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Kinderliteratur prägt über Generationen hinweg

Das zeigt die neue Ausstellung „Zeit│Spiegel. Kinder- und Jugendliteratur der Jahre 1925 bis 1945“, die am Mittwoch, 30. Oktober 2019, um 18 Uhr in der Göttinger Paulinerkirche eröffnet wird. Unsere Schülerpraktikantin Sophia Juwien hat sich vorab für Sie umgesehen und mit dem Kurator der Ausstellung, Hartmut Hombrecher, gesprochen.

Hartmut Hombrecher: Kustos der Sammlung historischer Kinder- und Jugendliteratur.

Lieber Herr Hombrecher, was können Besucherinnen und Besucher in der neuen Ausstellung erwarten?

Kinderbücher prägen oft ein Leben lang. Schon als Kind, wenn die Fantasie und Kreativität noch sehr stark sind, orientieren sich Kinder gerne an Figuren aus ihren Büchern und übernehmen Verhaltensweisen oder Charakterzüge. Unsere Ausstellung zeigt, wie Kinder- und Jugendliteratur aus der späten Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus die damalige Generation beeinflusst hat und bis heute unser Denken und Handeln prägt. Wir bieten also eine Reise in eine Zeit voller Umbrüche.

Warum haben Sie sich für dieses Thema entschieden?

Wir besitzen eine wertvolle Sammlung von Sigrid Wehner. Sie sammelte rund 18.000 Kinder- und Jugendbücher der Jahre 1925 bis 1945. Diese zeigen das individuelle Portrait einer Kindheit vor und während des Zweiten Weltkrieges; sie geben Einblick in die Vorstellungen und Werte ihrer Generation. Das Besondere an der Ausstellung ist, dass wir viele der Bücher, die sonst nicht öffentlich zugänglich sind, nun erstmals in ihrem politischen und sozialen Kontext präsentieren.

Das Ausstellungsteam bei der Auswahl der Bücher.

Welchen Einfluss hatten Kinderbücher im Nationalsozialismus?

Kinder sind bekanntlich sehr neugierig und wissensdurstig, aber auch oftmals leicht zu beeinflussen. Gerade zur Zeit des Nationalsozialismus wurden diese Eigenschaften im frühen Alter der Kinder genutzt, um sie weltanschaulich zu beeinflussen. Antisemitische Werke wie Johanna Haarers „Mutter, erzähl von Adolf Hitler!“ oder Kriegspropaganda wie Hans Mefferts „Sturzkampfflieger schlagen Bresche“ sind nur zwei Beispiele von vielen manipulativen Kinderbüchern dieser Zeit. Heutzutage wären solche Themen und Schreibweisen für uns kaum denkbar und Bücher dieser Art würden uns surreal erscheinen. Werte und Eigenschaften wie eigenständiges Denken oder kritisches Hinterfragen werden mittlerweile viel stärker gefördert.

Können Sie das noch ein wenig ausführen?

Im Nationalsozialismus gab es eine sehr stark gleichgeschaltete Kinder- und Jugendpolitik. Ab 1933 prägte die massiv verschärfte Zensur die Literatur, sodass viele Bücher nicht mehr publiziert werden durften. Viele Autoren mussten ins Exil gehen und haben versucht, außerhalb Deutschlands weiter zu schreiben. Aber an der Zensur im Innenland kamen sie nicht vorbei. Dort war die Bandbreite groß an propagandistischen Werken, antisemitistischen Hetzschriften für Kinder, Führerbüchern und noch vielem mehr.

Sophia Juwien und Hartmut Hombrecher im Gespräch.

In der Ausstellung zeigen Sie auch Bücher, die speziell für Mädchen oder für Jungen geschrieben wurden. Worin unterschied sich denn die Literatur?

Vor allem die Themen, aber auch die Gestaltung der Bücher machen die vorhandene Zweiteilung deutlich. Es gab häufig idealisierte Selbstformen, die in Büchern präsentiert wurden: Bei den Mädchen war dies die Rolle der Ehefrau und Mutter. Für die Jungen gab es häufig Rollenbilder, die soldatische Männlichkeit repräsentierten. Jedoch haben diese Formen der zweigeteilten Literatur ihre Anfänge schon im 18. Jahrhundert gefunden. Unsere Ausstellung steht damit nicht am Anfang der Entwicklung, aber auch noch nicht am Ende. Auch heute hat man noch Jungen- und Mädchenbücher, die unterschiedliche Rollenvorstellungen vermitteln.

Bücher prägen über Generationen hinweg.

Sollten wir nicht genau deswegen heutzutage darauf achten, mehr Wert auf Gleichberechtigung und Gerechtigkeit zu legen, gerade was die „typische Rolle von Mann und Frau“ betrifft? Anregungen dazu gibt die Ausstellung „Zeit│Spiegel“ auf alle Fälle. Aber auch in ihrer Art und Weise unterscheidet sie sich von anderen Ausstellungen.

Wir präsentieren nicht nur Bücher zum Anschauen. Wir wollen die Besucherinnen und Besucher auch zum Nachdenken anregen, zur Selbstreflexion. Sie sollen nicht nur von außen auf die Vitrinen schauen, sondern auch zurückblicken und sich selbst als Teil der Ausstellung und der gezeigten Debatten betrachten. Aus diesem Grund haben wir zum Beispiel Spiegel eingebaut. Sie zeigen, dass Prägungen generationenübergreifend noch bis heute andauern und verringern die Distanz zum historischen Objekt.

Lieber Herr Hombrecher, vielen Dank für das Gespräch!

Ein kleiner Rückblick in die Geschichte unserer Zeit gewünscht? Nachvollziehen, welche Werte, Ideen und Überzeugungen man damals hatte, von sich selbst sowie der Gesellschaft? Neugierig geworden? Dann sollten Sie sich diese Ausstellung unter keinen Umständen entgehen lassen. Vielleicht wird der eine oder andere der älteren Generation sogar Werke wiedererkennen? Keine Angst, sie ist nicht nur für alte Hasen oder Wissenschaftler gemacht, sondern auch für junge interessierte Menschen. Jeder kann einen Bezug zu dieser einflussreichen Zeit herstellen, sich selbst reflektieren und am Ende verstehen, wie die damalige Kindheit aussah und wodurch sie geprägt wurde.

Freude und Aufregung kurz vor der Eröffnung.

Die Ausstellung ist noch bis zum 2. Februar 2020 in der Paulinerkirche am Papendiek 14 zu sehen. Geöffnet ist sie mittwochs bis freitags von 12 bis 18 Uhr und samstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr. Weitere Informationen gibt es unter www.uni-goettingen.de/zeitspiegel

Fotos: Martin Liebetruth

Mehr zu unseren Ausstellungen auf dem Forum Wissen-Blog.

