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Im Schaufenster: das Physicalische Cabinet

Die Sammlung historischer physikalischer Instrumente der Universität Göttingen oder weniger sperrig: das “Physicalische Cabinet” lässt 250 Jahre Physikgeschichte in Göttingen lebendig werden. Es ist eng verknüpft mit Wissenschaftlern wie Lichtenberg, Gauß und Weber. Der Bestand reicht von den Anfängen der Physik im 18. Jahrhundert bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts und enthält so bedeutende Objekte wie den Gaußschen Vizeheliotrop und eine Replik des Gauß-Weber-Telegraphen zur Weltausstellung 1873 in Wien.

Blick in den Museumsraum des “Physicalischen Cabinets” im Foyer der Fakultät für Physik. Foto: Daniel Steil

Physik im 20. Jahrhundert

Das Sammlungsschaufenster im Forum Wissen greift einen Objektbestand auf, der im Museumsraum des “Physicalischen Cabinets” etwas stiefmütterlich behandelt wird: Physik- und Technikinstrumente des frühen 20. Jahrhunderts. Diesen fehlt der Glanz von Messing, edlen Hölzern und Glas, welcher die Exponate des 18. und frühen 19. Jahrhunderts bestimmt. Damals war die Manufaktur das vorherrschende Produktionsverfahren und die Herstellung war kunsthandwerklich geprägt. Mit dem Übergang zur industriellen Massenproduktion, bei der große Stückzahlen kostengünstig produziert werden sollten, trat im 20. Jahrhundert die Funktion des Objekts in den Vordergrund. Es dominierten einfache geometrische Formen. Kunststoffe und lackiertes Blech kamen zum Einsatz und die Objekte waren typischerweise in gedeckten Farben gehalten.

Nutzung von Elektrizität

Im frühen 20. Jahrhundert erfolgte die weitgehende Elektrifizierung Deutschlands. Daher haben alle im Sammlungsschaufenster gezeigten Exponate etwas mit Elektrizität zu tun – beginnend mit der hier gezeigten Influenzmaschine nach James Wimshurst.

Influenzmaschine nach Wimshurst. Foto: Marie Ahlig und Lara Siegers

Influenzmaschinen dienen dazu, elektrische Ladungen voneinander zu trennen. Das passiert in dem Fall der Wimshurst-Maschine mittels mechanischer Arbeit und unter Nutzung gegenläufig rotierender Scheiben. Diese Maschinen wurden Anfang des 20. Jahrhunderts dazu benutzt, um elektrische Hochspannung bis zu 100 kV bereitzustellen, womit beispielsweise frühe Röntgenröhren betrieben werden konnten. Das hier ausgestellte Exponat besitzt zur Ladungsspeicherung zwei Leidener Flaschen, also frühe Hochspannungskondensatoren. Es diente früher vermutlich als Demonstrationsversuch zur Erzeugung und Nutzung elektrischer Ladungen. Funkenentladungen werden in modernisierter Form noch heute in der Lehre in der Physik oder zur Freude von Groß und Klein beim Tag der offenen Tür oder der Nacht des Wissens gezeigt.

Elektrizitätslehre und Schwingungsphänomene in der Schule

Mit der breiteren Verfügbarkeit von elektrischem Strom und insbesondere Wechselstrom wurde es notwendig, dieses neue Phänomen in die technische Ausbildung zu integrieren.

Schleifenoszillograph von Siemens & Halske. Foto: Marie Ahlig und Lara Siegers

Da Menschen Spannung oder Strom nicht direkt wahrnehmen können, entwickelte in den 1930er-Jahren unter anderem die Firma Siemens & Halske (das heutige Siemens) einen einfachen und kostengünstigen Schleifenoszillographen. Auf diese Weise sollten elektrische (aber auch andere) Schwingungsvorgänge sichtbar gemacht werden. Hierbei wird Licht von einer Lichtquelle auf einen Schwingspiegel gelenkt, welcher auf einer Drahtschleife montiert ist (im Bild vorne). Der Spiegel auf der Drahtschleife befindet sich in einem Magnetfeld. Fließt ein Wechselstrom durch die Drahtschleife, so wird der Spiegel proportional zur Stromstärke ausgelenkt und erzeugt einen oszillierenden Lichtfleck entlang der Vertikalen. Um die Schwingung entlang der Vertikalen besser sichtbar zu machen, wird das Licht des Spiegels an dem Drehspiegel reflektiert, hier mit 10 Einzelspiegeln (im Bild hinten). Das führt zu einer zusätzlichen horizontalen Bewegung des Lichtflecks; die Schwingung wird auf einem Beobachtungsschirm sichtbar. Der hier gezeigte Schleifenoszillograph wurde mit großer Wahrscheinlichkeit von Robert Wichard Pohl für Demonstrationsversuche in seiner Vorlesung zur Experimentalphysik beschafft.

Physikalische Forschung und Medizintechnik

Wurden frühe Röntgenapparate noch mit komplizierten und eher unzuverlässigen Hochspannungsquellen wie der weiter oben diskutierten Influenzmaschine betrieben, so stellt unser nächstes Exponat etwas dar, was heute gerne als Quantensprung oder bahnbrechende Innovation bezeichnet wird. Es handelt sich um die sogenannte Röntgenkugel der Siemens-Reiniger-Werke: 1934 auf den Markt gebracht, stellt sie eines der ersten transportablen Röntgengeräte dar.

Siemens-Röntgenkugel. Foto: Vanessa Scheller und Daniel Steil

Das Besondere an der Röntgenkugel ist, dass sie die Röntgenröhre und den notwendigen Hochspannungstransformator in einem kompakten, strahlensicheren Gehäuse unterbringt und das Gerät zum Betrieb nur noch an das 220V-Stromnetz angeschlossen werden muss. Mithilfe eines Stativs konnte die Röntgenkugel dann in recht beliebiger Lage für Röntgenaufnahmen an einem Patienten eingesetzt werden. Diese Eigenschaften führten dazu, dass die Röntgenkugel bis in die 1970er-Jahre weltweit einige Zehntausend Mal verkauft wurde. Das machte die Röntgenkugel – insbesondere in der Zahnmedizin – zu einem beliebten Röntgengerät. So erinnert sich auch der Verfasser vage daran, dass er in seiner Jugend mit Hilfe einer Röntgenkugel von seinem Zahnarzt geröntgt wurde. Auch in der Physik wurde die Röntgenkugel zur Bildgebung eingesetzt. Aktuell sind stolze drei Stück im Besitz der Sammlung: vom chromfarbenen Modell – wie hier gezeigt – bis zu einem schlicht cremefarben lackierten Gerät. Interessierte an historischer Röntgentechnik finden eine Vitrine mit Exponaten in unseren Sammlungsräumen.

… zu guter Letzt

Das “Physicalische Cabinet” öffnet aktuell regulär während der Vorlesungszeit montags um 16 Uhr vor den großen Physikkolloquien. Führungen für Gruppen sind außerhalb dieser Zeiten auf Anfrage möglich. Weitere Informationen sind auch auf unserer Webseite zu finden.

