Categories
Forum Wissen Sammlung Sammlungsschaufenster

Im Schaufenster: das Physicalische Cabinet

Die Sammlung historischer physikalischer Instrumente der Universität Göttingen oder weniger sperrig: das “Physicalische Cabinet” lässt 250 Jahre Physikgeschichte in Göttingen lebendig werden. Es ist eng verknüpft mit Wissenschaftlern wie Lichtenberg, Gauß und Weber. Der Bestand reicht von den Anfängen der Physik im 18. Jahrhundert bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts und enthält so bedeutende Objekte wie den Gaußschen Vizeheliotrop und eine Replik des Gauß-Weber-Telegraphen zur Weltausstellung 1873 in Wien.

Blick in den Museumsraum des “Physicalischen Cabinets” im Foyer der Fakultät für Physik. Foto: Daniel Steil

Physik im 20. Jahrhundert

Das Sammlungsschaufenster im Forum Wissen greift einen Objektbestand auf, der im Museumsraum des “Physicalischen Cabinets” etwas stiefmütterlich behandelt wird: Physik- und Technikinstrumente des frühen 20. Jahrhunderts. Diesen fehlt der Glanz von Messing, edlen Hölzern und Glas, welcher die Exponate des 18. und frühen 19. Jahrhunderts bestimmt. Damals war die Manufaktur das vorherrschende Produktionsverfahren und die Herstellung war kunsthandwerklich geprägt. Mit dem Übergang zur industriellen Massenproduktion, bei der große Stückzahlen kostengünstig produziert werden sollten, trat im 20. Jahrhundert die Funktion des Objekts in den Vordergrund. Es dominierten einfache geometrische Formen. Kunststoffe und lackiertes Blech kamen zum Einsatz und die Objekte waren typischerweise in gedeckten Farben gehalten.

Nutzung von Elektrizität

Im frühen 20. Jahrhundert erfolgte die weitgehende Elektrifizierung Deutschlands. Daher haben alle im Sammlungsschaufenster gezeigten Exponate etwas mit Elektrizität zu tun – beginnend mit der hier gezeigten Influenzmaschine nach James Wimshurst.

Influenzmaschine nach Wimshurst. Foto: Marie Ahlig und Lara Siegers

Influenzmaschinen dienen dazu, elektrische Ladungen voneinander zu trennen. Das passiert in dem Fall der Wimshurst-Maschine mittels mechanischer Arbeit und unter Nutzung gegenläufig rotierender Scheiben. Diese Maschinen wurden Anfang des 20. Jahrhunderts dazu benutzt, um elektrische Hochspannung bis zu 100 kV bereitzustellen, womit beispielsweise frühe Röntgenröhren betrieben werden konnten. Das hier ausgestellte Exponat besitzt zur Ladungsspeicherung zwei Leidener Flaschen, also frühe Hochspannungskondensatoren. Es diente früher vermutlich als Demonstrationsversuch zur Erzeugung und Nutzung elektrischer Ladungen. Funkenentladungen werden in modernisierter Form noch heute in der Lehre in der Physik oder zur Freude von Groß und Klein beim Tag der offenen Tür oder der Nacht des Wissens gezeigt.

Elektrizitätslehre und Schwingungsphänomene in der Schule

Mit der breiteren Verfügbarkeit von elektrischem Strom und insbesondere Wechselstrom wurde es notwendig, dieses neue Phänomen in die technische Ausbildung zu integrieren.

Schleifenoszillograph von Siemens & Halske. Foto: Marie Ahlig und Lara Siegers

Da Menschen Spannung oder Strom nicht direkt wahrnehmen können, entwickelte in den 1930er-Jahren unter anderem die Firma Siemens & Halske (das heutige Siemens) einen einfachen und kostengünstigen Schleifenoszillographen. Auf diese Weise sollten elektrische (aber auch andere) Schwingungsvorgänge sichtbar gemacht werden. Hierbei wird Licht von einer Lichtquelle auf einen Schwingspiegel gelenkt, welcher auf einer Drahtschleife montiert ist (im Bild vorne). Der Spiegel auf der Drahtschleife befindet sich in einem Magnetfeld. Fließt ein Wechselstrom durch die Drahtschleife, so wird der Spiegel proportional zur Stromstärke ausgelenkt und erzeugt einen oszillierenden Lichtfleck entlang der Vertikalen. Um die Schwingung entlang der Vertikalen besser sichtbar zu machen, wird das Licht des Spiegels an dem Drehspiegel reflektiert, hier mit 10 Einzelspiegeln (im Bild hinten). Das führt zu einer zusätzlichen horizontalen Bewegung des Lichtflecks; die Schwingung wird auf einem Beobachtungsschirm sichtbar. Der hier gezeigte Schleifenoszillograph wurde mit großer Wahrscheinlichkeit von Robert Wichard Pohl für Demonstrationsversuche in seiner Vorlesung zur Experimentalphysik beschafft.

Physikalische Forschung und Medizintechnik

Wurden frühe Röntgenapparate noch mit komplizierten und eher unzuverlässigen Hochspannungsquellen wie der weiter oben diskutierten Influenzmaschine betrieben, so stellt unser nächstes Exponat etwas dar, was heute gerne als Quantensprung oder bahnbrechende Innovation bezeichnet wird. Es handelt sich um die sogenannte Röntgenkugel der Siemens-Reiniger-Werke: 1934 auf den Markt gebracht, stellt sie eines der ersten transportablen Röntgengeräte dar.

Siemens-Röntgenkugel. Foto: Vanessa Scheller und Daniel Steil

Das Besondere an der Röntgenkugel ist, dass sie die Röntgenröhre und den notwendigen Hochspannungstransformator in einem kompakten, strahlensicheren Gehäuse unterbringt und das Gerät zum Betrieb nur noch an das 220V-Stromnetz angeschlossen werden muss. Mithilfe eines Stativs konnte die Röntgenkugel dann in recht beliebiger Lage für Röntgenaufnahmen an einem Patienten eingesetzt werden. Diese Eigenschaften führten dazu, dass die Röntgenkugel bis in die 1970er-Jahre weltweit einige Zehntausend Mal verkauft wurde. Das machte die Röntgenkugel – insbesondere in der Zahnmedizin – zu einem beliebten Röntgengerät. So erinnert sich auch der Verfasser vage daran, dass er in seiner Jugend mit Hilfe einer Röntgenkugel von seinem Zahnarzt geröntgt wurde. Auch in der Physik wurde die Röntgenkugel zur Bildgebung eingesetzt. Aktuell sind stolze drei Stück im Besitz der Sammlung: vom chromfarbenen Modell – wie hier gezeigt – bis zu einem schlicht cremefarben lackierten Gerät. Interessierte an historischer Röntgentechnik finden eine Vitrine mit Exponaten in unseren Sammlungsräumen.