 

 

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Sammlung

Erich Blechschmidt. Abbilder

“Ein menschlicher Embryo hat so viel Anmut, dass der Unvoreingenommene ihn staunend bewundern muss.” Erich Blechschmidt im Vorwort zu „Vom Ei zum Embryo“, 1968

His-Ziegler-Modelle, Embryo A aus der Modellserie “Anatomie menschlicher Embryonen”, Anatomisches Institut, Göttingen, 1880/85. Foto: Hans-Georg Sydow.
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Face the Fact – Finissage und digitale Ausstellung

Die Sonderausstellung “Face the Fact. Wissenschaftlichkeit im Portrait” feierte am 3. März 2019 ihre Finissage. Seit dem 27. September 2018 war sie in den Räumen der Kunstsammlung der Universität Göttingen zu sehen. Anna Luise von Campe, Studentin der Kunstgeschichte, war beim feierlichen Abschluss dabei.

Ein Traum von Wissenschaftlichkeit

„Schon als Kind hatte ich voller Stolz meinen Eltern vorgeschwärmt, dass ich ihnen eines Tages in einer Dokumentation im Fernsehen etwas erklären und dabei mein Name eingeblendet sein würde. Dieses Bild hat meinen alten Traum von Neuem entfacht.“ So schreibt Lara Döring, die gemeinsam mit der Schreibwerkstatt der Universität des Dritten Lebensalters die Ausstellung besucht hat, über das Portrait einer Wissenschaftlerin. Ein Bild, das den Traum einer angehenden Wissenschaftlerin neu entfachen kann – diese Inspiration überkam viele Besucherinnen und Besucher der Ausstellung „Face the Fact. Wissenschaftlichkeit im Portrait“.

Das Bildnis der Dorothea von Schlözer. Foto: Christoph Mischk

Schlözer is one of my new heroes!

Christian Vogel, Referent für Wissensforschung der Zentralen Kustodie, leitete durch den Abend und stellte den Erfolg der Ausstellung heraus. Dieser ist auch durch die aktive Teilhabe der Besucherinnen und Besucher zu verzeichnen. „2.710 haben Face the Fact gesehen“, berichtet Isabel Pagalies, wissenschaftliche Volontärin der Zentralen Kustodie, stolz. Anerkennender Beifall vom Publikum folgt. Mit einigen Passagen aus dem Gästebuch bietet die Volontärin einen Rückblick auf die Stimmen des Publikums. Vorrangig wird deutlich, dass die Ausstellung nicht nur als spannend, übersichtlich und gendersensibel wahrgenommen wurde, sondern auch zur Motivation veranlasste: „Schlözer is one of my new heroes!“ – lautet es beispielsweise im Gästebuch. Dorothea von Schlözer (1770–1825) wurde als zweite Frau Deutschlands promoviert und zählt zu den sogenannten „Universitätsmamsellen“, die als Wissenschaftlerinnen an der Geschichte der Emanzipation beteiligt waren.

Kritische Blicke auf die Gelehrten. Foto: Christoph Mischke

Habitat Ausstellung

„Eine Ausstellung ist so eine Art Lebensraum“, erklärt Karsten Heck, Referent für Sammlungsmanagement. In diesem Sinne regte „Face the Fact“ besonders im Göttinger Umfeld Diskussionen um Wissenschaftlichkeit und deren Präsentation an. Bei Führungen von verschiedenen Fachbereichen habe es unter dem Eindruck der fokussierten Forschungsblicke Erkenntnisse und Diskussionen gegeben, berichtet der Referent. Beliebt waren unter anderem die sogenannten Cartes de Visite, die es in vergangenen Zeiten in Buchläden zu kaufen gab. „So konnte man sich seinen Professor kaufen“, beschreibt Heck mit einem leichten Schmunzeln.

Restaurierte Wissenschaftlichkeit

Im Zuge der Ausstellung konnte das Portrait von Johann David Michaelis (1717–1791) restauriert werden. Dr. Anne-Katrin Sors, Kustodin der Kunstsammlung und Dozentin am Kunstgeschichtlichen Seminar, dankte Dr. Martin Reulecke für seine Bildpatenschaft an dem Gemälde. Das Portrait erstrahlt nun in neuem Glanz; die Signatur ist wieder lesbar. Damit ist ein wertvoller Beitrag zur Erhaltung der Gemälde geleistet worden.

Das restaurierte Portrait von Johann David Michaelis. Foto: Anna Luise von Campe

Forum Wissen: Selbstreflexion der Wissenschaftlichkeit

Mit der „Face the Fact“-Ausstellung konnte gezeigt werden, welchen Ansatz das zukünftige Forum Wissen in Göttingen verfolgen wird. „Wir wollen ein Zentrum schaffen, in dem objektbasiert geforscht wird. Gleichzeitig soll es ein Museum werden über das Wissen-Schaffen!“, so Marie Luisa Allemeyer, Direktorin der Zentralen Kustodie. In einem Vortrag stellte sie nachvollziehbar die Planung und den Stand der Realisierung des Projekts dar. Ende 2020 soll eröffnet werden. Es werden Räume des Wissens ausgestellt und erlebbar gemacht: das Labor, die Bibliothek, der Schreibtisch, die Werkstatt, der Salon, der Markt, „…aber auch der Holzweg!“ – wie die Allemeyer berichtet. „Face the Fact“ hat bereits einen wichtigen Aspekt des Forum Wissen geteasert: die Darstellung der Selbstreflexion der Wissenschaftlichkeit.

Marie Luisa Allemeyer über das Forum Wissen. Foto: Anna Luise von Campe

Wie gelehrt dürfen Frauen gezeigt werden?

Ruth Finkh eröffnet während der Finissage eine Innenschau der Portraitierten auf das Portraitieren: In ihrem Vortrag verdeutlicht die Literaturwissenschaftlerin den Einfluss des Gemaltwerdens auf die Portraitierten und deren Umfeld. Die junge Philippine Gatterer (1756–1831) wurde von Johann Heinrich Tischbein d. Ä. (1722–1789) portraitiert und durchlief damit eine soziale Initiation: Sie entsprach nicht dem Schönheitsideal ihrer Zeit, doch der Maler Tischbein verlieh ihr ein geschöntes Antlitz, sodass sich ihre Selbstsicht und die Sicht der Anderen wandelte. Vor allem aber malte Tischbein sie als Dichterin mit Lorbeerkranz und Harfe und verlieh ihr damit eine soziale Rolle, die damals hauptsächlich Männern vorbehalten war. Dies ist eine der vielen Fragen, die während der Finissage zum Ausdruck kommen: „Wie gelehrt dürfen Frauen im 18. Jahrhundert gezeigt werden?“.

Ruth Finkh während ihres Vortrages. Foto: Anna Luise von Campe

Face the Fact – jetzt auch digital

Zum Abschluss der Finissage wurde die digitale Ausstellung eröffnet – so können Besucherinnen und Besucher auf https://facethefact.gbv.de/start/ weiterhin virtuell „face the fact“ in einzelnen Sektionen und als 360° Rundgang erfahren. Der Sehnsucht nach alten Epochen, nach verschiedenen Klischees von Professorinnen und Professoren, nach Wissenschaftlichkeit und nach Portraits aus verschiedenen Zeiten kann nun auch digital nachgegangen werden.