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Aus den Göttinger Sammlungen: Kunstvolle Schmuckstücke neu im Museumsshop

Jetzt neu im Forum Wissen Shop, handgefertigte Schmuckstücke inspiriert von Exponaten aus den Göttinger Sammlungen. Hergestellt von der Restauratorin Jorun Ruppel und ihrem Team!

Kunstvolle Reproduktionen historischer Schätze

Die Herstellung der Reproduktionen erfordert handwerkliches Können und Liebe zum Detail. Diplom-Restauratorin Jorun Ruppel und ihr Team produzieren von historischen Objekten inspirierte Ohrringe und Magneten, die ab sofort im Forum Wissen Shop erhältlich sind. Jorun Ruppel erinnert sich an die Anfänge im Jahr 2007: “Damals habe ich Daktyliotheken restauriert und wollte die alten Herstellungstechniken praktisch nachvollziehen.” Daktyliotheken sind Sammlungen von Abdrücken antiker oder neuzeitlicher Gemmen, erläutert die Restauratorin. Bei Gemmen handelt es sich um in Edelstein oder Glas geschnittene Motive. Sie wurden in der Antike als Glücksbringer und Ehrengeschenke zum Beispiel für Amulette oder Siegelringe angefertigt. Der Erfolg der reproduzierten Abdrücke war so groß, dass das Team um Jorun Ruppel daraus Magnete, Ketten, Broschen und Ohrringe fertigte.

Von den Sammlungen inspiriert

Auf den Ohrringen und Magneten sind vermutlich die Dichterin Sappho und Apollon sowie weitere Frauen dargestellt. Die Vorlagen für diese Kunstwerke stammen aus der Daktyliothek von James Tassie. Sie enthalt künstlerische Nachempfindungen antiker Motive aus dem 18. Jahrhundert. Einige dieser Exponate sind ausgestellt im Raum Schränke in der Basisausstellung im Forum Wissen. Ihr Reiz liegt in den Details: “Die Ohranhänger sind Abdrücke und Abgüsse in Originalgröße, während wir für die Magnet-Formen ein Verfahren angewendet haben, mit dem die Größe fast verdoppelt wird”, erklärt Jorun Ruppel. „Es ist erstaunlich, wie filigran der Gemmenschnitt trotz der Vergrößerung noch wirkt.“

Wie das funktioniert?

„Um die Reproduktionen herstellen zu können, benötigt man Formen aus Silikon. Bestehen die Gemmen aus einem unempfindlichen Material, kann das Silikon direkt darauf gegossen werden. Ansonsten nehmen wir einen Plastilinabdruck vom Original und formen diesen mit Silikon ab“, erklärt Jorun Ruppel. Die Verfahren haben auch Einfluss darauf, ob das Motiv später eingeschnitten oder erhaben erscheint.

Altes Kunsthandwerk neu entdeckt

Die unterschiedlichen Produkte erfordern spezielle Materialien: “Bei den weißen Magneten verwenden wir eine keramikähnliche Masse, die an Biskuitporzellan erinnert, während wir für die farbigen Magneten und Ohrringe Acrylharz verwenden, das sich gut einfärben lässt.” Eine neue Serie von Magneten und Ohrringen ist jetzt im Forum Wissen Shop erhältlich. Trotz des Erfolgs gab es auch Herausforderungen. Jorun Ruppel erzählt: “Obwohl wir schon jahrelange Erfahrung mit dem Gießen haben, kann immer etwas schiefgehen – auch, wenn wir noch so sorgfältig arbeiten. Jetzt haben wir genügend Abgüsse und Abdrücke zusammen, um die finalen Arbeiten durchzuführen – vom Schleifen der rückseitigen Kanten über das Wachsen und Polieren bis hin zum Anbringen der Haken”
Erfahren Sie mehr über die Geschichte der Gemmen und ihren Weg in die Göttinger Universitätssammlungen auf unserem Blog.

Das Bild zeigt Besucherinnen im Shop des Forum Wissen in Göttingen

Wissen to Go – Der Museums-Shop im Forum Wissen

ÖFFNUNGSZEITEN
Dienstag – Sonntag, 11 – 17 Uh

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Alles eine Frage der Geschichte

Das Münzkabinett der Universität Göttingen ist auf jeden Fall einen Blick wert und mit ein paar repräsentativen Objekten nun auch im Sammlungsschaufenster zu sehen. Das Münzkabinett gilt als die drittgrößte universitäre Sammlung von Münzen in Deutschland, hinter Leipzig und Tübingen. Über 40.000 Objekte verschiedener Herkunft sind vertreten. Dabei handelt es sich jedoch nicht nur um originale Münzen, wie es der Name vielleicht annehmen lässt, sondern auch um Abgüsse von Münzen, um Medaillen oder um frühe Formen von Papiergeld.

Nachbildungen griechischer Silbermünzen aus Blei. Foto: Uni Göttingen.

Dr. Daniel Graepler, der Kustos der Sammlung, zeigt im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen dieses breite Spektrum. Ihr könnt Entwurfsmodelle zur Münchhausen-Medaille entdecken. Diese wurde zum 250. Jubiläum der Universität Göttingen zu Ehren ihres Begründers Gerlach Adolph von Münchhausen (1688–1770) angefertigt. Auch eine kleines Münzkästchen, in dem die Familie Schlözer ihre Münzsammlung aufbewahrte, ist zu sehen. In den unteren beiden Regalen findet ihr einige nachgebildete griechische Münzen aus Blei und Plattengeld aus Schweden. Das sind rechteckige Kupferplatten, die als Zahlungsmittel dienten. Doch die Sammlung hat noch viel mehr Aspekte zum Kennenlernen.

Die Geschichte der Sammlung

Daniel Graepler selbst fasziniert vor allem die große Vielfalt der diversen numismatischen, also auf das Geldwesen bezogenen Objekte, die von Anfang an das Münzkabinett prägten. Sie gingen als Ankäufe oder Schenkungen an die Universität und decken viele verschiedene Regionen und Zeiträume ab. Daher ist auch die Provenienzgeschichte besonders spannend, die hinter den unterschiedlichen Objekten steckt.

Nur wenige von ihnen stammen tatsächlich aus archäologischen Fundstellen. Daher ist die Frage berechtigt, warum das Münzkabinett zum Archäologischen Institut gehört. Dies erklärt sich aus der lange zurückreichenden Geschichte der Universität. Bereits als das Königlich Akademische Museum 1773 gegründet wurde, befanden sich Münzen in der Sammlung. Christian Gottlob Heyne war an dieser Museumsgründung federführend beteiligt. Der Altphilologe, der vor allem Griechisch und Latein lehrte, hielt auch die ersten Vorlesungen über Archäologie, erstmals 1767. Heyne war sehr interessiert an den Münzen. Daher sorgte er dafür, dass diese in seiner Obhut blieben, während die anderen Sammlungen vor allem von Johann Friedrich Blumenbach betreut wurden.

