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Sammlung

Schaufenster der Dinge

Was haben ein Buntwaran, ein Doppelkompass und Oberschenkelknochen gemeinsam? Sie gehören zum Sammlungsschaufenster des Forum Wissen.

Blick ins Sammlungsschaufenster des Wissensmuseum.

Doch wer kennt die vielen Objekte aus den Laboren und Werkstätten, Bibliotheken und Büros der Uni Göttingen schon? Daher wollen wir euch einige von ihnen in den kommenden Wochen hier auf unserem Blog und auf Instagram, Facebook und Twitter vorstellen. Ihr könnt also gespannt sein. Soviel vorab: Alle Objekte kommen aus unseren über 40 Sammlungen. Ihr könnt sie im Sammlungsschaufenster sehen. Sie zeigen, wie an einer Universität geforscht und gelehrt wird.

Buntwaran (Biodiversitätsmuseum), Doppelkompass (Geophysik) und Oberschenkelknochen (Anthropologie).

Und wenn ihr selbst mehr über eine Sammlung erfahren möchtet, dann schreibt es uns in die Kommentare. Wir nehmen eure Fragen und Anregungen gern mit auf. Ansonsten freut euch auf den 6. März 2023. Dann starten wir und laden euch ein, jeden Montag mit uns einen Blick ins Schaufenster zu werfen. Los geht es mit der Sammlung Stern, dem Althistorischen Filmarchiv. Lasst euch überraschen!

Fotos: Martin Liebetruth

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Forum Wissen Sammlung

Das war die 5. Nacht des Wissens

Wenn Wissen wachhält: Letztes Wochenende durften wir euch zur 5. Nacht des Wissens begrüßen. Tüfteln am Mikroskop oder selbst einen Gipsabguss herstellen – im Forum Wissen und den Sammlungen konnten sich Jung und Alt nach Belieben austoben: Unsere Galerie zeigt die schönsten Impressionen.

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Hinter den Kulissen Sammlung

Ein echter Linné im Göttinger Herbarium

Beim Digitalisieren des Herbariums stieß ich auf eine Pflanze, deren Etikett die Abkürzung „h.L.“ trug. Ich stutzte: Es war die Sammlung des Botanikers Jakob Friedrich Ehrhart, einer der letzten Schüler Carl von Linnés in Uppsala. Es ist bekannt, dass Linné ihm Herbarpflanzen geschenkt hatte.

Herbarbeleg mit originaler Handschrift und Barcode für das Digitalisat. Foto: Natascha Wagner.

„h.L.“ – Herbarium Linnaeus!

War das ein originaler Herbarbeleg des berühmten Botanikers? Ehrharts Biografie sprach dafür: Nach seiner Zeit in Uppsala wurde der Schweizer Direktor der Herrenhäuser Gärten in Hannover und mit seinem Tod gelangte sein Herbarium an die Göttinger Universität. In einem 1824 erschienenen Katalog des Ehrhart-Herbariums fand ich zudem die Abkürzung „h.L.“. Sie steht für „Herbarium Linnaeus“.

Ich in einem der acht Sammlungsräume des Göttinger Herbariums. Foto: Natascha Wagner.

Damit hatte ich einen ersten Hinweis, dass es sich tatsächlich um eine von Linné gesammelte und gepresste Pflanze handeln könnte. Ein weiterer Hinweis war, dass Linné in seiner einflussreichen Publikation Species Plantarum die Nummer „5“ für die Art Holcus odoratus, das duftende Mariengras, verwendete. Beides – Nummer und Artname – ist auf unserem Etikett vermerkt. Mittlerweile hat die Linnean Society bestätigt, dass es sich um eine von Linné gesammelte Pflanze handelt und die „5“ in Linnés Handschrift geschrieben ist.

Carl von Linné – Begründer der modernen biologischen Nomenklatur

Der Schwede Carl von Linné (1707–1778) ist sicherlich der bekannteste Botaniker aller Zeiten. Er wurde vor allem durch seine hierarchische Klassifikation von Pflanzen, Tieren und Mineralien sowie durch die Etablierung der binominalen Nomenklatur berühmt. Mit dieser neuen Art, Organismengruppen wissenschaftlich zu benennen, löste der Naturforscher die häufig langen Artbezeichnungen in lateinischer Sprache ab.

Mitten in diesem Faszikel verbirgt sich die Pflanze von Linné. Foto: Natascha Wagner.

Linné verwendete stattdessen nur zwei Wörter: Eins charakterisiert die Gattung, das andere die Art. Diese Methode erwies sich als äußerst praktikabel und stellt den Ausgangspunkt der modernen Nomenklatur dar. Linnés Herbarium befindet sich heute in den Sammlungsschränken der Linnean Society in London und nur wenige andere Institutionen besitzen Pflanzen, die Carl von Linné gesammelt hat. Seit kurzem gehört auch das Göttinger Herbarium zu diesem illustren Kreis.

Hier digitalisieren wir unsere Herbarbelege. Foto: Natascha Wagner.

Eine riesige Schatztruhe – das Göttinger Herbarium

Die etwa 800.000 getrockneten Pflanzen unserer Sammlung stammen aus der ganzen Welt. Die ältesten unter ihnen sind mit über 300 Jahren sogar älter als die Göttinger Universität. Genauso spannend wie die Pflanzen selbst sind auch die unzähligen Sammler*innen und ihre Reisen, auf denen sie die Pflanzen gesammelt haben. Daher haben wir im Herbarium zum Beispiel Pflanzen, die Alexander von Humboldt (1769–1859) in Ecuador am Fuße des Chimborazo sammelte – der damals als höchster Berg der Welt galt. Georg Forster (1754–1794) brachte viele neue Arten von der zweiten Südseereise James Cooks mit und Amalie Dietrich (1821–1891), eine der ersten Pflanzenjägerinnen, verdanken wir eine außergewöhnliche Sammlung australischer Moose.

Von Linné gesammelt: das duftende Mariengras. Foto: Marc Appelhans.

Gibt es noch mehr Linnés, Humboldts etc. in Göttingen?