 

Gäste der Finissage. Foto: Anna Luise von Campe

 

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Aufbruch aus der Repräsentation?

Diese Frage führte Daniela Döring in “Face the Fact. Wissenschaftlichkeit im Portrait“. Die Ausstellung ist noch bis zum 3. März in der Kunstsammlung der Universität Göttingen zu sehen. Die Kulturwissenschaftlerin hat sie für uns besucht.

Inszenierte Gelehrsamkeit.

Face the fact!

So der Titel der Ausstellung über Selbstdarstellungen, Bildnisse und Porträts Göttinger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Er ruft mir zu, der Tatsache ins Auge zu sehen! Welcher Fakt ist gemeint? Es ist eine Tatsache mit vielen Gesichtern, handelt es sich doch um einen Rundgang durch historisch gewachsene und verschiedene Vorstellungen wissenschaftlicher Tugenden und Expertisen. Die Ausstellung fragt danach, welche Selbstverständnisse und Ideale von Gelehrsamkeit, Autorität und Wissenschaftlichkeit im Porträt repräsentiert werden und welche Formen der Teilhabe, Ausgrenzungen und Machtachsen das akademische Feld selbst prägen.

So steckt im Begriff der Repräsentation nicht nur der Modus der Stellvertretung, sondern auch die performative Kraft der Darstellung. Repräsentationen sind nicht allein Abbilder gesellschaftlicher Wirklichkeiten, vielmehr liegen ihnen bestimmte historisch-kulturelle Bedingungen zugrunde. Dass Gelehrsamkeit durch Insignien, Symbole und Inszenierungsweisen überhaupt erst hergestellt wird, macht gleich das erste Bildnis von Abraham Gotthelf Kästner klar, in dem Stift, Lineal und Zirkel diese be- und erzeugen. Eine Notiz im Porträt fordert mit einem Augenzwinkern dazu auf, der Nachwelt ein gutes Bild zu hinterlassen, der Blick der Betrachtenden ist demnach immer schon eingeschrieben. Was also sehe ich, wenn ich sehe? Was soll ich sehen? Und was ist nicht sichtbar?

Face the gap!

Es empfängt mich eine wuchtige Wand voller Professorenporträts im Stil adeliger Ahnengalerien. Die altehrwürdigen Männer sind in Amtstracht und vor dunklem Hintergrund dargestellt, ihre individuellen Züge kommen angesichts der einheitlichen Inszenierung umso mehr zum Vorschein. Doch klaffen Lücken in der Galerie. Die Leerstellen sind sogar beleuchtet und erscheinen als blinde Flecken in der Geschichte: Frauen, die lange Zeit nicht zum Studium zugelassen waren, People of Colour, die nicht vorkommen, Menschen jenseits gehobener Schichten und Klassen.

Im Hintergrund: Professorengalerie mit Leerstellen.

Look at this!

Die daneben ausgestellten Grafiken entsprechen dem klassischen Porträtstil und ergänzen diesen durch das Buch und den Fingerzeig. Die Kupferstiche des in Augsburg verlegten “Bilder-sal heutiges Tages lebender und durch Gelehrtheit berühmter Schriftsteller” fallen mir dadurch auf, dass sie das Zeigen zeigen. Hände umschließen, stützen und Finger verweisen auf das Buch, das Wissen und Erkenntnis enthält, welche generiert, angeeignet und vermittelt werden können. Eine dieser Fingerhaltungen ist – so erfahre ich anhand des gegenüberliegenden Porträts von Johann Georg Roederer – eine typische Haltung der aufkommenden Geburtsmedizin. Mit ausgestrecktem Daumen und Zeigefinger wird die vaginale Untersuchung der Schwangeren durchgeführt und – wie die Abbildung in einem Buch zeigt – mithilfe einer Maßskala vermessen. Gerade diese Aufspaltung in handelndes, denkendes (männliches) Subjekt und zu vermessendes (weibliches) Objekt verdrängt das traditionelle Hebammenwissen und legitimiert die Entstehung der neuen medizinischen Teildisziplin sowie die Professionalisierung von Wissenschaft im Allgemeinen.

Die Fingerhaltung: Repräsentation der Geburtsmedizin.

Take part!

Die Ausstellungssektion über die Silhouetten manifestiert diese beiden Seiten: Typologisierung einerseits und Individualität des Wissenschaftlers anderseits. Das Porträt – und mit ihm die Wissenschaft schlechthin – wird egalisiert, indem der Schattenriss mithilfe eines Storchenschnabels (Pantograph) von jedermann erstellt werden kann. Die Porträts können aber nicht nur reproduziert, sondern auch getauscht, gesammelt und besessen werden. Als Post- und Visitenkarten geraten sie in Umlauf und versprechen die Demokratisierung des Wissenserwerbs, der Ausweisung von Kennerschaft und von kulturellem Kapital.

Professoren zum Sammeln: klein, handlich und begehrt.

Excluded!

Dies entpuppt sich schnell als ein Ver_sprechen, so ist der zentralen Themeninsel zu entnehmen. Unter dem Titel „Inklusion – Exklusion“ sind hier Beispiele von Grenzziehungen und Machtordnungen im akademischen Feld versammelt: Herrschende Geschlechterverhältnisse, die etwa Dorothea von Schlözer versagten, trotz Promotion eine akademische Karriere einzuschlagen, oder Universitätsmamsellen, die sich im Schatten ihrer Ehemänner wissenschaftlich betätigten. Sie sind die Ausnahmeerscheinungen, die die Regel bestätigen. Ihre Arbeit und Zeugnisse, ebenso wie jene der Handwerkerinnen, Technikerinnen oder Laborassistentinnen und schließlich, zur Zeit des National­sozialismus, jene jüdischer Gelehrter, bleiben ausgeschlossen aus der Repräsentation. In der Geschichtsschreibung werden sie marginalisiert. Es ist der Ausstellung hoch anzurechnen, dass es diese Machtmechanismen, die im Repräsen­tations­­modus selbst verankert sind, aufzuzeigen versucht. Weder die Zugänge noch die Inhalte von Wissenschaft können als neutral angesehen werden. Das Herstellen von Expertentum funktioniert aber gerade über die Verobjektivierung und Universalisierung von Erkenntnis. Wie lässt sich dieses Spannungsfeld ausstellen?

Themeninsel mit Blick auf strukturelle Ungleichheiten.

Die auf der Themeninsel ausgelegten Fallbeispiele liegen flach vor mir, ich muss mich über den Tisch beugen und mich gar über sie erheben. Sie erscheinen im Kontrast zu den aufrecht stehenden Porträts, die mir ein dominantes Gegenüber bieten, fast passiv und kleinteilig. Allzu leicht lassen sie sich so in eine historische Epoche verbannen, die wir heute überwunden zu haben glauben. Die Insel – ein gängiges gestalterisches Ausstellungsmittel und Charakteristikum des Museums selbst – betont indessen mehr Grenzen als Möglichkeiten der Überwindung. Vermag sie strukturelle Ungleichheiten zu veranschaulichen?