Christian Gottlob Heyne. Gemälde von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1772)

Nach dem Tod von Heyne 1812 wurde verfügt, dass die Vorlesungen zur Archäologie weitergeführt werden sollten. Karl Ottfried Müller trat in Heynes Fußstapfen und schrieb auch das erste Handbuch für Archäologie. Er war ebenso wie Heyne an der Münzsammlung interessiert. Daher inventarisierte und katalogisierte er den Bestand. Als Müller 1840 im jungen Alter starb, folgte ihm Friedrich Wieseler. Dieser übernahm die Verantwortung für die Münzen und weitere archäologische Objekte wie Gipsabgüsse. Nach der Auflösung des Akademischen Museums setzte sich Wieseler für die Gründung eines eigenen Archäologisch-Numismatischen Institutes ein. Dabei wurden die archäologischen Objekte und das Münzkabinett aus den Sammlungen der Universitätsbibliothek ausgegliedert. Nun waren die Münzen nicht mehr von der Archäologie zu trennen. Der Begriff „Numismatisch“ entfiel mit der Zeit aus der Institutsbezeichnung, das Münzkabinett blieb aber an seinem Ursprungsort verankert.

Alte Sammlungen in der Gegenwart

Das Münzkabinett ist ein Zusammenschluss unterschiedlicher Sammlungen von Münzen, Medaillen und anderen numismatischen Objekten. Die verschiedenen privaten Konvolute wurden zum Teil im Laufe der Geschichte des Instituts durch die Universität Göttingen aufgekauft oder gelangten durch Schenkungen an das Archäologische Institut.

So hinterließ Baron von Asch bereits im 18. Jahrhundert dem Institut eine große Originalsammlung mit russischen Münzen und Medaillen. Da diese schon so früh an das Archäologische Institut übergeben wurden, gilt ihre Echtheit als gesichert. Ein interessantes Beispiel dafür ist die sogenannte Bartkopeke, die selbst keinen Zahlungszweck hatte, sondern lediglich beweisen sollte, dass man die Steuern bezahlt hat, die Bartträger im 18. Jahrhundert in Russland zahlen mussten.

Sog. Bartkopeke, von Zar Peter dem Großen (1682-1725) in Russland 1705 eingeführt. Foto: Lena Heykes

Auch eine große Schenkung von arabischen Münzen durch den Arabisten Peter Bachmann aus den 1990er-Jahren ist mittlerweile bearbeitet und digitalisiert. Im Zweiten Weltkrieg hingegen wurden sogar Gelder aufgebracht, um eine Sammlung mittelalterlicher Münzen zu kaufen. Diese konnte bisher leider aus finanziellen und fachlichen Gründen noch nicht bearbeitet werden. Die Sammlung von Wilhelm Crönert war ebenfalls ein wichtiger Ankauf, da er griechische Münzen umfasste, die bis dahin eher weniger im Münzkabinett vertreten waren. Sie werden aktuell im Archäologischen Institut erforscht. Die über 9.000 römischen Münzen sind hingegen schon vor einiger Zeit aufgearbeitet und online publiziert worden.

Aber nicht nur Wissenschaftler*innen arbeiten mit den Münzen aus dem Münzkabinett. Auch Studierenden werden mit Seminaren oder Hilfskraftstellen immer wieder Möglichkeiten geboten, sich mit der Materie auseinanderzusetzen und an Objekten zu lernen.

Schublade mit mittelalterlichen Münzen aus dem Münzkabinett. Foto: Lena Heykes

Abgeschlossen zum Schutz von Kulturgütern

Aktuell werden von der Universität Göttingen Münzen oder Privatsammlungen nicht mehr angekauft. Vor allem damit der Handel mit antiken Münzen keinen Aufschwung erlebt. Das Befeuern des Antikenhandels versuchen viele Institute und andere Einrichtungen wie Museen zu verhindern. Zu hoch ist die Gefahr, dass es dadurch vermehrt zu Raubgrabungen kommt und so archäologische Stätten gefährdet werden.

Das Münzkabinett ist daher als überwiegend abgeschlossen zu bewerten. Nur gelegentlich kommen neue Medaillen hinzu, die die Universität Göttingen unter anderem für Studierende oder Dozierende als Auszeichnung besonderer Leistungen anfertigt. Ebenso selten sind Schenkungen einzelner Münzen. Sie nimmt Daniel Graepler gerne auf, wenn sie in die Sammlung passen.

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Im Schaufenster: Sammlung mit Vogelorgel

Was stellen Sie sich unter dem Begriff „Musikinstrument“ vor? Ein Klavier, eine Geige, eine Klarinette? Die Musikinstrumentensammlung der Universität Göttingen beschäftigt sich genau mit dieser Frage: Was ist ein Musikinstrument? Das heißt: Was ist Musik? Und was ist ein Instrument?

Im Accouchierhaus. Foto: Alciro Theodoro da Silva.

Die Musikinstrumentensammlung der Uni Göttingen

Aufgrund ihres Bestandes zählt sie zu den größten Musikinstrumentensammlungen in Deutschland. Bedeutend ist dabei nicht nur die Vielfalt ihrer kulturellen Artefakte, die Erkenntnisse über verschiedenste Klangwelten bietet, sondern auch ihr Standort: Göttingen, eine Stadt, die Wissen schafft. Hier befindet sich die Sammlung im historischen Accouchierhaus. Diese Gegebenheit birgt einen zusätzlichen Denkanstoß: Denn im Accouchierhaus hat die akademische Geburtshilfe im deutschsprachigen Raum ihren Ursprung; sie entstand zur Zeit der Aufklärung. Hier war auch eine Station für die Experimente von Gauß und Weber zum elektromagnetischen Telegraphen (1833). Die Frage „Was ist ein Musikinstrument?“ wird in diesem Kontext noch vielschichtiger. Die Wissenschaft, die musikwissenschaftliche Instrumente erforscht, heißt übrigens Organologie. Sie ist ein Fachbereich der Wissensforschung und Wissenschaftsgeschichte, die sich auf das Auditive konzentriert.

Vogelorgel (Inv.-Nr. 0578) aus der Musikinstrumentensammlung. Foto: Martin Liebetruth.

Wie die Vogelorgel nach Göttingen kam

Unsere Sammlung wurde 1964 von Prof. Dr. Heinrich Husmann (1908–1983) ins Leben gerufen. Zur Gründung der Universitätssammlung für musikwissenschaftliche Forschung und Lehre erwarb er die Musikinstrumentensammlung von Hermann Johannes Moeck (1896–1982), einem Musikinstrumentenfabrikanten und Musikverleger in Celle. Dieser Bestand bildet das Kernstück der Sammlung. Aus ihr stammt auch die hier gezeigte Vogelorgel, die auch Serinette (frz.) genannt wird. Sie ist im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen zu sehen. Ihr Hersteller ist unbekannt. Vermutlich wurde sie aber im 18. oder 19. Jahrhundert in Frankreich gebaut. Die Vogelorgel ist eine einfache Form der Drehorgel. Sie war in Frankreich weit verbreitet. Ihre Mechanik und Bauweise wurden wahrscheinlich im frühen 18. Jahrhundert entwickelt. Das vorliegende Exemplar spiegelt diese Zeit wider.