… zu guter Letzt

Das “Physicalische Cabinet” öffnet aktuell regulär während der Vorlesungszeit montags um 16 Uhr vor den großen Physikkolloquien. Führungen für Gruppen sind außerhalb dieser Zeiten auf Anfrage möglich. Weitere Informationen sind auch auf unserer Webseite zu finden.

Categories
Forum Wissen Uncategorized

Aus den Göttinger Sammlungen: Kunstvolle Schmuckstücke neu im Museumsshop

Jetzt neu im Forum Wissen Shop, handgefertigte Schmuckstücke inspiriert von Exponaten aus den Göttinger Sammlungen. Hergestellt von der Restauratorin Jorun Ruppel und ihrem Team!

Kunstvolle Reproduktionen historischer Schätze

Die Herstellung der Reproduktionen erfordert handwerkliches Können und Liebe zum Detail. Diplom-Restauratorin Jorun Ruppel und ihr Team produzieren von historischen Objekten inspirierte Ohrringe und Magneten, die ab sofort im Forum Wissen Shop erhältlich sind. Jorun Ruppel erinnert sich an die Anfänge im Jahr 2007: “Damals habe ich Daktyliotheken restauriert und wollte die alten Herstellungstechniken praktisch nachvollziehen.” Daktyliotheken sind Sammlungen von Abdrücken antiker oder neuzeitlicher Gemmen, erläutert die Restauratorin. Bei Gemmen handelt es sich um in Edelstein oder Glas geschnittene Motive. Sie wurden in der Antike als Glücksbringer und Ehrengeschenke zum Beispiel für Amulette oder Siegelringe angefertigt. Der Erfolg der reproduzierten Abdrücke war so groß, dass das Team um Jorun Ruppel daraus Magnete, Ketten, Broschen und Ohrringe fertigte.

Von den Sammlungen inspiriert

Auf den Ohrringen und Magneten sind vermutlich die Dichterin Sappho und Apollon sowie weitere Frauen dargestellt. Die Vorlagen für diese Kunstwerke stammen aus der Daktyliothek von James Tassie. Sie enthalt künstlerische Nachempfindungen antiker Motive aus dem 18. Jahrhundert. Einige dieser Exponate sind ausgestellt im Raum Schränke in der Basisausstellung im Forum Wissen. Ihr Reiz liegt in den Details: “Die Ohranhänger sind Abdrücke und Abgüsse in Originalgröße, während wir für die Magnet-Formen ein Verfahren angewendet haben, mit dem die Größe fast verdoppelt wird”, erklärt Jorun Ruppel. „Es ist erstaunlich, wie filigran der Gemmenschnitt trotz der Vergrößerung noch wirkt.“

Wie das funktioniert?

„Um die Reproduktionen herstellen zu können, benötigt man Formen aus Silikon. Bestehen die Gemmen aus einem unempfindlichen Material, kann das Silikon direkt darauf gegossen werden. Ansonsten nehmen wir einen Plastilinabdruck vom Original und formen diesen mit Silikon ab“, erklärt Jorun Ruppel. Die Verfahren haben auch Einfluss darauf, ob das Motiv später eingeschnitten oder erhaben erscheint.

Altes Kunsthandwerk neu entdeckt

Die unterschiedlichen Produkte erfordern spezielle Materialien: “Bei den weißen Magneten verwenden wir eine keramikähnliche Masse, die an Biskuitporzellan erinnert, während wir für die farbigen Magneten und Ohrringe Acrylharz verwenden, das sich gut einfärben lässt.” Eine neue Serie von Magneten und Ohrringen ist jetzt im Forum Wissen Shop erhältlich. Trotz des Erfolgs gab es auch Herausforderungen. Jorun Ruppel erzählt: “Obwohl wir schon jahrelange Erfahrung mit dem Gießen haben, kann immer etwas schiefgehen – auch, wenn wir noch so sorgfältig arbeiten. Jetzt haben wir genügend Abgüsse und Abdrücke zusammen, um die finalen Arbeiten durchzuführen – vom Schleifen der rückseitigen Kanten über das Wachsen und Polieren bis hin zum Anbringen der Haken”
Erfahren Sie mehr über die Geschichte der Gemmen und ihren Weg in die Göttinger Universitätssammlungen auf unserem Blog.

Das Bild zeigt Besucherinnen im Shop des Forum Wissen in Göttingen

Wissen to Go – Der Museums-Shop im Forum Wissen

ÖFFNUNGSZEITEN
Dienstag – Sonntag, 11 – 17 Uh

Categories
Forum Wissen Sammlung Sammlungsschaufenster

Im Schaufenster: das Universitätsarchiv

Eigentlich ist das Universitätsarchiv keine Sammlung. Zum Beispiel sammelt es nichts, auch wenn die Akte im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen den Eindruck erwecken könnte. Das Archiv nimmt, was ihm von Gesetz wegen übergeben wird. Dass seine Arbeit von einem Gesetz bestimmt wird, ist für eine akademische Sammlung auch ungewöhnlich. Dort steht nichts von herausragenden Exponaten, „Dingen des Wissens“ und den vielen Facetten der Verantwortung, die Kustod*innen für ihre Objekte haben, aber viel von nüchternen Dingen wie Datenschutz und Archivierungspflicht öffentlicher Einrichtungen.

Aktenordner im Sammlungsschaufenster. Foto: Martin Liebetruth

Das Archiv operiert hart an der Gegenwart, übernimmt laufend Aktenordner und elektronische Unterlagen der letzten Jahrzehnte aus den Büros der Universität Göttingen. Aber das tut es – bezieht man alle seiner Vorläufer mit ein – seit 1773. So haben sich Schicht für Schicht 2,3 Regal-Kilometer an Geschichte auf Papier seit der Gründung der Universität aufgetürmt.

Nur Papierkram?

Diese „Sammlung“ ist hochspezialisiert: Sie umfasst nur Verwaltungsakten der Dienststellen der Universität. Persönliche Korrespondenz oder Manuskripte eines Gauss, Lichtenberg oder Schlözer gibt es hier nicht – weil das Archiv nicht aktiv alle Unterlagen sammelt, die für die Universitätsgeschichte von Belang sein könnten. Aber die Personalakten der drei Koryphäen wurden schon vor sehr langer Zeit dem Archiv übergeben. Auch alle Promotionsakten finden ihren Weg dorthin; die Robert Oppenheimers ist gerade wieder ins Licht der Öffentlichkeit gerückt.