Zurzeit haben wir weniger als 10 Prozent der Pflanzen im Göttinger Herbarium digitalisiert und datenbanklich erfasst. Daher kann es durchaus sein, dass weitere Herbarbelege von Linné oder anderen bedeutenden Botaniker*innen auftauchen. Wir finden zum Beispiel regelmäßig neue Typusbelege, also Pflanzen, die für die Erstbeschreibung einer neuen Art verwendet worden sind und die eine Art „Geburtsurkunde“ darstellen. Es gibt also noch viel zu tun und viel zu entdecken.

Der Autor ist Kustos des Göttinger Universitätsherbariums. лучшие банки где взять кредит потребительский

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Sammlung

Un | entdeckt: Göttingens botanische Lehrtafeln

Über 2.000 botanische Wandtafeln schlummerten hinter Vorhängen und in Schränken verborgen im Albrecht-von-Haller-Institut für Pflanzenwissenschaften der Universität Göttingen. Unbewegt und über viele Jahre kaum genutzt, waren sie im Vorraum zum Hörsaal gelagert worden – bis die Zentrale Kustodie die Sammlung übernahm, sie bewahrte und ihr neues Leben einhauchte. 2018 wurden die Tafeln in einem zweiwöchigen Sprint digitalisiert und umgesiedelt, doch bis heute ist der Bearbeitungsprozess nicht ganz abgeschlossen. Dies ist die Geschichte des un | entdeckten Schatzes der Göttinger botanischen Lehrtafeln.

Lagerung der Tafeln im Albrecht-von-Haller Institut. Foto: Friederike Röpke.

Eingerollt, eingestaubt und wiederentdeckt

Ich hob die etwa einen Meter lange Papierrolle hoch und eine Staubwolke kam mir entgegen. Nach einem kurzen Hustenanfall war ich mir sicher, dass ich beim nächsten Mal einen Mundschutz tragen werde. Mit Handschuhen und einer Leiter ausgestattet stand ich im Albrecht-von-Haller-Institut und zählte die teils eingerollten, teils aufgehangenen, teils in Schränken verstauten Lehrtafeln. Es war im Februar 2018 und meine Aufgabe als studentische Hilfskraft der Zentralen Kustodie bestand darin, die Menge und den Zustand der pflanzenwissenschaftlichen Tafeln zu sichten. Dass unter diesen verstaubten Tafeln ein regelrechter Schatz an verschiedenen Wandtafeln aus dem 19. und beginnenden 20. Jahrhundert lagerte, habe ich zu dem Zeitpunkt schon geahnt, den Umfang aber bei weitem nicht einschätzen können.

Geputzt und fotografiert: der Digitalisierungssprint 2018

Der Digitalisierungssprint begann im März 2018. Eine Gruppe von sechs Student*innen, die zwei Wochen lang von morgens bis abends die Tafeln entstaubten, entrollten, ab- und wieder aufhängten, fotografierten, inventarisierten, alles in allem: digitalisierten. Dafür bauten wir eine Digitalisierungsstation im Hörsaal des Albrecht-von-Haller-Instituts auf.

Unsere Digitalisierungsstation. Foto: Karsten Heck.

Wir waren in Gruppen eingeteilt: Zwei von uns waren für das Säubern und Eintragen der Metadaten in die Datenbank naniweb zuständig. Zwei andere arbeiteten an der Fotostation – eine Person hinter der Kamera, die andere drehte die Tafel, sodass sowohl Vorder- als auch Rückseite abgelichtet werden konnten. Zwei weitere kümmerten sich um die Logistik: Eine transportierte die Lehrtafeln vom Vorraum des Hörsaals zu den jeweiligen Stationen und die andere holte die Tafeln von der Stange bzw. brachte sie entstaubt und fotografiert – also fertig digitalisiert – wieder zurück an ihren Platz. In diesem Video von Michael Markert wurde der Sprint eingefangen.

Umzug der Tafeln aus dem Albrecht-von-Haller-Institut in die Zentrale Kustodie. Foto: Detlef Schnier.

Übrig blieben die kleineren, liegenden, in der Regel älteren Tafeln aus den Schränken. Diese brachten wir in die Zentrale Kustodie im Auditorium. Wir digitalisierten sukzessive die restlichen Tafeln, unter anderem vor Publikum am Tag der offenen Sammlung im Mai. Somit konnten die Besucher*innen live einen Einblick in die Digitalisierungsarbeit der universitären Sammlungen erhalten. Im Juli 2018 waren dann alle Wandtafeln fotografiert, in der Datenbank erfasst und konnten in den neuen Depotraum umziehen.

Geordnet und veröffentlicht: die Datenbankarbeit 2018–2020

Bei der Eingabe der Tafeln in die Datenbank waren häufig zunächst vorläufige Inventarnummern vergeben worden. Nun arbeitete ich mich durch das System zur Ordnung der Lehrtafeln hindurch. Denn die insgesamt 2.095 Tafeln stammten entweder aus verschiedenen publizierten Reihen oder waren am Institut selbst hergestellt worden: etwa 1.400 handgezeichnet und koloriert! Ein kleiner Teil davon, der älteste, enthielt einige originale Vorlagen für Publikationen von Albert Peter, Professor für Botanik in Göttingen von 1888 bis 1923. Er hatte selbst Reihen von Lehrtafeln veröffentlicht. Neben Titeln und Metadaten erfasste ich auch Angaben zu den Hersteller*innen, beteiligten Personen und/oder  Institutionen.

Ich während der Digitalisierung beim Tag der offenen Sammlungen Mai 2018. Foto: Peter Heller.

Es stellte sich heraus, dass sich unser publizierter Bestand von fast 700 Tafeln aus etwa 20 verschiedenen Reihen von botanischen Lehrtafeln zusammensetzte. Die inhaltliche Vielfalt erstreckte sich von heimischen Giftpflanzen über Zellwachstum und morphologischen Darstellungen bis hin zur Verbreitung von Pflanzenarten. Die großformatigen Blätter waren oftmals Lithographien, die Pflanzen in Ansichten, Details und Schnitten zeigten, aber auch Landschaftsdarstellungen.  Selbst wenn das in den Tafeln dargestellte Fachwissen heute teilweise obsolet sein mag, ist doch die historische Bedeutung im Hinblick auf eine spezifische Lehrpraxis und einen wissenschaftlichen Kanon durch sie in anschaulicher Weise festgehalten. Zudem beeindrucken die botanischen Lehrtafeln durch ihren visuellen Reichtum.

