Pfingsten ist es soweit! Wir öffnen unsere Türen und laden alle ganz herzlich ins Forum Wissen der Uni Göttingen ein.
Aufnahme von der Einweihung des Forum Wissen. Foto: EBR
Um 10 Uhr geht es am Samstag los: Wer möchte, kann dann die Räume des Wissens entdecken. Unsere Kommunikator*innen freuen sich schon darauf, sie den Besucher*innen zu zeigen.
Pelin, Louisa und Dion im Raum Schränke. Foto: Martin Liebetruth
Zur Eröffnung gibt es die Chance, die Köpfe hinter der Ausstellung kennenzulernen und einen Blick ins Making-Of des neuen Göttinger Wissensmuseum zu werfen. Alle Infos zu unserem Programm finden sich auch auf unserer Website www.forum-wissen.de
Die Bubble Chairs im Salon. Foto: Louisa Hartmann
Übrigens: Angehörige der Uni Göttingen können bereits am Freitag (3.6.) kommen. Für alle anderen sind wir ab Samstag – und sogar Pfingstmontag – von 10 bis 18 Uhr da. Der Eintritt ist frei! 🤗
Schon vor seiner Eröffnung hat das Forum Wissen das Museumsgütesiegel des Museumsverbandes für Niedersachsen und Bremen erhalten: Ab sofort begrüßt es Besucher*innen am Eingang des Gebäudes.
Foto: Helge Krückeberg
Im April nahm die Projektleiterin Dr. Marie Luisa Allemeyer gemeinsam mit ihrem Team und dem künftigen wissenschaftlichen Leiter des Forum Wissen, Prof. Dr. Christoph Bleidorn, die Auszeichnung entgegen. Die Jury lobte das „beispielhafte Konzept“, den wissenschaftskritischen Ansatz und die geplanten Räume für Selbstreflexion. Der Museumsverband verlieh die Auszeichnung zunächst ein Jahr auf Zeit und prüft die Umsetzung des Konzepts.
Foto: Peter Heller
Pünktlich zum Eröffnungswochenende am 4. und 5. Juni schmückt die Auszeichnung das Forum Wissen: Bei der Montage des Museumsgütesiegels legten Bleidorn, Allemeyer und Universitätspräsident Prof. Dr. Metin Tolan selbst Hand an.
In rot leuchtenden Buchstaben ist nun der Name am neuen Wissensmuseum der Universität Göttingen zu lesen: FORUM WISSEN. Mit einem Hydraulikkran wurden die Lettern an der Technikzentrale befestigt.
Foto: Martin Liebetruth
Möglich gemacht hat das der Förderkreis Forum Wissen: Dieser spendete 30.000 Euro und finanzierte so den Dachschmuck.
Foto: Peter Heller
„Wir freuen uns, auf diese Weise das Forum Wissen fördern und sicher stellen zu können, dass alle Besucherinnen und Besucher das neue Wissensmuseum finden“, so Wolfgang Meyer, Vorsitzender des Vereins. Er übergab im zukünftigen Museumscafé den Scheck an den Präsidenten der Universität, Prof. Dr. Metin Tolan.
Foto: Peter Heller
Mit dabei Andrea Ruhstrat, Sigrid Lüttge und Kai Dietrich vom Förderkreis Forum Wissen und die Projektleiterin Dr. Marie Luisa Allemeyer sowie Prof. Dr. Christoph Bleidorn, der zukünftige wissenschaftliche Leiter des Hauses. Zu diesem werden neben dem Forum Wissen auch das Biodiversitätsmuseum und das Thomas-Oppermann-Kulturforum gehören.
Als Katrin Wellnitz, Heinrich Detering und Christian Fieseler vom Günter Grass-Projekt der Uni Göttingen Ende 2018 unzählige Kisten vom Steidl Verlag erhielten, wurde das Öffnen jeder einzelnen zum Abenteuer: Die Pakete vom Steidl Verlag waren reich gefüllt mit Dokumenten zum Werk von Günter Grass, vor allem zur Zusammenarbeit des Autors mit seinem Göttinger Verleger.
Heinrich Detering mit dem Buchumschlag von »Zunge zeigen«, den Günter Grass selbst entworfen hat. Foto: Svenja Brand
Was eine Tischdecke über den Autor verrät
Unser Team entdeckte in den Kisten erwartete und erhoffte, aber auch gänzlich überraschende Fundstücke, die uns in ihrer Vielfalt mehr über Günter Grass als Autor, als Buchkünstler, aber auch als Mensch verrieten – und zwar in einer erlebbaren und anschaulichen Weise, die durch keine Biografie zu vermitteln ist. Eine unserer ersten Überraschungen fanden wir in einer Kiste mit Archivmaterial zu dem Gedicht-Bild-Band »Letzte Tänze« von 2003: Es handelt sich um eine weiße Tischdecke, die, reich beschrieben und mit Rotweinflecken bekleckst, Eindrücke von einem geselligen, ausgelassenen Abend mit Günter Grass vermittelt.
Anlässlich der Buchpremiere von »Letzte Tänze« waren bei der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2003 Grass-Freund*innen zusammengekommen, um mit dem Autor einen kulinarischen, literarischen und auch tänzerischen Abend zu verbringen, und die Tischdecke zeugt von dem heiteren Beisammensein. Verlagsmitarbeiter*innen und Übersetzer*innen verewigten sich ebenso auf der Tischdecke wie der Autor selbst: Er unterschrieb mit »Euer aller Eintänzer« und nahm damit nicht nur auf seinen neuen tänzerischen Text-Bild-Band Bezug, sondern auch auf den »schmissigen Tango«, mit dem er seine »Tanzparty«eröffnete.
Die Geschichte der Tischdecke und des Tanzabends zeichnet Svenja Brand auf unserer Projektseite nach. Dabei wird deutlich, wie Grass Literatur und Geselligkeit miteinander zu verbinden wusste.
