden, sein Interesse an der Schrift mit seinem Interesse am Bild zusammengedacht. Das Archivmaterial motiviert dazu, über den Tellerrand zu schauen, neue Forschungsgebiete zu erschließen und die Göttinger Grass-Forschung neugierig und engagiert voranzutreiben.займ онлайн круглосуточно без отказа безработным

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Ausstellung Forum Wissen Sammlung

Geheimnisse der Göttinger Sammlungen

Die Ausstellung „Präparierte Natur. Was wissenschaftliche Objekte verbergen“ ist eröffnet. Studierende der Kunstgeschichte und der Kulturanthropologie haben in einem interdisziplinären Seminar die Ausstellungspraxis von Museen und Sammlungen analysiert und hinterfragt. Mit den Ergebnissen haben sie nun eine eigene Ausstellung entwickelt, die einen Ausblick auf das Forum Wissen gibt. Wir waren bei der Ausstellungseröffnung dabei und sprachen mit den Ausstellungsmacherinnen über Irritationsmomente, Detektivarbeit und Kuriositäten in den Göttinger Sammlungen.

Die Ausstellungsmacherinnen Melina Wießler, Frauke Ahrens, Sonja Nökel, Wiebken Nagel, Jennifer Pötzsch mit ihrer Seminarleiterin Magarete Vöhringer (v.l.n.r.) eröffnen die Ausstellung (Foto: Julian Schima)

Studierende stellen aus

Der Ausstellungsraum ist gut gefüllt, als Margarete Vöhringer vom Kunstgeschichtlichen Seminar gemeinsam mit den Studierenden des Seminars “Materialität des Wissens“ die Schau eröffnet. Die Präsentation ist in fünf verschiedene Abschnitte unterteilt, die jeweils ein Sammlungsobjekt unter die Lupe nehmen. Die Objekte werden in einem ganz neuen ästhetischen Kontext präsentiert – eine Auseinandersetzung mit der gängigen Ausstellungspraxis. Selbstsicher und souverän referieren die Studentinnen über ihre Projekte.

Die Studierenden sind tatkräftig am Aufbau beteiligt (Foto: Wiebken Nagel)

Das Potwalskelett und ein Menschenschädel zu neuem Leben erweckt

Wiebken Nagel begleitete mit einer Kamera den Umzug des Walskeletts aus dem Zoologischen Museum. Auf diese Weise konnte sie neue Perspektiven festhalten, die man in der bisherigen Ausstellung des Wals nicht fand. Die Kulturanthropologiestudentin zeigt ihre Aufnahmen in einer Videoinstallation. Ganz nah führt sie die Betrachtenden an die Einzelteile. Details werden sichtbar, die in der Präsentation vorher verborgen geblieben waren: Schrauben, die das Skelett sonst zusammenhalten, erscheinen auf einmal im Blickfeld. So wird bewusst, dass die ausgestellte Natur vom Menschen konstruiert ist: Ein Haufen Knochen, der mühsam zusammengefügt und fixiert in der Ausstellung als heiles Skelett präsentiert wird.

 

Auch Jennifer Pötzsch befasst sich mit Knochenmaterial: Sie näherte sich einem Schädel aus der Blumbachschen Sammlung über eigene Zeichnungen an. Ihr Interesse gilt der Kulturgeschichte von Totenschädeln. Sie sind und waren Kultgegenstände, Kunstobjekte oder Forschungsobjekte in der modernen Wissenschaft. Heute können Forschende mit ihren Instrumenten und Methoden die Lebensgeschichte des verstorbenen Menschen hinter dem Schädel zu neuem Leben erwecken.

Die Gestaltung der Schauvitrine zum Objekt aus dem Göttinger Herbarium (Foto: Wiebken Nagel)

Science meets art

In einem Schaukasten liegt der Roman „Die Vermessung der Welt“ von Daniel Kehlmann neben getrockneten Pflanzen aus dem Göttinger Herbarium. Melina Wießler, Studentin der Kunstgeschichte und Literaturwissenschaften, verbindet in ihrer Anordnung gekonnt Dürer, Tucholsky und Kehlmanns Abenteuerroman mit einem 200 Jahre alten Herbarium – und reflektiert über das Beziehungsgeflecht zwischen Kunst und Wissenschaft. Hier verbinden sich die wissenschaftliche Sammel- und Dokumentationstätigkeiten mit kulturellen Erzeugnissen. Wießler interessiert sich dafür, wie Erzählungen und bildende Kunst das Bild der Forschung in der Öffentlichkeit prägen.