Fight it out!

Damit gelange ich in die letzten Ausstellungsbereiche, eine schwarze Wand, die mich dazu auffordert, über mein eigenes Porträt etwa auf der Website der Universität nachzudenken, aktuelle Formen der Selbstdarstellung auszumachen und sie auf der Schultafel neu zu sortieren. Dahinter verbirgt sich ein weiterer Raum mit Karikaturen, die sehr unterschiedliche Beispiele dafür zeigen, dass einmal gemachte Hierarchien verhandelbar und kritisierbar sind: der von seinem Schüler Gauß mit Rechenfehler gezeichnete Kästner, Dahlmann als Teufel, Hilberts Büste attackiert, mit rosa Farbe besprüht, vom Sockel geholt – und hier wieder auf den Sockel gebracht. Wie groß sind die Spiel- und Gestaltungsräume? Wie weit reicht Institutionskritik? Wer hat die Definitionsmacht?

Return to representation?

Am Ende der Ausstellung sehe ich auf großen schwarzen Postern aktuelle Fotoaufnahmen von Professorinnen und Professoren, betitelt unter anderem als Götterbotin, Urknaller, Luftretter oder Molekularköchin. Die Anordnung erlaubt mir einen direkten Vergleich mit der Ahnengalerie der Professoren am Eingang.

Modernes Hochschulmarketing in klassischer Repräsentation.

Verblüfft stelle ich eine ähnliche Ästhetik fest. Die Lehrenden sind vor schwarzem Hintergrund, standardisiert und entkontextualisiert abgebildet und mit einer Insignie, einem Objekt ausgestattet, das auf die jeweilige Disziplin verweist. Der Statik der Ahnengalerie ist jedoch eine fast filmisch anmutende Dynamik entgegengesetzt. Die kreative Wortneuschöpfung setzt auf ein Storytelling, deren Ausgestaltung meiner Phantasie überlassen wird. Statt Alter ist nun Jugend(lichkeit) der augenscheinliche Trumpf. Was auf den ersten Blick gendergerecht aussieht, blendet reale soziale Ungleichheiten und Grenzziehungen aus, etwa die schwierigen Bedingungen des überwiegend prekär und befristet angestellten Mittelbaus, Zugangshürden für Nicht-Akademikerinnen und -Akademiker, Barrieren für beeinträchtigte Menschen oder Kämpfe marginalisierter Studierendengruppen. Der Logik der Repräsentation scheinen wir – jedenfalls vorläufig – nicht so schnell zu entkommen.

Daniela Döring ist PostDoc und wissenschaftliche Koordinatorin am Promotionskolleg „Wissen / Ausstellen“, das die Präsentation von Erkenntnissen in Sammlungen und Museen erforscht.

Fotos: Christoph Mischke, Karsten Heck

Kugelpanorama durch die Ausstellung

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Schaufenster in die Antike

Wie sieht für uns die Welt der antiken Griechen und Römer aus? Als Althistoriker kommen mir sofort die Ausgrabungen von Athen und Pompeji in den Sinn. Sobald ich mich außerhalb meiner eigenen Disziplin bewege, erhalte ich auf eine solche Frage aber ganz andere Antworten: Für viele sieht die antike Welt aus wie im Film Gladiator oder wie in der Doku-Reihe Terra X.

Antike im Film – und in der Sammlung Stern.

Je weiter die Antike im Schulunterricht zurückgedrängt wird, desto populärer scheint sie vor allem im Fernsehen zu werden. Und wenn ich ganz ehrlich bin, müsste auch ich in meiner Antwort ein paar Filmbeispiele ergänzen. Über die Jahrtausende hinweg haben sich Menschen an der Darstellung der Antike abgearbeitet, haben immer neue Deutungen und zeitgebundene Bilder entworfen.

Warum ein Filmarchiv?

Wer auch immer sich heute mit der Epoche beschäftigt, wird von dieser Tradition beeinflusst, ob er sich dessen bewusst ist oder nicht. Aus meiner Sicht ist es daher nur folgerichtig, dass wir am Althistorischen Seminar Göttingen das weltweit erste altertumswissenschaftliche Filmarchiv eröffnen.

Sammeln, ordnen, bewahren und – öffentlich machen.

In der neuen Sammlung Stern finden sich Schul- und Dokumentarfilme zur antiken Geschichte, Filmdokumente von archäologischen Grabungen, Dokudramen in Settings von der Steinzeit bis in die Spätantike und vieles mehr. Die Bestände waren ursprünglich die Privatsammlung des Archäologen, Filmforschers und Museumspädagogen Tom Stern (1958 bis 2016). Wir waren uns in den vergangenen zehn Jahren immer wieder begegnet – die Schnittmenge von Leuten, die professionell Altertumswissenschaft und Filmstudien betreiben, ist relativ klein. Sein größtes Anliegen war, den Film als Medium der Wissensvermittlung zu diskutieren, innerhalb wie außerhalb von wissenschaftlichen Kreisen.

Juliette Harrisson von der Newman University Birmingham und Martin Lindner, Kustos der Sammlung.

Wir alle haben Vorwissen, Klischees und sonstige „Filter“ im Kopf, wenn wir uns mit der Antike befassen. Wäre es da nicht gut, wenn wir uns bewusstmachen, wie diese Filter aussehen und wie sie entstehen? Filme können die Antike auf begeisternde Weise anschaulich machen und sollten als eigenständige Kunstform ernst genommen werden. Umgekehrt sollten wir nicht kritiklos konsumieren, sondern die Sprache des Films mit all ihren Möglichkeiten und Grenzen verstehen lernen.

Die Anfänge

Nach Tom Sterns Tod wollte seine Familie sicherstellen, dass die Sammlung in diesem Sinn lebendig bleibt. Ich hatte das Glück, dass meine Ideen eines Lehr- und Lernarchivs von der Familie ebenso positiv aufgenommen wurden wie an der Universität Göttingen. Innerhalb von gut einem halben Jahr hatten wir die Basis für eine Übernahme und die Einrichtung einer neuen universitären Sammlung geschaffen.

Vor Ort in einem Keller in Essen wurde mir erst klar, worauf wir uns eingelassen hatten: Hunderte von Magnetbändern und Filmrollen lagen unsortiert in Kisten. Die bisherigen Bestandslisten stimmten nur näherungsweise mit den Etiketten auf den Medien überein, sofern es überhaupt eine Beschriftung gab. Am Abend türmten sich diese Kisten in meinem Göttinger Büro zu einer Ausgrabungsstätte der besonderen Art, und die zweite Karriere der Sammlung Stern begann.

Neu sortiert und eingeordnet: Hunderte von Filmrollen.

Wie macht man ein Archiv?

Wir hatten natürlich Kontakt zu anderen Filmarchiven gesucht und uns Anregungen geholt. Wir hatten Gelder eingeworben, um technische Ausstattung, Möbel und studentische Hilfskräfte bezahlen zu können. Wir hatten Arbeits- und Zeitpläne erstellt – mussten aber bald feststellen, wie schnell die Realität alle Konzepte über den Haufen werfen kann. Unsere Medien enthielten viel mehr Filme als gedacht. Andere waren in so schlechtem Zustand, dass wir unsere Prioritäten bei der Erfassung ändern mussten.