Svenja mit einem Werbeplakat zu Grass’ barocker Erzählung »Das Treffen in Telgte«. Foto: Katrin Wellnitz
Die Geschichte eines Abends
Diese rekonstruiert Max Rauser, und zwar am Beispiel einer samtenen Nobelpreistasche, in der wir einen längst vergessenen Goldschatz fanden: Schokoladentaler, die wie Nobelmedaillen geprägt sind. Sie lagen auf den Banketttischen aus, an denen 1999 die Vergabe des Nobelpreises gefeiert wurde – unter anderem von Günter Grass, seiner Familie und seinen Freund*innen.
Nobelpreistasche und “Goldschatz”. Foto: Max Rauser
Grass hatte den Nobelpreis bekommen, »[w]eil er in munterschwarzen Fabeln das vergessene Gesicht der Geschichte gezeichnet hat«. Das betrifft nicht nur seinen kleinen Blechtrommler und selbsternannten Däumling Oskar Matzerath, der manchmal wütend, manchmal kunstvoll trommelnd die Geschichte des Nationalsozialismus und seiner Verarbeitung in der Nachkriegszeit lebendig hält, sondern auch all die anderen Figuren aus Grass’ Werk, die nicht müde werden, Geschichte wiederzuerzählen.
Max Rauser bei der Arbeit im Grass-Archiv. Foto: Max Rauser
Grass zeichnete dabei viele Gesichter nach, die alle auf ihre Weise ein Stück Geschichte bewahren und dynamisch weitertragen. Ein so greifbarer Fund wie die in die Jahre gekommene, wahrscheinlich von allen längst vergessene Nobelpreistasche erinnert uns an den Menschen Grass, der mit seinen Figuren auf Weltentdeckung ging und der in seinen Schreibpausen gerne ausgelassene Feste feierte – nicht ohne die Kunst mitspeisen und mittanzen zu lassen. Max Rausers Beitrag »Blauer Samt und alte Schokolade« gibt weitere Einblicke in diesen besonderen Abend.
Das Team und sein Projekt
Seit 2018 hat sich einiges verändert. Die meisten Bestände sind katalogisiert und archiviert, sodass Wissenschaftler*innen in Zukunft damit arbeiten können. Das Archiv-Team hat sich zu einer Grass-Arbeitsstelle weiterentwickelt, die Grass’ Werk aus ganz verschiedenen Perspektiven erforscht. Wir haben gemeinsam ein Buch geschrieben, das Grass als Buchgestalter vorstellt und spannendes Archivmaterial erstmals zugänglich macht. Es soll voraussichtlich im Herbst 2022 erscheinen. Gleichzeitig entstehen Abschluss- und Qualifizierungsarbeiten zum Werk von Grass, die teilweise das Göttinger Archivmaterial mit in die Forschung einbeziehen. Auch haben wir das Archivmaterial im Rahmen von Seminaren in die Lehre integriert und Studierenden die Arbeit im Literaturarchiv vorgestellt. Dabei haben wir den Büchermacher Grass und sein Werk aus ganz neuer Perspektive kennengelernt.
Das Team der Göttinger Grass-Arbeitsstelle, Sommer 2020: Jacqueline Gwiasdowski, Corinna Beermann, Max Rauser (oben), Lisa Kunze, Katrin Wellnitz, Svenja Brand, Christian Fieseler (unten). Foto: Heinrich Detering
Und schließlich haben wir damit begonnen, spannende, uns ganz persönlich berührende, heitere Archiv-Fundstücke in Wort und Bild auf unserer Internetseite zu präsentieren. In regelmäßigen Abständen werden wir neue Fundstücke aus den Kisten nehmen und dort erstmals vorstellen. Neben all den Entdeckungen in ganz unterschiedlichen Formaten lassen sich auch textuelle Überraschungen ausmachen.
Mit Schreibmaschine und Blickwechsel
Von Grass korrigierte Druckfahnen oder Typoskripte erlauben uns textkritische Einblicke in den Entstehungsprozess seiner Werke: etwa gestrichene Wörter in einem Typoskript zu »Mein Jahrhundert« von 1999.
Passend zur Jahrhundertwende hat Grass für jedes Jahr von 1900 bis 1999 je einen Kurztext verfasst, der aus unterschiedlichen Perspektiven das 20. Jahrhundert würdigt. Ein dieses Jahrhundert durcheilendes Ich weist immer wieder auf den Autor selbst zurück, auf seine Erfahrungen und historischen, oft auch politischen Reflexionen.
Lisa Kunze bei der Analyse des Archivmaterials. Foto: Heinrich Detering
Projektmitarbeiterin Lisa Kunze hat im Archiv die Kopie einer korrigierten Typoskriptseite entdeckt und eine für das Buchkonzept wesentliche Streichung analysiert: So beobachtet sie, wie dem ersten Satz des Jahrhundertbuches im Entwurf das so bezeichnende, weil auf den in jeder Geschichte, in jeder Stimme anwesenden Autor verweisende »Ich« vorangestellt wird. Hier ist ihr Beitrag über die erste Typoskriptseite von »Mein Jahrhundert« zu lesen »Das vielzählige Ich«.
Mitunter kann das Archivmaterial auch dabei helfen, bereits bekannte Werke noch einmal aus ganz neuem Blickwinkel zu beleuchten. Motiviert durch Einbandentwürfe zu Grass’ illustrierter Jubiläumsausgabe der »Hundejahre« von 2013 habe ich mich zum Beispiel mit der Konzeption dieses zuerst 1963 veröffentlichten Romans auseinandergesetzt. Schon der Romantext weist neben den düsteren, menetekelnden Grundtönen eine inhaltliche und formale Verspieltheit auf, die charakteristisch ist für Grass’ Werk – nur dass sie in ihrem experimentellen Charakter besonders stark aus diesem monumentalen Roman hervorscheint.