Promotionsurkunde Oppenheimer

Promotionsurkunde für Robert Oppenheimer, 1927 (UniA GÖ, Math-Nat. Prom. 27)

Solche Verwaltungsakten sind das Faktengerüst der Universitätsgeschichte. Aber auch das hat es in sich: In Besoldungsakten spiegeln sich Schicksale, etwa die der 1933 vertriebenen jüdischen Professor*innen. Bauakten kondensieren Wissenschaftsgeschichte wie die Anfänge der naturwissenschaftlichen Großforschung. In langen Reihen von Protokollen des Senats und der Fakultäten gehen wissenschaftliche, administrative und menschliche Themen durcheinander, wie das Leben so ist. Die Akten des längst abgeschafften Universitätsgerichts lassen tief in die allzumenschlichen Regungen der saufenden und raufenden Studenten vor 200 Jahren blicken. Die Matrikelbücher enthalten die eigenhändigen Einschreibungen aller Göttinger Studierender von 1734 bis 1968: Lebensspuren, die Familienforscher aus der ganzen Welt anziehen.


Matrikeleintrag Humboldt

Der Göttinger Student Alexander von Humboldt im Matrikelbuch, 1789 (UniA GÖ, Matr. 3)

Bewahrung des Authentischen

Die historische Wurzel dieses dokumentarischen Reichtums ist das „Dokument Nr. 1“, das Gründungsprivileg Georgs II. August für die Universität, die seinen Namen trägt, vom 7. Dezember 1736. Heute hat es keine Rechtskraft mehr. Aber die Georgia Augusta kann sich weiterhin auf Artikel 11, die damals revolutionäre Verleihung der Wissenschaftsfreiheit, als geistiges Fundament berufen. Kein Dokument veranschaulicht besser den Wandel, den die Bestände des Universitätsarchivs erfahren, wenn sie in Jahrzehnten und Jahrhunderten von rechtserheblichen Verwaltungsdokumenten zu historischen Zeugnissen mit einer ganz besonderen Aura des Authentischen und Unbestreitbaren werden.


Gründungsprivileg der Universität

Siegel und Unterschrift des Gründungsprivilegs der Universität, 1736 (UniA GÖ, Urk. 2)

Zum Auratischen trägt auch der Ort des Archivs bei. Sein Magazin nimmt auf zwei Ebenen das Untergeschoss der Paulinerkirche ein. Die Aktenregale stehen zwischen mächtigen Achteckpfeilern auf demselben Boden, auf dem am 17. September 1737 die Universität in einem Festakt feierlich eingeweiht wurde. Das Universitätsblog BLUG hat diesen „Schatz im Papendiek“ einmal besichtigt. Die Kirche gehört zum ehemaligen Dominikanerkloster, dem heutigen „Historischen Gebäude“ der Staats- und Universitätsbibliothek.


Regalreihen im Magazin

Regalreihen im Magazin des Universitätsarchivs in der Paulinerkirche. Foto: Holger Berwinkel

Zu dieser gehört seit einigen Jahren auch das Archiv, um die Synergien zu den vielfältigen historischen Beständen der Bibliothek auszuschöpfen. Im Handschriftenlesesaal des Gebäudes können Interessent*innen die Archivalien einsehen. Von den allerjüngsten Akten abgesehen, die oft dem Datenschutz unterliegen, ist alles für die Öffentlichkeit nutzbar. Auch das steht im Niedersächsischen Archivgesetz. Der größte Teil des Altbestands ist online im Arcinsys-Portal katalogisiert und wird sukzessive digitalisiert.

Eine Meta-Sammlung

Die Archive mancher Universität reichen um Jahrhunderte weiter zurück, aber das Göttinger zeichnet sich durch die besondere Vollständigkeit und Dichte seiner Aktenüberlieferung aus. Entsprechend intensiv wird es vorrangig von der Wissenschaftsgeschichte genutzt. Sie werten die Akten als historische Texte aus. Eine besondere Objektqualität kann man den Schriftstücken beim besten Willen oft nicht zugestehen. Sie sind „Flachware“. Aber inhaltlich dokumentieren sie mit der Geschichte der Universität auch die Entwicklung der Sammlungen! Wenn im 18. Jahrhundert Münzen, Kupferstiche und Materialien angekauft wurden, dann musste die Staatskasse Geld bereitstellen und forderte als Nachweis Inventarlisten an. Die Unterbringung der Sammlungen, der Bau des ersten Akademischen Museums, die Personalien der Kustoden, die Kriegsverluste von 1945 im Kalibergwerk Volpriehausen – alles ging zu den Akten.

Oft kann der Archivar der Universität im Lesesaal deshalb Kolleg*innen begrüßen, die als Kustod*innen Aspekte des Werdens ihrer Sammlung erforschen. Man kann das Archiv deshalb auch als eine Meta-Sammlung sehen. In der Basisausstellung des Forum Wissen begegnen Besucher*innen nur gelegentlich Exponaten aus dem Universtätsarchiv, aber in die Konzeption sind auch die Ergebnisse breiter sammlungsgeschichtlicher Archivrecherchen eingeflossen. So ist das Archiv in erster Linie Infrastruktur, die andere Akteur*innen bei der Vorbereitung von Ausstellungen unterstützt.

Fotos: Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen

Categories
Forum Wissen Sammlung Sammlungsschaufenster

Alles eine Frage der Geschichte

Das Münzkabinett der Universität Göttingen ist auf jeden Fall einen Blick wert und mit ein paar repräsentativen Objekten nun auch im Sammlungsschaufenster zu sehen. Das Münzkabinett gilt als die drittgrößte universitäre Sammlung von Münzen in Deutschland, hinter Leipzig und Tübingen. Über 40.000 Objekte verschiedener Herkunft sind vertreten. Dabei handelt es sich jedoch nicht nur um originale Münzen, wie es der Name vielleicht annehmen lässt, sondern auch um Abgüsse von Münzen, um Medaillen oder um frühe Formen von Papiergeld.

Nachbildungen griechischer Silbermünzen aus Blei. Foto: Uni Göttingen.

Dr. Daniel Graepler, der Kustos der Sammlung, zeigt im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen dieses breite Spektrum. Ihr könnt Entwurfsmodelle zur Münchhausen-Medaille entdecken. Diese wurde zum 250. Jubiläum der Universität Göttingen zu Ehren ihres Begründers Gerlach Adolph von Münchhausen (1688–1770) angefertigt. Auch eine kleines Münzkästchen, in dem die Familie Schlözer ihre Münzsammlung aufbewahrte, ist zu sehen. In den unteren beiden Regalen findet ihr einige nachgebildete griechische Münzen aus Blei und Plattengeld aus Schweden. Das sind rechteckige Kupferplatten, die als Zahlungsmittel dienten. Doch die Sammlung hat noch viel mehr Aspekte zum Kennenlernen.