Derzeit digitalisieren wir 15 bis 20 Stunden Film pro Monat und sichern die Resultate auf den Medienservern der GWDG. Der Prozess ist langsam, aber wir müssen in Echtzeit vorgehen: um die Qualität zu prüfen und den Inhalt soweit zu sichten, dass wir die Filme hinterher mit Suchbegriffen in den Göttinger Universitätskatalog eintragen können.

16-Millimeter-Filmprojektor der amerikanischen Firma Bell & Howell, Modell Filmosound 1680.

Unsere Sammlung ist nicht nur ein Archiv, sondern auch ein Sonderstandort der Bibliothek. Können wir also aus dem Katalog einen direkten Zugriff auf unsere Medien ermöglichen? Leider nein. Aber wir können die Filme mit Schlagwörtern im Katalog sichtbar machen und sie als Archivalien in unseren Räumen für wissenschaftliche Zwecke nutzen. Die Sammlung Stern hat daher mehrere Filmterminals, die bereits gern und häufig aufgesucht werden – unter anderem von Studierenden, die in ihrem Forschungsprojekt den Einsatz von Dokumentarfilmen in Universität und Schule vergleichen.

Einst Seminarraum, jetzt Bibliothek.

Da uns kürzlich der Kieler Filmemacher und -forscher Kurt Denzer seine Buchbestände überlassen hat, brauchten wir einen Bibliotheksraum für 1.500 Bücher und Zeitschriftenbände. Auch den weihen wir zur Eröffnung der Sammlung am 11. Januar 2019 ein. Dabei wird ein Film laufen, den Tom Stern vor seinem Tod nicht mehr zu Gesicht bekam: Tom auf den Spuren von Agatha Christie. Ich werde mir still dazu denken: Und wir ab sofort auf den deinen.

Fotos: Jan Vetter

 

 

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Ausstellung Forum Wissen Hinter den Kulissen

Wer sucht, der findet: vom Pitch zum Partner

Das Feinkonzept für die 13 Räume des Wissens steht! Die konzeptionelle Arbeit ist damit abgeschlossen. Nun geht das kuratorische Team daran, die Ideen für die Basisausstellung des Forum Wissen umzusetzen. Ich bin seit Juni 2018 dabei: Michael Fürst, Referent für Ausstellen an der Zentralen Kustodie, Wahlberliner und gebürtiger Göttinger! Daher fasziniert mich das Forum Wissen als neue kulturelle Attraktion der Stadt ganz besonders.

Das bin ich, in der Mitte – im Gespräch mit Britta Nagel und Tanja Zöllner vom Atelier Brückner.

Noch eine Auswahl – noch mehr Expertise

Als ich in die Arbeit an der Ausstellung im zukünftigen Forum Wissen einstieg, lief das Auswahlverfahren für die Gestaltung der Basisausstellung bereits auf Hochtouren. Dabei handelt es sich um einen wichtigen Schritt für die weitere Arbeit an der Ausstellung. Die Gestalterinnen und Gestalter setzen die Ideen des Feinkonzepts in Entwürfe für die Gestaltung der Räume um. Dies geschieht natürlich in enger Abstimmung mit dem kuratorischen Team. Der Austausch ist ausgesprochen wichtig, damit die konzeptionellen Ideen richtig verstanden und entsprechend in Raumbilder umgewandelt werden können. So sieht das Feinkonzept zum Beispiel Räume wie Labor, Feld oder Reise vor. Wer schafft an diesen Orten, unter welchen Bedingungen und zu welchem Zweck Wissen? Wie können wir die Forschung unter kontrollierten Bedingungen, auf einer Grabung oder während der Zugfahrt veranschaulichen? Welche Methoden wollen wir auf welche Weise in den einzelnen Ausstellungsräumen inszenieren? Das alles gilt es mit den Szenografinnen und Szenografen – wie die Gestalter auch genannt werden – zu besprechen.

So sieht es aus, wenn sich das kuratorische Team trifft.

Um den richtigen Partner für die „Räume des Wissens“ zu finden, haben wir die Aufgabe europaweit ausgeschrieben. Von den 16 Gestaltungsbüros, die sich bewarben, haben wir sechs zum Pitch eingeladen. Ein Pitch bedeutet, die Agenturen senden ein Team nach Göttingen, das den eingereichten Entwurf persönlich vor einem Gremium präsentiert. Solch ein Pitch hilft nicht nur, mehr über die Entwurfsidee zu erfahren und Fragen zu klären, sondern eignet sich hervorragend, um einen persönlichen Eindruck von den Menschen zu bekommen, mit denen man möglicherweise zusammenarbeiten wird. Dabei war uns wichtig, dass die Gestalter sich auf unsere Ideen einlassen, diese auf originelle Weise in die Gestaltung der „Räume des Wissens“ einbringen. Ihre Entwurfsskizzen sollten neugierig machen und natürlich auch bezahlbar sein. Wir erstellten eine Matrix, die alle Kriterien festlegt, und die wir veröffentlicht haben. Sie zeigt auch den Schlüssel, nach dem wir die Agenturen bewertet haben. Und damit alles mit rechten Dingen zugeht, gab es eine Vergabeanwältin, die die Vorgänge mit Adleraugen verfolgte.

Kaum vorstellbar: Das werden die Räume des Wissens! Unsere Szenografin Tanja Zöllner auf der Baustelle.

Auf diese Weise fiel unsere Wahl auf das Gestaltungsbüro Atelier Brückner aus Stuttgart. Die Agentur hatte einfach die originellsten Vorschläge, Inszenierungen, die das Wissen-Schaffen in den Ausstellungsräumen wirklich erfahrbar machen. Hinzu kam ihre langjährige, internationale Expertise in der Ausstellungsgestaltung. So hat das Atelier Brückner unter anderem die Dauerausstellung im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln, im Filmmuseum Frankfurt am Main und im Staatlichen Museum für Archäologie in Chemnitz gestaltet. Aktuell arbeitet es an der Realisierung des Grand Egyptian Museum in Gizeh. Wir freuen uns sehr, nun mit diesen Profis an unserer Seite das Ausstellungskonzept realisieren zu können.

Vom Suchen und Finden

Die größte Herausforderung, die jetzt vor uns liegt, ist es, bereits bis Ende des Jahres gemeinsam mit den Kustodinnen und Kustoden der Sammlungen erste Objekte festzulegen, die tatsächlich in der Ausstellung gezeigt werden sollen. Die Vielzahl der Göttinger Universitätssammlungen – immerhin über 70 – macht dieses Unterfangen zu einer spannenden Aufgabe. Damit diese gelingt, kommunizieren wir viel, sowohl mit den Sammlungen als auch mit dem Atelier Brücker. Wir organisieren Skype-Konferenzen und Workshops, um uns auf einen gemeinsamen Stand zu bringen.