Die Illustrationen, die Grass nach gut 50 Jahren für seine Jubiläumsausgabe anfertigte, sind dann ebenfalls mal düster und unheilvoll, mal grotesk und verspielt geraten. So lässt sich die weite, vielseitige und spannungsreiche Welt der »Hundejahre« auch in Bildern wiederlesen. Doch keine Illustration vermag dies wiederum so anschaulich und selbstreflexiv bildhaft zu machen wie die schon 1963 auf den Umschlag gesetzte Zeichnung von der schattenspielenden, einen Hundekopf mimenden Hand. So ›bühnenbegabt‹ ist diese Hand, dass die Betrachtenden eher einen Hund als eine Hand auf dem Umschlag zu sehen meinen. Dieses Motiv hat Grass für die Jubiläumsausgabe vielfach variiert und damit den inszenatorischen Charakter des Werks noch einmal auf ganz neue Weise unterstrichen.
Ich selbst auf der Suche nach Archivschätzen. Foto: Svenja Brand
Die Arbeit mit dem Archivmaterial ist vielseitig und inspiriert das Göttinger Grass-Team immer wieder zu neuen Forschungsideen. Die facettenreichen Interessen des Autors färben dabei auch auf unsere Forschung ab: Seine Liebe zur Literatur wird auf erfrischende Weise mit seiner Liebe zum Buch verbunden, sein Interesse an der Schrift mit seinem Interesse am Bild zusammengedacht. Das Archivmaterial motiviert dazu, über den Tellerrand zu schauen, neue Forschungsgebiete zu erschließen und die Göttinger Grass-Forschung neugierig und engagiert voranzutreiben.займ онлайн круглосуточно без отказа безработным
Wir waren von der Ästhetik der Pflanzendarstellungen sofort begeistert und hatten sogleich eine Projektidee: ein Mandala-Generator aus Pflanzenteilen. PLANTALA war geboren! Im Rahmen des Hackathons entwickelten wir, Anne Mühlich und Gerd Müller, innerhalb von 14 Wochen einen Prototypen der Webanwendung, der vollständig funktionstüchtig war. Damit konnten wir aus bis zu fünf verschiedenen Pflanzenteilen eigene Mandala halbautomatisiert kreieren, ausdrucken und ausmalen.
Coding da Vinci-Stipendium
Um die Anwendung zu optimieren und für den Einsatz zum Beispiel im Schulunterricht, in der Umweltpädagogik, als potenzielle Medienstation oder für die private Freizeitgestaltung nutzbarer zu machen, bewarben wir uns mit dem Projekt auf zwei Coding da Vinci-Stipendien und hatten Glück. Die uns zugesprochenen Stipendien ermöglichten es uns, im Sommer 2021 PLANTALA zu überarbeiten und zu erweitern. In diesem Zusammenhang besuchten wir auch Karsten Heck von der Zentralen Kustodie der Uni Göttingen, um uns die Lehrtafeln einmal im Original anzuschauen und über die Weiterentwicklung von PLANTALA zu brainstormen. Der Masterstudent Jens Kleinert begleitete uns dabei fotografisch und stellte uns die entstandenen und hier zu sehenden Bilder zur Verfügung.
PLANTALA in Farbe und druckoptimiert in Schwarz-Weiß.
Mandala-Kreationen
Wer möchte, kann mit der im Oktober 2021 veröffentlichten Version einzelne Pflanzenteile zu einem Mandala zusammensetzen und dieses dann in eine druckoptimierte Ansicht in Schwarz-Weiß umwandeln. Dafür haben wir eigens Vektorgrafiken auf der Grundlage der digitalisierten Pflanzendarstellungen erstellt.
Neben der Mandala-Kreation gibt es auch einige Informationen zu den jeweiligen Pflanzen, die sich eher an ein jüngeres Publikum richten. Zudem kann man die Pflanzenteile im Kontext ihrer Lehrtafel bewundern oder sich bei Bedarf weiterleiten lassen zur Datenbank der Uni Göttingen. Die neue Anwendung bietet auch die Option, das Mandala als Arbeitsblatt-PDF mit allen Pflanzeninfos zu speichern oder auszudrucken.
Plantala-Postkarte.
PLANTALA als Open Source
Aktuell arbeiten wir noch an einer kleinen Postkartenserie zu PLANTALA sowie an der Vernetzung mit Open Educational Ressources-Plattformen, damit sich neue Einsatzbereiche für die Webanwendung finden. Da PLANTALA als Open Source-Projekt im Rahmen des Coding da Vinci entstanden ist, läuft die Webanwendung unter einer offenen MIT-Lizenz und kann dementsprechend von jeder motivierten Person weiterentwickelt werden.
Gerd Müller ist ein Software-Architekt und Open Source-Liebhaber aus Leipzig und Anne Mühlich eine Europäerin, Slawistin und Kulturenthusiastin, die sich für digitale und kreative Projekte interessiert.
Jens Kleinert studiert im Master Kulturelle Musikwissenschaft und Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie an der Universität Göttingen. Seine Fotoreportage entstand im Seminar „Photographing Culture – Die Reportage“, das im Sommersemester 2021 stattfand. Dozent war Thorsten Näser.
„Photographing Culture – Die Reportage“ – Das besondere Potential von Fotografien als Medien (ethnografisch-visueller) Repräsentation steht bei Dr. Torsten Näsers Seminar im Mittelpunkt. Im Sommer 2021 erstellten Studierende unter dem Thema „Vorbereitungen zum FORUM WISSEN“ Fotoreportagen mit kurzen Begleittexten. Das Genre ist für Kulturanthropologie/Europäischen Ethnologie durch seine Nähe der fotografierenden Person zu den Geschehnissen, seine atmosphärische Dichte sowie seinen erzählerischen Charakter besonders interessant. Wir bedanken uns bei den Studierenden und zeigen hier ausgewählte Beispiele:
Unter einer fingerdicken Schicht Staub verbirgt sich das Gesicht einer jungen Frau, deren Blick sehnsüchtig in die Ferne gerichtet ist. Während einer Haushaltsauflösung findet die Familie Winterberg ein Ölgemälde: Ein unerwarteter Schatz inmitten alter Möbel, Bücher und Teppiche.