Eine meiner Favoriten: Taxus baccata. Aus dem Dodel-Port Atlas. Carolina Dodel-Port sec. Dr. W. Kellermann & ad nat: del., J.F. SCHREIBER.ESSLINGEN. Foto: Zentrale Kustodie.

Ausgemalt und ausgestellt: Die Zukunft der Tafeln

Die Tafeln, die nun an ihrem neuen Platz schlummern, sind zumindest digital noch lebhaft in Bewegung. Sie sind im Sammlungsportal der Universität veröffentlicht und wurden zudem kürzlich im Rahmen des Coding da Vinci Niedersachsen (ein Hackathon für offene Kulturdaten) von einem Team ausgewählt. Dieses möchte aus dem Bildmaterial einen Mandala-Generator namens „Plantala“ generieren: Die entstandenen Mandalas kann man dann herunterladen, ausdrucken und beliebig ausmalen. Ein zweites Team interessiert sich dafür, ob die hochauflösenden Bilder, in denen viel Text versteckt ist, mittels Methoden des machine learnings analysiert werden können. Vielleicht entwickeln sich noch weitere Möglichkeiten zur digitalen Nutzung der Tafeln – sei es, um diese weiter zu erschließen und zum Beispiel die heutige, aktuelle Taxonomie zu ergänzen oder gar die Schrift zu transkribieren. Im Digitalen ist der Arbeit mit den Tafeln eigentlich kein Ende gesetzt. Während die Sammlung heute im Depot schlummert, holen wir die Tafeln digital ins 21. Jahrhundert.

Die Tafeln in ihrem neuen Depot im Auditorium. Foto: Detlef Schnier.

Zudem werden einige botanische Lehrtafeln im künftigen Forum Wissenкредитная карта без отказа онлайн с доставкой sichtbar sein. Welche das sind und wo sie hängen, wollen wir an dieser Stelle nicht verraten. Sie sollen ja die Möglichkeit haben, sie selbst zu entdecken!

Die Autorin ist studentische Hilfskraft in der Zentralen Kustodie der Universität Göttingen.

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Hinter den Kulissen Sammlung

Eine bunte Göttin – Farbrekonstruktion der Artemis aus Pompeji

Seit langem ist bekannt, dass die Antike nicht marmorweiß war, sondern dass Griechen und Römer ihre Statuen, Büsten und Reliefs bunt bemalten. Das gilt auch für die Göttin der Jagd, Artemis – oder Diana, wie die Römer sie nannten.

Die originale Artemis-Statue im Depot des Nationalmuseums in Neapel, Foto: Vinzenz Brinkmann.

Frischer Gipsabguss in der Werkstatt, Foto: Jorun Ruppel.

Ende 2017 erhielten wir am Archäologischen Institut die Anfrage, ob wir einen Gipsabguss der Artemis aus Pompeji für das Winckelmann-Museum in Stendal anfertigen könnten.  Für die anschließende Farbrekonstruktion waren die Frankfurter Archäologen Ulrike Koch-Brinkmann und ihr Mann Vinzenz Brinkmann verantwortlich, die auch hinter der berühmten Ausstellung Bunte Götter stecken. Für die Ausstellung hatten wir bereits eine Artemis aus Gips produziert, die eigens dafür angefertigte Form aus Silikon und Glasfaserlaminat lag noch vor. Wir sagten daher zu und entschlossen uns, gleich zwei neue Abgüsse herzustellen: einen für Stendal und den anderen für uns, die Göttinger Sammlung der Gipsabgüsse antiker Skulpturen.

Das Original

Wenn es darum geht, die Farben einer Skulptur zu rekonstruieren, kann man nicht einfach so drauflos malen, sondern benötigt Hinweise auf das ursprüngliche Aussehen. Als die Artemis-Statue vor 260 Jahren, am 19. Juli 1760, bei Ausgrabungen in Pompeji zum Vorschein kam, waren deutliche Spuren ihrer Bemalung sichtbar. Im Grabungstagebuch werden unter anderem hautfarbene Arme erwähnt – ein wichtiger Hinweis, denn bis heute ist die Fachwelt in der Frage “Hautfarbe ja oder nein” gespalten. Auch Johann Joachim Winckelmann, der die Statue eineinhalb Jahre später sah, äußerte sich in seinen Notizen zur Bemalung: “Die Haare der Hetrurischen Diana waren gelb gefärbet, auch die Augäpfel waren gemahlet. Der Riem des Köchers ist roth. Der äußere kleine Rand des Gewandes ist gelb und schmal, auf dem breiten rothen Streifen sind weiße Blumen gemahlet. An ihrem Diadema, welches rund um den Kopf gehet, sind 10 Rosen erhaben, roth gemahlet.” (Wiedergegeben von Oliver Primavesi in: Die Artemis von Pompeji und die Entdeckung der Farbigkeit griechischer Plastik, Stendal 2011).

Nicht nur die Bemalung der Artemis-Statue interessierte Winckelmann, sondern auch ihre stilistische Einordnung. Zunächst hielt er sie für ein etruskisches (= ‚hetrurisches‘) Werk, kam Jahre später aber zu dem Schluss, dass sie einen frühen griechischen Stil zeigte. Heutige Archäolog*innen sehen zwar ebenso frühgriechische Stilelemente der archaischen Kunst des 6. Jahrhunderts vor Christus, wissen jedoch, dass die Römer diesen Stil imitierten. So bezeichnen sie die Artemis als eine archaistische Skulptur und datieren sie in die Zeit von Kaiser Augustus. Typische Stilmerkmale sind die Zickzackfalten des Mantels oder die etwas steife Körperhaltung.