Die Geschichte der Sammlung

Daniel Graepler selbst fasziniert vor allem die große Vielfalt der diversen numismatischen, also auf das Geldwesen bezogenen Objekte, die von Anfang an das Münzkabinett prägten. Sie gingen als Ankäufe oder Schenkungen an die Universität und decken viele verschiedene Regionen und Zeiträume ab. Daher ist auch die Provenienzgeschichte besonders spannend, die hinter den unterschiedlichen Objekten steckt.

Nur wenige von ihnen stammen tatsächlich aus archäologischen Fundstellen. Daher ist die Frage berechtigt, warum das Münzkabinett zum Archäologischen Institut gehört. Dies erklärt sich aus der lange zurückreichenden Geschichte der Universität. Bereits als das Königlich Akademische Museum 1773 gegründet wurde, befanden sich Münzen in der Sammlung. Christian Gottlob Heyne war an dieser Museumsgründung federführend beteiligt. Der Altphilologe, der vor allem Griechisch und Latein lehrte, hielt auch die ersten Vorlesungen über Archäologie, erstmals 1767. Heyne war sehr interessiert an den Münzen. Daher sorgte er dafür, dass diese in seiner Obhut blieben, während die anderen Sammlungen vor allem von Johann Friedrich Blumenbach betreut wurden.

Christian Gottlob Heyne. Gemälde von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1772)

Nach dem Tod von Heyne 1812 wurde verfügt, dass die Vorlesungen zur Archäologie weitergeführt werden sollten. Karl Ottfried Müller trat in Heynes Fußstapfen und schrieb auch das erste Handbuch für Archäologie. Er war ebenso wie Heyne an der Münzsammlung interessiert. Daher inventarisierte und katalogisierte er den Bestand. Als Müller 1840 im jungen Alter starb, folgte ihm Friedrich Wieseler. Dieser übernahm die Verantwortung für die Münzen und weitere archäologische Objekte wie Gipsabgüsse. Nach der Auflösung des Akademischen Museums setzte sich Wieseler für die Gründung eines eigenen Archäologisch-Numismatischen Institutes ein. Dabei wurden die archäologischen Objekte und das Münzkabinett aus den Sammlungen der Universitätsbibliothek ausgegliedert. Nun waren die Münzen nicht mehr von der Archäologie zu trennen. Der Begriff „Numismatisch“ entfiel mit der Zeit aus der Institutsbezeichnung, das Münzkabinett blieb aber an seinem Ursprungsort verankert.

Alte Sammlungen in der Gegenwart

Das Münzkabinett ist ein Zusammenschluss unterschiedlicher Sammlungen von Münzen, Medaillen und anderen numismatischen Objekten. Die verschiedenen privaten Konvolute wurden zum Teil im Laufe der Geschichte des Instituts durch die Universität Göttingen aufgekauft oder gelangten durch Schenkungen an das Archäologische Institut.

So hinterließ Baron von Asch bereits im 18. Jahrhundert dem Institut eine große Originalsammlung mit russischen Münzen und Medaillen. Da diese schon so früh an das Archäologische Institut übergeben wurden, gilt ihre Echtheit als gesichert. Ein interessantes Beispiel dafür ist die sogenannte Bartkopeke, die selbst keinen Zahlungszweck hatte, sondern lediglich beweisen sollte, dass man die Steuern bezahlt hat, die Bartträger im 18. Jahrhundert in Russland zahlen mussten.

Sog. Bartkopeke, von Zar Peter dem Großen (1682-1725) in Russland 1705 eingeführt. Foto: Lena Heykes

Auch eine große Schenkung von arabischen Münzen durch den Arabisten Peter Bachmann aus den 1990er-Jahren ist mittlerweile bearbeitet und digitalisiert. Im Zweiten Weltkrieg hingegen wurden sogar Gelder aufgebracht, um eine Sammlung mittelalterlicher Münzen zu kaufen. Diese konnte bisher leider aus finanziellen und fachlichen Gründen noch nicht bearbeitet werden. Die Sammlung von Wilhelm Crönert war ebenfalls ein wichtiger Ankauf, da er griechische Münzen umfasste, die bis dahin eher weniger im Münzkabinett vertreten waren. Sie werden aktuell im Archäologischen Institut erforscht. Die über 9.000 römischen Münzen sind hingegen schon vor einiger Zeit aufgearbeitet und online publiziert worden.

Aber nicht nur Wissenschaftler*innen arbeiten mit den Münzen aus dem Münzkabinett. Auch Studierenden werden mit Seminaren oder Hilfskraftstellen immer wieder Möglichkeiten geboten, sich mit der Materie auseinanderzusetzen und an Objekten zu lernen.

Schublade mit mittelalterlichen Münzen aus dem Münzkabinett. Foto: Lena Heykes

Abgeschlossen zum Schutz von Kulturgütern

Aktuell werden von der Universität Göttingen Münzen oder Privatsammlungen nicht mehr angekauft. Vor allem damit der Handel mit antiken Münzen keinen Aufschwung erlebt. Das Befeuern des Antikenhandels versuchen viele Institute und andere Einrichtungen wie Museen zu verhindern. Zu hoch ist die Gefahr, dass es dadurch vermehrt zu Raubgrabungen kommt und so archäologische Stätten gefährdet werden.

Das Münzkabinett ist daher als überwiegend abgeschlossen zu bewerten. Nur gelegentlich kommen neue Medaillen hinzu, die die Universität Göttingen unter anderem für Studierende oder Dozierende als Auszeichnung besonderer Leistungen anfertigt. Ebenso selten sind Schenkungen einzelner Münzen. Sie nimmt Daniel Graepler gerne auf, wenn sie in die Sammlung passen.

Categories
Forum Wissen Sammlung Sensible Objekte Video

Vorfahren von Maori und Moriori kehren nach Hause zurück

Feierliche Restitution von Gebeinen an Maori und Moriori an Aotearoa Neuseeland, Foto: Peter Heller

In einer bewegenden Zeremonie hat die Universität Göttingen Anfang Juni Gebeine von Vorfahren – Tūpuna – der Māori und Moriori an eine Delegation aus Vertreter*innen der beiden Communities, des Nationalmuseums von Neuseeland Te Papa Tongarewa und der neuseeländischen Botschaft zurückgegeben. Hier geht es zum Live-Mitschnitt.