Ein rätselhafter Blick in die Ferne: Das Schicksal der jungen Frau lag lange Zeit im Dunklen.
Ein unerwarteter Schatz
Das Bild zieht alle in den Bann. Nach der Reinigung kommen mehr Details ans Tageslicht. Gekleidet ist die Frau in ein einfaches, wenn auch elegantes dunkelrotes Kleid. Die fast schwarzen Haare trägt sie seitlich über die Ohren hochgesteckt, dazu schlichte Ohrringe. Auf dem Klavier neben ihr ist ein Notenblatt von Chopins 24 Préludes, Op. 28 spielfertig aufgeschlagen. So gefühlsbetont wie Chopins Musik ist auch der Grundton des Gemäldes, welches abgerundet wird durch den Blick auf das Meer. Auf den Wellen segelt ein Schiff in die Ferne.
Julia Winterberg in der Fernsehsendung „Kunst + Krempel“ (5. März 2016).
Wer ist die Unbekannte?
Die Münchnerin Julia Winterberg hat lange in der Bankenszene gearbeitet. Jetzt, im Ruhestand, bietet sich ihr endlich die Zeit, dem lang gehegten Familienrätsel auf die Spur zu kommen. Jahre nach der Haushaltsauflösung schaute die Unbekannte tagein tagaus ins Wohnzimmer von Winterbergs Eltern. Bereits ihre Mutter versuchte in den 70er-Jahren erfolglos herauszufinden, wen das Bild zeigt. Es kursierten lediglich Theorien, etwa dass es eine Pianistin sein könnte. Vielleicht sogar ein bekannter Name, wie Clara Schumann?
Auch Julia Winterberg lässt die Geschichte des Bildes einfach keine Ruhe. Im Zeitalter von Fernsehen, Internet und Handy stehen allerlei Wege offen – sich in diesem medialen Labyrinth zurechtzufinden braucht jedoch Zeit. 2016 führt es sie in die Fernsehsendung „Kunst + Krempel“, die zwar die Identität der „Dame am Klavier“ auch nicht aufschlüsseln kann, aber im Gemälde Stilmittel des 19. Jahrhunderts entdeckt. Eine Zeitgenossin Queen Victorias, die sich an den aristokratischen Idealen der Epoche orientiert. Der Moderator wagt die Vermutung, es könne sich sogar um die Königin handeln – die Ähnlichkeit von Kinnpartie und Augen ist nicht von der Hand zu weisen.
Das Gemälde hat heute ein neues Zuhause im Auditorium gefunden und kann dort jeden Sonntag besichtigt werden. Foto: Katharina Anna Haase.
Dass es sich am Ende weder um Queen Victoria noch um Clara Schumann handelt, macht die Geschichte hinter dem Gemälde nicht weniger spannend. Seit kurzem können Neugierige das Bildnis der Dame in der Kunstsammlung der Universität Göttingen bewundern. Auf der zugehörigen Tafel erfahren wir auch ihren Namen: Zina Mansurova, eine russische Fürstin, porträtiert von Carl Oesterley.
Auf Spurensuche
Kunsthistoriker und Hofmaler Carl Oesterley senior, gezeichnet von Adolf Zimmermann.
In den Göttinger Sammlungen zeugen bis heute Handschriften, Skizzen und Gemälde vom Schaffen des Kunsthistorikers, der im 19. Jahrhundert an der Universität lehrte. Nebenbei gab er als Hannoveraner Hofmaler dem Adel ein Gesicht. Auf dem Gemälde Zina Mansurovas setzt Oesterley 1851 sein Monogramm in schwarzer Farbe auf den Fuß des Klaviers: Ein C umrundet durch ein O, auf dem dunklen Hintergrund nahezu unsichtbar. Als Julia Winterberg die Signatur über hundert Jahre später entdeckt, führt sie ihre Suche zu den Kunsthistoriker*innen der Universität Göttingen. Sie sind Oesterley-Expert*innen und können das Porträt der russischen Adligen Zina Mansurova zuordnen.
Die Mansurovs
Im Zarenreich ist die Familie der Mansurovs eine feste Größe in der russischen Aristokratie und unterhält enge Beziehungen zur orthodoxen Kirche. Zina Mansurova verbringt ihr Leben fernab ihrer Heimat in europäischen Metropolen, was auch Briefe der in Russland verbliebenen Mansurovs bezeugen. Ursache des familiären Exils ist die Heirat der Eltern – Cousin und Cousine – die der Moskauer Bischof Filaret Drozdov nach orthodoxem Recht ablehnte. Zina war demzufolge ein uneheliches Kind, eine Rückkehr nach Russland blieb ihr verwehrt. Ihr Vater trat in den diplomatischen Dienst für den russischen Zaren, der ihn mitsamt Familie nach Hannover (1847-1852) führte. Dort porträtierte Carl Oesterley zunächst ihn und später seine 21-jährige Tochter. Entsprechende Einträge entdeckt die Kunsthistorikerin Dr. Katja Mikolajczak im Inventarbuch Oesterleys.
Oesterleys Liebe zum Detail: Das Notenblatt zeigt Frédéric Chopins 24 Préludes, Op. 28.