Walze in der Vogelorgel. Foto: Martin Liebetruth.

Von der Serinette und anderen Orgeln

Die Vogelorgel besteht aus einer Holzwalze und neun kleinen Holzpfeifen. Die Mechanik wird mit einer Handkurbel auf der Vorderseite betätigt. Wie der Name schon sagt, erzeugt dieses Instrument einen Klang, als ob ein Vogel im Käfig singen würde. Der Name „Serinette“ leitet sich von „serin“ ab, dem französischen Wort für Zeisig. Die Holzwalze dient als Träger der Toninformationen. In diesem Zusammenhang öffnet dieses Objekt Fragen zur Mediengeschichte des auditiven Wissens (denken Sie an die Ausstellung “Räume des Wissens”).

Die Technik dieser Drehorgel wird in Bedos de Celles, L’art du facteur d’orgues (Paris, 1766–1778) beschrieben. Eine Anmerkung dazu: Diese Schrift wurde von Christhard Mahrenholz (1890–1980) herausgegeben und nachgedruckt (1936). Er war ein evangelisch-lutherischer Pastor und Musikwissenschaftler in Göttingen und hatte großen Einfluss auf die Kirchenmusik im 20. Jahrhundert. Während seiner Zeit als Hilfsgeistlicher an der St. Marien-Kirche (am Groner Tor, nur einen Steinwurf vom Forum Wissen entfernt), wurde auf seine Initiative hin die sogenannte Mahrenholz-Furtwängler-Orgel eingerichtet (1925/26). Das Konzept zielte darauf ab, den Klang und die Bauweise der norddeutschen “Barock”-Orgel wiederzubeleben. Diese Orgel bildete den Ausgangspunkt der Orgelbewegung und hat bis heute großen Einfluss auf die Praxis der Kantorei.

Die Serinette diente vor allem dem Abrichten von Singvögeln. Foto: Martin Liebetruth.

Die Wiederbelebung älterer Musikpraktiken war genau das Betätigungsfeld von Moeck, dem Vorbesitzer der Vogelorgel. Sie ist also nicht nur Träger von Toninformationen, sondern auch ein Träger von Wissen über Technik und Wissenschaften. In ähnlicher Weise ist die Musikinstrumentensammlung ein Wissensträger für die Musikwissenschaften der vergangenen Jahrhunderte, die in den Verflechtungen von Menschen und Dingen entstanden sind.

Aktuelles

Die Musikinstrumentensammlung steht derzeit für Forschungs- und Lehrzwecke zur Verfügung. Für Besuche und Untersuchungen der Objekte ist eine Terminvereinbarung erforderlich. Aufgrund von Umbauarbeiten an der Ausstellung ist bis auf Weiteres kein öffentlicher Zugang möglich. Dafür bitten wir um Ihr Verständnis.

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Eine der lebendigsten Sammlungen der Universität Göttingen – der Alte Botanische Garten

Wie lässt sich ein Garten ausstellen?


Gartenkustos Dr. Michael Schwerdtfeger erklärt uns vor Ort im Forum Wissen, dass er am liebsten etwas Lebendiges im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen ausgestellt hätte, vielleicht ein Terrarium mit exotischen Pflanzen aus dem botanischen Garten und Tieren … Die Spalten im Sammlungsschaufenster bei uns im Forum Wissen, die den Alten Botanischen Garten repräsentieren, sind nur ein kleiner Ausschnitt aus einer lebendigen Sammeltätigkeit.

Ein Blick zurück

Der Alte Botanische Garten gehört zur Biologischen Fakultät, er wurde schon zur Gründung der Universität Göttingen im Jahr 1736 von Albrecht von Haller gegründet. Damit gehört der Alte Botanische Garten zu den ältesten und lebendigsten Einrichtungen der Universität Göttingen. Seit fast 300 Jahren strahlt der Garten bei gleicher Funktion am gleichen Ort eine besondere Faszination aus. Der Alte Botanische Garten beherbergt eine große Vielfalt winterharter und tropischer Pflanzen, die für Lehre und Forschung der verschiedensten Bereiche des Studiums der Biologie und Biodiversität genutzt werden.

Hier ist viel los!

Nun sind in den Spalten im Sammlungsschaufenster Samentüten zu betrachten, ein Saatgutverzeichnis aus dem Jahr 1834 und bunt leuchtende Abbildungen ästhetisch und auch ökologisch wertvoller Pflanzen aus dem Alten Botanischen Garten der Universität Göttingen. Eine weitere Besonderheit der Sammlung des Alten Botanischen Gartens wird damit sichtbar: die Objekte lassen sich vermehren und verbreiten! Und das ist gut so. Zwischen den botanischen Gärten zahlreicher Universitäten gibt es ein großes Netzwerk, zum Erhalt von Artenvielfalt.

Ein Blick ins Sammlungsschaufenster mit Exponaten aus der Sammlung des Alten Botanischen Gartens, Foto: Muaz Toguslu

Dr. Michael Schwerdtfeger ist ein Vollblutbiologe und leidenschaftlicher Tattoo Künstler, eine Spalte im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen hat er mit seinen botanischen Tattoo Künsten gefüllt. Gern lassen sich die Studierenden von ihm Motive im Stil botanischer oder zoologischer Zeichnungen stechen, aber er versteht sich auch auf temporäre Tattoos mit der Pflanzenfarbe Jagua und hat darüber sogar ein Buch geschrieben. Bei Instagram gibt’s den Alten Botanischen Garten daher gleich zweimal: Über Aktuell Blühendes informiert alterbotanischergarten, und die persönlichere, künstlerische Seite des Gartenkustos lernen wir unter vollblutbiologe kennen. Doch zurück zum Alten Botanischen Garten.

Pflanzenbasierte Tattoo Kunst vom Gartenkustos Dr. Michael Schwerdtfeger, Foto: Muaz Toguslu

Von Albrecht von Hallers Universitätsgarten zum Insektenzoo….

Der Garten nimmt eine Sonderrolle in der Reihe der Sammlungen der Universität Göttingen ein, das wird auch im Sammlungsschaufenster bei uns im Forum Wissen deutlich. Er wurde gegründet, um Pflanzen zu kultivieren und systematisch zu erforschen. Über die Jahrhunderte ist der Garten aber auch ein wunderbarer Ort für Insekten und andere Tiere geworden. Eine Funktion, die sich der Gründer Albrecht von Haller, einer der bedeutendsten Gelehrten des 18. Jahrhunderts, damals sicher nicht hätte träumen lassen … In Zeiten schwindender Artenvielfalt ist der Garten zu einem wichtigen Rückzugsort für zahlreiche Insekten und andere Tiere geworden, beispielsweise für seltene Wildbienen – das erzählt uns Gartenkustos Michael Schwerdtfeger. Der Garten ist eine Insel ökologischer Vielfalt mitten in Göttingen.