Die human remains waren Teil der Blumenbachschen Schädelsammlung und der Anthropologischen Sammlung der Universität Göttingen. Sie stammen von 32 Individuen, wie die Recherchen der Wissenschaftler*innen des von der VolkswagenStiftung Hannover geförderten Forschungsprojekts „Sensible Provenienzen“ ergeben haben.

Dr. Te Herekiekie Herewini, Leiter des Repatriation-Programms am Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa, war als Fellow am Projekt beteiligt. Er erklärt: „Durch unsere Untersuchungen konnten wir ermitteln, dass die ancestral remains von Moriori von Rēkohu (Chathaminseln) und Māori aus Aotearoa (Neuseeland) stammen, und wir konnten herausfinden, auf welchem Weg sie in die beiden Sammlungen gelangten.“

Der Botschafter Neuseelands Craig Hawke, der ebenfalls bei der Zeremonie anwesend war, betonte: „Die Rückführungen sind Ausdruck der engen diplomatischen Beziehungen zwischen Aotearoa Neuseeland und Deutschland, die sich seit deren Aufnahme vor 70 Jahren entwickelt haben.“

„Wir unterstützen die Initiative der Bundesregierung, dass sacred ancestral remains in Sammlungen identifiziert und in ihre Heimat zurückgeführt werden müssen“, sagte Göttingens Universitätspräsident Prof. Dr. Metin Tolan.

Categories
Forum Wissen Sammlung Sammlungsschaufenster

Im Schaufenster: Sammlung mit Vogelorgel

Was stellen Sie sich unter dem Begriff „Musikinstrument“ vor? Ein Klavier, eine Geige, eine Klarinette? Die Musikinstrumentensammlung der Universität Göttingen beschäftigt sich genau mit dieser Frage: Was ist ein Musikinstrument? Das heißt: Was ist Musik? Und was ist ein Instrument?

Im Accouchierhaus. Foto: Alciro Theodoro da Silva.

Die Musikinstrumentensammlung der Uni Göttingen

Aufgrund ihres Bestandes zählt sie zu den größten Musikinstrumentensammlungen in Deutschland. Bedeutend ist dabei nicht nur die Vielfalt ihrer kulturellen Artefakte, die Erkenntnisse über verschiedenste Klangwelten bietet, sondern auch ihr Standort: Göttingen, eine Stadt, die Wissen schafft. Hier befindet sich die Sammlung im historischen Accouchierhaus. Diese Gegebenheit birgt einen zusätzlichen Denkanstoß: Denn im Accouchierhaus hat die akademische Geburtshilfe im deutschsprachigen Raum ihren Ursprung; sie entstand zur Zeit der Aufklärung. Hier war auch eine Station für die Experimente von Gauß und Weber zum elektromagnetischen Telegraphen (1833). Die Frage „Was ist ein Musikinstrument?“ wird in diesem Kontext noch vielschichtiger. Die Wissenschaft, die musikwissenschaftliche Instrumente erforscht, heißt übrigens Organologie. Sie ist ein Fachbereich der Wissensforschung und Wissenschaftsgeschichte, die sich auf das Auditive konzentriert.

Vogelorgel (Inv.-Nr. 0578) aus der Musikinstrumentensammlung. Foto: Martin Liebetruth.

Wie die Vogelorgel nach Göttingen kam

Unsere Sammlung wurde 1964 von Prof. Dr. Heinrich Husmann (1908–1983) ins Leben gerufen. Zur Gründung der Universitätssammlung für musikwissenschaftliche Forschung und Lehre erwarb er die Musikinstrumentensammlung von Hermann Johannes Moeck (1896–1982), einem Musikinstrumentenfabrikanten und Musikverleger in Celle. Dieser Bestand bildet das Kernstück der Sammlung. Aus ihr stammt auch die hier gezeigte Vogelorgel, die auch Serinette (frz.) genannt wird. Sie ist im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen zu sehen. Ihr Hersteller ist unbekannt. Vermutlich wurde sie aber im 18. oder 19. Jahrhundert in Frankreich gebaut. Die Vogelorgel ist eine einfache Form der Drehorgel. Sie war in Frankreich weit verbreitet. Ihre Mechanik und Bauweise wurden wahrscheinlich im frühen 18. Jahrhundert entwickelt. Das vorliegende Exemplar spiegelt diese Zeit wider.

Walze in der Vogelorgel. Foto: Martin Liebetruth.

Von der Serinette und anderen Orgeln

Die Vogelorgel besteht aus einer Holzwalze und neun kleinen Holzpfeifen. Die Mechanik wird mit einer Handkurbel auf der Vorderseite betätigt. Wie der Name schon sagt, erzeugt dieses Instrument einen Klang, als ob ein Vogel im Käfig singen würde. Der Name „Serinette“ leitet sich von „serin“ ab, dem französischen Wort für Zeisig. Die Holzwalze dient als Träger der Toninformationen. In diesem Zusammenhang öffnet dieses Objekt Fragen zur Mediengeschichte des auditiven Wissens (denken Sie an die Ausstellung “Räume des Wissens”).

Die Technik dieser Drehorgel wird in Bedos de Celles, L’art du facteur d’orgues (Paris, 1766–1778) beschrieben. Eine Anmerkung dazu: Diese Schrift wurde von Christhard Mahrenholz (1890–1980) herausgegeben und nachgedruckt (1936). Er war ein evangelisch-lutherischer Pastor und Musikwissenschaftler in Göttingen und hatte großen Einfluss auf die Kirchenmusik im 20. Jahrhundert. Während seiner Zeit als Hilfsgeistlicher an der St. Marien-Kirche (am Groner Tor, nur einen Steinwurf vom Forum Wissen entfernt), wurde auf seine Initiative hin die sogenannte Mahrenholz-Furtwängler-Orgel eingerichtet (1925/26). Das Konzept zielte darauf ab, den Klang und die Bauweise der norddeutschen “Barock”-Orgel wiederzubeleben. Diese Orgel bildete den Ausgangspunkt der Orgelbewegung und hat bis heute großen Einfluss auf die Praxis der Kantorei.

Die Serinette diente vor allem dem Abrichten von Singvögeln. Foto: Martin Liebetruth.

Die Wiederbelebung älterer Musikpraktiken war genau das Betätigungsfeld von Moeck, dem Vorbesitzer der Vogelorgel. Sie ist also nicht nur Träger von Toninformationen, sondern auch ein Träger von Wissen über Technik und Wissenschaften. In ähnlicher Weise ist die Musikinstrumentensammlung ein Wissensträger für die Musikwissenschaften der vergangenen Jahrhunderte, die in den Verflechtungen von Menschen und Dingen entstanden sind.