Anders als die Mansurovs im Zarenreich, deren Schaffen durch politische und religiöse Ämter gut nachvollziehbar ist, findet sich Zina nur gelegentlich im Licht der Geschichte wieder. Ihre Position in der höfischen Gesellschaft ermöglichte ihr den Kontakt zu prominenten Zeitgenoss*innen, wie Nietzsche, den sie in späteren Lebensjahren über eine gemeinsame Freundin kennenlernte. Das Gemälde Oesterleys verewigt weitere Bruchstücke ihres Alltags zwischen Verpflichtungen und Vergnügungen der höheren Gesellschaft. Ihre Herzensangelegenheit mag das Klavierspiel gewesen sein. Oesterley präsentiert sie an einen Flügel gelehnt. Gefühl in die Préludes zu legen, lernte sie von Chopin höchstselbst, wie Nachforschungen an der Universität Göttingen nahelegen.
Ein Gemälde – viele Geschichten
Julia Winterberg hat sich entschieden, das Gemälde der Göttinger Kunstsammlung zu schenken. Nachdem es die Mansurovs bei Oesterley in Auftrag gaben, hat es einen langen Weg hinter sich, der aus heutiger Sicht nur in Bruchstücken rekonstruiert werden kann: In den Besitz der Familie Winterberg gelangte es vermutlich durch einen Vorfahren, der Kammerdiener eines englischen Diplomaten war und so potenziell Kontakt zum Hannoveraner Hof hatte. Von da an verloren sich die Spuren des Gemäldes, bis es die Winterbergs bei der Haushaltsauflösung vom Staub befreiten.
Mit der Schenkung sind Julia Winterbergs Nachforschungen zum Gemälde und zum Schicksal der jungen Adeligen nicht beendet. Sie möchte weiter auf der Fährte der Mansurovs wandeln und plant bereits Reisen nach Den Haag und nach Paris, wo sie auf dem sagenumwobenen Friedhof Père Lachaise die Gräber der Familienangehörigen suchen möchte. Was sie erwartet ist ungewiss. Sicher ist jedoch, dass am Horizont noch viele Geschichten darauf warten, entdeckt zu werden.
Julia Winterberg und Dr. Michael Thimann vor dem Gemälde. Göttinger Kunsthistoriker*innen waren maßgeblich an den Recherchen zur Geschichte des Gemäldes beteiligt. займ выгодное предложение
Eine Ausstellung wollte ich schon lange einmal gestalten. Als ich daher im September 2019 die Ankündigung lese, nutze ich die Gelegenheit: Recherche- und Ausstellungsseminar “Sehen, gehen, denken mit Geräten – Anthropotechniken in den Göttinger Universitätssammlungen”. Anthropotechniken? Damit hatte ich mich in meinem Archäologie- und Sprachwissenschaftsstudium noch nie befasst.
Illustration: Natalie Bleile.
Mitte Oktober sitze ich in einem Seminarraum im Alten Auditorium der Uni Göttingen, zusammen mit Studierenden der Kunstgeschichte, Philosophie, Komparatistik, Kulturanthropologie und Soziologie – Geisteswissenschaftler*innen durch und durch. Auch unsere Dozentinnen – Prof. Dr. Margarete Vöhringer, Dr. des. Jana August und Ida Becker – haben alle einen kunsthistorischen oder kulturwissenschaftlichen Hintergrund. Daher wollen wir uns den naturwissenschaftlich-technischen Objekten zunächst nicht durch Recherche, sondern durch genaues Betrachten und Beobachten nähern. Vielleicht entwickeln wir aber auch Fragen, an die Technik-Expert*innen gar nicht denken?
Ein neuer Blickwinkel
Unser nächstes Treffen ist im Gebäude der Physik am Nordcampus, wo wir uns das Physicalische Cabinet anschauen wollen. Dr. Daniel Steil, Kustos der Sammlung, führt uns durch den Ausstellungsraum und zeigt uns sogar noch das Depot im Keller. Ein Objekt fällt mir besonders auf: ein Augenmodell. An ihm erklärten Dozenten des 18. Jahrhunderts einst die optischen Eigenschaften des Auges. Ob auch Georg Christoph Lichtenberg es für seine Göttinger Studierenden genutzt hat? Wir wissen es leider nicht.
Modell des menschlichen Auges aus dem Physicalischen Cabinett. Foto: Sauer-Marketing.
Dennoch bin ich überrascht: Mit so einem Objekt habe ich nicht gerechnet. Dabei erscheint es mir im Nachhinein glasklar, dass es für das Verständnis und die Entwicklung von optischen Linsen hilfreich ist, das menschliche Auge zu verstehen.
Wir alle haben den Auftrag, uns ein Objekt aus einer der von uns besuchten Sammlungen auszusuchen, um es im Seminar und später in der Ausstellung vorzustellen. Als ich die vielen Teleskope sehe, erinnere ich mich an die historischen Instrumente in der Astrophysik. Von diesen hat mir eines besonders gut gefallen und ich wähle es schon jetzt als mein Objekt aus.
Zusammenarbeiten
Einige Wochen später verabreden wir uns mit Prof. Dr. Dirk Jaeger an der Fakultät für Forstwissenschaften und Waldökologie. Er spricht über forstwirtschaftliche Verfahrenstechnik. Es geht darum, Arbeitsprozesse nicht nur ressourceneffizient und ergonomisch, sondern auch sozial- und umweltverträglich zu gestalten. Ein besonderer Fokus liegt auf den Forstarbeiter*innen: Technische Fortschritte sollen ihnen die Arbeit erleichtern und ihren Schutz gleichzeitig erhöhen.
Was bedeutet das für unser Ausstellungsprojekt? Ich nehme auf alle Fälle mit, dass die Maschinen an die Anatomie des Menschen angepasst werden.
Anatomische Modelle im Institut für Arbeitswissenschaft und Verfahrenstechnologie. Foto: Ida Becker.
Als wir jedoch auf dem Weg in die Werkstatt an verschiedenen Kettensägenmodellen vorbeikommen, fällt auf, dass diese Auffassung eher modern ist. Während die neuen Modelle ergonomisch geformt sind, scheinen die älteren schwer und unhandlich zu sein. Offenbar ging es bei der Entwicklung von Maschinen nicht immer darum, diese möglichst passend für die Benutzer*innen zu bauen.