Die Suche nach den Farben

Mehr als 70 Jahre nach ihrer Auffindung erschien erstmals eine farbige Abbildung der Artemis aus Pompeji und zwar in einem Werk des französischen Archäologen Désiré Raoul Rochette, in dem er sich mit Farbe an griechischen und römischen Sakral- und Profanbauten befasste. Seinem Göttinger Kollegen Karl Otfried Müller, mit dem er regelmäßig korrespondierte, schickte er vorab einen kolorierten Probedruck des Stiches. Er zeigt Artemis mit goldgelbem Haar und einem weißen Gewand, dessen rosa und gelb bemalter Zickzacksaum mit einem floralen Ornament verziert ist. Auch Beschläge auf dem Köcherband sind zu erkennen.

Probedruck aus dem 1836 erschienenen Buch von Désiré Raoul Rochette (Nachlass K. O. Müller, Archäologisches Institut Göttingen, Foto: Stephan Eckardt). Bis zum 17. Januar 2021 wird der Stich in der Bunte Götter-Ausstellung im Liebieghaus in Frankfurt gezeigt.

Die letzte ausführliche Beschreibung der Bemalung stammt von 1888, verfasst vom Archäologen Franz Studniczka. Er hielt gezielt nach Farbresten Ausschau, die seine Vorgänger beschrieben und abgebildet hatten, und konnte auch noch Reste des Saum-Ornaments erkennen, die inzwischen vollständig verloren sind. Lediglich das Rosa und das Gelb des Saums sind heute noch auszumachen.

Der Zickzacksaum und das Diadem mit Resten der Bemalung, Fotos: Vinzenz Brinkmann.

Danach dauerte es 122 Jahre, bis Artemis zum ersten Mal mit naturwissenschaftlichen Methoden untersucht wurde: Es waren die Brinkmanns und der Restaurator Heinrich Piening, die mit Hilfe der UV-VIS-Absorptionsspektroskopie und verschiedenen fotografischen Techniken weitere Details über das Aussehen der römischen Statue herausfanden. Unter Infrarotlicht beispielsweise fluoreszieren auch kleinste Reste von Ägyptischblau, die mit bloßem Auge nicht wahrzunehmen sind. Zu finden war das Blau am Diadem, an den Armstützen und, wie jüngst entdeckt, auch an den Ärmeln. Zudem konnten widersprüchliche Angaben zur Farbe der Rosetten geklärt werden: Sie waren nicht nur rot, wie Winckelmann schrieb, oder gelb, wie auf Raoul Rochettes Stich, sondern beide Farben kamen vor und obendrein noch rosa.

Wie bunt soll unsere Artemis werden?

Egal, wie gut die Faktenlage ist – letztlich gibt es bei Farbrekonstruktionen immer einen gewissen Spielraum. Bedeutet ein kleiner Farbrest an einer einzelnen Stelle, dass die gesamte Fläche in ebendieser Farbe bemalt war? Wie sahen die obersten Farbschichten aus, die immer als erste verloren gehen? Hier ist Raum für Interpretationen, das heißt unsere Göttinger Artemis musste nicht wie eine Drillingsschwester der vorherigen Brinkmannschen Rekonstruktionen aussehen, die sich untereinander ebenfalls unterschieden.

Das 2018 bemalte Exemplar für das Winckelmann-Museum in Stendal, Foto: Vinzenz Brinkmann.

Die Brinkmannsche Farbrekonstruktion in der Bunte Götter-Ausstellung in Berlin im Sommer 2010, Foto: Jorun Ruppel.

 

Unser Ziel war es, mit unserer Farbrekonstruktion näher an die erste farbige Abbildung von 1836 mit ihrem Göttingen-Bezug heranzurücken, ohne jedoch eindeutige Analyseergebnisse zu ignorieren. Wie konnten wir das umsetzen? Wir machten drei Bereiche aus, die Spielraum für eigene Interpretationen boten.

Beschläge auf dem Köcherband

Auf dem Stich von 1836 sind sie zu sehen, doch niemand zuvor erwähnte sie, und Studniczka, der gezielt danach Ausschau hielt, konnte von ihnen keine Spuren finden. Hat Raoul Rochette Fehlstellen im Rot des Köcherbands, die sich in mehr als sieben Jahrzehnten durch Abblättern der Farbe gebildet hatten, für weiße Beschläge gehalten? Oder existierten sie tatsächlich, wurden jedoch von Winckelmann & Co. nicht erwähnt, weil sie Beschlagknöpfe einfach zu gewöhnlich fanden? In der griechischen Vasenmalerei sind sie dies jedenfalls. Wir entschieden uns schließlich dafür, weiße Beschläge aufzumalen – wegen des Göttingen-Bezugs des kolorierten Stiches und um einen neuen Vorschlag zu machen.

Unsere Rekonstruktion mit Beschlagknöpfen auf dem Köcherband, Foto: Jorun Ruppel.

Ausschnitt aus dem kolorierten Stich. Die Knöpfe auf dem Stich waren ursprünglich silbrig-weiß, doch hat sich die Farbe verändert, Foto: Stephan Eckardt.

Die Farbe der Ärmel

Der linke Ärmel mit roten Farbresten, Foto: Vinzenz Brinkmann.

Auf Detailfotos vom linken Ärmel des Untergewandes sind Reste roter Farbe zu erkennen, doch beschreibt keiner der frühen Beobachter die Ärmel als rot und auch auf dem Stich sind sie weiß. In unserer Rekonstruktion haben wir uns entschieden, die roten Farbreste (vorerst) zu ignorieren und die Ärmel, genau wie das übrige Untergewand und den Mantel, weiß zu bemalen. Richtig: Die Römer haben das Gewand nicht marmorsichtig belassen, sondern haben weiße Farbe aufgetragen. Auch das neu nachgewiesene Ägyptischblau haben wir erst einmal weggelassen, hier bedarf es noch weiterer Versuche.

Das Ornament

Es ist unstrittig, dass auf dem pinken Saum ein weißes Ornament aufgemalt war, doch wie soll man die Beschreibungen von Blumen, Schnirkeln, Palmetten oder Ranken mit palmettenartigen Gliedern und Studniczkas Zusatz, das Ornament habe sich wahrscheinlich in Längsrichtung entwickelt, interpretieren? Schließlich suchten wir in der zeitgenössischen römischen Wandmalerei nach einer Vorlage und fanden sie in der Villa Farnesina in Rom. Da uns das Ornament jedoch zu detailreich erschien, glichen wir es durch Weglassen einiger Elemente an das bei Raoul Rochette abgebildete Muster an.