Aktuelles

Die Musikinstrumentensammlung steht derzeit für Forschungs- und Lehrzwecke zur Verfügung. Für Besuche und Untersuchungen der Objekte ist eine Terminvereinbarung erforderlich. Aufgrund von Umbauarbeiten an der Ausstellung ist bis auf Weiteres kein öffentlicher Zugang möglich. Dafür bitten wir um Ihr Verständnis.

Categories
Sammlung Sammlungsschaufenster Uncategorized

Eine der lebendigsten Sammlungen der Universität Göttingen – der Alte Botanische Garten

Wie lässt sich ein Garten ausstellen?


Gartenkustos Dr. Michael Schwerdtfeger erklärt uns vor Ort im Forum Wissen, dass er am liebsten etwas Lebendiges im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen ausgestellt hätte, vielleicht ein Terrarium mit exotischen Pflanzen aus dem botanischen Garten und Tieren … Die Spalten im Sammlungsschaufenster bei uns im Forum Wissen, die den Alten Botanischen Garten repräsentieren, sind nur ein kleiner Ausschnitt aus einer lebendigen Sammeltätigkeit.

Ein Blick zurück

Der Alte Botanische Garten gehört zur Biologischen Fakultät, er wurde schon zur Gründung der Universität Göttingen im Jahr 1736 von Albrecht von Haller gegründet. Damit gehört der Alte Botanische Garten zu den ältesten und lebendigsten Einrichtungen der Universität Göttingen. Seit fast 300 Jahren strahlt der Garten bei gleicher Funktion am gleichen Ort eine besondere Faszination aus. Der Alte Botanische Garten beherbergt eine große Vielfalt winterharter und tropischer Pflanzen, die für Lehre und Forschung der verschiedensten Bereiche des Studiums der Biologie und Biodiversität genutzt werden.

Hier ist viel los!

Nun sind in den Spalten im Sammlungsschaufenster Samentüten zu betrachten, ein Saatgutverzeichnis aus dem Jahr 1834 und bunt leuchtende Abbildungen ästhetisch und auch ökologisch wertvoller Pflanzen aus dem Alten Botanischen Garten der Universität Göttingen. Eine weitere Besonderheit der Sammlung des Alten Botanischen Gartens wird damit sichtbar: die Objekte lassen sich vermehren und verbreiten! Und das ist gut so. Zwischen den botanischen Gärten zahlreicher Universitäten gibt es ein großes Netzwerk, zum Erhalt von Artenvielfalt.

Ein Blick ins Sammlungsschaufenster mit Exponaten aus der Sammlung des Alten Botanischen Gartens, Foto: Muaz Toguslu

Dr. Michael Schwerdtfeger ist ein Vollblutbiologe und leidenschaftlicher Tattoo Künstler, eine Spalte im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen hat er mit seinen botanischen Tattoo Künsten gefüllt. Gern lassen sich die Studierenden von ihm Motive im Stil botanischer oder zoologischer Zeichnungen stechen, aber er versteht sich auch auf temporäre Tattoos mit der Pflanzenfarbe Jagua und hat darüber sogar ein Buch geschrieben. Bei Instagram gibt’s den Alten Botanischen Garten daher gleich zweimal: Über Aktuell Blühendes informiert alterbotanischergarten, und die persönlichere, künstlerische Seite des Gartenkustos lernen wir unter vollblutbiologe kennen. Doch zurück zum Alten Botanischen Garten.

Pflanzenbasierte Tattoo Kunst vom Gartenkustos Dr. Michael Schwerdtfeger, Foto: Muaz Toguslu

Von Albrecht von Hallers Universitätsgarten zum Insektenzoo….

Der Garten nimmt eine Sonderrolle in der Reihe der Sammlungen der Universität Göttingen ein, das wird auch im Sammlungsschaufenster bei uns im Forum Wissen deutlich. Er wurde gegründet, um Pflanzen zu kultivieren und systematisch zu erforschen. Über die Jahrhunderte ist der Garten aber auch ein wunderbarer Ort für Insekten und andere Tiere geworden. Eine Funktion, die sich der Gründer Albrecht von Haller, einer der bedeutendsten Gelehrten des 18. Jahrhunderts, damals sicher nicht hätte träumen lassen … In Zeiten schwindender Artenvielfalt ist der Garten zu einem wichtigen Rückzugsort für zahlreiche Insekten und andere Tiere geworden, beispielsweise für seltene Wildbienen – das erzählt uns Gartenkustos Michael Schwerdtfeger. Der Garten ist eine Insel ökologischer Vielfalt mitten in Göttingen.

Blühende Vielfalt im Alter Botanischer Garten der Universität Göttingen, Foto: Jan Vetter

Über ein Viertel der Bäume und Sträucher sind mittlerweile älter als 50 Jahre, in den Bäumen sind viele Tiere heimisch geworden. Teile des Gartens sind heute ein kleiner ‚Insektenzoo‘, wie Herr Schwerdtfeger die Flächen liebevoll nennt. In Deutschland gibt es circa 570 Arten an Wildbienen, 140 davon wurden schon im Alten Botanischen Garten in Göttingen gesichtet. Gerade läuft eine groß angelegte Kartierung der Wildbienen. Herr Schwerdtfeger ist als Experte auf dem Gebiet der Blütenökologie besonders engagiert, damit sich die Bienen wohlfühlen.

Sein Wissen vermittelt er an seine Studierenden und an alle Besucher*innen des Gartens, Führungen durch den Garten werden regelmäßig angeboten. Ein Besuch lohnt sich!

Ein verwunschener Tunnel führt zum Alten Botanischen Garten, Foto: Klein und Neumann

Alle wichtigen Informationen und die Öffnungszeiten des Gartens gibt es direkt auf der Seite des Alten Botanischen Gartens. Einen Vorgeschmack bietet euch das Sammlungsschaufenster im Forum Wissen.

Categories
Sammlungsschaufenster

Holz, Pollen und das Klima der Eiszeit

Sie sieht aus wie eine normale Holzscheibe, ist es aber nicht: Denn dieses Stück gehörte einst zu einer Wasserleitung in Stralsund. Das war im 18. Jahrhundert, genauer gesagt 1747. Aus dieser Zeit stammt das Objekt, das jetzt im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen ausgestellt ist.