Aus der Geschichte der Kettensägen. Foto: Ida Becker.
In der Werkstatt dann ist es sehr laut und ganz schön kalt. Im Gegensatz zu den Mitarbeiter*innen tragen wir keine Gehörschützer. Prof. Jaeger erklärt uns verschiedene Techniken und Arbeitsgeräte, die bei der forstwirtschaftlichen Arbeit eingesetzt werden. Schließlich nimmt er zwei Kettensägen und führt uns nach draußen. Ich weiß nicht, ob überhaupt jemand von uns schon einmal eine Kettensäge in der Hand gehalten hat. Wenn ich mir die anderen ansehe, denke ich: nein. Nach einer kurzen Einweisung darf jeder ein Gerät kurz halten und sogar starten. Zum Glück handelt es sich um neueste Modelle, sodass unsere Unsicherheit schnell verfliegt.
Kettensägen nach den neuesten Standards. Foto: Ida Becker.
Gedanken verarbeiten
Zwei Wochen später treffen wir uns am Rechnermuseum der Gesellschaft für wissenschaftliche Datenverarbeitung Göttingen (GWDG) am Faßberg wieder und schauen uns verschiedene Rechnermodelle an. Es ist faszinierend zu sehen, wie schnell aus einer Maschine für mathematische Berechnungen ein Gerät entwickelt wurde, das heute unser Leben maßgeblich prägt. Daher habe ich das folgende Foto ausgewählt. Ahnen Sie, was daraus entstanden ist?
Brunsviga 15. Rechnermuseum GWDG. Foto: Michael Jayalath.
Auch hier sammeln wir praktische Erfahrungen und erleben die Maschinen hautnah: Gemeinsam mit Dr. Jens Kirchhoff vom Computer Cabinett Göttingen spielen wir Spacewar – eines der ersten Computerspiele! Und Kustos Simon Heider zeigt uns Objekte, die fremder nicht sein könnten: unzählige Kabel, Platinen, Schalter und Knöpfe – oft weiß ich nicht einmal, welche Art von Gerät ich vor mir habe.
In dieser Sammlung fällt es uns besonders schwer, die Maschinen zu verstehen. Sie übernehmen so viel abstraktere Aufgaben als die Objekte aus den anderen Sammlungen. Die Schnittstellen zu uns sind unsichtbar, gleichzeitig allgegenwärtig. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – finden zwei meiner Kommilitonen hier ihre Ausstellungsobjekte.
Unsere letzte Exkursion führt uns in die Kunsthalle HGN nach Duderstadt: Kuratorin Maria Hauff und der ehemalige Ottobock-Mitarbeiter Lothar Milde zeigen uns die Ausstellung “Vom Start-up zum Weltmarktführer. 100 Jahre Ottobock“. Wir erfahren viel über die Geschichte der Prothetik, aber auch über die immer weiter zunehmende Akzeptanz von Prothesen in der Gesellschaft und den Stolz ihrer Träger*innen. Es ist spannend zu sehen, wie sich die Prothese immer mehr an den Menschen anpasst, diesen teilweise zu sportlichen Höchstleistungen bringt oder ihm, wie zum Beispiel mit dem Exoskelett, harte körperliche Arbeit erleichtert. Zurück in Göttingen philosophieren wir darüber, in wie weit der menschliche Körper durch Prothesen erweiterbar, wenn nicht sogar verbesserbar ist.
Objektanalysen
Ende Januar 2020 stellen wir uns endlich unsere Objekte gegenseitig vor: Zwar haben wir im Laufe des Seminars schon viel gelesen und bei Vorträgen und Führungen viel gelernt, zu unseren ausgewählten Objekten dürfen wir jedoch noch nicht in die Textrecherche einsteigen, sondern müssen uns ganz auf unsere eigenen Beobachtungen verlassen. Los geht es mit dem Rechnermuseum. Linus Rieß und Philip Flacke stellen spannende Fragen an ihre Objekte, deren überraschende Antworten sie später in der Ausstellung präsentieren werden.
Gesa Saloga beschreibt eine Handprothese, die wir beim Besuch in Duderstadt gesehen haben. Zwar wird dies nicht ihr Ausstellungsobjekt, aber es bringt sie auf die Idee, eine „Prothese“ auszustellen, die wahrscheinlich jeder schon einmal benutzt hat.
In der Sammlung Astrophysik hat Kustos Dr. Klaus Reinsch „mein“ Objekt extra für uns in eine Vitrine gelegt. Was auf den ersten Blick wie ein verzierter Holzkasten aussieht, hat es wortwörtlich „in sich“.
Was versteckt sich hier bei der Objektvorstellung? Foto: Ida Becker.
Auf ins Digitale
April 2020: Corona und ausstellen – wie soll das gehen? Wir beschließen, unsere physische Ausstellung zu einer digitalen werden zu lassen. Das heißt umplanen: Wie lassen sich unsere Objekte am besten online präsentieren? Wie soll die Webseite aussehen? Wer wird sie programmieren? Und wie sollen wir Fotos von den Objekten machen, wenn die Uni geschlossen ist?
Gemeinsam schauen wir uns digitale Ausstellungen an und nehmen so Ideen für unsere eigene mit. Nach zahlreichen Zoom-Meetings, Objektrecherchen, ersten Textentwürfen und sogenannten „Moodboards“ legen wir das Ausstellungskonzept fest. In der vorlesungsfreien Zeit entwickeln wir mit Unterstützung von Thomas Konradi, Webdesigner bei www.kulturerbe.niedersachsen.de, einen ersten Webseitenentwurf und beauftragen die Illustratorin Natalie Bleile. Beim Fotografieren der Objekte hilft uns die Zentrale Kustodie der Uni Göttingen mit ihrer Fotostation. Im September steigen wir ganz in die Textproduktion ein und bald geht es an den Feinschliff der Webseite.