Ornament im Cubiculum B der Villa Farnesina, Rom. Ausschnitt aus dem kolorierten Stich von Raoul Rochette und unser Vorschlag, Fotos: Stephan Eckardt, Jorun Ruppel. Das ursprünglich mit Weiß aufgemalte Ornament auf dem Stich hat sich über die Jahre dunkel verfärbt.

Nach insgesamt zwei Jahren Arbeit ist die Bemalung nun (weitgehend) abgeschlossen. Die bunte Artemis aus Pompeji kann im Rahmen der Sonntagsspaziergänge der Uni Göttingen immer sonntags von 11 bis 16 Uhr in der Sammlung der Gipsabgüsse antiker Skulpturen im Nikolausberger Weg 15 besucht werden.

Die Göttinger Farbrekonstruktion von 2018-20, Foto: Jorun Ruppel.

 

Gipsabguss: Nadja Kehe, Gesine Philipp, Julius Rammler, Jorun Ruppel

Bemalung: Jorun Ruppel, Nadja Kehe, Grundierung: tier. Leim, Calciumcarbonat

Farben: Naturpigmente

Bindemittel: Ei-Casein-Tempera

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Jorun Ruppel ist seit 2002 Restauratorin am Archäologischen Institut und in der Sammlung der Gipsabgüsse antiker Skulpturen.

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Hinter den Kulissen Sammlung

Nesthäkchen – ein historisches Mädchenbuch mit emanzipatorischem Charakter

Soziale Rollen – und besonders Geschlechterrollen – begleiten uns im Alltag und sind gerade heute Thema eines vielschichtigen Diskurses. Ob ich mir jetzt auf YouTube Schminktutorials von schlanken Blondinen anschaue oder einen Liebesroman lese: Oft lassen sich Verhaltensmuster erkennen, die als besonders gut angesehen werden, oder eben als eher schlecht.

Nesthäkchen umarmt stürmisch ihren Bruder Hans.

Genau das findet man auch schon in Mädchenromanen der wilhelminischen Kaiserzeit, zum Beispiel in “Nesthäkchen” von Else Ury. Wenn die Titelheldin dadurch negativ auffällt, dass sie zu wild und zu unordentlich ist, dann hängt das vor allem damit zusammen, dass sie sich nicht so benimmt, wie ein Mädchen es sollte.

Vom Trotzkopf zur perfekten Hausfrau

Dass ein Mädchen sich zuerst nicht so verhält, wie es ihrer Rolle entspricht, ist typisch für die ‚Backfischliteratur‘. Bei diesem Genre kommt oft ein wildes, ungezähmtes Mädchen in ein Internat. Dort soll sie zu einer perfekten, also normgetreuen, jungen Frau zu werden. Wenn sie es dann geschafft hat, dem Frauenbild ihrer Zeit zu entsprechen, begegnet sie einem Mann. Diesen Mann heiratet sie und ist für immer glückliche Mutter und Hausfrau.

Das Mädchenbuch Emmy von Rhodens erschien erstmals 1885.

Dasselbe müsste auch für die “Nesthäkchen”-Reihe gelten. Eigentlich. Anders als bei anderen Backfischromanen (zum Beispiel “Der Trotzkopf”) werden die Gattungsmerkmale hier jedoch zum Teil nicht beachtet. Es gibt viele emanzipatorische Tendenzen, obwohl die Reihe schon vor etwa hundert Jahren veröffentlicht wurde.

Annemarie ist anders

So ist Bildung wichtiger als gewöhnlich und Annemarie arbeitet sogar nach ihrer Hochzeit. Sie ist eben mehr als bloß eine (Haus-)Frau, die tut, was man ihr sagt. Gerade weil sie ihren eigenen Kopf hat, erscheint sie dem Leser oder der Leserin so sympathisch.

Nesthäkchens Enkelin Marietta ist Kindergärtnerin geworden.

Vielleicht ist es gerade das, was dazu geführt hat, dass so viele Mädchen die Bücher gelesen und lieben gelernt haben. Bei unserer Ausstellung ZeitSpiegel im letzten Semester erzählten uns viele Besucherinnen und Besucher, wie sehr sie die Bände mochten. Auch mir hat es Spaß gemacht, die Reihe zu lesen, da Annemarie so interessant und kreativ ist.

Die eigene Rolle hinterfragen

Mir wurde dabei aber bewusst, dass es Geschlechterrollen auch heute noch gibt. Natürlich beschwert sich heute – anders als im Roman –  niemand, wenn wir ohne Hut auf die Straße gehen. Es gibt aber schon Dinge, die erwartet werden: Man denke an die eingangs erwähnten Zeitschriften und Videos für junge Mädchen. Wenn man “Nesthäkchen” liest, fallen vor dem Hintergrund der damaligen Geschlechterrollen auch die eigenen auf. Gerade diese Buchreihe eignet sich also, um sich mit sozialen Rollen auseinanderzusetzen, und das überzeitlich.

Gegen das Vergessen: Über die Autorin Else Ury.

Die Autorin und ihr Schicksal

Trotz der Beliebtheit ihrer Bücher hatte Else Ury aber kein sorgenfreies Leben. Bei unserer Ausstellung fiel auf, dass nicht viele Besucherinnen und Besucher über die Biografie der Autorin Bescheid wussten. Sie war eine erfolgreiche Autorin, doch im Zuge des Nationalsozialismus erlebte sie als Jüdin Repression und Verfolgung in Deutschland. So wurden ihre Bücher verbrannt, sie durfte keine neuen Bücher mehr veröffentlichen, und ein Großteil ihrer Familie emigrierte oder floh aus Deutschland. Um für ihre kranke Mutter zu sorgen, blieb Else Ury in Deutschland – und wurde 1943 in Auschwitz ermordet. Besonders diese Seite ihrer Biografie sollte nicht vergessen oder verschleiert werden. Dieser Meinung war auch Marianne Brentzel, die 1992 mit ihrem Buch “Nesthäkchen kommt ins KZ” auf diesen Umstand aufmerksam machte.