Objekt, Farbe, Licht … alles soll zusammenpassen.

Gemeinsam mit dem kuratorischen Team suchen wir intensiv nach Objekten und ihren Geschichten: In den vergangenen Wochen haben wir zahlreiche Sammlungen besucht, Gespräche geführt, diskutiert und eine Liste unserer Entdeckungen angelegt. Denn Grundlage für die Gestaltung der Ausstellung sind nicht allein Raumideen, sondern auch Objekte, die dort gezeigt werden. Besucherinnen und Besucher sollen diese in einem faszinierenden Raumeindruck erfahren können. Aus diesem Grund sprechen wir uns thematisch und inhaltlich mit den Mitarbeiterinnen des Atelier Brückner ab. Das Büro plant die genaue Position der einzelnen Objekte und Texte und wird auch den Vorgang des Ausstellungsbaus begleiten. Jede Vitrine und Texttafel, jede Raumgrafik und Medienstation wird von den Gestalterinnen auf die Erfordernisse des einzelnen Raums abgestimmt. Am Ende soll jeder Raum ein Erscheinungsbild bekommen, das unsere Besucherinnen und Besucher überzeugt.

Lassen Sie sich überraschen: ab 2020 für alle, die mehr wissen wollen.

Und wenn Sie jetzt fragen, welche Objekte wir denn nun in der Ausstellung zeigen, dann bitte ich Sie noch um etwas Geduld. Das verrate ich Ihnen gern beim nächsten Mal.

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Ausstellung Forum Wissen Sammlung

Geheimnisse der Göttinger Sammlungen

Die Ausstellung „Präparierte Natur. Was wissenschaftliche Objekte verbergen“ ist eröffnet. Studierende der Kunstgeschichte und der Kulturanthropologie haben in einem interdisziplinären Seminar die Ausstellungspraxis von Museen und Sammlungen analysiert und hinterfragt. Mit den Ergebnissen haben sie nun eine eigene Ausstellung entwickelt, die einen Ausblick auf das Forum Wissen gibt. Wir waren bei der Ausstellungseröffnung dabei und sprachen mit den Ausstellungsmacherinnen über Irritationsmomente, Detektivarbeit und Kuriositäten in den Göttinger Sammlungen.

Die Ausstellungsmacherinnen Melina Wießler, Frauke Ahrens, Sonja Nökel, Wiebken Nagel, Jennifer Pötzsch mit ihrer Seminarleiterin Magarete Vöhringer (v.l.n.r.) eröffnen die Ausstellung (Foto: Julian Schima)

Studierende stellen aus

Der Ausstellungsraum ist gut gefüllt, als Margarete Vöhringer vom Kunstgeschichtlichen Seminar gemeinsam mit den Studierenden des Seminars “Materialität des Wissens“ die Schau eröffnet. Die Präsentation ist in fünf verschiedene Abschnitte unterteilt, die jeweils ein Sammlungsobjekt unter die Lupe nehmen. Die Objekte werden in einem ganz neuen ästhetischen Kontext präsentiert – eine Auseinandersetzung mit der gängigen Ausstellungspraxis. Selbstsicher und souverän referieren die Studentinnen über ihre Projekte.

Die Studierenden sind tatkräftig am Aufbau beteiligt (Foto: Wiebken Nagel)

Das Potwalskelett und ein Menschenschädel zu neuem Leben erweckt

Wiebken Nagel begleitete mit einer Kamera den Umzug des Walskeletts aus dem Zoologischen Museum. Auf diese Weise konnte sie neue Perspektiven festhalten, die man in der bisherigen Ausstellung des Wals nicht fand. Die Kulturanthropologiestudentin zeigt ihre Aufnahmen in einer Videoinstallation. Ganz nah führt sie die Betrachtenden an die Einzelteile. Details werden sichtbar, die in der Präsentation vorher verborgen geblieben waren: Schrauben, die das Skelett sonst zusammenhalten, erscheinen auf einmal im Blickfeld. So wird bewusst, dass die ausgestellte Natur vom Menschen konstruiert ist: Ein Haufen Knochen, der mühsam zusammengefügt und fixiert in der Ausstellung als heiles Skelett präsentiert wird.

 

Auch Jennifer Pötzsch befasst sich mit Knochenmaterial: Sie näherte sich einem Schädel aus der Blumbachschen Sammlung über eigene Zeichnungen an. Ihr Interesse gilt der Kulturgeschichte von Totenschädeln. Sie sind und waren Kultgegenstände, Kunstobjekte oder Forschungsobjekte in der modernen Wissenschaft. Heute können Forschende mit ihren Instrumenten und Methoden die Lebensgeschichte des verstorbenen Menschen hinter dem Schädel zu neuem Leben erwecken.

Die Gestaltung der Schauvitrine zum Objekt aus dem Göttinger Herbarium (Foto: Wiebken Nagel)

Science meets art

In einem Schaukasten liegt der Roman „Die Vermessung der Welt“ von Daniel Kehlmann neben getrockneten Pflanzen aus dem Göttinger Herbarium. Melina Wießler, Studentin der Kunstgeschichte und Literaturwissenschaften, verbindet in ihrer Anordnung gekonnt Dürer, Tucholsky und Kehlmanns Abenteuerroman mit einem 200 Jahre alten Herbarium – und reflektiert über das Beziehungsgeflecht zwischen Kunst und Wissenschaft. Hier verbinden sich die wissenschaftliche Sammel- und Dokumentationstätigkeiten mit kulturellen Erzeugnissen. Wießler interessiert sich dafür, wie Erzählungen und bildende Kunst das Bild der Forschung in der Öffentlichkeit prägen.

Der Kustos der Zoologischen Sammlung, Gert Tröster (links), bringt eigenhändig den Handschuh aus Muschelseide in die Ausstellung (Foto: Wiebken Nagel)

Natur und Kultur

Sonja Nökel ging der Objektbiographie eines Handschuhs aus Muschelseide nach, der aus der Zoologischen Sammlung stammt. Muschelseide stellte man seit der Antike aus dem Faserbart der Rauen Schinkenmuschel her, mit dem sich diese am Meeresboden festhält.  Die Kunstgeschichtsstudentin interessiert sich vor allem für das Zusammenspiel von Natur und Kultur, das durch den fertigen Handschuh verdeckt wird: Hinter der bloßen Ansicht des Materials verbergen sich gleichsam der natürliche Stoff und dessen aufwändige Beschaffung und Verarbeitung durch den Menschen. Diese sichtbar zu machen, gelingt nur mittels Recherche und Beschreibung in der Ausstellung des Objekts.