Trotz Corona-Pandemie schicken wir wie gewohnt herausragende Objekte aus dem Göttinger Geowissenschaftlichen Museum auf Reisen. Es sind Leihgaben für Sonderausstellungen. So erreichten uns auch 2020 etliche Anfragen kleinerer und größerer Museen, die Interesse an Exponaten aus unserem Haus bekundeten. Vier aktuelle Beispiele möchte ich hier vorstellen.
Der Meteorit von Erxleben konnte kurz nach seinem Fall im April 1812 von Johann Friedrich Blumenbach für das Göttinger Academische Museum gesichert werden – zur Zeit ist er in Nebra. Foto: GZG Museum / Alexander Gehler.
Meteorite in Nebra
Im September 2020 gab es für mich noch einmal eine Ausnahme von der Maskenpflicht, da ich mit der Kuratorin der Ausstellung „Sternensucher – Von der Himmelsscheibe bis zur Rosetta-Mission“ im selben Haushalt wohne. Die Ausstellung in der Arche Nebra in Sachsen-Anhalt konnte Anfang Oktober sogar mit Publikum eröffnet werden. Aus Göttingen sind dort noch bis zum 30. September 2021 verschiedene Meteorite von Mond und Mars zu sehen sowie das größte noch erhaltene Fragment des am 15. April 1812 gefallenen Meteoriten von Erxleben. Hierbei handelt es sich um den ältesten beobachteten Meteoritenfall Norddeutschlands, von dem noch Material in Sammlungen erhalten ist. Als weiteres Göttinger Highlight gibt es eine anlässlich der Entdeckung des Planeten Uranus hergestellte, mehr als 200 Jahre alte Platinmedaille.
Die Ausstellungskuratorin Juliane Gehler führt bei der Eröffnung durch die Sonderausstellung „Sternensucher“. Foto: GZG Museum / Alexander Gehler.
Saurierreste in Hannover
Zwei originale Dinosaurierzähne aus Niedersachsen, ein fast vollständiger Flugsaurier aus Süddeutschland und das Gipsmodell eines Tyrannosaurus rex wurden bereits im August 2020 von Kolleginnen aus der Naturkundeabteilung des Niedersächsischen Landesmuseums in Hannover für die Ausstellung „KinoSaurier. Zwischen Fantasie und Forschung“ abgeholt. Einer der beiden Dinozähne ist ein für Niedersachsen einzigartiger Fund eines iguanodontiden Pflanzenfressers. Bei dem anderen handelt es sich um einen Raubsaurierzahn der Gattung Torvosaurus. Er gehört zu den größten Dinosaurierzähnen, die jemals im norddeutschen Raum gefunden wurden.
Der vor mehr als einhundert Jahren gefundene Zahn eines Torvosaurus aus oberjurassischen Gesteinsschichten von Holzen bei Eschershausen (Landkreis Holzminden). Foto: GZG Museum / Gerhard Hundertmark.
Die für den 3. Dezember 2020 geplante Eröffnung konnte leider nicht stattfinden. Kurz danach wurde der Lockdown nochmals verschärft, und so blieb die fertige Ausstellung bis heute besucherlos. Aktuell hofft man am Ausstellungsort – und auch wir als Leihgeber tun dies natürlich – dass eine baldige Öffnung möglich sein wird.
Die Göttinger Rekonstruktion eines fressenden Tyrannosauriers in der Kinosaurier-Ausstellung. Foto: Landesmuseum Hannover / Kerstin Schmidt.
Gemälde in Gotha
Zur Stiftung Schloss Friedenstein, ins thüringische Gotha, hätten zwei Gemälde des österreichischen Malers Franz Roubal (1889–1967) bereits im Mai 2020 gehen sollen. Roubal hatte in der 1930er-Jahren eigens für die Universität Göttingen mehrere Großgemälde von Meeresreptilien und Dinosauriern gefertigt, die in der Jura- und Kreidezeit auch in unserer Region heimisch waren. Ein Plateosaurier sowie die Darstellung von zwei Fischsauriern im Jurameer hatten es den Gothaer Kolleg*innen besonders angetan. Nachdem die Ausstellung „Saurier – Die Erfindung der Urzeit“ ins aktuelle Jahr verschoben wurde, erfolgte die Abholung per klimatisiertem Transport letztlich im Dezember. Auch dem neuen Eröffnungstermin, der für den 6. Februar 2021 angesetzt war, machte Corona einen Strich durch die Rechnung. Ab Mitte Mai geht es nun aber hoffentlich los.
Kurator Tom Hübner vor einem der großformatigen Werke mit zwei Ichthyosauriern, die vor ca. 180 Millionen Jahren auch das norddeutsche Jurameer bevölkerten. Foto: Schloss Friedenstein Gotha / Susanne Hörr.
Mineralien am Rammelsberg
Anfang April wurden Mineralien aus der Sammlung des Clausthaler Oberbergmeisters Georg Andreas Stelzner (1725–1802) für die Sonderausstellung „Reisen in den Schoß der Mutter Erde – Montantourismus im Harz“ im Museum und Besucherbergwerk Rammelsberg abgeholt. Die Stelzner’sche Mineraliensammlung befindet sich bereits seit 1782 im Besitz unserer Georgia Augusta. Sie bietet einen der bedeutendsten Zugänge zur Frühzeit des 1773 gegründeten Academischen Museums der Göttinger Universität und besteht zu großen Teilen aus Mineralen der Harzregion. Einige von ihnen sind nun in der Ausstellung zu sehen, die am 25. April 2021 eröffnet wurde.
Historische Mineralstufe (Gediegen Kupfer) vom Rammelsberg bei Goslar: Das Exponat ist nun temporär an seinen Fundort zurückgekehrt. Foto: GZG Museum / Gerhard Hundertmark.