Jaqueline Stephan in der Sammlung historischer Kinder- und Jugendliteratur.

Unsere Sammlung

Sowohl die “Nesthäkchen”-Bücher als auch “Nesthäkchen kommt ins KZ” und “Der Trotzkopf” befinden sich in der Sammlung historischer Kinder- und Jugendliteratur. Sobald die Sammlungen wieder öffnen können, ist bei uns jeder willkommen, sich diese und noch viele andere Bücher anzuschauen und durchzulesen.

Jaqueline Stephan

Die Autorin studiert Deutsch und Philosophie und betreut die Sammlung historischer Kinder- und Jugendliteratur an der Universität Göttingen. Das Interview mit ihr über “Nesthäkchen, Else Ury und die Sammlung historischer Kinder- und Jugendliteratur” finden Sie hier.

микрозайм с просрочками на карту Video-Interview mit Jaqueline Stephan.

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Sammlung

Ein Artefakt auf Umwegen

Manchmal stoßen Wissenschaftler*innen in den Unweiten der universitären Sammlungen auf rätselhafte Gegenstände, die bisher wenig Beachtung gefunden haben. Das mag daran liegen, dass niemand so richtig weiß, was damit anzufangen ist.

Klein, kompakt und kunstvoll verziert: die Teremok-Schatulle.

Im Falle dieses schmuckhaften und rätselhaften Gegenstandes entwickelte sich eine Zusammenarbeit verschiedener Forschungsbereiche, um der Spur des von Sammlung zu Sammlung gereichten Gegenstandes zu folgen. Angestoßen durch eine Reinigung begann die Reise des Artefaktes durch verschiedene Disziplinen der Wissenschaft, bei der Mitarbeiter*innen aus Ethnologie, Anthropologie, Ur- und Frühgeschichte, Geowissenschaften und Botanik zusammengekommen sind.

Etwas ganz Besonderes

Es ist klein, kompakt, kunstvoll verziert und wirkt wie ein eleganter Einrichtungsgegentand und ein sicherer Aufbewahrungsort für etwas ganz Besonderes – die Teremok-Schatulle, benannt nach ihrer Form. Mit dem oberen, walmdachähnlichen und dem unteren, rechteckigen Teil, sieht die Schatulle nämlich aus wie ein kleines Häuschen. „Teremok“ ist die russische Bezeichnung dafür. Aber wie ist dieser Gegenstand in die Anthropologie der Universität Göttingen gekommen? Über einige Umwege. Ich durfte sie mir anschauen und mit Dr. Birgit Großkopf vom Johann-Friedrich-Blumenbach-Institut für Historische Anthropologie und Humanökologie über die interdisziplinäre Forschung an diesem besonderen Fund sprechen.

Birgit Großkopf mit Schatulle in der Sammlung Historische Anthropologie.

 Zettelkarteien-Wirtschaft in der Ethno

Die Geschichte beginnt im Königlichen Academischen Museum der Universität Göttingen. Nach dem Tod des Kurators des Museums Johann Friederich Blumenbach im Jahre 1840, wurde die enzyklopädische Sammlung zu einer systematischen umstrukturiert. Dabei fiel den Mitarbeiter*innen ein kleines mysteriöses kastenförmiges Objekt in die Hände, zu dem nicht viele Informationen vorhanden waren. Die ethnologisch angelegte Zettelkartei aus den 1940er Jahren verwies mit „Af 2789“ auf Afrika als Herkunftsland. Eine hinzugefügte Bleistiftnotiz „Ägypten?“ konkretisierte nicht wirklich. Interessanterweise ordnete die Kartei den Gegenstand der Sachgruppe „Geräte“ zu, obwohl sich in der Schatulle menschliche Knochen befanden.

Das Kästchen vor der Säuberung.

Der Weg in die Anthropologie

Zusammen mit allen anderen ethnologisch-betitelten Sammlungsinhalten fand die Schatulle ein neues Zuhause im 1877 fertiggestellten Zoologisch-Zootomischen Institut in der Berliner Straße (das Gebäude, in dem aktuell das Forum Wissen entsteht). Hier wurde sie mit der Nummer 217 im sogenannten Rühlschen Zettelkatalog eingeordnet. Mit der Fertigstellung des Ethnologischen Instituts (damals Institut für Völkerkunde) 1936 zog das Kästchen um an den Theaterplatz. Als die Ethnolog*innen in den 1990ern alle Mumienteile an die Sammlung Historische Anthropologie übergaben, war darunter auch die Teremok-Schatulle. Und da wären wir nun.

Karteikarte im Rühlschen Zettelkatalog.

Eine Frage der Provenienz

Statt einer direkten Auskunft bietet die Rühlsche Kartei nur die Angabe „a.S.“, was auf eine Zugehörigkeit zur ganz alten Ethnologischen Sammlung anno 1886 hinweist. Deshalb und auch des Aussehens wegen vermuten die Forscher*innen, dass das hübsche Kästchen Teil einer der zahlreichen Schenkungen durch den Baron Thomas von Asch gewesen sein könnte, der als Generalstabsarzt unter Katharina der Großen gerne auf seine Promotionszeit in Göttingen zurückblickte und allerhand Bedeutsames an die Göttinger Sammlungen schickte. Dies konnte zwar bislang nicht bewiesen werden, doch Dr. Jens Schneeweiß, ehemaliger Kustos der Lehrsammlung Ur- und Frühgeschichte, verweist auf ähnliche Schatullen, welche in russischen Museen, wie dem Staatlichen Museum in Moskau und dem Russischen Museum in St. Petersburg, besichtigt werden können. Vermutlich wurde demnach auch das Göttinger Kästchen so wie die in Russland befindlichen Teremok-Schatullen in der Gegend von Velikij Ustjug hergestellt. Analysen zur Beschaffenheit des Kästchens, die unter anderem die Restauratorin der Klassischen Archäologie und Mitarbeiter*innen vom Geowissenschaftlichen Zentrum durchführten, bestätigen diese Einschätzung. In den Schriften und Notizen, die den Sendungen des Barons von Asch zugehörig sind, wird derweil weiterhin nach Erwähnungen eines kleinen schmuckhaften Kästchens mit menschlichem Inhalt Ausschau gehalten.