Blühende Vielfalt im Alter Botanischer Garten der Universität Göttingen, Foto: Jan Vetter

Über ein Viertel der Bäume und Sträucher sind mittlerweile älter als 50 Jahre, in den Bäumen sind viele Tiere heimisch geworden. Teile des Gartens sind heute ein kleiner ‚Insektenzoo‘, wie Herr Schwerdtfeger die Flächen liebevoll nennt. In Deutschland gibt es circa 570 Arten an Wildbienen, 140 davon wurden schon im Alten Botanischen Garten in Göttingen gesichtet. Gerade läuft eine groß angelegte Kartierung der Wildbienen. Herr Schwerdtfeger ist als Experte auf dem Gebiet der Blütenökologie besonders engagiert, damit sich die Bienen wohlfühlen.

Sein Wissen vermittelt er an seine Studierenden und an alle Besucher*innen des Gartens, Führungen durch den Garten werden regelmäßig angeboten. Ein Besuch lohnt sich!

Ein verwunschener Tunnel führt zum Alten Botanischen Garten, Foto: Klein und Neumann

Alle wichtigen Informationen und die Öffnungszeiten des Gartens gibt es direkt auf der Seite des Alten Botanischen Gartens. Einen Vorgeschmack bietet euch das Sammlungsschaufenster im Forum Wissen.

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Was uns alte Kinderbücher über das politische Klima ihrer Entstehungszeit verraten

Die Objektspalte der Sammlung historischer Kinder- und Jugendliteratur Sammlungsschaufenster, Foto: Martin Liebetruth

Die Objekte der Göttinger Sammlung historischer Kinder- und Jugendliteratur haben eine steile Karriere hingelegt. Was vor hundert Jahren noch Kindern als Zeitvertreib diente und nur aus ein paar dünnen, bestenfalls bunt bedruckten Seiten besteht, ist heute ein Forschungsobjekt von großem Wert. Bücher sind für Kinder oft der erste Zugang zur Welt außerhalb des eigenen Lebens – entsprechend hat man sie schon immer genutzt, um jungen Menschen Werte, Ideen und Weltbilder zu vermitteln.

Hartmut Hombrecher, Kustos der Sammlung historischer Kinder- und Jugendliteratur, Foto: Eva Völker

„Kinder- und Jugendbücher zeigen uns bis heute nicht nur viel über historisch und regional verschiedene Vorstellungen davon, was Kindheit eigentlich ausmacht“, sagt Dr. Hartmut Hombrecher, Kustos der Sammlung, „in ihnen wird auch besonders deutlich, welche Diskurse eine Gesellschaft für wichtig hält und welche Ideen an nachfolgende Generationen weitergegeben werden sollen“. Öffentliche Bibliotheken haben dieses kulturhistorische Potenzial lange unterschätzt. Darum stammen auch die meisten Bände der Göttinger Sammlung historischer Kinder- und Jugendliteratur aus privaten Sammlungen, die ab den 1960er Jahren aufgekauft oder als Schenkungen angenommen wurden. Die Göttinger Sammlung wächst noch immer. Heute wird sie nicht nur der Forschung zur Verfügung gestellt, sondern auch regelmäßig in der universitären Lehre genutzt.

Zwei Jugendbücher aus dem Jahr 1938 mit sehr unterschiedlichen Mädchenbildern, Foto: Martin Liebetruth

Mädchenfiguren 1938: Dort Freiheitsdrang…

In der Spalte des Sammlungsschaufensters im Forum Wissen kann man die unterschiedlichen Prägungen der Kinderliteratur besonders deutlich sehen, wenn man die Bücher miteinander vergleicht.

Im Mittelpunkt des ausgestellten Romans Bibi lernt Landwirtschaft (Zürich 1938) steht das Mädchen Bibi. Die Figur wurde 1928 von Karin Michaëlis (1872–1950), einer dänischen Autorin, Journalistin und Feministin, erfunden und tobte sich in den nächsten 10 Jahren in insgesamt sechs Jugendbüchern aus. Seit dem Tod ihrer Mutter, einer Grafentochter, lebt die abenteuerlustige und offenherzige Bibi einträchtig mit ihrem „Paps“ zusammen. Gegen ihn setzt sie aber auch immer wieder ihren eigenwilligen Kopf durch.

Bibi ist Mitglied einer Mädchenbande, die sich „die Verschworenen“ nennt. Gemeinsam schwärmen die fünf Mädchen in Bibi lernt Landwirtschaft für den neuen, jungen Pastor. Eine so offene und ausführliche Thematisierung erster Verliebtheit – zumal zu einem Pastor – war damals die Ausnahme. Die heile Welt währt aber nicht lange: Als eine große Bank pleite geht, verlieren Bibis Großeltern ihren Hof und ihr Betriebskapital, das sie teilweise für die Enkelin in Aktien angelegt hatten. Für Bibi ist das keine Tragödie: Dass sie nun eben einen Beruf erlernen und ausüben wird, wirkt selbstverständlich. Der Roman entwickelt hier deutlich eine republikanische und sozialdemokratisch geprägte Vorstellung von Gesellschaft. 

Frisch konfirmiert kommt Bibi auf einen Bauernhof und macht dabei schöne wie schwierige Erfahrungen. Die Strapazen werden recht realistisch dargestellt; unter anderem muss Bibi mit einem Ausbruch der Maul- und Klauenseuche zurechtkommen. Inspirierend wirkt auf Bibi die Bekanntschaft mit einer Witwe, die sich mit ihren fünf Söhnen weitestgehend selbst versorgt. Die wirtschaftliche und soziale Eigenständigkeit von Frauen wird ebenso präsentiert wie Arbeit zum Wohle der Gemeinschaft. Im Zentrum stehen das Individuum und seine Wünsche, immer eingebettet in die Gesellschaft.

Foto: Eva Völker

… hier Aufopferung für das Vaterland

Deutlich andere Prioritäten setzt die Protagonistin Gundula in Ein Mädel in der Front (Berlin 1938) der Schriftstellerin und Zeichnerin Suse von Hoerner-Heintze (1890–1978). Gundula entspricht einem Frauenideal, das besonders die Fürsorglichkeit und Aufopferungsbereitschaft in den Vordergrund stellt. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, ziehen ihr Vater und ihr Bruder in den Krieg. Gundula selbst scheut keine Mühen, um sich als Krankenschwester ausbilden zu lassen und den Verwundeten zu helfen. Außerdem pflegt sie ihren verletzten Vater mit größter Hingabe.

Was Gundula und Bibi gemeinsam haben, ist die Bereitschaft zum Arbeiten außerhalb des häuslichen Umfelds. Gundula beginnt ihre Ausbildung zwar wegen des Krieges, betont aber immer wieder, dass sie schon immer Krankenschwester werden wollte. Das ist kein Zufall, sondern passt gut in Geschlechterrollen, die für Frauen an erster Stelle Care-Tätigkeiten vorsehen.