Durch das Loch in der Mitte der Holzscheibe lief einst das Wasser. Foto: Uni Göttingen

Geschichte im Holz

Archäolog*innen haben den dazugehörigen Baumstamm gefunden. Sie brachten ihn zu uns, um anhand der Ringe das Alter bestimmen zu lassen. Ausschlaggebend sind Breite und Abfolge der Ringe, die an der Baumscheibe gut zu erkennen sind. Diese Methode nennt sich Dendrochronologie (altgriechisch: Dendron = Baum, Chronos = Zeit). Mittlerweile haben wir ein Archiv mit über 20.000 Hölzern, alle aufs Jahr genau datiert. Sie ermöglichen es uns, andere Funde historisch einzuordnen.

Dr. Jörg Christiansen am Sammlungsschaufenster im Forum Wissen. Foto: Uni Göttingen

Fluch und Segen

Doch es gibt noch weitere Sammlungen in der Abteilung für Palynologie und Klimadynamik: Unter anderem eine mit Pollen und Sporen sowie eine mit Makroresten, wie Samen und Früchte. Das ist für uns wichtiges Vergleichsmaterial, durch das wir Aussagen über die Geschichte von Vegetation und Klima treffen können. Der unscheinbare Stein im Sammlungsschaufenster ist ein Beispiel dafür (siehe erstes Bild ganz oben). Er stammt vom Ufer einer Talsperre in den Vogesen. Auf ihm könnt ihr sehen, was sonst unsichtbar bleibt: Millionen von Pollenkörnern angeschwemmt durch Regen und dann auf dem Stein eingetrocknet.

Was für Allergiker*innen ein Fluch, ist für Palynolog*innen ein Segen: Jedes Jahr fliegen unzählige Pollenkörner durch die Luft. Geraten sie unter Luftabschluss – zum Beispiel am Boden eines Sees – können sie über Jahrtausende erhalten bleiben. Ähnlich wie die Ringe bei den Bäumen bildet sich jedes Jahr eine neue Schicht am Grunde des Sees. Ändert sich nun die Vegetation, ändert sich auch das Pollenspektrum. Nehmen wir dann einen Bohrkern aus dem See, dann verraten die Pollen, welche Pflanzen die Menschen einst anbauten oder was sie aßen. Daher wissen wir auch, dass sich nach der letzten Eiszeit in der Region um Göttingen die Vegetation stetig verändert hat. Auf Birken- und  Kiefernwälder folgten Eichenmischwälder und letztendlich Buchenwälder. Diese wurden aber zum größten Teil vom Menschen gerodet, um Ackerbau zu betreiben.

Das Mikroskop (1965) ermöglicht einen dreidimensionalen Blick. Foto: Martin Liebetruth

Sehen und verstehen

Mit dem bloßen Auge sind die Pollen nicht zu erkennen. Daher gehört das Mikroskop zum wichtigsten Equipment der Palynolog*innen. Wir präparieren die Pollen, bestimmen sie und haben auf diese Weise eine umfangreiche Datenbank angelegt. Einige der Präparate könnt ihr neben dem Mikroskop sehen – darunter auch “Astrantia minor”. Die kleine Sterndolde ist in den Wäldern Europas und Asiens zu Hause, blüht aber auch auf Alpenwiesen.

Präparate im Sammlungsschaufenster des Forum Wissen. Foto: Martin Liebetruth

Wenn ihr noch ein wenig weitersucht, findet ihr auch „Aegopodium podagraria“. Das kennt ihr sicher: Es ist ein lästiges Unkraut, bekannt als Gemeiner Giersch. Den lasse ich gern die Studierenden untersuchen. Danach können sie sich nämlich das Original im benachbarten Alten Botanischen Garten ansehen. Hier am Eingang zur Wilhelm-Weber-Straße forschen und lehren wir. Falls ihr einen Einblick davon bekommen wollt, dann kommt am besten zum Sammlungsschaufenster im Forum Wissen.

Categories
Forum Wissen

Ein Jahr Forum Wissen

Wer hat an der Uhr gedreht? Kaum zu glauben, dass die Eröffnung des Forum Wissen schon ein ganzes Jahr her ist. In der kurzen Zeit ist viel passiert: 6 Sonderausstellungen, 3 Veranstaltungsreihen, 2 Besetzungsaktionen, 1 eigens konzipiertes Theaterstück, 1 Waleinzug mit Zuckerwatte-Alarm und vor allem unglaubliche 58.000 Besucher*innen denen wir einfach nur herzlichst DANKE! sagen möchten. Hier ein paar Impressionen zur Erinnerung an ein ereignisreiches erstes Jahr, die wir gerne teilen.

Einweihung am 31.05.22
Eröffnung des Forum Wissen und erster regulärer Besuchertag
Performance von Rumah Budaya Sikukeluang – Kollektiv Indonesischer Kuenstler*innen zur Eröffnung unserer Sonderausstellung “saujana membumi – Nachhaltigkeit erkunden”
Sonderausstellung “Tiny Unpredictable Material Objects”
Sonderausstellung “Moving Things” © Martin Liebetruth
Sonderausstellung “Stimmen. Sprachforschung im Krieg 1917-18” © Martin Liebetruth
Premiere AVAZ – Theaterstück zur Sonderausstellung “Stimmen”, Schauspieler: Haneef Baloch, Samiullah Baloch, Sultan Zeb Khawaja. Regie: Luise Rist und Franziska Aeschlimann vom freien Theater boat people projekt © Martin Liebetruth
Das Sammlungsschaufenster
Das Göttinger Pottwalskelett hält Einzug ins Forum Wissen
Aktionstag zum Einzug des Wals
Kickoff der Veranstaltungsreihe Salon-Debatten im Forum Wissen
Chalk Talk im Forum Wissen © Martin Liebetruth
Hineingeschmeckt – Spannende Weine + einzigartige Objekte = kurzweilige Geschichten © Martin Liebetruth

Categories
Forum Wissen Sammlungsschaufenster

Was uns alte Kinderbücher über das politische Klima ihrer Entstehungszeit verraten

Die Objektspalte der Sammlung historischer Kinder- und Jugendliteratur Sammlungsschaufenster, Foto: Martin Liebetruth

Die Objekte der Göttinger Sammlung historischer Kinder- und Jugendliteratur haben eine steile Karriere hingelegt. Was vor hundert Jahren noch Kindern als Zeitvertreib diente und nur aus ein paar dünnen, bestenfalls bunt bedruckten Seiten besteht, ist heute ein Forschungsobjekt von großem Wert. Bücher sind für Kinder oft der erste Zugang zur Welt außerhalb des eigenen Lebens – entsprechend hat man sie schon immer genutzt, um jungen Menschen Werte, Ideen und Weltbilder zu vermitteln.