Die geöffnete Schatulle samt Inhalt.

Ein ungewöhnlicher Aufbewahrungsort

Aber nun zum eigenartigen Teil: den menschlichen Knochen. An sich sind Knochen ziemlich alltäglich in einer Anthropologischen Sammlung. Aber warum lagen sie in dieser Kiste, die ja wohl keinesfalls einem Sarg ähnelt? Handelt es sich womöglich um Reliquien? Schauen wir sie uns doch mal genauer an – beziehungsweise schauen wir, was die Anthropolog*innen rund um Dr. Birgit Großkopf herausgefunden haben: Es handelt sich um 18 mumifizierte Fußknochen einer ausgewachsenen Person unbestimmten Geschlechts und unbestimmter Herkunft. Mehr kann dazu momentan nicht gesagt werden, denn durch die DNA-Analyse konnte nicht eindeutig geklärt werden, welches Geschlecht die Mumie hat, und wo sie herkommt. „Theoretisch kann man anhand der Robustizität der Knochen das Geschlecht feststellen. Da wir aber die regionale Herkunft nicht kennen, können wir das nicht mit Sicherheit sagen, ob männlich oder weiblich“, begründet Birgit Großkopf.

Diese Knochen hat die Anthropologin Dr. Birgit Großkopf untersucht.

Rätsel der Zukunft

Sie und ihre Kolleg*innen erhoffen sich weitere Angaben zu regionaler Herkunft und Geschlecht des Fundstücks durch eine NGS-Analyse (next-generation sequencing), die derweil außer Haus durchgeführt wird. Sollten sich dadurch keine neuen Erkenntnisse ergeben, so bleibt das mysteriöse Kästchen weiterhin ein Rätsel bis eventuell zufällig ein historischer Kontext auftaucht, zum Beispiel  in der russischen Literatur oder durch einen vergleichbaren Fund anderswo. Bis dahin ruhen die Knochen in ihrem hübschen Kästchen, in einem klimatisierten Raum in der Mumienteilsammlung der Historischen Anthropologie.

Die bisherigen Ergebnisse der Untersuchungen wurden im Göttinger Jahrbuch 2018 des Göttinger Geschichtsverbandes publiziert. Alte Sammlungsobjekte – neue Erkenntnisse: Eine Teremok-Schatulle mit Mumienknochenвзять займ на карту без отказа под 0 процентов, von Birgit Grosskopf, Gudrun Bucher, Andreas Kronz, Jorun Rebekka Ruppel, Jens Schneeweiss, Lyudmila Shumilovskikh und Nicole Zornhagen.

Fotos: Meike Hartmann

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Ausstellung Sammlung

Der Göttinger Bernsteinschatz

Betritt man die Bernsteinausstellung, scheint es, als betrete man eine andere Welt. In schummrig-wohligem Licht wandelt man über dunkelbraunen Grund, während sich auf einem großen Banner an der Wand Säugetiere und Vögel im Dickicht von grünen Pflanzen und Bäumen tummeln.

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Sammlung

Erich Blechschmidt. Abbilder

“Ein menschlicher Embryo hat so viel Anmut, dass der Unvoreingenommene ihn staunend bewundern muss.” Erich Blechschmidt im Vorwort zu „Vom Ei zum Embryo“, 1968

His-Ziegler-Modelle, Embryo A aus der Modellserie “Anatomie menschlicher Embryonen”, Anatomisches Institut, Göttingen, 1880/85. Foto: Hans-Georg Sydow.

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Ausstellung Forum Wissen Sammlung

Geheimnisse der Göttinger Sammlungen

Die Ausstellung „Präparierte Natur. Was wissenschaftliche Objekte verbergen“ ist eröffnet. Studierende der Kunstgeschichte und der Kulturanthropologie haben in einem interdisziplinären Seminar die Ausstellungspraxis von Museen und Sammlungen analysiert und hinterfragt. Mit den Ergebnissen haben sie nun eine eigene Ausstellung entwickelt, die einen Ausblick auf das Forum Wissen gibt. Wir waren bei der Ausstellungseröffnung dabei und sprachen mit den Ausstellungsmacherinnen über Irritationsmomente, Detektivarbeit und Kuriositäten in den Göttinger Sammlungen.

Die Ausstellungsmacherinnen Melina Wießler, Frauke Ahrens, Sonja Nökel, Wiebken Nagel, Jennifer Pötzsch mit ihrer Seminarleiterin Magarete Vöhringer (v.l.n.r.) eröffnen die Ausstellung (Foto: Julian Schima)

Studierende stellen aus

Der Ausstellungsraum ist gut gefüllt, als Margarete Vöhringer vom Kunstgeschichtlichen Seminar gemeinsam mit den Studierenden des Seminars “Materialität des Wissens“ die Schau eröffnet. Die Präsentation ist in fünf verschiedene Abschnitte unterteilt, die jeweils ein Sammlungsobjekt unter die Lupe nehmen. Die Objekte werden in einem ganz neuen ästhetischen Kontext präsentiert – eine Auseinandersetzung mit der gängigen Ausstellungspraxis. Selbstsicher und souverän referieren die Studentinnen über ihre Projekte.

Die Studierenden sind tatkräftig am Aufbau beteiligt (Foto: Wiebken Nagel)

Das Potwalskelett und ein Menschenschädel zu neuem Leben erweckt

Wiebken Nagel begleitete mit einer Kamera den Umzug des Walskeletts aus dem Zoologischen Museum. Auf diese Weise konnte sie neue Perspektiven festhalten, die man in der bisherigen Ausstellung des Wals nicht fand. Die Kulturanthropologiestudentin zeigt ihre Aufnahmen in einer Videoinstallation. Ganz nah führt sie die Betrachtenden an die Einzelteile. Details werden sichtbar, die in der Präsentation vorher verborgen geblieben waren: Schrauben, die das Skelett sonst zusammenhalten, erscheinen auf einmal im Blickfeld. So wird bewusst, dass die ausgestellte Natur vom Menschen konstruiert ist: Ein Haufen Knochen, der mühsam zusammengefügt und fixiert in der Ausstellung als heiles Skelett präsentiert wird.