Auch Gundula setzt ihren Willen manchmal durch, aber bleibt insgesamt Vater und Mutter hörig. Ein Jahr vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges präsentiert Hoerner-Heintze in ihrem Mädchenbuch das idealisierte Vorbild einer zurückhaltenden jungen Frau, die sich den vorgegebenen Werten nicht nur unterordnet, sondern sie geradezu verkörpert. Entsprechend wenig individuell ist die Figur angelegt. Damit wird den jungen Leserinnen vorgeführt, wie sie sich im Sinne der nationalsozialistischen Idee einer ‚Volksgemeinschaft‘ zu verhalten haben.

Entsprechende Ideen wurden in der Kinder- und Jugendliteratur auch nach 1945 weiter vermittelt. Während Ein Mädel in der Front keine Neuauflage in der Bundesrepublik erhielt, sind zahlreiche andere Texte in leicht bereinigter Fassung teils bis in die Gegenwart auf dem deutschen Buchmarkt geblieben.

Progressive Kinderbücher aus unterschiedlichen Jahrzehnten, Foto: Martin Liebetruth

Hier gibt es mehr zu entdecken…

Die Sammlung historischer Kinder- und Jugendliteratur Göttingen gehört mit etwa 35.000 Objekten zu den größten im deutschsprachigen Raum. Die Bücher, Papierspiele und weiteren Medien stammen aus dem Zeitraum vom frühen 18. bis zum späten 20. Jahrhundert. Schwerpunkte der Sammlung sind die Kinder- und Jugendliteratur der Weimarer Republik, der NS-Zeit, Bilderbücher und Märchenbücher. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen, die Bestände während der Öffnungszeiten vor Ort zu nutzen.

Ein Beitrag von Antonia Roedszus, Jaqueline Stephan und Hartmut Hombrecher

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Gemmen, Gipsabgüsse und Göttingen

Im Archäologischen Institut Göttingen befindet sich die 1765 gegründete Sammlung der Gipsabgüsse. Diese Sammlung gibt einen Überblick über die mehr als 1000-jährige Geschichte der griechisch-römischen Bildhauerkunst. Sie enthält nicht nur Abgüsse großformatiger Statuen, sondern auch winziger Gemmen.

Was sind Gemmen?

Gemmen sind geschnittene Schmucksteine, die aus verhältnismäßig weichen Steinen geschnitten wurden. Die verwendeten Steinsorten waren dabei Tigerauge, Bergkristall, Rosenquarz, Amethyst, Granat, Roter und Gelber Japsis, Karneol, Sarder, Achate, Chalzedon und Chrysopras. Mit viel Erfindungsgeist entwickelten die Gemmenschneider ab dem 5. bis 6. Jahrtausend vor Christi Techniken, um die relativ weichen Steine mit freier Hand zu bearbeiten. Dabei wurde das Bildmotiv von den Steinschneidern als Vertiefung eingeschnitten.

Mit den Abgüssen, die in der Antike angefertigt wurden, konnten damals Briefe und Dokumente wie Urkunden als Siegel beglaubigt werden. Aber auch Waren, Kästchen, Gefäße und Türen wurden so verschlossen. Ob aus Ton oder Wachs – das Öffnen hätte die Siegel beschädigt und verraten, dass sich jemand Zugriff verschaffen wollte!

Die Abbildung zeigt Abdrücke von Gemmen im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen
Die Abgüsse der Gemmen aus dem Archäologischen Institut Göttingen im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen. Foto: Eva Völker

Wofür wurden Gemmen angefertigt?

Neben Münzen waren Gemmen in der Antike die kleinsten Kunstwerke, die hergestellt wurden. Bis auf Gemmen aus Glas konnten sie nicht vervielfältigt werden und waren deshalb immer ein Unikat. Gemmen wurden zum Beispiel als Schmuckstücke, Ehrengeschenke, Glücksbringer oder Amulette angefertigt. Dabei wurden ihnen magische Kräfte zugeschrieben und Verstorbenen mit ins Grab gegeben oder auch vererbt. Es gab nicht nur einfach geschnittene Gemmen, sondern auch richtige Meisterwerke!

Die Abgüsse der Gemmen

Im 18. Jahrhundert wurden umfangreiche Sammlungen von Gemmen erstellt. Sie galten als zentrale Quelle für die Kenntnis der antiken Kunst. Die Abgüsse solcher antiker Siegelsteine in Gips, Schwefel, Siegelwachs oder Siegellack sowie Sammlungen von ihnen wurden hauptsächlich im 18. Jahrhundert angelegt. Der größte Teil der Vorlagen für die Abgüsse stammt aus der Zeit etwa vom 6. Jahrhundert vor bis zum 6. Jahrhundert nach Christus. Die detaillierten Miniaturbilder der Abgüsse sind für uns ein spannendes Zeugnis der Antike!

Die Abbildung zeigt Gipsabgüsse von Gemmen im Detail aus dem Sammlungsschaufenster im Forum Wissen.
In Nahaufnahme: Antike Bildmotive. Foto: Eva Völker

Bei vertieft in die Gemmen eingeschnittenen Bildern hatten Abgüsse den Vorteil, dass dank des positiven Reliefs Details oft noch besser als im Original herausgelesen werden konnten. Sammlungen solcher Abgüsse nennt man Daktyliotheken. Viele davon sind uns gut erhalten, da sie üblicherweise in geschlossenen Kästen aufbewahrt wurden und somit meist unversehrt geblieben sind. Für diese Art der Sammlungen wurden die Abgüsse mithilfe von vergoldeten Papierrähmchen systematisch auf einer Trägerplatte angeordnet beziehungsweise in eine Schublade fest montiert.

Abgüsse von Gemmen aus der Archäologischen Originalsammlung

Das Göttinger Archäologische Institut verfügt nicht nur über eine große Zahl von Daktyliotheken sowie einzelnen Gemmenabgüssen, sondern auch über mehr als 600 originale Gemmen aus hauptsächlich römischer Zeit. Johann Friedrich Crome (1906-1962) fertigte 1931 das erste systematische wissenschaftliche Inventar dieser originalen Gemmen im Besitz des Göttinger Archäologischen Instituts an und publizierte einen Teil davon in einem Aufsatz. Crome, der damals noch keine 25 Jahre alt war, hatte allerdings wenig Erfahrung mit antiken Gemmen. Er zog daher Paul Arndt als Experten zu Hilfe, den zu der Zeit besten Kenner antiker Steinschneidekunst in München. Arndt erhielt das gesamte Originalmaterial, formte innerhalb einiger Monate alle 106 Stück ab und montierte sie auf vier Tafeln aus festem Karton. Diese Abgüsse wurden in mindestens zwei Sätzen hergestellt und: Sie sind noch heute am Göttinger Institut erhalten.