Hartmut Hombrecher, Kustos der Sammlung historischer Kinder- und Jugendliteratur, Foto: Eva Völker

„Kinder- und Jugendbücher zeigen uns bis heute nicht nur viel über historisch und regional verschiedene Vorstellungen davon, was Kindheit eigentlich ausmacht“, sagt Dr. Hartmut Hombrecher, Kustos der Sammlung, „in ihnen wird auch besonders deutlich, welche Diskurse eine Gesellschaft für wichtig hält und welche Ideen an nachfolgende Generationen weitergegeben werden sollen“. Öffentliche Bibliotheken haben dieses kulturhistorische Potenzial lange unterschätzt. Darum stammen auch die meisten Bände der Göttinger Sammlung historischer Kinder- und Jugendliteratur aus privaten Sammlungen, die ab den 1960er Jahren aufgekauft oder als Schenkungen angenommen wurden. Die Göttinger Sammlung wächst noch immer. Heute wird sie nicht nur der Forschung zur Verfügung gestellt, sondern auch regelmäßig in der universitären Lehre genutzt.

Zwei Jugendbücher aus dem Jahr 1938 mit sehr unterschiedlichen Mädchenbildern, Foto: Martin Liebetruth

Mädchenfiguren 1938: Dort Freiheitsdrang…

In der Spalte des Sammlungsschaufensters im Forum Wissen kann man die unterschiedlichen Prägungen der Kinderliteratur besonders deutlich sehen, wenn man die Bücher miteinander vergleicht.

Im Mittelpunkt des ausgestellten Romans Bibi lernt Landwirtschaft (Zürich 1938) steht das Mädchen Bibi. Die Figur wurde 1928 von Karin Michaëlis (1872–1950), einer dänischen Autorin, Journalistin und Feministin, erfunden und tobte sich in den nächsten 10 Jahren in insgesamt sechs Jugendbüchern aus. Seit dem Tod ihrer Mutter, einer Grafentochter, lebt die abenteuerlustige und offenherzige Bibi einträchtig mit ihrem „Paps“ zusammen. Gegen ihn setzt sie aber auch immer wieder ihren eigenwilligen Kopf durch.

Bibi ist Mitglied einer Mädchenbande, die sich „die Verschworenen“ nennt. Gemeinsam schwärmen die fünf Mädchen in Bibi lernt Landwirtschaft für den neuen, jungen Pastor. Eine so offene und ausführliche Thematisierung erster Verliebtheit – zumal zu einem Pastor – war damals die Ausnahme. Die heile Welt währt aber nicht lange: Als eine große Bank pleite geht, verlieren Bibis Großeltern ihren Hof und ihr Betriebskapital, das sie teilweise für die Enkelin in Aktien angelegt hatten. Für Bibi ist das keine Tragödie: Dass sie nun eben einen Beruf erlernen und ausüben wird, wirkt selbstverständlich. Der Roman entwickelt hier deutlich eine republikanische und sozialdemokratisch geprägte Vorstellung von Gesellschaft. 

Frisch konfirmiert kommt Bibi auf einen Bauernhof und macht dabei schöne wie schwierige Erfahrungen. Die Strapazen werden recht realistisch dargestellt; unter anderem muss Bibi mit einem Ausbruch der Maul- und Klauenseuche zurechtkommen. Inspirierend wirkt auf Bibi die Bekanntschaft mit einer Witwe, die sich mit ihren fünf Söhnen weitestgehend selbst versorgt. Die wirtschaftliche und soziale Eigenständigkeit von Frauen wird ebenso präsentiert wie Arbeit zum Wohle der Gemeinschaft. Im Zentrum stehen das Individuum und seine Wünsche, immer eingebettet in die Gesellschaft.

Foto: Eva Völker

… hier Aufopferung für das Vaterland

Deutlich andere Prioritäten setzt die Protagonistin Gundula in Ein Mädel in der Front (Berlin 1938) der Schriftstellerin und Zeichnerin Suse von Hoerner-Heintze (1890–1978). Gundula entspricht einem Frauenideal, das besonders die Fürsorglichkeit und Aufopferungsbereitschaft in den Vordergrund stellt. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, ziehen ihr Vater und ihr Bruder in den Krieg. Gundula selbst scheut keine Mühen, um sich als Krankenschwester ausbilden zu lassen und den Verwundeten zu helfen. Außerdem pflegt sie ihren verletzten Vater mit größter Hingabe.

Was Gundula und Bibi gemeinsam haben, ist die Bereitschaft zum Arbeiten außerhalb des häuslichen Umfelds. Gundula beginnt ihre Ausbildung zwar wegen des Krieges, betont aber immer wieder, dass sie schon immer Krankenschwester werden wollte. Das ist kein Zufall, sondern passt gut in Geschlechterrollen, die für Frauen an erster Stelle Care-Tätigkeiten vorsehen.

Auch Gundula setzt ihren Willen manchmal durch, aber bleibt insgesamt Vater und Mutter hörig. Ein Jahr vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges präsentiert Hoerner-Heintze in ihrem Mädchenbuch das idealisierte Vorbild einer zurückhaltenden jungen Frau, die sich den vorgegebenen Werten nicht nur unterordnet, sondern sie geradezu verkörpert. Entsprechend wenig individuell ist die Figur angelegt. Damit wird den jungen Leserinnen vorgeführt, wie sie sich im Sinne der nationalsozialistischen Idee einer ‚Volksgemeinschaft‘ zu verhalten haben.

Entsprechende Ideen wurden in der Kinder- und Jugendliteratur auch nach 1945 weiter vermittelt. Während Ein Mädel in der Front keine Neuauflage in der Bundesrepublik erhielt, sind zahlreiche andere Texte in leicht bereinigter Fassung teils bis in die Gegenwart auf dem deutschen Buchmarkt geblieben.

Progressive Kinderbücher aus unterschiedlichen Jahrzehnten, Foto: Martin Liebetruth

Hier gibt es mehr zu entdecken…

Die Sammlung historischer Kinder- und Jugendliteratur Göttingen gehört mit etwa 35.000 Objekten zu den größten im deutschsprachigen Raum. Die Bücher, Papierspiele und weiteren Medien stammen aus dem Zeitraum vom frühen 18. bis zum späten 20. Jahrhundert. Schwerpunkte der Sammlung sind die Kinder- und Jugendliteratur der Weimarer Republik, der NS-Zeit, Bilderbücher und Märchenbücher. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen, die Bestände während der Öffnungszeiten vor Ort zu nutzen.

Ein Beitrag von Antonia Roedszus, Jaqueline Stephan und Hartmut Hombrecher