 

Auch Jennifer Pötzsch befasst sich mit Knochenmaterial: Sie näherte sich einem Schädel aus der Blumbachschen Sammlung über eigene Zeichnungen an. Ihr Interesse gilt der Kulturgeschichte von Totenschädeln. Sie sind und waren Kultgegenstände, Kunstobjekte oder Forschungsobjekte in der modernen Wissenschaft. Heute können Forschende mit ihren Instrumenten und Methoden die Lebensgeschichte des verstorbenen Menschen hinter dem Schädel zu neuem Leben erwecken.

Die Gestaltung der Schauvitrine zum Objekt aus dem Göttinger Herbarium (Foto: Wiebken Nagel)

Science meets art

In einem Schaukasten liegt der Roman „Die Vermessung der Welt“ von Daniel Kehlmann neben getrockneten Pflanzen aus dem Göttinger Herbarium. Melina Wießler, Studentin der Kunstgeschichte und Literaturwissenschaften, verbindet in ihrer Anordnung gekonnt Dürer, Tucholsky und Kehlmanns Abenteuerroman mit einem 200 Jahre alten Herbarium – und reflektiert über das Beziehungsgeflecht zwischen Kunst und Wissenschaft. Hier verbinden sich die wissenschaftliche Sammel- und Dokumentationstätigkeiten mit kulturellen Erzeugnissen. Wießler interessiert sich dafür, wie Erzählungen und bildende Kunst das Bild der Forschung in der Öffentlichkeit prägen.

Der Kustos der Zoologischen Sammlung, Gert Tröster (links), bringt eigenhändig den Handschuh aus Muschelseide in die Ausstellung (Foto: Wiebken Nagel)

Natur und Kultur

Sonja Nökel ging der Objektbiographie eines Handschuhs aus Muschelseide nach, der aus der Zoologischen Sammlung stammt. Muschelseide stellte man seit der Antike aus dem Faserbart der Rauen Schinkenmuschel her, mit dem sich diese am Meeresboden festhält.  Die Kunstgeschichtsstudentin interessiert sich vor allem für das Zusammenspiel von Natur und Kultur, das durch den fertigen Handschuh verdeckt wird: Hinter der bloßen Ansicht des Materials verbergen sich gleichsam der natürliche Stoff und dessen aufwändige Beschaffung und Verarbeitung durch den Menschen. Diese sichtbar zu machen, gelingt nur mittels Recherche und Beschreibung in der Ausstellung des Objekts.

Materialität des Wissens

Vöhringer berät bei der Gestaltung der Sektionen (Foto: Wiebken Nagel)

Die Studierenden haben die Ergebnisse für ihre Ausstellung innerhalb des Seminars zu wissenschaftlichen Präparaten erarbeitet. „Im Mittelpunkt des ersten Semesters stand die Beschäftigung mit den Objekten sowie die Vermittlung theoretischer Kenntnisse zur Ausstellungs- und Sammlungspraxis“, sagt Vöhringer, Professorin für Materialität des Wissens. Zu ihrer interdisziplinären Professur gehört es, die Göttinger Sammlungen für Forschung und Lehre zu nutzen und zu untersuchen. Die Seminarteilnehmerinnen besuchten unter anderem die Zoologische Sammlung, die Blumenbachsche Schädelsammlung und das Herbarium. Sie begannen zu hinterfragen: Welche Objekte werden ausgestellt und warum? Wie werden sie präsentiert? Das führte zu Irritationsmomenten.

Nomen est omen?

Das Korallenskelett (Foto: Frauke Ahrens)

Frauke Ahrens, Studierende der Kulturanthropologie, richtete ihr Augenmerk auf die wissenschaftliche Namensbezeichnung ausgestellter Objekte. Sie fragte sich, warum es aus naturwissenschaftlicher Perspektive kein Interesse an der historischen Namensentstehung gibt. „Im Bewusstsein der Forschung ist nur der aktuelle Name des Objekts von Interesse“, sagt Ahrens. Die Studentin stellt ein Korallenskelett aus der Zoologischen Sammlung aus, für das in der Fachwelt gegenwärtig drei verschiedene Namen kursieren. „Die Beschriftung von Gegenständen in Museen suggeriert, dass ihre Namen feststehen“ erklärt die Kulturanthropologin. „Das verschweigt den Prozess und die Widersprüche in der Namensgebung.“ Mit ihren Recherchen zeigt die Studentin exemplarisch an der Namensgeschichte ihrer Koralle die Wandelbarkeit von Forschungsergebnissen auf.

Museale Perspektiven

Die Projektleiterin ist sichtlich stolz auf ihre Studentinnen: „Alle haben sich sehr intensiv im Seminar eingebracht.“ Die Erkenntnis darüber, dass die Präsentation von Wissen auch immer die Perspektive der Ausstellungsmacher widerspiegelt, ist eines der didaktischen Lehrziele, auf das Vöhringers Seminar ausgerichtet war. „In dem Seminar habe ich gelernt, Ausstellungen mit anderen Augen zu sehen“, sagt Wießler. „Mir wurde bewusst, dass ein Museum uns immer die eigene kulturell geprägte Perspektive aufdrückt.“

Wießler referiert über ihr Ausstellungsprojekt (Foto: Julian Schima)

Auf dem Weg zum Forum Wissen

Die erfolgreiche Ausstellung „Präparierte Natur“ gibt einen Ausblick auf Teile der Ausstellungspraxis des künftigen Forum Wissen: Studierende forschen an Objekten der Göttinger Sammlungen, können sich in der Ausstellungspraxis erproben und vermitteln die Entstehung des Wissens vom Beginn über Irrwege bis ans Forschungsziel – und auch das, so wissen die Studentinnen nun, ist nicht in Stein gemeißelt. Wer also wissen möchte, wie Ausstellungskonzepte im Forum Wissen aussehen können, sollte diese Ausstellung im Alten Auditorium, Raum 0.111, an der Weender Landstraße 2 nicht verpassen. Die Schau ist bis zum 30. März 2019 jeden 1. und 3. Sonntag des Monats von 11 bis 13 Uhr geöffnet.