Die Kolleg*innen und wir
Es ist schon sehr ungewohnt, den Kolleg*innen, die wir teilweise seit Jahrzehnten kennen, nur kurz mit obligatorischer Schutzmaske ein Päckchen mit den Leihgaben zu übergeben. Noch nicht einmal einen Kaffee können wir anbieten. Bei größeren Objekten, die von Kunstspeditionen abgeholt werden, stehen wir nun meterweit abseits und beobachten das Verpackungsgeschehen aus der Ferne. Früher hätten wir selbst mit Hand angelegt.
Wir in Göttingen hoffen darauf, dass es bald möglich sein wird, die Sammlungen und Museen der Universität im Rahmen der „Sonntagsspaziergänge“ wieder öffnen zu können. Und auch die nächsten Reisetermine einiger unserer Schätze haben wir schon im Blick.
An unseren eigenen kommenden Sonderausstellungen wird im Hintergrund ebenfalls bereits fleißig geplant: Ich habe mir hierfür schon einmal die Riesenschachtelhalme an der berühmten Fossilfundstelle Willershausen angeschaut.
Der Autor ist Kustos des Geowissenschaftlichen Museums und der dazugehörigen Sammlungen am Geowissenschaftlichen Zentrum der Universität Göttingen.банки взять кредит онлайн на карту
Beim Digitalisieren des Herbariums stieß ich auf eine Pflanze, deren Etikett die Abkürzung „h.L.“ trug. Ich stutzte: Es war die Sammlung des Botanikers Jakob Friedrich Ehrhart, einer der letzten Schüler Carl von Linnés in Uppsala. Es ist bekannt, dass Linné ihm Herbarpflanzen geschenkt hatte.
Herbarbeleg mit originaler Handschrift und Barcode für das Digitalisat. Foto: Natascha Wagner.
„h.L.“ – Herbarium Linnaeus!
War das ein originaler Herbarbeleg des berühmten Botanikers? Ehrharts Biografie sprach dafür: Nach seiner Zeit in Uppsala wurde der Schweizer Direktor der Herrenhäuser Gärten in Hannover und mit seinem Tod gelangte sein Herbarium an die Göttinger Universität. In einem 1824 erschienenen Katalog des Ehrhart-Herbariums fand ich zudem die Abkürzung „h.L.“. Sie steht für „Herbarium Linnaeus“.
Ich in einem der acht Sammlungsräume des Göttinger Herbariums. Foto: Natascha Wagner.
Damit hatte ich einen ersten Hinweis, dass es sich tatsächlich um eine von Linné gesammelte und gepresste Pflanze handeln könnte. Ein weiterer Hinweis war, dass Linné in seiner einflussreichen Publikation Species Plantarum die Nummer „5“ für die Art Holcus odoratus, das duftende Mariengras, verwendete. Beides – Nummer und Artname – ist auf unserem Etikett vermerkt. Mittlerweile hat die Linnean Society bestätigt, dass es sich um eine von Linné gesammelte Pflanze handelt und die „5“ in Linnés Handschrift geschrieben ist.
Carl von Linné – Begründer der modernen biologischen Nomenklatur
Der Schwede Carl von Linné (1707–1778) ist sicherlich der bekannteste Botaniker aller Zeiten. Er wurde vor allem durch seine hierarchische Klassifikation von Pflanzen, Tieren und Mineralien sowie durch die Etablierung der binominalen Nomenklatur berühmt. Mit dieser neuen Art, Organismengruppen wissenschaftlich zu benennen, löste der Naturforscher die häufig langen Artbezeichnungen in lateinischer Sprache ab.
Mitten in diesem Faszikel verbirgt sich die Pflanze von Linné. Foto: Natascha Wagner.
Linné verwendete stattdessen nur zwei Wörter: Eins charakterisiert die Gattung, das andere die Art. Diese Methode erwies sich als äußerst praktikabel und stellt den Ausgangspunkt der modernen Nomenklatur dar. Linnés Herbarium befindet sich heute in den Sammlungsschränken der Linnean Society in London und nur wenige andere Institutionen besitzen Pflanzen, die Carl von Linné gesammelt hat. Seit kurzem gehört auch das Göttinger Herbarium zu diesem illustren Kreis.
Hier digitalisieren wir unsere Herbarbelege. Foto: Natascha Wagner.
Eine riesige Schatztruhe – das Göttinger Herbarium
Die etwa 800.000 getrockneten Pflanzen unserer Sammlung stammen aus der ganzen Welt. Die ältesten unter ihnen sind mit über 300 Jahren sogar älter als die Göttinger Universität. Genauso spannend wie die Pflanzen selbst sind auch die unzähligen Sammler*innen und ihre Reisen, auf denen sie die Pflanzen gesammelt haben. Daher haben wir im Herbarium zum Beispiel Pflanzen, die Alexander von Humboldt (1769–1859) in Ecuador am Fuße des Chimborazo sammelte – der damals als höchster Berg der Welt galt. Georg Forster (1754–1794) brachte viele neue Arten von der zweiten Südseereise James Cooks mit und Amalie Dietrich (1821–1891), eine der ersten Pflanzenjägerinnen, verdanken wir eine außergewöhnliche Sammlung australischer Moose.
Von Linné gesammelt: das duftende Mariengras. Foto: Marc Appelhans.
Gibt es noch mehr Linnés, Humboldts etc. in Göttingen?
Zurzeit haben wir weniger als 10 Prozent der Pflanzen im Göttinger Herbarium digitalisiert und datenbanklich erfasst. Daher kann es durchaus sein, dass weitere Herbarbelege von Linné oder anderen bedeutenden Botaniker*innen auftauchen. Wir finden zum Beispiel regelmäßig neue Typusbelege, also Pflanzen, die für die Erstbeschreibung einer neuen Art verwendet worden sind und die eine Art „Geburtsurkunde“ darstellen. Es gibt also noch viel zu tun und viel zu entdecken.