Der Kustos der Zoologischen Sammlung, Gert Tröster (links), bringt eigenhändig den Handschuh aus Muschelseide in die Ausstellung (Foto: Wiebken Nagel)

Natur und Kultur

Sonja Nökel ging der Objektbiographie eines Handschuhs aus Muschelseide nach, der aus der Zoologischen Sammlung stammt. Muschelseide stellte man seit der Antike aus dem Faserbart der Rauen Schinkenmuschel her, mit dem sich diese am Meeresboden festhält.  Die Kunstgeschichtsstudentin interessiert sich vor allem für das Zusammenspiel von Natur und Kultur, das durch den fertigen Handschuh verdeckt wird: Hinter der bloßen Ansicht des Materials verbergen sich gleichsam der natürliche Stoff und dessen aufwändige Beschaffung und Verarbeitung durch den Menschen. Diese sichtbar zu machen, gelingt nur mittels Recherche und Beschreibung in der Ausstellung des Objekts.

Materialität des Wissens

Vöhringer berät bei der Gestaltung der Sektionen (Foto: Wiebken Nagel)

Die Studierenden haben die Ergebnisse für ihre Ausstellung innerhalb des Seminars zu wissenschaftlichen Präparaten erarbeitet. „Im Mittelpunkt des ersten Semesters stand die Beschäftigung mit den Objekten sowie die Vermittlung theoretischer Kenntnisse zur Ausstellungs- und Sammlungspraxis“, sagt Vöhringer, Professorin für Materialität des Wissens. Zu ihrer interdisziplinären Professur gehört es, die Göttinger Sammlungen für Forschung und Lehre zu nutzen und zu untersuchen. Die Seminarteilnehmerinnen besuchten unter anderem die Zoologische Sammlung, die Blumenbachsche Schädelsammlung und das Herbarium. Sie begannen zu hinterfragen: Welche Objekte werden ausgestellt und warum? Wie werden sie präsentiert? Das führte zu Irritationsmomenten.

Nomen est omen?

Das Korallenskelett (Foto: Frauke Ahrens)

Frauke Ahrens, Studierende der Kulturanthropologie, richtete ihr Augenmerk auf die wissenschaftliche Namensbezeichnung ausgestellter Objekte. Sie fragte sich, warum es aus naturwissenschaftlicher Perspektive kein Interesse an der historischen Namensentstehung gibt. „Im Bewusstsein der Forschung ist nur der aktuelle Name des Objekts von Interesse“, sagt Ahrens. Die Studentin stellt ein Korallenskelett aus der Zoologischen Sammlung aus, für das in der Fachwelt gegenwärtig drei verschiedene Namen kursieren. „Die Beschriftung von Gegenständen in Museen suggeriert, dass ihre Namen feststehen“ erklärt die Kulturanthropologin. „Das verschweigt den Prozess und die Widersprüche in der Namensgebung.“ Mit ihren Recherchen zeigt die Studentin exemplarisch an der Namensgeschichte ihrer Koralle die Wandelbarkeit von Forschungsergebnissen auf.

Museale Perspektiven

Die Projektleiterin ist sichtlich stolz auf ihre Studentinnen: „Alle haben sich sehr intensiv im Seminar eingebracht.“ Die Erkenntnis darüber, dass die Präsentation von Wissen auch immer die Perspektive der Ausstellungsmacher widerspiegelt, ist eines der didaktischen Lehrziele, auf das Vöhringers Seminar ausgerichtet war. „In dem Seminar habe ich gelernt, Ausstellungen mit anderen Augen zu sehen“, sagt Wießler. „Mir wurde bewusst, dass ein Museum uns immer die eigene kulturell geprägte Perspektive aufdrückt.“

Wießler referiert über ihr Ausstellungsprojekt (Foto: Julian Schima)

Auf dem Weg zum Forum Wissen

Die erfolgreiche Ausstellung „Präparierte Natur“ gibt einen Ausblick auf Teile der Ausstellungspraxis des künftigen Forum Wissen: Studierende forschen an Objekten der Göttinger Sammlungen, können sich in der Ausstellungspraxis erproben und vermitteln die Entstehung des Wissens vom Beginn über Irrwege bis ans Forschungsziel – und auch das, so wissen die Studentinnen nun, ist nicht in Stein gemeißelt. Wer also wissen möchte, wie Ausstellungskonzepte im Forum Wissen aussehen können, sollte diese Ausstellung im Alten Auditorium, Raum 0.111, an der Weender Landstraße 2 nicht verpassen. Die Schau ist bis zum 30. März 2019 jeden 1. und 3. Sonntag des Monats von 11 bis 13 Uhr geöffnet.