Materialität des Wissens

Vöhringer berät bei der Gestaltung der Sektionen (Foto: Wiebken Nagel)

Die Studierenden haben die Ergebnisse für ihre Ausstellung innerhalb des Seminars zu wissenschaftlichen Präparaten erarbeitet. „Im Mittelpunkt des ersten Semesters stand die Beschäftigung mit den Objekten sowie die Vermittlung theoretischer Kenntnisse zur Ausstellungs- und Sammlungspraxis“, sagt Vöhringer, Professorin für Materialität des Wissens. Zu ihrer interdisziplinären Professur gehört es, die Göttinger Sammlungen für Forschung und Lehre zu nutzen und zu untersuchen. Die Seminarteilnehmerinnen besuchten unter anderem die Zoologische Sammlung, die Blumenbachsche Schädelsammlung und das Herbarium. Sie begannen zu hinterfragen: Welche Objekte werden ausgestellt und warum? Wie werden sie präsentiert? Das führte zu Irritationsmomenten.

Nomen est omen?

Das Korallenskelett (Foto: Frauke Ahrens)

Frauke Ahrens, Studierende der Kulturanthropologie, richtete ihr Augenmerk auf die wissenschaftliche Namensbezeichnung ausgestellter Objekte. Sie fragte sich, warum es aus naturwissenschaftlicher Perspektive kein Interesse an der historischen Namensentstehung gibt. „Im Bewusstsein der Forschung ist nur der aktuelle Name des Objekts von Interesse“, sagt Ahrens. Die Studentin stellt ein Korallenskelett aus der Zoologischen Sammlung aus, für das in der Fachwelt gegenwärtig drei verschiedene Namen kursieren. „Die Beschriftung von Gegenständen in Museen suggeriert, dass ihre Namen feststehen“ erklärt die Kulturanthropologin. „Das verschweigt den Prozess und die Widersprüche in der Namensgebung.“ Mit ihren Recherchen zeigt die Studentin exemplarisch an der Namensgeschichte ihrer Koralle die Wandelbarkeit von Forschungsergebnissen auf.

Museale Perspektiven

Die Projektleiterin ist sichtlich stolz auf ihre Studentinnen: „Alle haben sich sehr intensiv im Seminar eingebracht.“ Die Erkenntnis darüber, dass die Präsentation von Wissen auch immer die Perspektive der Ausstellungsmacher widerspiegelt, ist eines der didaktischen Lehrziele, auf das Vöhringers Seminar ausgerichtet war. „In dem Seminar habe ich gelernt, Ausstellungen mit anderen Augen zu sehen“, sagt Wießler. „Mir wurde bewusst, dass ein Museum uns immer die eigene kulturell geprägte Perspektive aufdrückt.“

Wießler referiert über ihr Ausstellungsprojekt (Foto: Julian Schima)

Auf dem Weg zum Forum Wissen

Die erfolgreiche Ausstellung „Präparierte Natur“ gibt einen Ausblick auf Teile der Ausstellungspraxis des künftigen Forum Wissen: Studierende forschen an Objekten der Göttinger Sammlungen, können sich in der Ausstellungspraxis erproben und vermitteln die Entstehung des Wissens vom Beginn über Irrwege bis ans Forschungsziel – und auch das, so wissen die Studentinnen nun, ist nicht in Stein gemeißelt. Wer also wissen möchte, wie Ausstellungskonzepte im Forum Wissen aussehen können, sollte diese Ausstellung im Alten Auditorium, Raum 0.111, an der Weender Landstraße 2 nicht verpassen. Die Schau ist bis zum 30. März 2019 jeden 1. und 3. Sonntag des Monats von 11 bis 13 Uhr geöffnet.

 

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Engagement Forum Wissen

„Wir wollen’s wissen“ startet in die zweite Runde

Seit dem Beginn unserer Kampagne im Herbst 2017 hat sich einiges getan: Mehr und mehr Göttingerinnen und Göttinger engagieren sich für das Forum Wissen. Sie bringen ihre Ideen im Förderkreis ein, spenden Geld oder erzählen als Botschafter, warum sie das zukünftige Wissensmuseum unterstützen. Dabei immer präsent: die blaue Brille!

Diese tragen nun auch ein Erlebnisführer aus dem Harz, eine Schulleiterin aus Hann. Münden und ein Hotelmanager, der weit über die Region hinaus bekannt ist: Christian Barsch, Heidrun Korsch und Georg Rosentreter sind es, die auf den Billboards in Göttingen und Südniedersachsen für die „Marke Forum Wissen“ stehen. Wir sind neugierig und wollten wissen, was die neuen Botschafter antreibt, sich für das Projekt der Universität Göttingen zu engagieren.

Christian Barsch, Göttinger Alumnus und Harz-Erlebnisführer

Verschmitzt guckt er hinterm Baum hervor. Der Ur-Harzer ist von klein auf mit der Natur verbunden – eine Passion, die er mit dem Studium der Forstwissenschaften an der Universität Göttingen konsequent fortführte. Heute leitet Barsch das Museumsbergwerk Grube Samson in St. Andreasberg, das zum Weltkulturerbe Oberharzer Wasserwirtschaft gehört. In seinen Erlebnisführungen vermittelt der Göttinger Alumnus die Kultur- und Naturgeschichte des Harzes. „Das ist ein historischer Ort, an dem wir zeigen können, was Nachhaltigkeit bedeutet.“ Nachhaltige Bildung, die Leben, Arbeiten und Lernen prägt, möchte Barsch vermitteln. „Nur so können wir das Erbe unserer Kultur und unserer Natur bewahren.“ Aus diesem Grund unterstützt der begeisterte Wanderer auch das Forum Wissen: „Weil es uns die Vergangenheit näherbringt, die Gegenwart beleuchtet und uns inspiriert, unsere Zukunft verantwortungsvoll zu gestalten.“

Georg Rosentreter, Geschäftsführender Gesellschafter FREIGEIST & FRIENDS  und FREIdenker

Als FREIgeist geht Georg Rosentreter gerne ungewöhnliche Wege, um ans Ziel zu kommen. Unter anderem möchte der gelernte Hotelfachmann mit seinen FREIgeist-Hotels viele Menschen an ungewöhnlichen Standorten in Südniedersachsen zum Querdenken anregen.

Der Name FREIgeist ist Programm: Er steht für einen Ort der freien Denker, für Menschen, die sich durch ungewöhnliche Orte inspirieren lassen und urbane Konzepte mögen. Gleiches gilt für das Forum Wissen. Und da sich auch im Hotel FREIgeist Göttingen alles um das Thema Wissen dreht, engagiert sich Rosentreter als Botschafter. Darüber hinaus unterstützt das Hotel seinen Nachbarn mit einer Raumpatenschaft für den Freiraum im zukünftigen Museum. „Wissen geht schließlich jeden etwas an und macht durstig!“, so der Geschäftsmann. Um den Wissensdurst zu stillen, arbeitet sein Team an der HERBARIUM Bar des Hotels Hand in Hand mit dem Team des Alten Botanischen Gartens der Universität Göttingen zusammen. „Um in der Natur neue Zutaten und Inspirationen für die Drinks zu entdecken.“ Was dabei herauskommt? Zum Beispiel VON HALLERS Gin und spannende Signature Drinks.