Die Abbildung zeigt Gipsabdrücke von Gemmen aus dem Sammlungsschaufenster im Forum Wissen.
Die Abgüsse der Gemmen aus dem Archäologischen Institut Göttingen auf Karton montiert. Foto: Eva Völker

Die Gipsabgüsse von Gemmen

Die Nummerierungen auf dem Karton verraten uns vermutlich, dass es sich hierbei um ein Arbeitsexemplar handelt, welches dann als Fotografievorlage für die Publikation diente. Dafür wurden die endgültigen Tafeln wahrscheinlich in höchster Präzision als Ganzes fotografiert und der freie Raum zwischen den Abgüssen dann einschließlich der Goldrähmchen wegretuschiert. Da die Abgüsse auf den endgültigen Tafeln nicht nummeriert sind, können sie nur in Verbindung mit den Abbildungen in Cromes Publikation benutzt werden.

Der Kasten als solcher präsentiert uns ähnlich wie traditionelle Daktyliotheken damals die Gemmenabgüsse ein Stück der europäischen Kunstgeschichte. Im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen werden die Gemmenabgüsse in den Glasvitrinen gezeigt und die spannenden Details sind mit bloßem Auge zu betrachten!

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Das ganze Leben ist Chemie!

Die Sammlung der Göttinger Chemie präsentiert ein besonders modernes Exponat bei uns im Sammlungsschaufenster: einen sogenannten Bioreaktor. Für ein Objekt im Museum der Göttinger Chemie ist dieses Exponat ziemlich jung; das Göttinger Unternehmen Sartorius hat es 2019 hergestellt und viele Labore nutzen es derzeit weltweit. “Der Bioreaktor ist eine Spende von Sartorius und er ist fabrikneu”, erklärt Dr. Ulrich Schmitt, der Kustos des Museums an der Fakultät für Chemie.

Ulrich Schmitt stellt den Bioreaktor ins Sammlungsschaufenster des Forum Wissen. Foto: Martin Liebetruth

Seine Sammlung ist facettenreich und enthält neben überwiegend historischen Exponaten nur wenige aktuelle Objekte aus der chemischen Forschung. Konventionell werden für viele chemische Arbeiten im Laboratorium vor allem Geräte und Apparaturen aus Glas verwendet. Deshalb präsentiert der Kustos auch in der oberen Vitrine des Sammlungsschaufensters eine Auswahl typischer Glasgeräte für chemische Laborpraktika (zahlreiche weitere Gerätschaften könnt ihr in der Basisausstellung des Forum Wissen im Raum Labor sehen).

Typische Glasgeräte für Laborpraktika im Sammlungsschaufenster. Foto: Leonie Bathow

Besonders im Bereich der Biochemie verwenden die Wissenschaftler*innen in neuerer Zeit vermehrt auch Laborgeräte aus modernen Kunststoffen, wenn dies von Vorteil ist. Hierzu gehört der schon genannte Bioreaktor, der aus Polycarbonat besteht. Er ist als Bestandteil einer größeren Apparatur ein wichtiges Hilfsmittel in der biochemischen Spitzenforschung. “Ein Reaktor ist einfach eine besondere Art von Gefäß, in dem bestimmte wissenschaftlich untersuchbare chemische Prozesse ablaufen”, erläutert der Kustos. An den Reaktor können verschiedene Schläuche, Filter und Adapter angeschlossen werden. Über diese können die Chemiker*innen dann beispielsweise Gase wie Sauerstoff, Stickstoff oder Kohlendioxid hinzufügen oder fernhalten. Auch ein Rührwerk für die Durchmischung von Flüssigkeiten ist Teil des Reaktors.

Der Bioreaktor, hergestellt 2019 vom Göttinger Unternehmen Sartorius. Foto: Martin Liebetruth

In der biopharmazeutischen Forschung werden in solchen Reaktoren spezifische Zellen unter geeigneten kontrollierten Bedingungen (Nährmedium, Temperatur, pH-Wert) kultiviert und erforscht – beispielsweise zur Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen gegen Viren und (eher noch Zukunftsvision) gegen Krebs. Die Zellen sind im Grunde kleine ‚chemische Fabriken‘, die genetisch so ‚programmiert‘ werden können, dass sie die gewünschten Moleküle produzieren.

Ein Stück Zeitgeschichte

Durch die COVID-19-Pandemie kam die biopharmazeutische Forschung mit der schnellen, erfolgreichen Impfstoffentwicklung in die Medien. Die lebenswichtige Bedeutung von biochemischer Forschung wurde gesellschaftlich heiß diskutiert. Aufgrund dieser Aktualität hat sich Ulrich Schmitt für die Präsentation des Bioreaktors entschieden. Mit einem baugleichen Exemplar wurde nämlich die erste Charge eines auf neuartiger mRNA-Technologie basierenden Corona-Impfstoffes hergestellt.

Der Kustos ist stolz, dieses Objekt in seiner Sammlung zu haben. Es bildet ein Stück aktueller Zeitgeschichte ab und passt perfekt in das Konzept seiner vergleichsweise jungen Sammlung – die es erst seit 1979 gibt. Für die Präsentation im Sammlungsschaufenster hat sich Ulrich Schmitt noch auf die Suche nach leeren Ampullen des Corona-Impfstoffes gemacht. Diese könnt ihr ebenfalls in der Vitrine betrachten. Ob sie bald von historischem Wert sein werden?

Leere Ampullen des Corona-Impfstoffes. Foto: Leonie Bathow
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Forum Wissen Sammlung

Ein Füllhorn von Geschichten

Die Lehrsammlung für Ur- und Frühgeschichte enthält Exponate, sowohl Originale als auch Kopien, von der Urgeschichte bis hin zur Neuzeit. Sie spielt noch heute eine wichtige Rolle für Forschung und Lehre. Vielleicht ist die Sammlung gerade deswegen mit gleich zwei Vitrinenreihen im neuen Sammlungsschaufenster des Forum Wissen vertreten. So haben neben Student*innen nun auch Besucher*innen die Möglichkeit, einige Objekte aus der Nähe zu sehen. „Die ausgewählten Objekte, die im Moment ausgestellt sind, können dabei unterschiedlich betrachtet werden, einzeln für sich oder in einem zusammenhängenden Kontext“, so Dr. Immo Heske, Kustos der Lehrsammlung für Ur- und Frühgeschichte.

Steinzeitliche Feuersteinklingen im Sammlungsschaufenster im Forum Wissen. Foto: Martin Liebetruth.

Von der Sesshaftwerdung des Menschen

Die erste Geschichte, die erzählt wird, ist die Veränderung der Lebensweise durch die Sesshaftwerdung des Menschen im Jungneolithikum, eine der grundlegenden Erkenntnisse der ur- und frühgeschichtlichen Archäologie. Dies wird anhand der ersten der beiden Schaufenster nähergebracht, in denen die landwirtschaftliche Vielfalt gezeigt wird: der erste Ackerbau und die Viehzucht in Deutschland zuerst auf den Lößböden und die spätere Weiterentwicklung zu den Großsteingräber-Kulturen wie der Trichterbecherkultur. Diese Kulturen legten ihre Toten in monumentalen Grabanlagen zur Ruhe und begannen auch auf kargen Sandböden mit dem Ackerbau.