„Göttingen steht für Wissenschaft und mit dem Forum Wissen als Nachbarn war es klar, dass sich auch in unserem Haus alles um Wissen drehen wird“, so Rosentreter. Die Bücher in der Hotellobby stammen unter anderem aus der Uni-Bibliothek. Mit der Kuratorin der Göttinger Sammlung von Algenkulturen spricht der Küchenchef über essbare Algen. „Wir wollen, dass unsere Besucher sich sofort im Göttinger Wissenschafts-Flair zuhause fühlen.“

Heidrun Korsch, Schulleiterin und neugierige Entdeckerin

„Gerade für die Region ist das Forum Wissen ein Gewinn“, so die engagierte Lehrerin, die in Hann. Münden das Grotefend-Gymnasium leitet. Das zukünftige Wissensmuseum wird ihrer Meinung nach die Neugierde der Schülerinnen und Schüler wecken. Ein Anliegen, das Heidrun Korsch am Herzen liegt: Denken soll Spaß machen! Das versucht die studierte Germanistin und Geografin auch in ihrem Unterricht umzusetzen. Dabei ist sie durchaus für Späße ihrer Schützlinge offen. Die frisch gebackenen Abiturienten verkleideten ihre Direktorin kurzerhand mal als Albus Dumbledore. Hogwarts und Forum Wissen? „Etwas Zauberhaftes haftet beiden an“, so Heidrun Korsch, die mit Freude an den neuen Anziehungsort denkt, der sicher Groß und Klein zum Entdecken einlädt.

Wer jetzt fragt, wo unsere Botschafter zu sehen sind, kann hier fündig werden:

Gerne können Sie ein Foto mit Billboard oder Plakat auf unserer Facebook-Seite Forum Wissen GÖ oder auf Instagram posten. Nicht vergessen: #wirwollenswissen.

 

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Ausstellung Sammlung

Theater in der Gipsabgusssammlung

In der Schauspielperformance „Komm und sieh die Stadt der Freiheit!“ führt die historische Persönlichkeit Johann Joachim Winckelmann (1717–1768) durch die Sammlung der Gipsabgüsse antiker Skulpturen im Archäologischen Institut der Universität Göttingen. Nach der Premiere am 16. Juni wird das Stück am 24. Juni, 1. und 8. Juli 2018 jeweils um 16 Uhr zu sehen sein. Julian Schima war bei den Proben dabei und sprach mit dem Schauspielteam und dem Ausstellungsleiter darüber, warum man das Stück auf keinen Fall verpassen sollte.

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Engagement

Schaufenster fürs Forum Wissen

Ein Storch im Café Cortés? Seit einigen Tagen hängt das farbenfrohe Bild in der kleinen, gemütlichen Oase Göttingens, ausgewählt hat es Rahel Winterstein. „Es passt einfach zu unserem süßen Repertoire“, so die Inhaberin des Cafés. Denn hinter dem Storch, der ein Wickelkind im Schnabel trägt, verbirgt sich die Form für ein Hochzeitsgebäck aus dem 19. Jahrhundert. Das Objekt aus der Sammlung „Symbole des Weiblichen“ spiegelt die Wünsche an das einstige Brautpaar. „Das ist eine schöne Idee, genauso wie das Forum Wissen“, fügt die Göttingerin hinzu.

Was bringt die Zukunft? Storch mit Wickelkind im Café Cortés.

Auf dem Weg zum Forum Wissen

Gemeinsam mit acht weiteren Geschäften und dem Deutschen Theater unterstützt Rahel Winterstein die Kampagne „wir wollen’s wissen“: Sie alle haben in ihren Schaufenstern oder Räumen Fotoleinwände aufgestellt, die Objekte aus den Sammlungen der Uni Göttingen vorstellen. „Welchen Bezug diese zu den jeweils angebotenen Waren haben, kann jetzt jeder bei einem Stadtbummel erkunden“, so Isabel Pagalies. Die wissenschaftliche Volontärin der Zentralen Kustodie hat die Objekte, ihre Herkunft und Besonderheiten recherchiert. „Rast vor der Schenke“ aus der Mitte des 17. Jahrhunderts gehört zu ihren Lieblingsstücken: Die ländliche Wirtshauszene hat der niederländische Künstler Jan Victor gemalt. Ein Genrebild, das nun vorübergehend Bremers Repertoire erweitert.

Erfrischend! Das Schaufenster der Weinhandlung Bremer.

Stichhaltig und unbeschreiblich

Im Piercingstudio Groovy hängt dagegen das Fragment einer geschmückten Tonfigur aus präkolumbianischer Zeit. Das heißt, es wurde wohl zwischen 700 vor bis 350 nach Christus geschaffen. Der Kopf ist an den Ohren durchstochen, links ist ein vergoldeter Ring erhalten geblieben. Nach Isabel Pagalies verweist das Objekt in idealer Weise auf das geplante Forum Wissen: „Auch hier wollen wir zu Diskussionen anregen, die stichhaltig und reich an Argumenten sind“.

Stichhaltig! Kopf mit Hals-und Ohrenschmuck im Piercingstudio Groovy.
Unbeschreiblich! Tintenfass und Spitzfeder aus dem 18. Jahrhundert bei Wiederholdt.

Daher heißt es im Schaufenster von Wiederholdt auch „Unbeschreiblich! Ab 2020 – für alle, die mehr wissen wollen: Forum Wissen Göttingen”. Das hier zu sehende Tintenfass mit Spitzfeder gehörte einst dem Göttinger Historiker und Staatsrechtler August Ludwig von Schlözer; heute bewahrt es die Schlözer-Stiftung in der SUB Göttingen auf. Neben Kunst- und Alltagsgegenständen finden sich hier auch viele Bücher und Handschriften aus dem Nachlass der Familie. „Auf diese Weise können wir zugleich auf die reichhaltigen Bestände in den Sammlungen der Universität aufmerksam machen”, so die studierte Ethnologin, Kunsthistorikerin und Kulturanthropologin.

Einblicke in die Welt des Wissens

Einblicke! Isabel Pagalies und das Modell eines menschlichen Auges in der Brillen Galerie.

Die abgebildeten Objekte stammen aus unterschiedlichen Fachbereichen: Die Zentrifuge beim Elektrofachhändler GEMOG kommt aus dem Museum der Göttinger Chemie, der Kupferstich von Stempel Bergen aus der Kunstsammlung und das vergrößerte Modell eines menschlichen Auges in der Brillen Galerie aus dem „Physicalischen Cabinet“. „Georg Christoph Lichtenberg hat damit physikalische Zusammenhänge erklärt”, betont Isabel Pagalies stolz. Gemeint ist zum Beispiel der Abbildungsvorgang im Auge. Es sind Einblicke in die Welt des Wissens, die nun auch auf zehn verschiedenen Postkarten in den Geschäften, den Sammlungen und in der Zentralen Kustodie zu erhalten sind.

Noch bis Juli sind die Objekte zu entdecken, unter ihnen auch ein Regenhemd der Inuit, die in Form eines Hundes geschnitzte Kopfbank oder indonesische Schattenspielfiguren. Wo? Das verraten wir nicht, wünschen aber viel Spaß beim Suchen!