Die Ausstellung im Sammlungsschaufenster verdeutlicht diese Veränderungen durch zahlreiche Fundstücke aus dieser Epoche der Menschheitsgeschichte. Hierzu zählen unter anderem Steinwerkzeuge und Waffen sowie Gefäße aus Keramik.

Trichterbecher aus Keramik im Sammlungsschaufenster im Forum Wissen. Foto: Martin Liebetruth.

Hebt man den Blick etwas, geht die Geschichte weiter und erzählt vom Übergang zur Bronzezeit, in der die Metallverarbeitung eine zunehmend wichtige Rolle spielt. Die Waffen, Werkzeuge und der Schmuck aus Bronze werden in Gräbern gefunden und lassen Rekonstruktionen sowie die Unterscheidung von männlicher und weiblicher Tracht zu. So werden Frauen eher Schmuckgegenstände zugesprochen und Männern Waffen wie die Bronzeklingen.

Vom Übergang zur Bronzezeit

Reskonstruktionvorschlag einer bronzezeitlichen Frau im Sammlungsschaufenster im Forum Wissen. Foto: Lena Heykes.

Neben den großen gesellschaftlichen Veränderungen werden auch kleinere Details des alltäglichen Lebens durch Fundstücke veranschaulicht. Sie sind im Sammlungsschaufenster über das Scannen des QR-Codes zugänglich. Doch nicht nur Sesshaftwerdung und Bestattungssitten im Jungneolithikum und der Bronzezeit werden als Geschichten erzählt, sondern auch die Entwicklung von Gesellschaften und Kulturen, die sich in den Epochen bilden und weiterentwickeln.

Bedeutung der Exponate im Studium

Damit beschäftigen sich die Student*innen der Ur- und Frühgeschichte tiefergehend. Anhand der Exponate lernen sie die unterschiedlichen Merkmale der verschiedenen Kulturen näher kennen. Und natürlich arbeiten sie dafür auch eng mit den Exponaten aus der Lehrsammlung.

Schwerter der Älteren Bronzezeit aus Männergräbern. Foto: Martin Liebetruth.

Dort gibt es auch einige Objekte, die noch nicht wirklich aufgearbeitet sind, die sie dann in Seminaren behandeln und bearbeiten. Andere Objekte werden für Ausstellungsprojekte wie dem Sammlungsschaufenster genutzt, um den Student*innen das Planen der Ausstellungskonzepte näherzubringen. Ebenso spielen das Zeichnen und die Recherche zur kulturhistorischen Einordnung der Artefakte eine wichtige Rolle. Mit diesen Techniken können sich die Student*innen nämlich auf ihre Abschlussarbeiten vorbereiten.

Zeichnung der Schwerter aus dem Sammlungsschaufenster. Foto: Lena Heykes.

Insgesamt ist die Sammlung für Ur- und Frühgeschichte wichtig für die wissenschaftliche Arbeit und die Vermittlung der menschlichen Geschichte. Diese möchten Immo Heske und die Student*innen den Besucher*innen durch das Sammlungsschaufenster näherbringen. So können sie sich schlaglichtartig ein Bild von der Entwicklung der Menschheit machen.

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Hinter den Kulissen Sammlung

Vom Projektor zu Indiana Jones: die Sammlung Stern

Aus dem Sammlungsschaufenster im Forum Wissen stellen wir euch heute das Altertumswissenschaftliche Filmarchiv vor. Es ist eine unserer jüngsten Sammlungen, die es erst seit rund sechs Jahren gibt.

Bell & Howell-Projektor für 16-mm-Filme. Die Audiospur liegt als sogenannter Lichtton mit auf der Rolle.

Mit diesem Gerät fing alles an: Deshalb stellt Carolin Pilz den 16-mm-Projektor auch gut sichtbar ins Sammlungsschaufenster des Forum Wissen. „Der Projektor ist das Gründungsobjekt des Göttinger Filmarchivs“, erklärt die Studentin stolz. Damit hat der Archäologe Tom Stern Filme gezeigt – nicht nur zu Forschungszwecken, sondern auch in vielen Schulen oder Museen. Kaum vorstellbar, dass dieses 20 Kilo schwere Gerät jahrzehntelang als mobiles Kino beliebt war. Gerade weil es so gut zu handhaben, leicht beweglich und robust war. „Für mich ist das ein doppelter Blick in die Vergangenheit“, erzählt Carolin weiter: Denn sie erfährt durch solche Objekte nicht nur, wie die Vorführpraxis vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war. Auch die Filme selbst sieht sie gern.

Antike im Film

Denn das wollte der Archäologe und Filmforscher Tom Stern (1958–2016) wissen: Welches Bild vom Altertum erzeugt ein Film? Wie und warum werden die Geschichten erzählt? Auch Ausgrabungen hielt der Forscher im Bewegtbild fest und schuf so besondere Einblicke in wissenschaftliches Arbeiten. Carolin studiert selbst Geschichte und Klassische Archäologie und findet diese andere Art des Zugangs zu ihren Fächern enorm erfrischend.

Filmrollen, VHS-Kassette und der letzte Film von Tom Stern, den Regisseur Enzio Edschmid fertiggestellt hat.

Auch Martin Lindner, der Kurator der Sammlung Stern, freut sich über diesen Türöffner: „Noch sind nicht alle Objekte unseres Archivs digitalisiert. Mit so einem Projektor können wir Filme, die 50 oder 60 Jahre alt sind, sogar unter Originalbedingungen zeigen.“ Und damit ein wenig in die Kinoatmosphäre dieser Zeit eintauchen.

Leidenschaft: Sammeln

Das scheint umso wichtiger, je mehr die Antike aus den Lehrplänen des Unterrichts verschwindet. Doch das war wohl nur ein Grund, warum Tom Stern begann, Filme zu sammeln – vor allem jene, die er analysierte oder an denen er mitwirkte. Sein Nachlass ist heute der Grundstock des Altertumswissenschaftlichen Filmarchivs. Zu ihm gehören auch Sterns Bücher, Zeitschriften und Arbeitsmappen wie die zu Leo Frobenius – Ethnologe, Archäologe und Hauptfigur eines Stummfilms über die Ruinenstätte Groß-Simbabwe von 1929.

Zeugnisse der Filmgeschichte von Tom Stern sowie dem Kieler Regisseur und Archäologen Kurt Denzer (1939–2021).

Aber auch Klassiker wie „Indiana Jones“ oder moderne Terra X-Sendungen schlummern in der Sammlung, die längst über Sterns Aktivitäten hinausgewachsen ist.

Herzlich willkommen

Wer sich davon ein Bild machen möchte, besucht am besten das Sammlungsschaufenster im Wissensmuseum. Es ist aber auch möglich, den einen oder anderen Film zu schauen und sich auf die Suche nach den alten Zeiten zu begeben. In dem Fall bittet am besten Martin Lindner um einen Termin im Althistorischen Seminar der Uni Göttingen.

Fotos: Uni Göttingen